Samstag, 1. Februar 2014

Französische Kostbarkeiten

Nils Mönkemeyer und Andreas Arend in der "Meisterinterpreten"-Reihe

Die Kammermusikreihe "Meisterwerke-Meisterinterpreten" feiert dieses Jahr ihren 60. Geburtstag - Grund genug, mit einem außergewöhnlichen Konzert zu beginnen, das am Sonntag eine große Schar Zuhörer in den Ballsaal im Hotel Königshof in Strehlen lockte, den angestammten Konzertort. Der Reiz des Konzertes lag in der - nur auf den ersten Blick - ungewöhnlichen Besetzung mit Bratsche und Theorbe. Zwar waren die vorgestellten barocken Werke keine Originalkompositionen für die Bratsche, doch Transkriptionen waren damals wie heute Usus, und die Bratsche bietet sowohl die Möglichkeit der virtuosen Flexibilität der Geige als auch die Annäherung an den Klangbereich der Gambe.

Anstelle aber den französisch-italienischen Musikerkrieg des 18. Jahrhunderts auszurufen, stellte Mönkemeyer den Werken von Marais, de Visée, Forqueray und Delalande zwei Solo-Suiten von Johann Sebastian Bach gegenüber. Obwohl auch diese im Ursprung französische Tanzsätze in der Suite vereinigen, tritt die Meisterschaft Bachs in diesem Kontext noch intensiver hervor. Tonarten, Entwicklung, Satzgestalten gehen hier eine nahezu himmlische Verbindung ein - und in der Interpretation von Nils Mönkemeyer war dies ein voller Genuss. Die direkte Akustik der muschelartigen Bühne mag vielleicht einen Interpreten zunächst erschrecken, doch Mönkemeyer wusste genau dies hervorragend zu nutzen, legte Sarabanden-Sätze mit inniger Ruhe an und gestaltete Gigue und Courante im temperamentvollen, niemals überstürzenden Kontrast.

Mit Andreas Arend an der Theorbe hatte Mönkemeyer in den französischen Stücken einen ebenbürtigen Begleiter. Da die beiden Musiker selbst durch das Programm führten, konnte man die Umsetzung der kleinen Charakterstücke, zumeist für das Plaisir rund um die Mahlzeiten am Hofe von Ludwig XIV. bestimmt, plastisch verfolgen. Immer wieder war zu bemerken, dass Mönkemeyer schon für die an sich nicht sehr komplexen Stücke von Marin Marais die volle Klangpalette seines Instrumentes ausnutzte - er traute sich etwa in den das Konzert beschließenden Stücken, die Marais den Winden widmete, auch ein pianissimo, das wirklich den leisesten Lufthauch vermittelte. Die Zuhörer erlebten musikalische Gestaltung auf höchstem Niveau und durften in der Zugabe noch erfahren, dass es in der Barockmusik ab und an herb und deftig zuging - Mönkemeyer und Arend ließen hier die Saiten noch einmal im Tanzrhythmus kräftig vibrieren.

Freitag, 31. Januar 2014

Husch ins Eckchen - zeitgenössische Musik (nicht) im Radio

Wir wissen es alle: der öffentlich-rechtliche Rundfunk definiert den Kulturauftrag gerne selbst - und da kochen viele Köche einen schmodderigen Brei, den wir dann hörend verzehren müssen. Es sollen alle Zuhörerschichten erreicht werden und gleichzeitig muss die Quote stimmen. Die Ausgewogenheit entpuppt sich schon dann als seifige Worthülse, wenn MDR Figaro etwa ein eigenes Studio-Konzert mit Suzanne Vega wochenlang vor und vermutlich wochenlang nach dem eigentlichen Event mit Musik der Künstlerin promotet - auf Sendeplätzen, auf denen eigentlich Vielfalt geboten sein sollte.

Ich komme vom Thema ab. Gestern hieß es wieder einmal: Husch, ins Eckchen. Ein solches "Eckchen", schlappe 55 Minuten Sendezeit pro Woche, ist bei MDR Figaro für ein Format namens "Moderne Musik" reserviert. Früher war es immerhin noch eine komplette Abendsendung. Ansonsten kann man zeitgenössische Musik im Figaro-Programm nichtmal mit einer Lupe suchen, und die Website und Suchfunktion ist ein einziges Desaster: Keine Scripte, keine Erklärungen - ein großes Feature über mein Landesjugendorchesterprojekt 2012 ist beispielsweise einfach verschwunden, die unübersichtliche Website verhindert zudem kolossal, dass man schnell und umfassend seinen Hörinteressen nachgehen kann.

Zurück zur Sendung: eine "breite Zuhörerschicht" wird mit solch einer Notizzettel-Seite sicher nicht angesprochen. Ich hatte zu spät eingeschaltet - für meine breite Leserschicht dieses Blogs reiche ich nach, dass es eine themenbezogene Sendung war, es ging um "Hymnen" in der Musik. Das steht nicht einmal auf der Sendungsseite (die vermutlich morgen ebenso wieder aus dem Web verschwinden wird), stattdessen nur der Satz: "Mit Ausschnitten aus Werken von Karl Amadeus Hartmann, Karlheinz Stockhausen und Moritz Eggert". "Ausschnitte" - das läßt ja schon Schlimmes ahnen und dementsprechend waren auch etwa Karl Amadeus Hartmanns "Hymnen" auf das Finalgetöse reduziert.

Dann aber glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen. Der Autor der Sendung, Mario Plath, der auch moderierte, sprach über ein Klavierstück von Moritz Eggert, welches sich mit den Nationalhymnen beschäftige und teilte mit, dass "das Stück aus Zeitgründen nicht gesendet werden könne, aber auf YouTube zu finden sei". Ein ziemlich unglaublicher Vorgang, war doch Eggert explizit angekündigt. Zudem wurde das Klavierstück als "Hämmerklavier Zwölf" falsch angekündigt (es ist Hämmerklavier XIX, tja, diese komischen römischen Zeichen...).

Stattdessen wurde (ohne weitere Erklärung) der Hymnus von Alfred Schnittke gesendet, auch ein schönes Stück, aber eben nicht Eggert. Mehr noch: Die Sendung kippte danach vollends in die Beliebigkeit, als der Autor Alphons Diepenbrock und Nikolaj Medtner aus dem Hymnen-Hut zog - zwei spätromantische Komponisten, deren Stücklänge locker die zehn Minuten des Eggert-Werks erreichten. Mit Verlaub: die Einbettung dieser beiden Schmonzetten-Stücke war ein ästhetischer Meineid. Der wurde aber am Ende der Sendung gottlob bestätigt, denn der Moderator wünschte "noch einen unbeschwerten Abend".

