Sonntag, 17. April 2011

Zu viele Unstimmigkeiten

Global Ear präsentiert zeitgenössisches Musikprojekt in Hellerau

Den Hintergrund des Konzertes mit zeitgenössischer Musik namens "Blick durch das Teleskop", das am Sonntagabend im Festspielhaus Hellerau stattfand, zu erklären, fällt einigermaßen komplex aus: "temp‘óra" nennt sich ein neues europäisches Begegnungs- und Austauschforum für zeitgenössische Musik mit Sitz in Bordeaux. Eines der ausgeschriebenen Projekte war ein länderübergreifendes Konzert mit drei Ensembles zeitgenössischer Musik, das quasi als "Mini-Festival" derzeit in mehreren Städten tourt und dabei an jeweils einen Komponisten pro Ensemble ein Auftragswerk vergibt. In Hellerau machte das Projekt nun als Teil der etablierten Konzertreihe "Global Ear" Station.

Abgesehen von der an sich schönen Tatsache, dass man von drei Ensembles aus Frankreich, Spanien und Deutschland Musik von gleich acht Komponisten zu hören bekam, konnte dieses Projektkonzert allerdings kaum überzeugen. Von gutmeinenden Fördermittelgebern in die Welt gesetzt, erzeugte das Projekt zwar neue Werke und Interpretationen, aber darüberhinaus will sich kein tieferer Sinn erschließen, denn die beteiligten Ensembles demonstrierten ebensowenig einen Austausch, wie die Werke in irgendeiner Weise zusammengehörig waren oder einen thematischen Faden aufwiesen - sie hätten auch für jedes andere Konzert entstehen können.

Wenn dann noch das eingekürzte (!), dennoch auch für geübte Hörer sehr anstrengende Programm über zwei Stunden dauert, sich dabei bedauernswerte zwei Dutzend Zuhörer im Festspielhaus verlieren, die Interpretationen nicht schlüssig sind und bei den Komponisten teilweise Anspruch, Können und Wirkung auseinanderklaffen, darf man von einem gescheiterten Projekt reden. Ein einziges Werk, nämlich "3100 Gramm" des Dresdner Komponisten Carsten Hennig, wurde etwas intensiver vorgestellt, bei allen anderen grub man sich durch wenig erhellende Programmhefttexte. Man wunderte sich, denn gerade die Reihe "Global Ear" hat in den letzten Jahren vorgemacht, dass zeitgenössische Musik in stimmigen Programme und mit kluger Darbietung durchaus salonfähig ist - dies war aber ein Rückfall, der die Zuhörer ratlos zurückließ. Die Musiker der drei renommierten Ensembles "unitedberlin" (Berlin), "Proxima Centauri" (Bordeaux) und "Nuevo Ensamble" (Badajoz) waren engagiert dabei, lediglich das französische Ensemble konnte mit einer undifferenzierten Spielhaltung nicht überzeugen.

Positiv heraus stachen Werke von Elena Mendoza, bei deren "Nebelsplittern" Form und Material konzentriert und spannungsvoll eingesetzt war, und Samir Odeh-Tamimis "Shattila", das einen extremen Ausdruck so sehr in den Vordergrund platzierte, dass man allein von der plötzlichen Deutlichkeit des Stückes im Kontext des Konzertes angenehm schockiert war. Andere arbeiteten da mit antiquierteren Konzeptionen und Materialien, die man so oder ähnlich schon oft gehört hat, auch der Einsatz der Elektronik in den französischen Beiträgen schien fast modisch bedingt - eine Bereicherung jenseits der Phonstärke war hier nicht festzustellen. Insgesamt war dies qualitativ zu wenig und davon in der Summe leider zu viel.

Konfrontation mit der Schönheit

Daniel Hope begeistert in der Frauenkirche

Vorneweg: es war ein ordentliches Konzert, alle haben sich bemüht, das Optimum herauszuholen und das zahlreich erschienene Publikum mit Musik zu erfreuen. Doch die Hochglanz-Klassik auf dem Neumarkt kann nicht immer befriedigen - der Kirche und ihrer optischen wie akustischen Gegebenheiten tut man nichts Gutes, wenn immer neue Highlights der Klassik eingepflanzt werden, frei nach dem Motto "Brahms geht immer". Dann ist da das Gastensemble, hier das Orchestre National de Belgique, das sich zu seinem Tourneeauftakt deutlich bemüht, der Akustik gerecht zu werden und dabei doch genau weiß, dass eine Brahms-Sinfonie in diesem Raum nur ein Kompromiss sein kann.

Und da ist eine Programmdramaturgie, die nicht verhindern kann, dass die zu Beginn dargebotene Ouvertüre zu Mendelssohn Bartholdys Oratorium "Paulus" ohne das Oratorium selbst nur wie ein herausgerissenes Bruchstück wirkt. Vermutlich interessierte sich auch kaum jemand im Publikum für die Interpretation der Ouvertüre - man war zum allgemeinen Goutieren von Daniel Hope erschienen. Der britische "Stargeiger" (was ist das überhaupt, ein Stargeiger?) enttäuschte Erwartungen höchstens dann, wenn man mit genau diesem Attribut nun eine Klassik-Show erwartet hätte.

