Freitag, 25. Mai 2012

Für Spezialisten?

Kristian Bezuidenhout mit Mozart auf dem Hammerklavier

Erst in den letzten dreißig Jahren wurde das Hammerklavier wiederentdeckt - der Wunsch, Klavierwerke möglichst authentisch auf den Instrumenten ihrer Zeit wiederzugeben führte zu intensiver Forschung und Nachbauten alter Instrumente. So erlebt das Hammerklavier in jüngster Zeit eine große Renaissance, spezialisierte Interpreten widmen sich dem Instrument und machen so vor allem die Musik des ausgehenden 18. Jahrhunderts neu erfahrbar.

Mit einem Nachbau eines Wiener Hammerklaviers nach Anton Walter von Paul McNulty wurde man im Palais im Großen Garten beim Konzert der Musikfestspiele in den Wiener Salon versetzt und genoss mit dem aus Südafrika stammenden Pianisten Kristian Bezuidenhout eine Zeitreise. Bei dem Facettenreichtum von Wolfgang Amadeus Mozarts Kompositionen war es kein Manko, dass das Programm ausschließlich ihm gewidmet war. Zwei Sonaten aus der Zeit um 1778 stellte Bezuidenhout ein Variationswerk und die späte Fantasie c-Moll gegenüber.

Bezuidenhout ist am Hammerklavier ein ruhiger, bedächtiger und doch sehr lebendiger Gestalter. Die F-Dur-Sonate KV332 zeigte er in kontrastreichen Farben, bei denen allerdings der Pegelausschlag der Ausdeutungen gerne noch etwas größer hätte sein können, gerade dem 3. Satz fehlte im rasanten Tempo etwas der Witz und die Ausstellung der kleinen, genialen Wendungen. Doch Bezuidenhout ist mehr ein Erzähler am Clavier, so bekamen die Variationen über eine Gluck-Ariette KV455 fast einen akribischen Charakter; auch die Fantasie war so behutsam und deutlich gezeichnet, dass Mozarts Phantasie nicht als wildes Paraphrasieren, sondern als kluges Nachsinnen ausgestellt wurde.

Dabei kostete Bezuidenhout alle Möglichkeiten des Hammerklaviers (und das sind mehr, als der Flügel-Liebhaber denkt!) überlegt aus, setzte Dämpfung und Haltepedale, die mit dem Knie bedient werden, ebenso abgestuft ein wie ein deutlich phrasierendes Spiel - der zweite Satz der B-Dur-Sonate KV333 wurde so zu einem großartigen Ruhepunkt des gesamten Konzertes. Auch die Zugabe galt Mozart, und die freundlichen Gesichter des reichlich erschienenen Publikums am Ende besagten, dass dieses Musikerlebnis keineswegs nur für Spezialisten taugte: es war ein angenehmer, auch sehr ernsthafter Zugang zu Mozart und seiner Welt.

Pistolenschüsse und Pokerspiel

5. Sinfoniekonzert der Landesbühnen Sachsen

Sieben Jahre leitete Michele Carulli als Generalmusikdirektor die musikalischen Geschicke der Landesbühnen Sachsen in Radebeul. Die anstehenden dramatischen Kürzungen im Bereich des Orchesters haben auch zur Folge, dass Carulli diese Tätigkeit beenden wird - das 5. Sinfoniekonzert der Saison ist das letzte unter seiner Stabführung und wohl auch eines der letzten Konzerte dieses Orchesters in seiner bisherigen Größe und Qualität.

Das Konzert fand im Rahmen der Karl-May-Festtage statt, dafür hatte man sich ein passendes Programm unter dem Titel "Go West" zurechtgelegt. Carulli suchte gleich nach einem wirkungsvollen Auftritt mit Cowboyhut den Kontakt zum Publikum und stellte das Programm vor. Dass ein Werk von Aaron Copland erklang, erscheint im programmatischen Zusammenhang schon fast zwingend. Carulli entschied sich für die Suite aus dem Ballett "Appalachian Spring", eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Farmerlebens in Pennsylvania. In dem für die Tänzerin Martha Graham entstandenen Werk sind einige berühmte Melodien des Komponisten enthalten, das Landesbühnenorchester hatte hier keine Mühe, die folkloristischen Aspekte herauszuarbeiten, es tat sich allerdings schwer, wenn schnelle Sätze mit vielen Taktwechseln und offenliegenden Phrasen auf dem Pult lagen. Hier wäre etwas mehr Ruhe im Dirigat von Carulli förderlich gewesen.

Der zweite Teil des Konzertes gehörte Giacomo Puccini, dessen Konnotation mit Amerika nicht auf den ersten Blick auffällt. Doch hatte der an aktuellen Stoffen immer interessierte Komponist sich nach einem Broadway-Besuch entschlossen, eine echt amerikanische Schurken-Oper zu schreiben: "Das Mädchen aus dem goldenen Westen" (1910) ist bis heute ein ungewöhnliches und verkanntes Werk im OEuvre des Schöpfers geblieben - trotz Pistolenschüssen und Pokerspiel bleibt es natürlich ein Meisterwerk des Verismo. Carulli tat recht daran, den 2. Akt in einer von ihm hergestellten konzertanten Fassung mit drei Sängern darzubieten.

