Freitag, 1. Juni 2012

Ohne Exzentrik

"Café Zimmermann" mit Barockmusik aus Wien

Manchmal passt vieles zusammen: der Pfingstsonntag mit feinem Ausflugswetter ließ am Vormittag keine "schwere" Musik zu, so traf man sich im Palais im Großen Garten bei den Musikfestspielen zu einer Wiener Matinée, bei der die Mauern des Palais dankend geseufzt haben dürften - waren diese doch stumme Zeugen ebensolcher sächsischer Lustbarkeiten (die Jahreszahl 1680 prangt außen an der Fassade), für die das Palais gebaut wurde.

Für die musikalische Ergötzung der Höfe in Wien und Salzburg waren zu dieser Zeit vor allem Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Heinrich Schmelzer und Johann Jakob Froberger zuständig, die ihre Positionen auch dafür nutzten, die Instrumental- und Ensemblemusik im Gönnerlicht stetig weiterzuentwickeln. Gerade der Übergang und die Zwischenräume zwischen der geistlichen und der profanen Welt spielt eine große Rolle, ebenso die Abbildung der Stimme und damit alle menschlichen Leidenschaften auf den Instrumenten, wie es beispielsweise in Schmelzers "Lamento auf den Tod Ferdinand III." zu erleben war.

Mehr noch: Auch die "Todtenglockh" findet Eingang, eine "Fechtschul" wird akribisch abgebildet und nebenbei vervollkommnen die Komponisten ihre Suitenideen, den Kontrapunkt und die Geigentechnik. Das international besetzte Ensemble Café Zimmermann - den Namen gab man sich nach dem berühmten Leipziger Kaffeehaus, in dem das "Collegium Musicum" konzertierte - um die französische Cembalistin Céline Frisch und den Geiger Pablo Valetti besann sich in den Sonaten und Tänzen auf ein nobel zu nennendes Zusammenspiel, dem stets gemeinsame Atmung und Phrasierung zu eigen war. Ab und an hätte man sich deutlichere Kontraste in der Dynamik gewünscht, wie sie das Ensemble zu Beginn des Konzertes bereits gezeigt hatte.

Während naturgemäß der Primarius der Streicher in dieser Stilistik oft im Vordergrund stand, wäre doch ein volleres Fundament mit Theorbe, Cello und Orgel an manchen Stellen möglich gewesen. Und obwohl insgesamt die Stimmigkeit mit dem Aufführungsort und der Historie in adäquater Interpretation gegeben war, hätte Abwechslung in den Besetzungen und der Werkauswahl, die hier höfische Geradlinigkeit der barocken Exzentrik vorzog, dem Konzert gutgetan.

Ein Recital als Gesamtkunstwerk

Pierre-Laurent Aimard spielte Kurtág, Ligeti, Liszt und Schubert

Die Interpreten der Dresdner Musikfestspiele scheinen sich in diesem Jahrgang zu besonderen Höhenflügen bereiterklärt zu haben - anders läßt sich der exorbitant gute Klavierabend mit dem Franzosen Pierre-Laurent Aimard im Palais am Freitagabend nicht erklären. Aimard ist bekannt für sein intellektuell durchdrungenes Spiel, das Tradition und Gegenwart in einen inspirierenden Bezug setzt. So war es auch bei diesem Recital, in dem die Linie der Donauländer Österreich, Ungarn und Rumänien den äußerlichen Rahmen für ein weitreichendes musikalisches Spannungsfeld bildete.

Aimard ordnete die Komponisten György Kurtág, György Ligeti, Franz Schubert und Franz Liszt so geschickt aneinander, dass ein zweiteiliges musikalisches Gesamtkunstwerk entstand und den Hörern nach zwei Stunden Spieldauer einen seltenes Glücksgefühl vermittelte, wie stark doch Musik wirken kann, stellt man sich komplett in ihren Dienst und läßt die Stücke miteinander korrespondieren. So legte Aimard eine "dunkle" und eine "helle" Konzerthälfte an, gruppierte die aphorismenartigen Stücke aus Kurtágs "Játékok"-Zyklus so, dass eine fast philosophische Betrachtung zwischen Stille und Bewegung entstand.