Soviel zur Kultur im mitteldeutschen Radio.

Mittwoch, 22. Januar 2014

Vitalisierende Musikalität

1. Apéro-Konzert der Dresdner Philharmonie mit Thomas Zehetmair

Das Angebot der in der Stadt "reisenden" Dresdner Philharmonie pendelt sich mittlerweile an den verschiedenen Konzertorten gut ein. Die Programme sind darauf abgestimmt, was in den jeweiligen Räumen möglich und passend ist. Gerade das Hygiene-Museum scheint sich da als Schatztruhe zu entpuppen: kleiner besetzte Werke, die kaum einmal im riesigen Kulturpalast gespielt wurden, sind hier gut geeignet - so hat sowohl die Barockmusik als auch die vielfältige Sinfonik jenseits spätromantischer Riesenbesetzungen oder modernere Ensemblemusik eine Chance.

Die Konzertformate sind ebenso bunt wie die Musik: "Dresdner Abende", Matinéen oder "Blaue Stunden" gab es bereits, am Sonnabend feierte die Reihe "Apéro-Konzerte" ihre Premiere. Ob es an Häppchen und Wein oder doch eher am Geiger Thomas Zehetmair, dem berühmten Solisten und Dirigenten des Abends, lag - das Konzert war erstaunlich gut besucht und lockte auch viele jüngere Zuhörer an. Die reichliche Stunde Musik entpuppt sich als vitalisierendes Element, da Zehetmair als Vollblutmusiker die Zuhörer sofort in den Bann zu ziehen vermag.

Zu Beginn war bei Johann Sebastian Bachs Violinkonzert E-Dur schnell die Entscheidung zu fällen, ob man mit Zehetmairs Interpretationskonzept mitgehen wollte: der doch arg brav musizierte erste Satz und die durch alle Sätze vorherrschende romantisierende Grundhaltung waren schlicht eine Geschmacksache. Fraglos war jedoch der Solopart souverän musiziert und Takt für Takt mit Inhalt gefüllt. Auch wenn Bach stilistisch von der Gegenwart der Rezeption aus betrachtet ein wenig antiquiert klang, war diese Haltung doch insofern überzeugend, da sie nicht aus Nachlässigkeit oder Unüberlegtheit entstand, sondern mit interpretatorischem Willen. Letztlich führt die Vielfalt der Möglichkeiten gerade bei der Barockmusik ja auch dazu, sie immer wieder neu entdecken zu können.

Von Bach zu Mendelssohn Bartholdy ist es je nach Perspektive ein großer Schritt oder aber ein nahezu "sanfter" Übergang - war es doch genau dieser Komponist, der im 19. Jahrhundert Johann Sebastian Bach zu einer wahren Renaissance verhalf. Mendelssohns Konzertouvertüre "Das Märchen von der schönen Melusine" verrät davon noch nicht so sehr viel. Thomas Zehetmair setzte hier auf spannendes, impulsgeladenes Musizieren aus romantischem Geist heraus und "erzählte" die Geschichte der Meerjungfrau plastisch.

Die 1. Sinfonie c-Moll jedoch, ein jugendliches Meisterwerk, setzt beethoveneskes Dramaturgiegespür neben die Bewunderung und gleichzeitige Beherrschung barocken Kontrapunktes. Damit ist genug Spannung für vier außergewöhnliche Sätze gegeben, die Zehetmair sowohl knackig-lebendig in den Tutti-Passagen als auch mit gutem Gespür für Transparenz der Bläser im Piano auskostete. Zehetmair und die Philharmoniker wurden mit großem Applaus bedacht - im Juni darf man sich auf einen weiteren Abend mit ihm, Bach und Mendelssohn freuen.

Dienstag, 14. Januar 2014

Spielarten der "Musique Spectrale"

Tristan Murail und andere im KlangNetz-Konzert

Mit einem "Mini-Festival" startete "KlangNetz Dresden" ins neue Jahr - der Verein, der im Veranstalter- und Interpretenverbund Projekte mit zeitgenössischer Musik initiiert, setzte mit "Impulsen der musique spectrale" thematisch ein spannendes, auch sehr anspruchsvolles Klangzeichen. Es ist eigentlich ein Rätsel, warum diese Spielart der Gegenwartsmusik nur selten Eingang in die Konzertsäle findet, baut sie - in Frankreich entstanden - doch auf der Tradition der zeitgenössischen Musik auf und sucht einen Weg jenseits temperierter Systeme zu erforschen. Die Spektralmusik widmet sich vor allem dem harmonischen Spektrum der Töne und bezieht dabei Tonhöhen, Klangbildung, Zeit und Rhythmus selbstverständlich in den Kompositionsprozess ein.

Dass zumeist mathematische, komplexe Vorgänge Ausgangspunkt und Wesen dieser Musik sind, interessiert vielleicht den Fachmann (so ist es bei traditioneller Musik nicht anders), doch man kann sich auch unvorbereitet den Klängen widmen und dabei neue Hörerfahrungen erleben. Dementsprechend war das erste Konzert auch nicht von großen Erklärungen begleitet. In der Städtischen Galerie fanden sich viele Zuhörer ein - die räumliche Umgebung der bildenden Kunst schien geeignet für eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Thema. Zu Gast beim Festival war einer der "Gründerväter" der Spektralmusik, der Komponist Tristan Murail - im Programm wurden ihm Werke der nachfolgenden Generation zur Seite gestellt.

Das Dresdner Ensemble "El Perro Andaluz" und "Accroche Note" aus Strasbourg interpretierten - in konzentrierter Spannung sowie selbstverständlich versiert im Umgang der Materie - insgesamt sechs Stücke. Es war auffällig, dass keiner der Werkkommentare im Programmheft sich in wortlastigen Beschreibungen des Kompositionsprozesses erging, sondern fast alle Stücke situative Anlässe hatten, die fast zwingend eine Form oder gar eine ganze Geschichte hervorbrachten. Murails "Les ruines circulaires" zeichnet auf sehr klare Weise dass Ineinanderfließen zweier Persönlichkeiten im Instrumentalduo nach. "Dualité - Miroirs" von Francois Busch blieb in der Wirkung etwas abstrakt im Wechsel zwischen den Ebenen Stimme (Francoise Kubler) - Klarinette (Armand Angster) und Zuspielband, und doch ist der absichtslose Spielcharakter eben auch eine Gestalt dieser Musik.

