Dienstag, 25. Juni 2013

Gegen den Strich

Wagner, Lidholm und Beethoven im Kapell-Konzert mit Herbert Blomstedt

Wenn Herbert Blomstedt nach Dresden kommt, kann er sich eines vollen Konzertsaales sicher sein. Dabei sind es nicht nur Musikliebhaber, die noch Blomstedts Dresdner Chef-Zeit 1975-85 bei der Sächsischen Staatskapelle miterlebt haben. Kaum entziehen kann man sich diesem Musizierwillen und der Lebendigkeit, die der fast 86jährige Dirigent ausstrahlt. Und mag er auch auf ein reiches Lebenswerk zurückblicken, er ruht sich keineswegs darauf aus - seine Programme sind intelligent und vielseitig.

Im 11. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle wagte er es gar, einen kompletten Abend mit neuer Musik auszugestalten. Nicht im zeitlichen Sinne "neu", - das jüngste Werk war immerhin auch schon vor fünfzig Jahren geschrieben - doch im jeweiligen Kontext besaßen alle drei Stücke revolutionären Atem. Richard Wagners Oper "Tristan und Isolde" weitete den harmonischen Raum, die Ouvertüre ist von den Konventionen befreit.

Blomstedt wählte die auf Wagner selbst zurückgehende Konzertfassung samt dem "Liebestod" - ein auf 17 Minuten verkürztes Drama, das aber in der Unausweichlichkeit der drängenden Musik geschlossen wirkt. Mit der Kapelle realisierte Blomstedt eine auf noble Zurückhaltung zielende Interpretation, ließ den Beginn natürlich fließen und setzte auf die ohnehin angelegte organische Linienführung. Warm und edel, fast ein bißchen zu schön verklärte sich da am Ende die Bande der Liebenden und Blomstedt traf natürlich die Staatskapelle in Bestverfassung bei ihrem Hauskomponisten an.

Dass das Neue, Überraschende, Unerwartete ins Blickfeld des ganzen Konzertes rückte lag an dem im Zentrum stehenden Stück "Poesis" des Schweden Ingvar Lidholm (geboren 1921), ein hierzulande unbekanntes Dokument der schwedischen Avantgarde der 60er Jahre, stilistisch vor allem Lutoslawski und Ligeti verpflichtet. Blomstedt nutzte die Umbaupause, um dem Publikum in höchst unterhaltsamer Moderation das Werk nahezubringen - "Sie werden keine Melodie hören. Auch keine Harmonie. Und keinen Rhythmus." - Der Schrecken währte nur kurz. Blomstedt schaffte es, die Zuhörer für das Naturerlebnis "Poesis" zu öffnen ("Die Pilze im Wald wachsen ja auch nicht rechtwinklig"), trug dem Publikum Motive und Geräusche singend und klopfend vor und faszinierte anschließend mit einer in wilden Klangfarben wuchernden, teilweise improvisatorisch grundierten Interpretation, bei der Naomi Shamban souverän einen höchst perkussiven Klavierpart übernahm. Soviel Beifall für neue Musik hat man lange nicht gehört im Semperbau und die Kapelle trug mit Sensibilität für die ungewohnten Klangkaskaden unter Blomstedts klar organisierender Leitung dazu bei.

Dass unter den Sinfonien von Ludwig van Beethoven die "Eroica" alles damals Dagewesene, ja die gerade erst zur Blüte gebrachte sinfonische Tradition selbst gehörig gegen den Strich bürstet, ist bekannt. Bis heute stellt die Aufführung dieses Stücks Interpreten vor anspruchsvolle Aufgaben. Blomstedt setzte auf deutliche Akzentuierung und flüssige Gangart, ohne die Ecken und Kanten dieses Dramas zu vernachlässigen. Zu Beginn hatte die Kapelle allerdings einige Schwierigkeiten, das Metrum zu fassen, bis zum Ende der Durchführung im 1. Satz schwankte das Schiff doch gehörig. Blomstedt gelang es aber, Ruhe und Ausdruck in die Musizierweise zu bringen, so dass vor allem das fein ausgehörte Scherzo und die Variationenfolge des 4. Satzes noch zu einem Höhepunkt des Konzertes wurden. 85 und kein bißchen leise - bereits im November 2013 wird man Blomstedt im Semperbau wieder herzlich begrüßen, dann unter anderem mit der 2. Sinfonie von Jean Sibelius.

Bereichernde Interpretationen

Wagner, Mendelssohn Bartholdy und Brahms mit der Dresdner Philharmonie im Albertinum

Wagner-Freunde hatten am Sonnabend die Qual der Wahl, und würde der Komponist noch leben, er hätte mit der Kutsche eilen müssen: nahezu zeitgleich erklangen des Meisters Werke in der Staatsoper, im Albertinum und im Hygienemuseum. Die Dresdner Philharmonie hatte in ihrem 11. Konzert im Albertinum Wagners Ouvertüre zur Oper "Rienzi" auf das Programm gesetzt - im letzten Konzert vor der Sommerpause am 6. Juli wird dann gemeinsam mit René Pape ein reiner Wagner-Abend zelebriert.

Chefdirigent Michael Sanderling gesellte Wagner Mendelssohn und Brahms zur Seite - der Verbindung, die sich in der Historie und den Biografien offenbart steht die Einzigartigkeit der Musik aller drei Komponisten gegenüber. Überdies war man gespannt, ob die durchweg bekannten Stücke neue Hörerfahrungen ermöglichen würden. Das war aber bereits bei der Ouvertüre der Fall: Sanderling wählte einen fast samtigen Klang für den Beginn und formte aus innerer Ruhe heraus eine überaus geschlossene Interpretation, bei der ein warmer, sauberer Klang der Blechgruppe faszinierte und das Ausspielen der Phrasen Priorität hatte ohne dass der Fluss verlorenging.