Der erste Konzertteil war dem spielerischen, positiven Element gewidmet; Aimards Interpretation der ersten kleinen und kleinsten Stücke war bereits so tiefsinnig, dass man in eine Konzentration gezogen wurde, die sich dann bei den zerbrechlich-zarten Schubert-Walzern und Ländlern zögerlich auflöste und Liszt, von dem die "Wasserspiele" im ersten und der "Unstern" im zweiten Teil erklangen, in eine Umgebung verfrachtete, in der man ihm neu und unverkrampft begegnen konnte.

Als eine geistig-musikalische Zusammenfassung der Teile setzte Aimard jeweils drei Etüden von György Ligeti an das Ende, schuf nahtlose Übergänge auch in den Tonarten und Tonzentren und bearbeitete den Steinway in den Extremen der Lautstärken derart willensstark, dass einem beim Zuhören der Atem stockte. Auch in den extrem komplizierten Etüden waren die Korrespondenzen zu der Simplizität des Anfangs gegeben.

Aimard hielt eine wunderbare Spannung vor allem durch die Transparenz der Rhythmen und Tonlängen und einer nur fabelhaft zu nennenden Anschlagskultur. Auf diese Weise gelang es Aimard, die Hörer für die spannenden Werke der Zeitgenossen zu fesseln und gleichzeitig für das Neue im Alten zu öffnen. Musik kann kaum mehr leisten, eine Zugabe hätte dieses Kunstwerk auch nur beschädigt. Stark.

Leichtigkeit als Prinzip

Jan Lisiecki erstaunt und begeistert auf Schloss Wackerbarth

Der Pianistensternenhimmel ist ein Kosmos eigener Art: manche halten sich hell und klar über die Zeiten, andere verblassen, neue treten hinzu. Am Firmament erschien jüngst ein neuer Stern: Jan Lisiecki heißt der junge Mann, Kanadier mit polnischen Wurzeln. In letzter Zeit hagelte es Auszeichnungen für das Ausnahmetalent, das in aller Welt konzertiert und doch gerade erst ein Musikstudium in Toronto aufgenommen hat.

Sehr gespannt war daher auch das Musikfestspielpublikum auf Schloss Wackerbarth - das Weingut wartet mit der für solche Gelegenheiten akustisch idealen Abfüllhalle auf, die während des Kulturgenusses auch den Blick auf die abendlichen Weinberge zuläßt. Lisieckis Programm war prall gefüllt - satte zwei Stunden Klaviermusik bot der 17jährige Pianist an und ließ es sich nicht nehmen, sein Recital zudem in knapper sympathischer Form zu moderieren. Das zeugt von einem gesunden Selbstbewusstsein, auch von jugendlicher Kraft und Frische. Davon bot Lisiecki reichlich in dem mitreißenden Konzert - seine beiden Bach-Darbietungen aus dem "Wohltemperierten Klavier" waren bewusst als Einsteiger in die Programmteile gewählt, um den Quell der späteren, darauf aufbauenden Klaviermusik zu zeigen.

Lisiecki scheute sich nicht, romantische Phrasierung einzubringen, musizierte die Fugen aber so deutlich, dass der Respekt vor dem großen Komponisten gewahrt blieb. Beethovens Fis-Dur-Sonate ist ein selten gespielter Edelstein der Klavierliteratur, hier stufte Lisiecki die Dynamik gut ab, hätte im zweiten Satz im schnellen Tempo noch mehr Ruhe finden können. Die drei Konzertetüden von Liszt folgten fast schon als Lockerungsübung für das folgende Mendelssohn-Werk; die "Variations Sérieuses" gelangen ebenfalls stilistisch sicher und mit jederzeit überlegter Interpretation.

Dass Lisiecki eine geistige wie technische Leichtigkeit in seinem Spiel als Basis benutzt, machte nicht nur das Chopin-Zitat im zweiten Teil klar - wer so unverkrampft und mit geduldiger Übersicht an die Etüden, Opus 25 herangeht, kann nur gewinnen. Perlendes Spiel, imposante Steigerungen und Mut zum Detail machten eine hervorragende Interpretation aus, bei der das Spiel nicht auf der pianistischen Überholspur stattfand, sondern auf einer die Noten tief durchdringenden Ebene. Das war in der Summe schlicht grandios und wurde mit tosendem Applaus belohnt.

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