Montag, 3. Mai 2010

Subtiler Beobachter seiner Zeit - Ernst Kreneks Chorwerke in einer neuen Aufnahme



"Der Weg, der wahre Weg geht über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem Boden." - Mit diesen Worten von Franz Kafka begrüßt der RIAS-Kammerchor den Hörer flüsternd und behutsam Töne formend den Hörer auf der kürzlich erschienen CD mit Motetten und Chorwerken von Ernst Krenek (1900-1991). Übertragen auf Atem der Spannung erscheint der Kafka-Satz fast wie ein Motto, denn auf dem Seil stolpert und wankt der Chor nicht, er tanzt und zaubert. Das, was sich im Endprodukt so leicht und traumwandlerisch anhört, muss ein gehöriges Stück Arbeit gewesen sein. Krenek auf diesem Niveau zu musizieren, das erreichen bei ohnehin rar gesäten Aufnahmen nur wenige Ensembles. Hans-Christoph Rademanns Engagement für den Komponisten reicht weiter zurück - bereits vor acht Jahren musizierte er die "Kantate auf die Vergänglichkeit des Irdischen" mit dem Dresdner Kammerchor, der sich auch früher schon Chorsätzen des Komponisten annahm.

Großes Unrecht tut man dem Komponisten, wenn man ihn lediglich in der "Schönberg-Nachfolge" wahrnimmt. Krenek war zeitlebens offen für alle Stilrichtungen und Einflüsse, seine Jazz-Oper "Jonny spielt auf" war (zur richtigen Zeit am richtigen Ort komponiert) einer seiner größten Erfolge. Dass sich ausgerechnet seine Zwölftonmusik aber meisterlich komponiert und emotional überbordend darstellt, ist ein wunderbares Ergebnis des Hörelebnisses dieser Rademann-Einspielung. Krenek vertont Kafka (und nennt das Ganze auch noch "Motette"!), wie man ein Buch lesen würde: die Bilder stellen sich ein, das Gehirn arbeitet, erinnert, denkt, bewertet. Nichts anderes macht die Komposition, die analysiert, folgt, in Zweifel zieht, überhöht und Kafka so eine respektvolle, passende Klangwelt zur Seite stellt.

Rademann gelingt mit dem RIAS-Kammerchor eine Akkordwelt von kristallener Klarheit und Schärfe, deren Spannung Weghören unmöglich macht. In der Interpretation dieser unbekannten Chorwerke steckt viel Liebe und Sorgfalt; Rademanns hoher Anspruch führt zu einer Referenzaufnahme. Spannend überdies ist es, dieses a-cappella-Meisterwerk mit den früher entstandenen weiteren Chorwerken zu vergleichen, die z.T. zwölftönig, aber auch in freier Tonalität entstanden sind. Beides beeindruckt, vor allem, wenn die Strenge der Komposition zu ungeahnter Freiheit und von Rademann voll ausgekostetem Lyrismus führt wie etwa zu beobachten in dem Frauenchor-Stück "Et dimitte nobis" aus den "Five Prayers", Opus 97. Expressiv und freier gefügt (aber eben deswegen vermutlich nicht ganz so eindrücklich) sind die drei gemischten a-cappella-Chöre aus dem Jahr 1939. Des Komponisten respektvolle Bewunderung für die Polyphonie der alten Meister zeigt zudem eine Monteverdibearbeitung.

Fernab von allen Stilistiken, kompositorischen Finessen wirkt Ernst Kreneks Musik dort am eindringlichsten, wo der Komponist als subtiler Beobachter seiner Zeit (und die umfasst beinahe ein ganzes Jahrhundert!) zur Kunst gelangt: die "Kantate von der Vergänglichkeit des Irdischen" (mit Philip Mayers, Klavier und Caroline Stein, Sopran) ist immer noch ein unbekanntes Meisterwerk, Zeugnis von Humanität und Trost in ahnend-furchtbarer Zeit. Rademann spürt mit dem RIAS-Kammerchor diesen Klangwelten mit der Entdeckungsneugier, aber auch mit Respekt und Genauigkeit nach und legt uns so das Chorwerk des immer noch unbekannten Krenek ans Herz.

Ernst Krenek - Sechs Motetten nach Worten von Franz Kafka, Chorwerke Opus 22, 72, 87, 97 --- RIAS-Kammerchor, Leitung Hans-Christoph Rademann (harmonia mundi)
-- Rezension für musik-in-dresden.de --

Sin Nombre

Ok, hartgesottene Filmfreaks mögen selbst hier was auszusetzen haben, aber mich hat der Film einfach weggefegt, mitgenommen vom Anfang bis zum Ende. In Mexikos Straßenbanden gibt es Sieger und Verlierer. Bei den Flüchtlingen in die USA ebenfalls. Dazwischen: nichts. Dass diese Sicht auf die Welt (die leider in vielen Ländern und Schicksalen bittere Realität ist) im Film knallhart durchgehalten wird, ist eine der Stärken von Sin Nombre, der gerade in Deutschland angelaufen ist (übrigens die erste Synchronfassung eines spanischsprachigen Filmes, die ich erträglich finde). Cary Fukunaga guckt weiter hin, wenn eigentlich längst der Cut kommen müßte, er läßt uns in die Augen seiner Protagonisten blicken und wir erkennen Wahrheiten, die niemand sagen muss. So ist der flüchtende El Caspar bereits tot, ein Leben mit einer Frau in den USA - undenkbar. Der Film konzentriert sich auf das Schicksal von Caspar und der Flüchtlingsfamilie einige Male hat man das Gefühl eine beiläufig gefilmte Doku anzusehen. Der Zug wird zum Symbol für das Unterwegssein im Leben, aber auch für die Unaufhaltsamkeit. Mal werfen die Kinder Orangen. Aber dann sind es Steine. Springst Du ab, bist du tot. Bleibst du drauf, bist Du es auch.
Nach diesem Film muss man erstmal Luft holen, draußen irgendwo.



P.S. ein Hinweis zu der Doku La Vida Loca gehört hier unbedingt hin (gibt es auch schon auf DVD). Ich glaube, wenn man beide Filme gesehen hat, dürfte man Realität und Drehbuch kaum mehr auseinanderhalten können...

Rezensionen:
* Süddeutsche
* Stern
* FAZ

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