Einen ganz anderen, aber ebenso frappierend überzeugenden Eindruck hinterließ das Violinkonzert e-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy. Wo andere Geiger mit sattem Schmelz zu glänzen versuchen, traute sich die Solistin Alina Pogostkina einiges: sie befreite das Konzert von allem Straß und Kitsch, startete mit der ersten Melodie fast so unschuldig wie ein Kinderlied, um nach und nach dem Lyrismus des Werkes auf den Grund zu gehen. Obgleich sie den ersten Satz in viel Legato kleidete, blieb ihr Ton immer schlank und überlegt, damit zwang Pogostkina die Zuhörer zum Hinhören. Sie verinnerlichte selbst die Kadenz des 1. Satzes und legte nach dem liedhaften zweiten Satz den fröhlichen Ausklang so gewissenhaft an, dass man sich ihrer freundlich-bestimmten Navigation kaum entziehen konnte.

Da war Aufmerksamkeit im Orchester vonnöten: Sanderling und die Musiker fielen fast ehrfürchtig in einen zuhörenden Modus, in der die Solistin sensibel kommentiert wurde. Diese Interpretation war mutig und selbstbewusst zugleich, hob sie Mendelssohn doch einmal auf ein intellektuelles Niveau, dessen Basis eine ganz andere, interessante Klanglichkeit ermöglicht. Eine Bereicherung war ebenfalls das "Recitativo und Scherzo Caprice" von Fritz Kreisler, mit dem sich Pogostkina für den Applaus bedankte.

Zum Abschluss durften sich die Dresdner wieder einmal auf die 1. Sinfonie von Johannes Brahms freuen - in den "Charts" der die Kulturstadt mit Musik versorgenden Dirigenten scheint sie sehr weit oben zu stehen. Sanderlings Interpretation betonte die Eigenheiten der vier Sätze, viel Flexibilität und Emotion lag in seinem Dirigat, das den ersten beiden Sätzen eine gewisse Gemessenheit verlieh, das Allegro im 1. Satz war von insistierender Präsenz, ohne dass die Spannung hochdramatische Züge bekam. Diese hob sich Sanderling für den Finalsatz auf, wo die impulsive Betreuung zwar risikoreich war, aber die Philharmoniker eben auch zu besonderer Intensität aufforderte. Mit schönen Soli in der Violine und im Horn gelang insgesamt eine gute Interpretation, die weniger auf den großen Wurf aus war, denn auf die Finessen der Klangkombination und Spannungserzeugung.

Kurz mal abheben und wegfliegen.

crLeipzig

Seit dem 24. Mai, dem Release-Konzert ihrer neuen CD Tales of a GrassWidow in Huxleys Neuer Welt in Berlin touren sie quer über das europäische Festland, ganze vier Tage Pause haben sie sich gegönnt. Statt eines fünten Pausentages wurde noch ein Zusatzkonzert in Leipzig gestemmt, und so kam ich auch noch in den Genuss des Konzertes von CocoRosie, nachdem ich Berlin terminlich nicht ermöglichen konnte. Kein bißchen müde wirken Sierra und Bianca Cassady bei ihrem Auftritt im UT Connewitz, das alte Lichtspielhaus sorgt für einen etwas steinernen, trotzdem passenden Rahmen, wenngleich die musikalischen Welten noch etwas andere Bilder hinaufbeschwören, als sie mit den üblichen Bühnenscheinwerfen erzeugbar sind.

Sie sind ein bißchen erwachsen geworden, und das ist gut so und klingt gut. 2007 und 2010 habe ich Cocorosie bereits in Dresden erlebt, das erste Konzert war damals fast noch ein Geheimtipp, die Dresdner Gemeinde überschaubar - "La Maison de mon Reve" erschien 2004 und ist immer noch ein faszinierendes Debutalbum. Etwas weniger ätherisch und dafür mehr beat- und liedlastig geben sie sich heute, selten einmal greift Bianca in die Saiten vom Flügel oder nutzt das Megafon für einige verzerrte Phrasen. Kinderklavier und Muh-Kuh sind hingegen nicht mehr vertreten, dafür schleicht sich tiefe Melancholie in einigen Liedern ein, brennt sich etwa "Poison" eindringlich in die Ohren.

Beatboxer TEZ liefert weiterhin die souveräne Grundierung und darf auch Solo begeistern, ansonsten überzeugt die kleine Band mit Bass, Synth, Klavier und Trompete mit Geschlossenheit. Nie jedoch geraten die Stimmen in den Hintergrund: Bianca mit dem unverwechselbaren Knarzen ihres Sprechgesangs, Sierra mit sphärischen Linien. Dazwischen in Zucker getauchter Hiphop, abdrehende kleine Melodiepatterns, hier und da ein flächiges In-den-Rausch-Spielen, pure Schönheit, wenn die beiden nur zum Klavier singen. Dem Gesetz der Regel folgend, geht es 2016 weiter mit dem vierten Konzert. Viel zu lange hin... - die Cassady-Schwestern sind aber längst auch schon mit Ausstellungen, Büchern und Theaterprojekten beschäftigt, so dass ein baldigeres Aufeinandertreffen möglich erscheint.

Fotogalerien vom Konzert gibt es bei flickr und beim fotokombinat.

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