Sonntag, 3. Oktober 2010

Fünfmal Höchstspannung

elole-Klaviertrio konzertierte im Leonhardi-Museum

elole-Konzerte fordern zumeist den ganzen Zuhörer. Man glaubt kaum, dass das Trio erst seit neun Jahren besteht, hat man doch in dieser Zeit so viele Konzerte mit immer neuen, immer spannenden Stücken gehört und konnte so seinen Horizont beständig erweitern - der Lexikadefinition, dass die Gattung Klaviertrio ins 19. Jahrhundert gehört widersprechen die drei Dresdner Musiker mit der vehementen Lebendigkeit ihrer Aufführungen. Im Leonhardi-Museum präsentierten Uta-Maria Lempert (Violine), Matthias Lorenz (Cello) und Stefan Eder (Klavier) nun einen Abend mit Werken von fünf Komponisten - die Landmarken reichen von Wien über Dresden und Berlin bis nach Düsseldorf.

Ganz neue Werke gab es von Erik Janson und Christoph Theiler zu hören, eine kraftvolle Klammer um das ganze Konzert war durch die Werke von Peter Köszeghy und Carsten Hennig geschaffen. Hier war es eine offen hervortretende Emotionalität, die sowohl in den Kompositionen selbst angelegt ist als auch die Wirkung beim Zuhörer beschreibt. Schnell ist man in Köszeghys "Utopia" über den denkenden Nachvollzug hinaus und jagt den Ausbrüchen, Stauungen und rhythmischen Verschiebungen hinterher. Der Ausnahmezustand, in dem der Zuhörer hinterlassen wird, mutet einem musikalischen Schock an, dem sich nach und nach die gehörten Ereignisse wieder zuordnen lassen. Das ist Arbeit für Kopf und Herz, macht aber Spaß, wenn man feststellt, wie sensibel und klassisch zugleich dieses wütende Stück am Ende doch ist.

Michael Flade war doppelt präsent: Sein "Spiel: seltsam attraktiv" erklang in zwei Versionen. Exakte Notation und interpretatorische Freiheit mischten sich hier wirklich auf einer spielerischen Ebene, die Leichtigkeit erzeugte und vor allem die einzelnen Elemente frei schwingen ließ. Bei Erik Jansons "Bhagavat Gita-Fantasie" war man allerdings ohne jegliche Ausführung über diese altindische Schrift recht alleingelassen mit der Musik, auch Jansons Textauswahl war nicht veröffentlicht. So teilte sich zwar die Faszination und der schöpferische Umgang des Komponisten mit der Schrift mit, aber genauere Beziehungen oder Deutungen waren nicht erfassbar. Losgelöst vom Hintergrund hörte man ein Werk, das von sorgfältiger struktureller Arbeit bestimmt war, was sich etwa in verschieden verschachtelten Zeitebenen niederschlug.

Christoph Theilers "Terminal" hatte die umgekehrte Problematik: der Komponist beschrieb im Programmheft eine äußerst spannende konzeptuelle Ausgangssituation (das Leben, ein Warten), formte aber in diesem kreativen Wartezustand lediglich eine Art Suite aus verschiedenen bagatellartigen Stücken, die erst zum Schluss hin stringenter wirkte. Carsten Hennigs "desire III" blieb es dann vorbehalten, das finale Ausrufezeichen zu setzen: mit rotierenden Metallscheiben und virtuoser Instrumentalbehandlung wurde die Welt des Geldes und der Macht und die musikalische Avantgarde frech in einen Topf geworfen - es wurde ein tolles Stück draus. Und wer genau diese künstlerischen Überraschungen liebt, sollte sich auch das nächste Konzert vormerken: am 28. November spielt das Trio im Kulturrathaus.

Ich will das Rad nicht neu erfinden

Interview mit Morton Subotnick anläßlich der Aufführung von "Jacob's Room" in Dresden


Mit der deutschen Erstaufführung des Musiktheaters "Jacob's Room" des amerikanischen Komponisten Morton Subotnick (*1933) wird am heutigen Freitag im Festspielhaus Hellerau das Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik "Tonlagen" eröffnet. Der Komponist gilt als einer der Pioniere der elektronischen Musik in den USA, Alexander Keuk sprach vor der Premiere mit ihm.

Mr. Subotnick, wer ist dieser Jacob, was hat es mit dem Raum auf sich?

Oh, da muss ich etwas ausholen. Als ich damals mit dem Stück anfing, suchte ich nach einem Text und stieß auf eine Passage in Virginia Woolfs "Jacob's Room" - der Protagonist kommt nach Hause aus dem Britischen Museum, das ihm die Welt und die Zivilisation zeigte. Er ist allein und liest Platon, ist in seiner eigenen Welt und merkt erst am anderen Morgen beim Öffnen der Vorhänge, dass es geregnet hat - er ist zurück in der Realität. In meiner Geschichte ist Jacob ein Holocaust-Überlebender, der zurück auf sich selbst geworfen ist. Man sieht: der Mensch kann alles, das Gehirn macht alles möglich, aber es kann auch einen schlechten Job machen und alles zerstören, sogar die Erinnerung.