Am Rande der Hörbarkeit, in leisen und rauen Gegenden war "Dans l'ombre des anges" von Jean-Luc Hervé angesiedelt, bevor im folgenden Stück das genaue Gegenteil zelebriert wurde: "Illud Etiam" von Philippe Manoury wohnte eine irritierend wirkende Ästhetik des instrumentalen Theaters inne, es entstand beinahe eine Art "sinfonische Dichtung" für zwei Spieler und Elektronik zum Thema Inquisition, Feuer und Zauberei. Leider versagte ausgerechnet bei diesem die Dynamik ohnehin ausreizenden Stück die Tontechnik: eine fast gesundheitsgefährdende Übersteuerung verhinderte weiteres konfliktfreies Zuhören. "Paludes", ein Quintett-Stück von Murail schloss sich an, das wieder ins Reich sinnlich-poetischer Klänge zurückführte und gar eine Ahnung von Schönheit und Sanftheit feilbot.

Schließlich wagte man mit John Cages "Fontana-Mix" - einem Stück, das zufällig freie und festgelegte Parameter zu einer Aufführungskonstellation verbindet - eine überraschende Gegenüberstellung: weniger in der Hinsicht auf ästhetischen Widerstreit, sondern eher als Hinweis darauf, mit welch unterschiedlichen Ausgangsbedingungen man Musik hervorbringen kann, die sich im Ergebnis dann vor allem in ihrem kreativen Potenzial doch näher ist, als man erwartet.

Donnerstag, 9. Januar 2014

Musik und "Einstürzende Mauern"

Das KlangNetz Dresden präsentiert seine musikalischen Projekte für 2014

Seit etwas über einem Jahr ist der Verein "KlangNetz Dresden" in der Pflege der zeitgenössischen Musik und der Vernetzung ihrer Interpreten und Interessenten aktiv und hat nun seine Programme für das erste Quartal 2014 herausgegeben. Der Verein hat sich nach Ende eines vierjährigen Förderprojektes der Kulturstiftung des Bundes gegründet und führt nun die Bestellung des kreativen Gartens fort, dessen erste Keime die "Short Concerts" gemeinsam mit der Hochschule oder ein eigens gegründetes Netzwerk-Ensemble aus Philharmonikern und Studenten waren.

Bereits vor der Vereinsgründung im November 2012 liefen die dramaturgischen Fäden an der Hochschule für Musik zusammen, die Aktivitäten des letzten Jahres galten der Etablierung in der Stadt. "Wünschenswert ist die Intensivierung des Dialogs mit unseren Partnern und Veranstaltern", so KlangNetz-Leiter Jörn Peter Hiekel. "Wir hoffen natürlich auf einen Hinzugewinn weiterer Partner und damit die einhergehende Stärkung des Netzwerks, das sich mit Projekten/-Ideen gegenseitig beflügelt." Dafür spricht auch der vollgepackte Terminkalender im Jahr 2014.

Die Mitglieder - Ensembles, Veranstalter und Protagonisten (nicht nur) der zeitgenössischen Musik in Dresden - bringen selbst ihre eigenen Veranstaltungen ein, beteiligen sich aber auch an Kooperationen und kleineren Festivals, so dass eine Thematik oder ein beteiligter Gastkünstler oder -komponist in vielen Facetten "beleuchtet" werden kann - sei es in Konzerten, Workshops mit Studenten oder im Podiumsgespräch. Die Vielfalt der Mitglieder erlaubt auch eine Vielfalt der Musik, keineswegs will sich das Netzwerk auf ästhetische Linien festlegen, lieber stellt es aktuelle Strömungen zur Diskussion, Experimente, Widerspruch und Weiterdenken ist gewollt.

Gleich in dieser Woche startet "KlangNetz Dresden" durch: der französische Komponist Tristan Murail besucht Dresden - die Hochschule, das Institut Fracais und das Stadtmuseum nehmen dies zum Anlass, ein dreitägiges Festival namens "Impulse der Musique Spectrale", zu dessen Gründervätern sich Murail zählt, zu veranstalten. Diesem anspruchsvollen, klanglich faszinierenden Spezialgebiet der zeitgenössischen Musik begegnet man im Konzertalltag selten, daher lohnen sich die Konzerte, die die Musik auch in den Kontext zu anderen Strömungen stellen, die französische Provenienz erkunden und mit dem Vertigo-Ensemble Bern und dem Ensemble Accroche Note aus Strasbourg versierte Interpreten nach Dresden holen, die teilweise gemeinsam mit Studenten der Musikhochschule und dem Dresdner Ensemble "El Perro Andaluz" musizieren werden.

Im Fortgang des Jahres wird eine neue Konzertreihe etabliert, die sich unter dem Titel "Einstürzende Mauern" dem Mauerfall vor 25 Jahren widmet. Damit soll ein Blick zurück auf beide Seiten der Mauer zu Zeiten des Kalten Krieges geworfen und auch die Frage nach den Identitäten und den offenen oder unterschwelligen Verbindungen in der Kunst gestellt werden. Auch wie das Thema heute auf Künstler reflektiert, werden im Jahreslauf insgesamt neun Konzerte mit verschiedenen Ensembles zeigen; das Vokalensemble "AuditivVokal" wird die Reihe mit dem Auftaktkonzert am 27. Februar eröffnen - Partner der gesamten Reihe ist das Hygiene-Museum.

Einen Monat später ist der amtierende Capell-Compositeur der Staatskapelle, Wolfgang Rihm, zu Gast in Dresden, um sein Werk in einem Workshop und einem Gesprächskonzert an der Hochschule vorzustellen. Fortgeführt wird auch die Reihe der "Short Concerts", die in knappem zeitlichen Rahmen den Fokus auf bestimmte Spielarten der zeitgenössischen Musik legt und diese mit traditioneller Musik, Jazz, Improvisation oder anderen Künsten konfrontiert. Die Nachwuchsförderung liegt dem KlangNetz ebenfalls am Herzen, die bisherige Reihe "Neue Musik erleben und gestalten", bei der renommierte Komponisten in Dresdner Schulen mit den Schülern neue Stücke entwarfen und aufführen wird nun unter dem Titel "A-S-S-E-M-B-L-E!" von Lorenz Grau betreut. "Die Durchführung und Unterstützung von Projekten und Veranstaltungen mit pädagogischem Charakter ist eine zentrale Aufgabe des Vereins.", so Hiekel. Das aktuelle Projekt mit drei beteiligten Schulen stellt seine Ergebnisse am 10. Februar im Konzertsaal der Musikhochschule vor.