Hope ist gottlob stets auf dem Teppich der Musik geblieben, er braucht weder E-Geigen noch Egotrips und widmete sich stattdessen dem hinlänglich bekannten Violinkonzert von Max Bruch in einer Art und Weise, als sei dies ein jüngst wiedergefundenes Schmuckstück vergessener Tage: da blühten plötzlich silbrige Töne auf, deren Entschwinden im Raum man unbedingt nachhören will. Dann wieder kontrastierte Hope mit einer Virtuosität, die vollkommen bewusst entwickelt, geerdet war und so eine Aussagekraft jenseits der Oberfläche schuf. Obwohl er selbst während der Aufführung etwas mit der Stimmung der Geige haderte und hochkonzentriert um jede Phase rang, gelang es ihm, neue Qualitäten von Schönheit in diesem romantischen Konzert zu definieren - nicht Entschlackung ist seine Devise, sondern Konfrontation. Walter Weller und das belgische Orchester begleiteten Hope sensibel, im Tutti durchaus auch massiv und temperamentvoll.

Als besondere Perle erwies sich Daniel Hopes Zugabe: mit Johann Paul von Westhoffs "Imitazione delle Campane" holte er einen kaum bekannten Dresdner Komponisten der Bach-Zeit quasi zurück in seine Stadt und bot dem originellen Stück in der Frauenkirche Raum zur Entfaltung. Die 2. Sinfonie D-Dur von Johannes Brahms nahm dann mit flüssigen Tempi Fahrt auf und das belgische Orchester zeigte eine gute Spielkultur mit weichen Klangfarben und konzentriertem Miteinander. Eine wirkliche Tiefe der Interpretation wurde nicht erreicht; Weller beschränkte sich auf wenige Gesten der Unterstützung, wissend, dass sein Orchester vor allem in der solistischen Melodiegestaltung Stärken aufweist. Der lärmenden Zugaben hätte es kaum mehr bedurft, das Publikum war zufrieden.

Abenteuerliche Entdeckungen

Martin, Milhaud und Haydn im 2. Aufführungsabend der Staatskapelle

Der 2. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle bot - wie eigentlich immer in dieser Reihe - einige Entdeckungen am Rande des großen sinfonischen Repertoires. Zwar waren alle Komponisten des Abends bekannt, aber hat etwa jemand auf Anhieb die Themen der 86. Sinfonie von Joseph Haydn parat? Vielleicht haben wir sie auch schon einmal gehört, doch das Wiederentdecken in einer neuen, frischen Interpretation ist die eigentliche Freude beim Zuhören und diese wird durch die Aufführungsabende stets garantiert.

Für den erkrankten Mikhel Kütson sprang am Dirigentenpult die Britin Julia Jones ein, die vor wenigen Tagen erst ihr Debüt in der Semperoper als musikalische Leiterin der Mozart-Oper "Die Entführung aus dem Serail" gab. Jones, die Chefdirigentin des Teatro Nacional in Lissabon ist, begann mit der "Pavane couleur du temps", einem märcheninspirierten Stück für Streichorchester von Frank Martin. Von dem Schweizer Komponisten allerdings ist man weitaus tiefgehendere Musik gewöhnt und so blieb dieses achtminütige Frühwerk lediglich als kurze, überzeugende Demonstration des feinnervigen Streicherklangs der Kapelle in Erinnerung.

Ganz anders liegt der Fall bei Darius Milhaud. Ist der Franzose, der über 400 Kompositionen schuf, in einem Konzert programmiert, so läßt man sich meist auf ein Hörabenteuer ein. Zum einen deswegen, weil außer wenigen populären Werken kaum etwas aus seinem OEuvre den Weg ins Repertoire gefunden hat, zum anderen, da Milhaud zwischen Klassizismus, Jazz und Zwölftonmusik so ziemlich alle Stilistiken beherrschte und lustvoll verwendete. Das 2. Violinkonzert, Opus 263 ist genau so ein Abenteuerstück, dessen erster Satz sich sogleich nicht entscheiden kann, ob er in der Düsternis des Beginns verharren soll oder einem tänzerisch dumpfen Metrum nachgehen soll. Jörg Faßmann, Konzertmeister der 2. Violinen der Staatskapelle, war der Solist des Werkes, und er arbeitete deutlich heraus, dass dieses Konzert keinesfalls ein klassisches Dialogkonzertieren beinhaltet, eher stehen sich hier Innen- und Außenwelten schroff gegenüber: Faßmann ist das Singen und der große Bogen vorbehalten, während sich das Orchester im 2. Satz zwischen Broadway und Dissonanzmotivik bewegt, im 3. Satz sogar ganz auf verquere Rhythmik versteigt. Die Interpretation war famos und Faßmann behielt auch im virtuosen 3. Satz ruhige Übersicht und klare, ausgefeilte Klangformung bei.

Julia Jones, die hier schon für dezidierte Äußerungen im Orchester gesorgt hatte, sorgte dann für eine große Kammermusik in der Haydn-Sinfonie. Hier gelang ihr das Kunststück, eine forsch-vorwärtsdrängende Grundhaltung und eine immer wieder sensibel in die Details leuchtende Ausformung zu verbinden; der frei parlierende 2. Satz geriet gar zu einem besonderen Schmuckstück. Haydns unerschöpflicher Ideenreichtum wurde hier mit Spielwitz unterhaltsam und transparent musiziert - Jones erhielt dafür starken Applaus.

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