Farbig und nun mit bestens strömendem italienischen Sound wusste das Orchester die Partitur umzusetzen. Carulli war in seinem Element und achtete auch auf viele Details und das Ausfüllen der Spannungsbögen. Stephanie Krone (Sopran) gab eine überragende Minnie - bei enormem Gestaltungswillen überzeugten ihre starke Emotionen und die vollkommen sicher und schön geführte Stimme bis zum triumphierenden Finale. Angelo Raciti (Tenor) war für den erkrankten Guido Hackhausen eingesprungen. Zwar war somit das Konzert gerettet, wofür man dem Sänger Dank schuldet, jedoch war er mit der Partie des Johnson stimmlich vollkommen überfordert - der angestemmte Kampf gegen die hohen Noten war alles andere als ein Genuss. Norman D. Patzke hingegen füllte die Rolle des Sheriffs mit seiner großen, flexibel gehandhabten Baritonstimme gut aus.

"Bleiben Sie der Musik und der Kunst treu!" rief Carulli vor einer Überraschungszugabe seinem Publikum zu. Das klang resigniert, wohl auch zornig, sollte aber für das Publikum erst recht ein Aufruf sein, "seinen" Musikern auch durch schwere Zeit zu folgen. Eine schöne Gelegenheit, Carulli und das Landesbühnenorchester erneut vor der Sommerpause zu hören, bietet sich bei einem festlichen Opernkonzert im Juni.


Sa, 2. Juni, 19.30 Uhr, Stammhaus Landesbühnen Sachsen
Opernkonzert zum Verdi- und Wagnerjahr, Ausschnitte aus "Rigoletto", "La Traviata" u. a. / Solisten / Orchester der Landesbühnen Sachsen, Dirigent: GMD Michele Carulli

Begegnung zweier Meisterwerke

Schumann und Brahms mit dem NDR-Sinfonieorchester unter Thomas Hengelbrock

Schön, dass die Dresdner Musikfestspiele alljährlich die Welt nach Dresden holen. Ohne sich allzuweit bewegen zu müssen, erlebt man in drei Wochen, was musikalisch in den Kulturmetropolen geschieht - im Jahreslauf geschieht dies allzu selten. Dabei war das Gastspiel des NDR-Sinfonieorchesters in der Semperoper mehr als eine schöne Geste, schließlich reiste man von der Elbe an die Elbe und Hamburg und Dresden pflegen ja seit 25 Jahren eine aktive Städtepartnerschaft.

Das Orchester konzertierte unter der Leitung seines neuen Chefdirigenten Thomas Hengelbrock, und dieser brachte gleich Hamburgs berühmtesten Sohn mit: Johannes Brahms traf im Konzert auf Robert Schumann, da brauchte es keinerlei Ouvertüre oder Solistendarbietung mehr. Diese Begegnung ist stets eng, intensiv und mit reichlichem Zugewinn zu genießen.

Die 3. Sinfonie Es-Dur, die "Rheinische Sinfonie" des Wahl-Düsseldorfers Schumann, inszenierte Hengelbrock als ausgereiftes Meisterwerk voller Temperament und rauschhafter Ideenentfaltung. Innig, aber dennoch flüssig gerieten die Mittelsätze; der vierte Satz wurde nicht als Weltuntergang betrachtet, sondern demonstrierte mit schönen gedeckten Farben ein Innehalten vor dem sprühenden Finale. Hengelbrocks ungemein flexibles und aktives Dirigat zauberte einen exorbitanten Farbreichtum im Zusammenspiel, aber auch im Einzelton jeder Orchestergruppe hervor. Man ist sich der Aufführungspraxis bewusst - die Streicher zeigten wenig vibrato, aber eine beseelte Legato-Dichte, die Mischung der Bläserstimmen geriet auf die Situation zugeschnitten.

Zu einem weiteren Höhepunkt geriet nach der Pause die Aufführung der 1. Sinfonie c-Moll von Johannes Brahms. Hengelbrock verstand die Sinfonie als einen sinfonischen Befreiungsschlag voller Leidenschaft, die mit bemerkenswerter Agogik in allen Sätzen dargestellt wurde. Überraschend verteilte Hengelbrock die Kontrabässe auf beide Bühnenseiten und erreichte so eine tolle Raumwirkung. Kurz stockte der Atem, als der Dirigent im 4. Satz die suchenden Pizzicati der Streicher allein musizieren ließ. Gehör und Vertrauen sorgten hier aber genau für die passende Zielrichtung.

Mit Sorgfalt für kleine Details, ein wenig offenem Potenzial in wichtigen Pausen und Übergängen, aber auch mit dem Mut zu einem letzte Kräfte bündelnden Vorwärtsdrang im Tutti schuf Hengelbrock eine Interpretation, die das Werk vor dem Ohr neu entstehen ließ. Mit einer Zugabe von Dvořák, dem "slawischen Brahms" bedankte sich das Ensemble für den starken Jubel des Dresdner Publikums.

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