Die Homepage und die Facebookseite vom KlangNetz Dresden offerieren für 2014 ein breites Angebot an Konzerten - das Neue, Ungewohnte, Unbequeme wird an den vielen Spielstätten selbstverständlich und lädt zum Entdecken und Zuhören, aber auch zur lebendigen Diskussion ein, um zu erfahren, was Künstler und Komponisten heute bewegt.

---

Konzerte KlangNetz Dresden
Festival "Impulse der Musique Spectrale"
10. Januar, 19.30 Uhr, Städtische Galerie Wilsdruffer Str. 2 "frame III" mit Ensembles Accroche Note / El Perro Andaluz
11. Januar, 19.30 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule - Gesprächskonzert mit Tristan Murail, Ensembles der HfM Dresden und der HK Bern
12. Januar, 19.30 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule - Klavierabend Pavlos Antoniadis, Werke von Murail, Andre und Karski (UA)
22. Januar, 17 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule, Short Concert. "Form versus Freiheit" mit Malte Burba, Trompete
10. Februar, 17 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule - Abschlusskonzert Schulvermittlungsprojekt "A-S-S-E-M-B-L-E!"
27. Februar, 19.30 Uhr, Hygienemuseum - Auftaktkonzert "Einstürzende Mauern" mit AuditivVokal, Werke von Bredemeyer, Stäbler, Haas u. a.
29. März, 19.30 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule - Gesprächskonzert mit Capell-Compositeur Wolfgang Rihm, Moderation Jörn Peter Hiekel

Link: www.klangnetz-dresden.de/

Mittwoch, 8. Januar 2014

Märchen, Beschwörungen und "Des Todes Tod"

Lyrisches im 4. Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle

Im weiten Feld der Kammermusik gibt es viele Leuchttürme, Meisterwerke der kleinen Form, die für Komponisten immer eine besondere Herausforderung darstellen: wie sagt man Wesentliches nur mit zwei oder drei Instrumenten? Die Kammermusik ist aber auch oft ein Experimentierfeld für Ideen und stilistische Veränderungen des jeweiligen Komponisten. Manchmal entstehen dadurch besondere Kostbarkeiten. Im Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle bietet sich stets Gelegenheit, diese "Perlen" zu entdecken; am vergangenen Sonntag waren es überwiegend Liedkompositionen, die in der Besetzung variierten und ohne Klavier auskamen.

Vorangestellt war Leoš Janáčeks "Pohádka" (Märchen) für Cello und Klavier, das mit den Einstieg in die kommenden Stimmungen erleichterte, weil es die freie Phantasie und Inspiration lobpries. Jakob Andert (Cello) und Kiai Nara (Klavier) zeichneten daher auch die warmen, pastellenen Töne des Werkes deutlich und beließen das kurz gefasste Stück in seinem überwiegend lyrischen Charakter. Zwei Textvertonungen des Leipziger Komponisten Siegfried Thiele (geb. 1934) folgten; die dazwischen liegende Pause war wohltuend, denn der Kontrast zwischen Heiterem und Ernst konnte nicht größer sein.

Der Zyklus "Incantamenta - Zaubersprüche" für Bariton, Schlagzeug und Pauken widmet sich lateinischen Beschwörungstexten, die bei bestimmten Krankheiten helfen sollen - Andreas Scheibner und das kleine, aber instrumentenreiche Schlagzeugensemble (Thomas Käppler, Christian Langer, Jakob Eschenburg, Jong Yong Na) sorgten hier für eine leichtfüßig-launige, aber niemals banale Atmosphäre, deutlich war auch eine Steigerung des Ausdruckes im 4. und 5. Lied; vor allem der Marimba schenkte Thiele virtuose, "magische" Partien. Zu konstatieren ist, dass diese Variante der Alternativmedizin zwar eine leichter einzunehmende ist, im Publikum aber vor allem im zweiten Teil des Konzertes wirkungslos blieb - mit "Abakadabra" ist auch den Hustern im Parkett nicht beizukommen.

In den Liedern auf Texte von Reiner Kunze, wie das Vorwerk 2006 uraufgeführt, zeigte Thiele eine ganz andere Ausdruckswelt - karg und konstant von Melancholie durchzogen wirkte die Besetzung der Singstimme mit Cello und Klarinette, der Verzicht im Material führte zur Konzentration auf die kaum trostvollen Texte von Kunze. Diesen fast novemberlichen Geist durchwehte auch "Des Todes Tod" - ein dreiteiliger Liedzyklus auf Texte des Expressionisten Eduard Reinacher von Paul Hindemith. Dieser entschied sich bei der Vertonung 1922 für zwei Bratschen und zwei Celli als Begleitung für den Mezzosopran (Anke Vondung mit sehr überzeugender Gestaltung und warmem Ton), allein diese Entscheidung führt zu einem abgedunkelten, dennoch überraschend abwechslungsreichen Timbre. Was an diesem Abend in leichter Heiterkeit der Phantasie begonnen hatte, klang mit tiefernsten Tönen aus - eine Dialektik, der wir uns häufiger im Leben stellen müssen, insofern hatte dieser Kammerabend einen denkwürdig philosophischen, spannende Faden.

