Sonntag, 18. Oktober 2009

Echo 2009

Kleines Live-Blogging von der Echo-Sendung...

Elina Garanca singt "Carmen", wunderschön ist diese Stimme, aber an Victoria de los Angeles kommt sie nicht heran. Leider auch an andere Interpretinnen nicht, die weitaus mehr Emotion aus dieser Partie lesen als die Lettin.
Die Auszeichnung für bel canto hat sie aber allemal verdient.

Anne-Sophie Mutter, den Echo bekommt sie für das Bach/Gubaidulina-Album spielt einen völlig verhetzten und verhuschten Mendelssohn-Satz. No further comment.

Christina Pluhar und Nuria Real legen los. Tolle, körperliche Musik. Schön, dass die Alte Musik und die Poesie der leisen Töne endlich ECHO-würdig geworden ist. Das berührt sofort. Die Platten dazu: Rial mit Haydn und Teatro d'amore von Christina Pluhar

Hoppala, Donizetti mit Nathalie Dessay, dann ein Schnipsel aus der Boheme mit Villatrebko, und weils noch schnell rein muss: Trip to Asia - ich glaube, diese Erwähnungen wurden in 55sec. abgehandelt.

Nun kommt ein Preisträger, dessen CD ich mich meist nicht traue, einzulegen, weil ich Angst vor der zweifelhaften Wirkung der Instrumentalklänge habe: Xavier de Maistre. Allerdings legt der Mann eine so ruhige, überzeugte Performance hin, dass ichs mir nun vermutlich doch mal ganz anhören werde.

Und weiter gehts mit der zeitversetzten Schnipsel-Aufzeichnung zu später Stunde. Natalia Wörner moderiert leider so, als würde sie beim nächsten verbalen Lapsus tot umfallen. Das Lächeln fällt ihr mit jedem Satz schwerer...

Da ist die Lebenswerk-Auszeichnung für Plácido Domingo. Ich verbeuge mich. Und erinnere mich an die recht fiese Äußerung einer Freundin, die meinte, Domingo wäre der einzige der 3 Tenöre, der wirklich singen könnte. Ähem. -- Für diese eine Arie hat sich das Einschalten der Sendung bereits gelohnt. Fantastico.

Nun mal eben 3 Echos für die Staatskapelle Dresden: als bestes Orchester, für Pape sein tolles Album, für die Fritz-Busch-Edition und für die 9. von Bruckner. Luisi bedankt sich voller Stolz. Sehe ich da eine Träne? -- Beim Wagner fällt mir gerade auf, dass das akustische Ergebnis aus dem Fernseher dem Klang meines alten Kassettenrecorders ähnlich ist. Wenn das in vielen deutschen Wohnzimmern nun genauso sein sollte, rufe ich freudig allen Hoppenstedts vor den Schirmen zu: Geht in die Semperoper! Da klingts ganz anders.

Klassik-Radio tritt auf den Plan. Der Schnipsel-Gott höchstpersönlich. Herr Wemhoff weiß, was Hörer wünschen. Und er ist auch für den Nachwuchs zuständig. Gottlob nur als Laudator. Und David Fray bekommt seinen Echo nicht nur für seine Arbeit in den Schulen, sondern für das Bach-Album. Jetzt spielt er Schubert. Auf eine eigene, unprätentiöse, starke Weise. Möchte ich mehr hören. Werde ich auch.

Dr. Christian Gerhaher bekommt den Echo als Sänger des Jahres. Ich gebe zu, ich habe zu wenig Notiz von ihm genommen bisher. Allerdings erinnere ich mich, dass ich bereits die Schubertschen Abendbilder vor zwei Jahren als Geheimtipp im Laden führte... Der kleine, geniale Mahler hier jedenfalls hat Charakter, eine schöne Wärme hat diese Stimme. Huch...eine Winsenbeißheit gibt er noch zum Besten... Herrlicher Versprecher ;)

Wolfgang Bauer und Sax Allemande spielen zusammen. Ich verlinke mal fleißig: Trompete & Saxofon. Beides im Duett mit "Carmen"? Ja, schön spielt ihr da...aber dann möchte ich bitte gleich die Alpensinfonie auf Oktobasstheorbe. Aber bitte auf 414hz. Und in Sandalen. URGH.

Daniel Hope vergibt einen Echo, obwohl er selbst einen für seinen tollen Vivaldi bekommen hat, was komischerweise in der Sendung unerwähnt bleibt. Nun geht es um Dudamel und das Orff-Institut (Kommentar meiner Mitguckerin: "Laßt den Kindern doch ihre eigene Musik" - interessantes Statement wider den Musikkolonialismus...) - VW vergibt jetzt den Nachwuchspreis. Und jetzt bekommt Hope seinen Echo auch nachgereicht...

Jetzt geht die Sonne auf mit Sol Gabetta. Wir horchen und stellen fest: TOLLES KLEID. Den Haydn schenken wir uns.

Die Zisterzienser-Mönche, Ragna Schirmer (für Händels Klaviersuiten), das Calmus Ensemble und der Rundfunkchor Berlin (für Peppings Matthäuspassion) müssen leider mit dem nächsten 55sec. - Trailer vorliebnehmen... Ah, nun beugen sich doch zwei Mönche den Gesetzen der Plattenindustrie und erklimmen die Bühne.

musica cubana wirken ja doch etwas brav. Hoffentlich kennt die Truppe auch ein wenig die verrauchten Lokale jenseits der steifen Hausmusiksonnabendnachmittage... Echo bitte.

