Dienstag, 6. Oktober 2009

In den Armen der Götter

Klangforum Wien inszeniert in Hellerau einen Klangrausch in acht Abteilungen

Man hätte durchaus garstige Gedanken bei der Vorbereitung auf das Konzert am Sonnabend in Hellerau entwickeln können: acht Stunden zeitgenössische Musik unter reichlichem Alkoholeinfluss mit einem 6-Gänge-Menü verbunden, ja sind die Veranstalter der "TonLagen" in Hellerau noch zu retten? Die Vermutung, ich hätte in gut dreizehn Jahren Rezensententätigkeit in den bisher nüchtern genossenen Konzerten alles falsch gemacht und nichts verstanden, erwies sich aber gottlob auch als (weitgehend) unrichtig. Der Titel des Gastspiels von "Klangforum Wien", einem der renommiertesten Neue-Musik-Ensembles Europas löste die gedankliche Verspannnung und führte zurück in die Antike: "Symposion - Ein Rausch in acht Abteilungen". Und wirklich, dieses Konzert hatte nichts zu tun mit der Kultur einiger Konzertbesucher des Sinfoniker-Konzertes am Vorabend, flaschenweise Bier auf die Zuhörertribüne zu schleppen. Kultur bildet sich natürlich nicht ohne Tradition und so könnte man bei der Thematik "Genuss von Musik und edlen Tropfen" sehr weit in der Musikgeschichte zurückgehen. Im Sinne des Symposions ging es im Festspielhaus ganz und gar griechisch zu und dafür reisten sogar interessierte Philologen der Humboldt-Universität Berlin an. Sven Hartberger, Intendant des Klangforum, gab den Symposiarchen und leitete zu Konversation und maßvollem Genuss an. Den Wein- und Musikgöttern Dionysos und Apollon wurde gehuldigt, und wer schon vorher harter Tagarbeit nachgegangen war, konnte sogar Morpheus' Schenkungen empfangen. Zu diesem Zwecke wurde die Konzertbestuhlung aufgehoben und man fühlte sich auf rotem Futon sitzend oder liegend wohl. Nicht außer acht lassen darf man den Ausnahmezustand dieser Veranstaltung, keinesfalls wünscht man sich zeitgenössiche Musik so immer zu hören, wie eine Wiener Zeitung angesichts des Symposions frohlockte. Denn Platons überlieferte Schilderungen der Öffnungen des Geistes mögen für die Redekunst gelten, ob aber die Rezeption von Helmut Lachenmann oder Magnus Lindberg durch österreichische Rieslinge positiv beeinflusst wird - die wissenschaftliche Untersuchung steht noch aus, der Rezensent stellt fest: in Maßen genossen trägt das große Gastmahl dazu bei, sich den halbstündigen Musikabschnitten immer wieder neu mit Vorfreude und offener Neugier zu widmen. Dazu ist der soziale Aspekt nicht zu vernachlässigen: Hartberger leitete zur Bewegung der Zuhörer an und die Tafel wurde bei jedem Gang anders besetzt. Interessante Gespräche entwickelten sich in fast familiären Rahmen (denn alle waren zum selben Zwecke erschienen), die im konventionsgeprägten Pausenfoyer eines Opernhauses undenkbar scheinen. Kaum jemand hätte sich auch die zwölf durchaus nicht nebenbei zu genießenden Kompositionen des Abends ohne Unterbrechung angetan. Hochrangig wie Essen (Schmidt's Restaurant) und Wein waren die Interpretationen, von denen Helmut Lachenmanns "Gran Torso" und Magnus Lindbergs Klarinettenquintett als herausragend zu erwähnen sind. Das Panorama der Musik demonstrierte die Vielfalt der Handschriften zwischen (dem im übrigen viel zu selten aufgeführten) Franco Donatoni und Saed Haddads libanesischem Bolero "Le Contredésir". Kurz nach Mitternacht verzieh man diesem die Skurrilitäten ebenso wie Pironkoffs völlig verkopftem "Fall/Wende", das auch in nüchternem Zustand nicht zu ertragen gewesen wäre. Freude entstand ebenso über eine Aufführung von Strawinskys rarem Septett, über Georges Aperghis' Trommel-Theater "Le Corps à Corps" (leider "nur" in Deutsch) und natürlich stand am Ende ein gebührendes Rausch-Stück: Terry Rileys "In C" bildete das im Ensemble atemberaubend zu einer rhythmisch pulsierende Klangmasse verschmelzende Finale eines denkwürdigen Abends, bei dem allenfalls der Preis zu kritisieren wäre: soviel Geist und Genuss sollte für jedermann möglich und bezahlbar sein, und bei aller Gaumen-Entdeckerfreude hätte es die Hälfte der kostspieligen Tropfen sicherlich auch getan.