Dienstag, 31. Dezember 2013

anfangendmittendrin

Ich habe gelitten, und ich war dabei.
Ich habe Verwirrung gestiftet, und ich flog davon.
Ich war eingeladen, und ich sah keinen Schimmer.
Ich war entschlossen und ich zerfloss.
Ich flüchtete, und man ahnte es.
Ich hoffte, und es war noch nie so einfach.
Ich probierte es, und man schlug mich zusammen.
Ich hatte Schmerzen und ich schloss damit ab.
Ich verzieh und man stach mir in Wunden.
Ich habe Menschen in mein Herz geschlossen und manche mich in ihres.
Ich spielte, und ich konnte verlieren.
Ich schaute und lächelte. Ich fühlte.
Ich weinte ohne Grund. Ich weinte mit Grund. Ich blickte auf den Grund und ich saß im Grund und schaute hinauf.
Ich paraphrasierte und phantasierte, ich redete wirr und träumte glatt.
Ich hörte und staunte, ich schrieb und liebte.
Ich kämpfte darum, ich überlegte zu lange, ich zog falsche Schlüsse, ich hatte eine geniale Idee.
Ich lernte und wuchs, ich fiel in mich zusammen.
Ich äußerte mich.
Ich überhörte und log, ich war ehrlich und lachte lauthals.
Ich wurde böse und alt, ich erkannte mich nicht wieder und achtete mich.
Ich habe ernstgenommen, und man hörte mir zu.
Ich wurde ignoriert und ich war nicht wichtig.
Ich rannte davon.
Ich brachte Stunden damit zu.
Ich hörte damit auf.
Ich entdeckte, wühlte, zerwühlte, vergriff, entrüstete, verstand, bekannte, dankte, rieb mir die Hände, bekam einen Schreck und kam zur Ruhe.
Ich konnte es nicht glauben.
Ich posaunte und tönte, und ich schwieg eine lange Zeit.
Ich stieg hinauf und kullerte hinunter, ich stand auf und blickte nicht über die Mauer.
Ich schwamm plötzlich los.
Ich stolperte und betrank mich, ich sah klar und ich hatte keinen Durchblick mehr, aber ich sang.
Ich verwahrloste und veredelte, ich deckte mich zu, ich sorgte und bangte, ich übte das Üben.
Ich schrie.
Ich ging lange Wege, ich begegnete Menschen, ich war auf der Flucht. Ich war auf der Hut. Ich hatte mir das schon gedacht.
Ich ging in den Garten, ich war krank, ich war irre.
Ich hatte doch recht, und ich hatte null Ahnung.
Ich stand im Schatten und wurde beschimpft, ich redete mit den Vögeln und wartete geduldig.
Ich verlor die Nerven und tanzte mit der Musik, ich schlief intensiver und lachte niemanden aus.
Ich mied Orte, verlor den Halt und schaute in die Sterne.
Ich strich es wieder durch.
Ich konnte laufen, ich brachte mich um den Verstand und genoss es, ich bekam keine Antwort auf die Frage.
Ich atmete Kunst, ich faltete Träume, ich konnte nicht mehr.
Ich lächelte und ich hatte große Angst.
Ich ließ es geschehen und tat es doch, ich fuhr hinauf und beobachtete sorgfältig.
Ich ließ los und öffnete mich.
Ich bewegte mich sachte und knallte die Tür.

[los 2014, komm nur...]

Sonntag, 29. Dezember 2013

Deftiges Weihnachtsmenü

Werke von Prokofjew, Rachmaninow und Borodin im Konzert der Dresdner Philharmonie

Im ersten Stück stirbt eine Ziege, im zweiten geht es um "beleidigend klingende Hymnen an Altären" und das dritte Stück stammt von einem nebenbei komponierenden Mediziner. Was hier beschrieben wird? Man mag es kaum glauben: das Weihnachtskonzert der Dresdner Philharmonie im Albertinum. So stand es zumindest auf der Eintrittskarte und auch das Datum stimmte. Im Programmheft vermied man aber tunlichst den Bezug zu den festlichen Tagen herzustellen. Was zu jeder anderen Jahreszeit ein Sinfoniekonzert mit recht spannenden inneren Bezügen gewesen wäre, war dann doch am ersten Weihnachtsfeiertag ein Kraftakt für Musiker und Zuhörer.

Damit sei keinesfalls behauptet, dass allein Hänsel, Gretel, Auguste und der Nussknacker an diesen Tagen seligmachend seien. Der hohe Anspruch des Konzertes hätte zumindest einen Bezugspunkt verdient gehabt, der mehr gewesen wäre als der pure Kontrast und das "auf andere Gedanken kommen". Die Zuhörer wurden mit einem klangdeftigen, russischen Menü zwischen Spätromantik und expressionistischer Moderne konfroniert. Gleich zu Beginn wurden allenthalben vorhandene Reste weihnachtlicher Behaglichkeit mit Teilen aus dem Ballett "Der Narr" von Sergej Prokofjew aus den Ohren gespült. Prokofjew komponierte die Groteske 1921 für Diaghilews Ballett in Paris - die Nachbarschaft der "Skythischen Suite" ist erkennbar, scharfe Dissonanzen und rhythmische Kanten durchziehen das ganze Werk.

Für das Konzert konnte man den in Dresden in diesem Jahr schon mehrfach präsenten russischen Dirigenten Michail Jurowski gewinnen - die Interpretation jedoch blieb hinter den Erwartungen zurück, denn Jurowski fand selten zu einer Metrum und Fluss betonenden Basis, die die Attacken und Einsätze der Orchestergruppen in das Gesamtgefüge eingeordnet hätte. Es blieb bei einem zackig-schroffen Dirigat von Einzelmomenten, bei dem die Philharmonie klanglichen Glanz und triumphale Schlüsse zumeist alleine herstellte.

Die folgenden Lieder von Sergej Rachmaninow dürften für das Konzertpublikum ebenfalls eine Novität gewesen sein. Damit diese wertvollen Piècen Eingang in die Konzertsäle fänden, fertigte Wladimir Jurowski (1915-1972) - der Vater des Dirigenten - eine Instrumentation einiger Lieder für Tenor und Orchester an. Die Anwesenheit von Vladimir Jurowski (ebenfalls Dirigent und Chef des London Philharmonic Orchestra) mit Familie im Publikum machte an dieser Stelle vier Generationen Jurowski komplett - vielleicht war mit diesem Familientreffen der weihnachtliche Bezugspunkt gegeben, wenngleich nicht jeder einen Opa vorweisen kann, der im Konzert auch noch ein Werk des Uropas vorstellt. Der russische Tenor Vsevolod Grivnov zeigte sich versiert im Umgang mit den zum Teil zeitkritischen Liedern, deren leidenschaftlicher Drang eine farbige Instrumentation rechtfertigt - am innigsten gelang hier wohl Rachmaninows Version des Monologes der Sonja "Wir werden ausruhen" aus Tschechows "Onkel Wanja".

Mit Alexander Borodins 2. Sinfonie h-Moll klang das außergewöhnliche Konzert an Weihnachten aus. Hier bemühten die Philharmoniker sich auf professionelle Weise, Jurowskis Klangvorstellungen adäquat umzusetzen - hart wurden die G-Saiten bereits im Eingangsthema traktiert. Weitgehend weidete sich Jurowski an lauten Passagen und ließ viele doch delikate Stellen etwa im 2. Satz merkwürdig unbeachtet. Es ist vorstellbar, dass ein russisches Klangideal nicht zwingend in Grobheit münden muss; eine präzisere Betreuung des engagiert spielenden Orchesters hätte eine viel größere Ausdrucksbreite hervorgerufen.

Dienstag, 24. Dezember 2013

Frohes Fest...