Und während Luisi zum Finale ansetzt, hier einige ECHO-Preisträger, die katastrophalerweise (Zeit ist kein Argument...) nicht in die Sendung fanden, aber um so mehr Gehör finden sollten:

Sylvain Cambreling mit den Orchesterwerken von Olivier Messiaen
SWR-Vokalensemble unter Marcus Creed mit Bruckners e-Moll-Messe
Leonidas Kavakos mit den Mendelssohn-Violinwerken
Frank Peter Zimmermann mit beiden (!) Szymanowski-Konzerten und Britten (Janine Jansens Interpretation ist auch ganz frisch raus...höre ich nächste Woche...)
Alban Gerhardt mit den Reger-Sonaten und -Suiten
Fazil Say und Patricia Kopatchinskaja mit der unglaublichen Beethoven/Bartok/Ravel-Platte

Über das Laster der Wahrnehmung der zeitgenössischen Musik
sprechen wir hier besser nicht. Aufnahmen dieser Musik gibt es zur Genüge. Gute, sensationelle sogar. Aber am Montag rennen alle doch in die Läden und verlangen den "Klassik 2009"-Sampler. Vielleicht sollte ich zur Schere greifen und ihnen auch mal die CD in Schnippseln darbieten... Dass aber den Echo-Juryleuten nichts weiter als Strawinsky, Pepping und Messiaen (bei aller Wertschätzung) einfällt, ist bedenkenswert.
Und damit knipse ich das Licht aus. Gute Nacht.

Eine verzaubernde Waldsinfonie

Heiner Goebbels Theaterabend "Stifters Dinge" in Hellerau

Er war zu seinen Zeiten nicht unbedingt der erfolgreichste und angesehenste Schriftsteller, auch nicht der, dessen Werke weit in die Gegenwart strahlen. Doch kennen Leser die rätselhafte Faszination, die die Werke des österreichischen Schriftstellers Adalbert Stifter ausübt: da sind die Figuren, die oft wie sorgsam gezeichnete Statuen die Romane bevölkern, da ist der oft gelassene Umgang mit der erlebten Zeit. Es entstehen Augenblickshaltungen, die innehalten lassen und die Betrachtung intensivieren. An dieser Stelle tritt der Komponist Heiner Goebbels auf den Plan.

Goebbels und Stifter nehmen sich an die Hand und gehen in den Wald. Was dabei herauskommt, war am Donnerstagabend im Festspielhaus Hellerau zu bewundern. "Stifters Dinge" kommen ohne Musiker aus, ohne Schauspieler und Sänger - allerdings formt immer noch ein Komponist den zeitlichen Ablauf der Naturalia und Erscheinungen, der verbalen und akustischen Ereignisse. Ganz dem Zufall oder sich selbst überlassen möchte auch Goebbels seine Installation nicht. Und dafür gibt es gute Gründe der Dramaturgie.

Bald schon flutet sich der Wald, spiegeln sich die Wasserflächen und Licht und Wind treten auf natürliche Weise hinzu. Klänge und Geräusche erscheinen und ein Organismus mit eigenen Gesetzen setzt sich in Gang, der sich keiner Mode anbiedert, der nicht modern oder in irgendeiner Weise "zeitgenössisch" sein will. Die unverkrampfte, ehrliche Sicht auf die Dinge wird zwar mit erheblichem technischen Aufwand entwickelt, aber hier ist Goebbels mit ähnlicher Konsequenz gesegnet wie der Heimwerker, der im Keller ein Fluggerät baut und schlussendlich tatsächlich damit davonfliegt: Solche Märchen braucht die Welt. D

as Publikum auf der Tribüne wird indes zum Kind und lernt das Staunen neu. Was Goebbels kreiert, ist eine Art von reiner, unverstellter Kunst, und das gelingt, weil sowohl der emotionale Zugang als auch der geistige stets in freundlicher Weise offen gehalten wird. Bilder, Töne und Bewegungen erstellen etwas neues, als sei man gerade in das funkelnde, sprießende Gehirn des Künstlers eingestiegen. Und Goebbels entdeckt auch abseits von Stifter viele Türen und Sandwege. So abenteuerlich diese Expedition in die Welt der Dinge auch ist, und so fremd auch zunächst das "Ungetüm" einer Bühneninstallation aus fünf ineinander verbauten und verkabelten Klavieren scheinen mag, so nah geraten uns "Stifters Dinge" in den Empfindungen - von Sanftmütigkeit ist der Ernst und die Ruhe, die Goebbels aufbaut. Die Wasserfläche klingt elektronisch nach, und die leise Klaviermusik im plätschernden Regen meint man schon immer gekannt zu haben.

Wenn die Waldsinfonie aus Ästen und Saiten sich dann auf den Zuhörer hin bewegt und alle Klaviere wie von Geisterhand ein Eigenleben entwickeln, sitzt man starr und überwältigt. Fragen nach Technik und Sinn stellen sich erst gar nicht, denn Goebbels Bilder greifen tief und am Ende wundert man sich, dass man dem Wald der poetischen Bilder entronnen ist. Dass Claude Lévi-Strauss sich ebenso einmischen darf wie Gesänge ferner Kulturen, erscheint nicht nur logisch, sondern steht für das sensible Spiel, das Goebbels genau auf der einsamen Insel zwischen Natur und Kultur, Literatur, Theater und Musik ansiedelt und das an diesem Abend vollkommen verzaubert. Schließlich gelingt sogar der Bogen zum Beginn des "TonLagen"-Festivals: an diesem dampfenden und sirrenden Orchestrion hätte Mauricio Kagel seine helle Freude gehabt.

Mit dieser Aufführung und einer Abschlussparty am vergangenen Sonnabend wurde das "TonLagen"-Festival beendet.
Kritiken und Berichte gibt es weiterhin hier und auf Musik in Dresden zu lesen.

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