Neustart mit Mauricio Kagel

Eröffnungskonzert der "TonLagen" im Festspielhaus Hellerau

Vor einem Jahr starb der Komponist Mauricio Kagel, einer der kreativsten Köpfe des 20. Jahrhunderts, der Töne, Botschaften, Aktionen, Film und Theater zu originären Werken seiner ganz persönlichen Handschrift formte. Unverwechselbar war Kagel in allen seinen Schaffensphasen, auch in seinen letzten Werken, in denen sich das theatralische Aktionsmoment wieder in instrumentale, sorgfältig melodisch und harmonisch ausgestaltete Gesten verwandelt. Erst im April 2009 wurde Mauricio Kagels letztes Werk "In der Matratzengruft" in München uraufgeführt, nun war es auch in Dresden zu erleben. Der Kagel-Abend war noch von Udo Zimmermann, der das Festival der zeitgenössischen Musik in Dresden 22 Jahre äußerst verdienstvoll und erfolgreich leitete, konzipiert worden. Nach Kagels Tod wurde der Abend zur Hommage an den großen Komponisten. Das Festival selbst heißt nun "TonLagen" und Intendant Dieter Jaenicke hat die Veränderungen fest im Blick - er freute sich in seiner Eröffnungsrede auf die zeitgenössische Musik, aber auch auf genresprengende Konzerte im Bereich Elektronik, Theater und performativer Kunst. Wo sich die "TonLagen" da erneuern werden, wird in der Festivalzeit zu überprüfen sein, denn Hellerau hat sich ja schon in den vergangen Jahren zur Wahrnehmung der Gegenwartskunst in all ihren Facetten deutlich positioniert. Dass mit dem Melt!-Klub am 10. Oktober auch etwas "für jugendliches Publikum" dabei sei, sei Jaenicke als Faux-Pas verziehen, denn künstlich gezogene Generationsgrenzen wären sicherlich Gift für die zeitgenössische Profilierung. Weniger als das Würdenträger-Protokoll vermisste man angesichts der hochkarätigen Hommage an einen der spannendsten Komponisten der Gegenwart im Eröffnungskonzert allerdings die Freunde der zeitgenössischen Musik aus Nah und Fern. Im Jahr Eins nach Udo Zimmermann ist offenbar die Umkrempelung sowohl des äußerlichen Erscheinungsbildes als auch der programmatischen Profilierung auch mit einem Neustart in Richtung Publikum und Rezeption verbunden. Jaenicke formulierte die "TonLagen" denn auch als Reise, vermutlich wird es auch in mancher Hinsicht ein Abenteuer. Auf die Reise in Kagels Phantasiewelten begab sich dann das Ensemble MusikFabrik im Konzert. Bei aller Faszination für diese Musik ist der Abdruck ausschließlich von Einführungen des Komponisten im Programmheft recht kritisch zu betrachten, zumal es sich im Fall von Kagel schon fast um eine literarische Kunstform handelt. Unter dem stets genauen, motivierenden Dirigat von Emilio Pomarico ging es zunächst recht lässig und swingend auf den "Stücken der Windrose" in einen eher virtuellen Osten, bevor "In der Matratzengruft" ein gewaltig poetisches Bild des Dichters Heinrich Heine am Ende seines Lebens zeichnete: Kagel über Heine, Heine in Kagel, Kagel an Heine: die Durchdringung von Wort und Ton, Geste und Instrument, Emotion und Form war meisterlich und erbauend. Der Tod selbst bildete den einzigen Schattenfaden dieses fast schon einer "Tondichtung" nahestehenden Zyklus'. Martyn Hill (Tenor) sang den umfangreichen Part facettenreich und mit versierter Technik, aber eine größere Ausdrucksbreite wäre vorstellbar gewesen. Roland Hermann (Bariton) oblag dann die Skizzierung des Weltgeschehens zum Zeitpunkt von Kagels Geburt, die dieser 1988 selbst in Töne und Aktionen umsetzte: da marschiert und raucht der Nationalsozialist, in Rom stürzt eine Decke in der Bibliothek ein und das Adagio ist der Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit gewidmet - Hermann sparte nicht mit offener Theatralik und sorgte dafür, dass Kagels feingründiger Humor auf niveauvolle Weise zu Tage trat. Am Ende: großes Glockengeläut. Kagel lebt in dieser Musik und wird uns auch weiterhin lebendig bleiben.

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Traum XXXII

In der Lottoannahmestelle, ich will einen Schein mit 5 Richtigen einlösen. Ein Mann erscheint aus dem Hinterzimmer, gratuliert, winkt mich vor einen Computer und zeigt auf eine Zahl. 4500 Euro. Ich zucke zusammen und wache auf.

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