...allen meinen Lesern und Kommentatoren hier!

Dass ich mir vornehme, in den stillen Tagen nach Weihnachten auch wieder zum Schreiben zu kommen, versteht sich von selbst.

Zunächst aber: Kommen Sie zur Besinnung! Und das meine ich ernst.

Dienstag, 17. Dezember 2013

Traum LXXVI

Ich betrete einen Erotikshop, drücke der Verkäuferin einen großen bunten Papierball in die Hand, gehe zu einem Regal mit Büchern und vertiefe mich in ein Buch von Dostojewski.

Freitag, 13. Dezember 2013

Nachahnungen

Es ist eigentlich alles ganz schön so.
Ich möchte nichts verändern.
Es wäre vermessen zu glauben.
Das laute und das leise Weinen.
Artikulation.
Am Rande der Drehscheibe tanzen.
Diese kleinen Sachen da, ein Eigenleben in Unschärfe. Raumgefühl.
Gefühlsraum.
Ich schick Dir das, ich sende Dir das.
Der Geist Gottes wohnt in den Libellen.
Innehalten im Schrittfürschritt.
Sehen, ein Versehen.
Man kann sich doch tausendfach.
Liegend, mit weit geöffneten Augen senkrecht in die Höhe, wo auf unendlichem Fluss am Firmament die Himmelstiere ihrer Wege ziehen.
Ein Himmel, zweifellos.
Da hinten ist das Ende.
Dort - federleichter Schmerz, die Verdunkelung des Zimmers interessiert die Fledermäuse vor den Vorhängen nicht.
Die Bitternis kriecht aus einem Tal herauf.
Klatschnasse Seelen.
In der Verdammnis des Verborgenen verblühen.
Ein gefrorener Fluss voller Aspikfische - in Schwaden tasten wir uns heimwärts.
Nachhaltige Achterbahnfahrt.
Wir erheben die Hände zum Gruß, zum Flehen.
Griffe.
Umarmungen.
Was sich unbeeindruckte Bäume erzählen.
Blütenaromen und Fluggeräusche eines stummen Gottes. Einsetzende muskuläre Beruhigung im Antlitz des Unerwarteten.
Die plötzliche Kursänderung des falschen Mondes, der die Reise ins Zitronenland verweigert.
Ein Kreisen und Drehen längs der Umzäunung, durch die Blicke nach außen zögerlich akzeptiert werden.
Ausnahmegenehmigung erteilt für das unbekannte Reich.
Dieser Irrwitz, im Fallen zu können.
Viel zu viele Birken an diesem eiskalten Bergsee, verhallende Eulenumkehrrufe.
Schau: das Davornesein.
Das meiste Leben wird im Kopf zerbrochen.
Auf duftender Erde gebettet, achtsam und mit sanften Krallen die Vorsilben verscharrend.
Grundregeln einhalten und niemals wissen wollen.
Was, Glück?
Dynamische Verschiebewände mit bunten Riesenrädern in den Zwischenräumen, darin wohnen die Biester des Verhörens, Kunstrasen entrollend.
Ruhe finden am schattigen Ort.
In den Kirchtürmen das Barometer ausrichten.
Fabeln statt Phrasen, die Finger benutzen, ein farblos anmutiges Goldland, wir halten die Stifte in unseren Schwimmhäuten, und wir sind davon.
Allenfalls gerahmte Schwarzweißbilder in Albtraumalben.
Stürmen, stürmen, stürmen durch das Dickicht, die Macheten sind aus.
Der Papierschwan längst fortgezogen in seinem Rinnsal.
Weißes Herz, großes Herz, liebendes Herz.
Aufschlag des Stoßtauchers.
Was tut’s - was tut‘s?
Die dritte Schicht auf der Leinwand, die vierte, die fünfte.
Traumlos in die Unterführung und wieder hinauf.
Noch einmal.
Demut bedeutet, schreiend zwischen den Nutzpflanzen umherzulaufen.
Der Verlust der Haltungskontrolle ist bei der Frühbuchung inklusive.
Verlassen Sie sich auf ihren Vordermann, schauen Sie rechts über die Schulter.
Der Linoleumboden wird zum Schweigen gebracht.
Die Silberlinge taugen als Flügel.
Alle Bilder sind richtig.
In Sichtweite hinter dem Bahnwärterhäuschen nun die geöffnete Hand.

[erstfassung 8.9.13]

Traum LXXV

Wir haben uns im Zoo unsere Namen zugerufen. Immer wieder.

Mittwoch, 11. Dezember 2013

Traum LXXIV

Ich bin Drogenhändler. Ich weiß nicht, was das für Drogen sind, aber es sind drei große weiße Säcke, die etwa 20kg wiegen. Ich weiß nicht mehr viel, was da passiert ist - ein Transporter, davor steht ein Auto quer und ich lade die Säcke um. Ein altes Haus, in dem ich nach Verstecken suche und die Säcke von Flur zu Flur schleppe. Ein Traum der unbeholfenen Art, ohne weitere Personen.

Sonntag, 8. Dezember 2013

Uraufführung "Ein Tropfen, ein Schluck in der Höhe"

Adventsstern der Singakademie Dresden
8.12.2013, 17 Uhr, Lukaskirche Dresden


Benjamin Britten (1913 - 1976)
St Nicolas Kantate, Op. 42 (1948)

Alexander Keuk (1971)
Ein Tropfen, ein Schluck in der Höhe (UA)
für Alt, Tenor, Chor und Orchester
Text von Hans Thill und Alexander Keuk

Johann Sebastian Bach (1685 - 1750)
Sanctus, Osanna, Benedictus, Agnus Dei der h-Moll-Messe

Ausführende:
Julia Böhme - Alt
Falk Hoffmann - Tenor

Großer Chor, Projektchor, Kinderchor und Seniorenchor der Singakademie Dresden

Sinfonietta Dresden
Leitung: Ekkehard Klemm, Christiane Büttig

Zur Einführung:
EIN TROPFEN, EIN SCHLUCK IN DER HÖHE
Vor drei Jahren fragte mich Ekkehard Klemm, ob ich ein Werk für den dritten und abschließenden Teil des Singakademie-Projektes „Re-Aktionen auf Bach“ komponieren würde. Die Idee, Teile der h-Moll-Messe von Bach jeweils einem zeitgenössischen Werk gegenüberzustellen, fand ich sehr faszinierend, und das nicht nur, weil ich mit Bachs Oratorien seit meiner Knabenchorzeit vertraut bin. Es war ein glücklicher Umstand, dass außer der Nachbarschaft der Werke in der Aufführung keine konkretere Bezugnahme gefordert wurde. Gut, dass auf diese Weise drei Komponisten ihre heutige Sichtweise, Nähe und Distanz, ihr Leben und Denken mit Bach, mit der h-Moll-Messe oder ihrem geistlichen Gehalt artikulieren durften. Es ist keineswegs eine leichte Aufgabe, sich neben diesem Meisterwerk zu positionieren. Mir fiel der letzte Abschnitt der Messe zu - vom Sanctus über Osanna, Benedictus und Agnus Dei zum Dona Nobis Pacem.