Also eine Ausnahmesituation, ein Focus auf das Individuum?

Ja, zum einen hatte er den Kontakt zur Vergangenheit verloren, und hier kommt ihm alles wieder ins Gedächtnis. Das andere, was mich auch interessiert, ist nicht so sehr die Schuldfrage, die der Überlebende sich stellt, aber das Alleinsein steht im Zentrum des Stückes - es ist schmerzvoll, das Alleinsein zu erleben, die Erfahrung der Gegenwart zu erleben. Es ist an Dir, die Dinge besser oder anders zu machen, aber das Angesicht dessen kann sehr schmerzvoll sein.

Alleinsein ist hier also nicht als Einsamkeit gemeint?

Nein, eher als Gegensatz zu einer Masse oder Gruppe, die schreckliche Dinge tun kann. Meine Oper bietet auch keine Lösung, es gibt kein Happy-End oder dergleichen, aber vielleicht ein Angebot für die Leute, sich mit dem Thema zu beschäftigen - verändern will ich niemanden. Aber möglicherweise ist es ein interessanter Ansatz, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, in jeder Hinsicht.

Wie kam es zu diesem doch existentiellen Stück in Ihrem OEuvre?

Es hat eine lange Geschichte, begann als Auftrag für Sopran und Streichquartett, dann sollte es szenisch realisiert werden, schließlich wurde eine Kammeroper daraus, die 1993 realisiert wurde, aber das Stück war noch nicht fertig. Jetzt habe ich viel daran gearbeitet für die Aufführung in Bregenz und jetzt in Hellerau, nun bin ich soweit zu sagen, das Stück ist fertig, aber mir ist auch wichtig zu sagen, dass der ursprüngliche Geist des Werkes immer noch enthalten ist.

Welche Möglichkeiten nutzen Sie für die Oper, Sie sind ja ein Komponist, der sowohl elektronische als auch instrumentale Möglichkeiten gleichermaßen innovativ nutzt?

Es ist jetzt eine Fassung mit Sängern und vier Celli - ich könnte 68 Celli haben für den Klang, den ich anstrebe, nun sind es aber vier - dazu Elektronik und eine sehr erweiterte Vokalbehandlung. Der Frage nach dem Menschsein, die hier aufgeworfen wird, versuche ich zu begegnen, indem ich wieder zurück zur "Kreatur" komme und erforsche, welcher Ausdruck etwa der Lautäußerung möglich ist - bedenken Sie, dass in unserem Hirn immer noch ein reptilischer Teil vorhanden ist. So gibt es sowohl tiefe brummende Geräusche aus dem Bauch heraus als auch Zirpen gleich einer Schlange. Ich habe versucht eine Art "creatureness" zu erzeugen.

Sie gelten als einer der Pioniere der elektronischen Musik, haben schon 1963 einen analogen Synthesizer entwickelt. Dennoch haben Sie auch Instrumentalmusik geschrieben?

Erst kam die Elektronik, ich wollte etwas Neues schaffen, was noch nie da war, der Buchla-Synthesizer gab mir die Möglichkeit dazu, Klänge selbst zu erfinden. Später kam ich dann zurück zur instrumentalen Komposition, später auch zur multimedialen Musik und arbeitete dort die Erfahrungen ein.

Heute galoppiert die Technik, wir schreiben bereits an einer Musikgeschichte der elektronischen Musik, wie beobachten Sie die Szene heute?

Wir sind doch erst am Anfang! Fragen Sie mich in 60, 70 Jahren noch einmal - die Synthesizer wurden ja damals nicht entwickelt um wohltemperierte Musik darauf zu spielen, da gibt es oft ein Missverständnis. Die Technik hat sich zwar enorm weiterentwickelt und natürlich arbeiten die DJs heute damit, das ist auch gut so. Aber es sind in der Kreativität noch so viele neue Wege zu erschließen, die weit jenseits unseres derzeitigen Gebrauchs und unserer Vorstellungskraft von Computern liegen.

Wie ist dann Ihre Beziehung zur Tradition?

Ich habe mal gesagt, Tradition sollte man vergessen. Das war vielleicht ein bißchen vorlaut, heute würde ich sagen, natürlich sollten wir damit umgehen, Tradition ist wundervoll. Aber schauen Sie sich ein kleines Kind an: das ganze Leben hat es vor sich - schauen Sie, wie es Dinge entdeckt und kreativ damit umgeht. Als 40jähriger schaut man vielleicht gerne zurück und liest die alten Bücher. Aber für mich ist es spannender nach vorne zu schauen.

Also suchen Sie auch heute noch nach der Innovation, dem Neuen in der Musik?

Ich will nicht das Rad neu erfinden. Aber man muss sich bewusst sein, der Zugang zu allem ist heute unheimlich leicht, aber das härteste ist, sich klarzumachen, was man will, wie man die Möglichkeiten sinnvoll verbindet. Vor hunderten von Jahren hat man das Wasser mit der Hand zum Mund geschöpft, was haben wir heute? (zeigt auf eine Wasserflasche) - wir sollten uns den Sinn unserer Tätigkeiten wieder bewusst machen.

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