Mittwoch, 19. Januar 2011

Beschwörungen an der Marimba

Martin Grubinger im 5. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie

Nach knapp zwei Jahren war er wieder zu Gast bei der Dresdner Philharmonie im Kulturpalast - der Hexenmeister am Schlagzeug namens Martin Grubinger, der in aller Welt staunendes Publikum hinterläßt und doch einfach nur macht, was ihm Spaß macht: Schlagzeug spielen. Aber dies eben auf einem Niveau, dass die Komponisten mittlerweile Bestkenntnisse in höherer Arithmetik aufweisen sollten, um dem Herrn einigermaßen Herausforderungen zu bieten.

Was da möglich ist, zeigte Grubinger in seiner bescheiden "...und nun zum Sport" angekündigten selbstkomponierten Zugabe. Die kannten die Dresdner zwar schon von seinem letzten Gastspiel, aber die Wiederholung war notwendig, damit nun die erneute Bestätigung hatte: es war real, dieses aberwitzige Tempo und diese Präzision, mit der Grubinger seinem Stick sogar einen Weg auf dem Arm bis zur Schulter anweist - wahrlich ein Hexenmeister.

Als solcher ("Conjurer") wird er auch im 2007 entstandenen Schlagzeugkonzert des Amerikaners John Corigliano (geb. 1938) betitelt, das im 5. Zykluskonzert seine deutsche Erstaufführung erlebte und von Grubinger erstmals gespielt wurde. Corigliano trennt die Klangwelten Holz, Metall und Fell und entwickelt relativ geschlossene und zumeist konventionelle Formen. Das der Percussion zugeordnete Streichorchester versagt allerdings dann aus akustischen Gründen schon seinen Sinn, wenn Grubinger aufdreht; hier ist (mal wieder) ein anderer Konzertsaal vonnöten, um diese Überblendungen hörbar zu machen. Andererseits stellte sich der Sinn des Begleitapparates ohnehin nicht ganz ein, denn außer flachen Dialogstrukturen wurde keine tiefer wirkende Ebene erreicht. Ohnehin dominierte der Solist völlig - im 1. Satz waren die Marimbabeschwörungen durchaus noch spannend, doch zu langatmig rollte der 2. Satz in süßlicher Idylle dahin. Grubingers sensible und kraftvolle Klasse machte diese Schwächen der Komposition wett - schließlich wartete im Finale ein abzubrennendes Feuerwerk auf Pauken und Trommeln - Grubinger empfing großen Jubel für diese Demonstration von Rhythmus und Klangsinn.

Der finnische Gastdirigent Hannu Lintu war bereits hier als verläßlicher Partner des Solisten aufgetreten. In der 1. Sinfonie e-Moll von Jean Sibelius erreichte er nach der Pause mit den Philharmonikern eine höchst bemerkenswerte Leistung. Für einen sinfonischen Erstling im Dunstkreis zwischen Brahms und Strauss ist dieses Werk nämlich nur dem Anschein nach am damaligen Geschmack orientiert: zahllose Abbrüche, eine erweiterte, überraschende Harmonik und die formalen Weiten dieses Werkes wollen entdeckt und herausgekitzelt werden. Lintu gelang dies mit dem Orchester hervorragend, wenngleich manchmal der gute Wille noch einen vielleicht freieren, extremeren Ausdruck verhinderte. So aber freute man sich über einen höchst homogenen, ausgeformten Bläserklang, rassiges Fundament in den Streichern und viele ausgehörte Details. Kein Werk zum Glänzen, aber eines, das intensiven Zugang von Hörern und Interpreten verlangt und dann zeitlose Schönheit offenbart.

Zwischen Phantasy und Reißwolf

Szenische Miniaturen von Kompositionsstudenten

Die jungen Komponisten an der Dresdner Musikhochschule haben ihre neuesten Schöpfungen im Institut bisher zumeist in den als "Podium" bekannten Abenden vorgestellt. Oft war dies bunt gemischte Kammermusik, und es fanden sich immer Kommilitonen, die die noch tintenfeuchten Partituren zur Uraufführung brachten. Die Zeiten ändern sich, der Komponist von heute ist gestählt in multimedia-Anwendungen, schreibt für alle Gattungen und Genres und bindet performative, bildende und literarische Kunst wie selbstverständlich in sein Werk ein. Aus der Fülle der Möglichkeiten jedoch zeitenüberdauernde Kunst zu schöpfen, ist nicht planbar. Doch zumindest bietet das Kompositionsstudium ein Füllhorn von Spiel-Möglichkeiten in Theorie und Praxis zum Entwickeln der künstlerischen Persönlichkeit.

Ein Abend der Klasse von Prof. Manos Tsangaris stellte daher sozusagen Momentaufnahmen, Streiflichter vom gegenwärtigen Schaffen der Kompositionsstudenten dar. Der Abend war außerdem als Suite von szenischen Miniaturen unter dem Titel "Briefmarkenopern" zusammengefasst - die Bildkraft dieses Begriffes regt an und irritiert zugleich, und genau so war auch die Wirkung der Darbietung. Im Konzertsaal wurde das Publikum auf der Bühne platziert, auf diese Weise entstand zwar ein enger, begrenzter Raum von Sicht- und Hörflächen, doch wollte sich der "klassische" Frontalaspekt zwischen Publikum und Interpreten nicht völlig aufheben. Außerdem ist das Auditorium von Natur aus gleichzeitig geduldig und träge und reagiert selbst dann nicht genervt, wenn gleich zu Beginn dieser Zustand als erlaubt annonciert wird.

Was erklang? Verschiedene Zugänge zu szenischer Musik, die oft als Ansatz, Annäherung, Skizze zu begreifen waren, in seltenem Fall in ihrer Dringlichkeit oder Abstraktion aber durchaus als starkes Ganzes wirkten - "recycle" von Neele Hülcker etwa formte mit lediglich drei Sängerinnen samt Diktiergeräten eine beängstigend kalte Meta-Ebene des Theaters und überzeugte mit einem konsequent durchgeführten Material, das Kraft entwickelte. Katharina Vogt formulierte einen sanften Antibeginn mit schweigenden Musikern und Blockflötenstörungen vom Nachbarplatz. Christian Rheber wiederum lockte in einen Phantasy-Raum mit einem theatralischen Fragment, das sich selbst in Frage stellte. "Come and Go" von Nicolas Kuhn war der vielleicht introvertierteste, aber auch stimmungsvollste Beitrag, während Peter Motzkus' "ARIA" für Sängerin und Smartphone auf merkwürdige, vielleicht einsame Parallelwelten zwischen Leben und Technik hinwies.

Martin Baumgärtel erschien für eine szenische Miniatur der Schaffensprozess in seiner Spiegelung als Ansatz spannend und die Briefmarkenoper "In Liebe, Agnes" erinnerte vor allem in ihrer musikalischen Unbekümmertheit stark an Milhauds "Minutenopern". Wunderbar, wie engagiert und professionell alle Aufführenden agierten und so einen erhellenden Streifzug durch die Werkstatt der in Dresden studierenden Komponisten ermöglichten. Und schön, dass ein Klassenabend Komposition neben sicherlich auch notwendigem Diskurs über Theorie und Ästhetik einmal fünfe grade sein lässt und mit den Augen zwinkert: Baumgärtels Ringen mit dem Skizzenblatt verschwand live im - Reißwolf.

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