Mein Stück wollte ich zunächst in eine Werktrilogie einreihen, die sich mit dem Langpoem „The Waste Land“ (1922) des Dichters T. S. Eliot befasst. Von Nils Mönkemeyer wurde im April 2013 der erste Teil - „Datta“ für Bratsche Solo - uraufgeführt. Für die nun zu verfassende oratorische Form des zweiten Teils bat ich die Verleger Eliots um eine Vertonungsgenehmigung - vergeblich.
Der Dichter hatte zu Lebzeiten verfügt, dass keines seiner Gedichte vertont werden dürfe. Ich war mir indes sicher, dass ich ein „lyrisches Gegenüber“ für die Annäherung an Bach benötige und konnte mich in spannender Wiederbeschäftigung den Gedichten von Hans Thill widmen, den ich 1999 bei einem Stipendiatenaufenthalt kennen und schätzen gelernt habe. Thill schickte mir einen Text und ein „Material“, ein Kompendium offener Türen, das nah am Text der h-Moll-Messe angesiedelt war. Für mich galt vor allem, die dem Text innewohnende lyrische Kraft zu bewahren. Trotzdem war der Komponist in mir stets hellwach und der offene Charakter des Textes erlaubte Spiel, An-Ordnung oder auch Widerspruch - beste Voraussetzungen also, um eigenen Charakter und Phantasie in Form und Tönen einzubringen.

Was da entstanden ist, benötigt keine Gattungsbezeichnung. Es ist eine Art klingende Glaubensbetrachtung - mit der ersten Note tritt man ein in einen Gedankenraum von Stimmungen und Statements, der seine lyrische Kraft behält, indem ich versucht habe, jede Art von Erzählung, Erklärung oder gar Belehrung zu vermeiden. Trotzdem - und das bringt mein Stück wiederum nahe zu Bach - gibt es hier auch Rituale. So wie das Gebet ein christliches Ritual darstellt, sind in meinem Stück klar wahrzunehmende Abschnitte gleicher, fast statischer Machart zu vernehmen.

Die Perspektiven wechseln nicht nur zwischen Soli, Chor und Orchester, sondern auch zwischen Autor und Komponist: auf bestimmte Materialien habe ich nicht nur mit Tönen, sondern auch mit eigenen Texten geantwortet (auch dies eine Spielart von Komposition), die wiederum von Hans Thill eine sprachliche Schärfung erfahren haben. Im Verlauf des Stücks ist die Vorlage von Bach erkennbar, dennoch ist „Ein Tropfen, ein Schluck in der Höhe“ kein Abarbeiten am Messtext, sondern dem Motto des Konzertes gemäß eine Reaktion.

Eliot grüßt zu Beginn mit dem vom Chor a cappella vorgetragenen „Dayadhvam“, das im letzten Teil von „The Waste Land“ zitiert wird: „Datta - Dayadhvam - Damyata“ (gib / empfinde Mitleid / kontrolliere) ist eine Passage aus den Upanishaden, einer hinduistischen Schrift. Daran schließt sich ein größerer Abschnitt an, der musikalisch fragt und erörtert, was (uns) „heilig“ ist. Das Benedictus erhält in meinem Stück eine Spiegelung in einer Art Dialog zwischen Natur und Mensch, wie überhaupt Naturelemente im Text große Bedeutung haben, aber was ein „natürliches Wesen“ ist, wird nicht fest definiert. Während der Chor in diesem Abschnitt im Hintergrund schlicht „da“ ist (damit quasi ein Wesen kreiert), kreisen bei den Solisten die Gedanken in übereinander
geschichteten Textfragmenten - eine ähnliche Technik liegt übrigens schon der „Domine Deus“-Arie in der h-Moll-Messe zugrunde. Die Parallelität von Ereignissen erzeugt Beziehungen, ebenso wie das bereits Gesagte Folgen hat. So ist der dritte Teil, von zwei sehr unterschiedlichen Hosianna-Rufen umrahmt, zwar ebenfalls ein Dialog zwischen Chor und Solisten, aber den Chor-„Wolken“ steht diesmal eine reine Rezitation gegenüber. Am Ende steht ein wunderbares Gedicht von Hans Thill, das uns fast wie ein Haiku zur Reinheit der Gedanken führt.

Alexander Keuk, 2013

Sonntag, 1. Dezember 2013

Der unvermeidliche Adventskalender-Eintrag

Alle Jahre wieder suche ich am 1. Dezember ein paar Online-Adventskalender für meine Leser zusammen. Natürlich ist nichts schöner als ein selbst gemachter Kalender mit kleinen Geschenken oder Leckereien, meine Links sind eher für Freunde von Rätseln, Spielen und Gewinnaktionen. Angefangen habe ich mal irgendwann mit den Kalendern von Fluggesellschaften, die gibt es dieses Jahr auch wieder, aber ich empfehle auch einige Kulturseiten und Dresdenspezifisches. Viele Kalender laufen mittlerweile über facebook, einige Kalender sind auf spezielle Tage beschränkt oder benötigen Anmeldung.

Los geht's:
- airberlin lockt wieder mit Buchungsrabatten
- Tuifly beschränkt sich auf die vier Sonntage und macht ein Fotorätsel auf seiner fb-Seite.
- das Fliegermagazin hat wieder einen Kalender mit "Zeitfenster". Wer das mag, klickt sich die Finger wund.
- bei L'Tur und weg.de gibt es leider dieses Jahr nichts, dafür aber wieder ein Flash-Kalender beiGermanwings.

Kultur & Co:
- das Crescendo-Magazin hat wieder einen Kalender mit Rätselfragen. Empfehlenswert!
- das SZ-Magazin hat einen Kalender mit außergewöhnlichen Gewinnen...
- Martina Hoffmann gestaltet seit Jahren wunderschöne Kalender - zum Advent gibt es bei ihr vier Bilder zum Ausmalen!
- Musik gibt es beim "singenden Adventskalender" vom Rundfunkchor Berlin.
- Adventskalender der Semperoper mit Ticketverlosung!
- vier Türchen gibt es bei der Dresdner Philharmonie, ebenfalls mit Konzerttickets.
- Fussball fällt natürlich auch unter Kultur. Deswegen hier der Dynamo-Adventskalender!

Dresden:
- beim Musikhaus Opus61 startet am 2.12. eine Adventsverlosung mit CD-Gewinnen
- der LÖMUWEIKA in Löbtau - jeden Tag Musik im Stadtviertel!
- einen ähnlichen "lebendigen" Adventskalender gibt es im Hechtviertel
- ...und auch in der Neustadt (Advenster)
- wer es eher literarisch mag, ist im Barockviertel gut aufgehoben.
- und auch Laubegast hat 24 Türchen in seinem Viertel versteckt

Nachtrag: Der Selbsttest ergab bei mir, dass Germanwings nicht richtig klappt, leider ebensowenig der Dynamo-Kalender, ich vermute, das ist nur auf dem Handy möglich (?)
Ich freue mich natürlich über Kommentare und weitere Linktipps :)

Zweimal Schönberg - mindestens!

"Dresdner Abend" der Philharmonie im Hygienemuseum

Im Reigen der Konzerte der Dresdner Philharmonie besitzt die Reihe der "Dresdner Abende" im Saal des Hygienemuseums ein besonderes Flair. Schon vom zweckmäßigen, aber akustisch für diese Programme sehr passenden Raum her herrscht an eine konzentrierte Atmosphäre vor, die es ermöglicht, beim Hören tiefer in die Werke einzudringen und sich nicht ablenken zu lassen. Konzertmeister Wolfgang Hentrich und das Dresdner Kammerorchester gestalten hier zum Beispiel Programme, die zurückweisen auf eine bewegte Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit dem Verweis auf Erwin Schulhoffs "Fortschrittskonzerte" war der Dresdner Bezug gegeben, in diesen wurden viele neue Werke ur- oder erstaufgeführt.

Das Konzert wurde von Arnold Schönbergs 1. Kammersinfonie Opus 9 gerahmt. In der kurzen Einführung verwies Hentrich vielleicht ein bißchen zu oft auf die skandalöse Uraufführung 1907, bei der es zu Rangeleien im Publikum kam, so dass ihm schließlich Dirigent Michael Helmrath widersprach: heute sei man doch ganz andere Klänge gewohnt und Schönbergs Qualität als Romantiker sei in eben diesem Stück genauso hörbar. Die Auseinandersetzung mit der Musik, die im Philharmoniekonzert daher von vornherein erwünscht war, kam 1907 als Wirkung zustande. In einer Verlautbarung ist zu lesen, dass "der Besitz der Eintrittskarte nur zu ruhigem Zuhören, nicht aber zu lauten Meinungsäußerungen (Applaus oder Zischen) berechtige". Da lächelt man heute verschmitzt, denkt aber auch über ein Publikum nach, das heutzutage gern das Neue reichlich unkommentiert mit nach Hause nimmt. Dass die Kammersinfonie im Konzert zweimal gespielt wurde, wurde als Experiment angekündigt - es sollte sich für viele Stücke eignen, deren besondere Dichte und Farbigkeit sich nicht immer sofort erschließt. Den Hörvorgang betrachtend, sei die Musik doch eine vergängliche Kunst, so Helmrath. Warum aber sollte man es immer bei diesem spontanen ersten Erlebnis belassen und nicht ein zweites hinzufügen?

Dem Zugang des Chefdirigenten der Brandenburger Symphoniker (der das komplette Konzert auswendig dirigierte!) zu diesem Werk konnte man sich schon bei der ersten "Runde" kaum entziehen: mit den von Helmrath gut abgenommenen straffen Tempi und einem füllig-selbstbewussten Gesamtklang wusste das Kammerorchester sehr zu begeistern und schaffte es, in den Instrumentengruppen transparent zu bleiben - die fünf Streichinstrumente kamen gut zur Geltung, ebenso wurde die motivische Arbeit des Werkes gut in den Vordergrund platziert. Der spätromantische Einfluss ist in diesem Stück (kurz nach "Pelleas und Melisande" entstanden) kaum zu leugnen - Helmrath setzte melodiöses Schwelgen und geschärfte harmonische Vorgänge direkt nebeneinander und belebte damit das Stück außerordentlich.

In der Mitte des Konzertes standen dann zwei Streichorchesterwerke von Othmar Schoeck und Franz Schreker. Beide haben auf ihre Weise die Dur-Moll-Tonalität bis an die Grenzen ausgereizt und dabei ihre eigene charakteristische Tonsprache entwickelt. Die Auswahl der "Sommernacht" von Schoeck und dem "Intermezzo und Scherzo" Opus 8 von Schreker bildete - so angenehm diese Stücke auch im Ohr klingen mögen - im Ergebnis dann doch einen seltsam harmlosen Kontrast zu Schönbergs Schlüsselwerk, das in zweiundzwanzig Minuten Musik nahezu mit einer ganzen Epoche aufräumt.

Das konnte man dann zum Beschluss des Konzerts dann erneut erleben, vielleicht nun noch einen Tic aufregender in der Interpretation, denn die Spannung zum Ende eines Konzertes hin ist noch einmal verschieden. Zu wünschen bleibt, dass solche außergewöhnlichen Abende, die eben auch Beziehungen und Zusammenhänge der Musik erhellen, viel mehr Zuhörer finden - es sei versichert, dass selbst der gute alte Beethoven ganz anders und neu klingt, wenn man sich einmal durch Schönberg "durchgearbeitet" hat.

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Satz des Pythagoras, 672 n.Chr.
The Pythagorean theorem in the Arabic translation...
Kreidler - 5. Mai, 05:38
Steve Jobs erklärt den Malern das digitale Grafikmachen
Steve Jobs teaching Andy Warhol, Keith Haring and...
Kreidler - 4. Mai, 05:38
Kronenscheu
The exact physiological basis of crown shyness is...
Kreidler - 3. Mai, 05:36
Kant Autograph
(via)
Kreidler - 2. Mai, 05:35
Beatboxen
The YouTuber named the Speed Bard performs musical...
Kreidler - 1. Mai, 05:46
Terminhinweis: Buchvorstellung “Medien in Sachsen”
Vor 13 Jahren hat die Sächsische Landeszentrale...
owy - 30. Apr, 13:27

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6709 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren