Montag, 14. September 2009

Gestaltete Zeit und zeitlose Schönheit

Christian Thielemann zelebriert Anton Bruckner

Das 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle sollte GMD Fabio Luisi selbst leiten, krankheitsbedingt musste er jedoch absagen. Der in kurzer Zeit gefundene "Ersatzmann" jedoch dürfte in diesem Fall für das Publikum weitaus interessanter als andere Einspringer gewesen sein, denn zumindest die beiden Vokabeln "Thielemann" und "Dresden" hört man in den letzten Wochen, seitdem bekannt ist, dass sich Fabio Luisi ab 2012 Dresden ab- und Zürich zuwenden wird, immer häufiger. Bescheiden winkte Thielemann bereits im Interview ab: das Gerede gehört zum Beruf. Viel mehr aber noch gehört die musikalische Visitenkarte dazu - von dieser konnten sich die Dresdner letztmalig 2003 und nun erneut überzeugen. Für das 2. Sinfoniekonzert änderte Christian Thielemann das Programm und wählte ein ihm sehr gut liegendes sinfonisches Werk aus (zu hoffen ist, dass die ursprünglich angesetzten Werke - Rebecca Saunders "G and E on A" und Gustav Mahlers 7. Sinfonie bald nachgeholt werden können). Dass Thielemann zu nichts Geringerem als zum sinfonischen Gipfelwerk Anton Bruckners griff, läßt einem zunächst den Atem stocken und dann schon innerlich Vorfreude empfinden. Auch wenn die Ohren diesmal besonders gespitzt sein würden, ist doch das große Mysterium der 8. Sinfonie c-Moll immer wieder ein Ereignis. Die Kapelle ist den Werken Bruckners durch stetige Aufführungen verbunden; wo Wagner und Strauss zu den Hauskomponisten zählen, ist der spezielle Klang einer Bruckner-Sinfonie in besonderer Weise vertraut. Im nicht ganz ausverkauften Semperbau wurde Thielemann sehr freundlich begrüßt - die nächsten fast 80 Minuten durchflutete er das Haus mit einem (die Satzpausen nahm man kaum mehr wahr) musikalischen Spannungsstrom, den nur wenige Dirigenten in dieser Konsequenz zu erzeugen vermögen. Das Grundthema seiner Bruckner-Interpretation war der Umgang mit dem Thema Zeit, die Einfärbung und Wahrnehmung von Zeit, das Pulsieren, Innehalten, im wahrsten Sinne "Zeitgestalten". Immer wieder waren es in allen Sätzen kleine körperliche Gesten, die das Tempo flexibel hielten oder eine Steigerung auf natürlichste Weise wieder in einen melodischen Fluss umbogen. Das war faszinierend und erzeugte bei der Kapelle einen durchweg weichen, hochgradig intensiven, aber dennoch leichten Gesamtklang. Auf dieser Zeit-Basis legte Thielemann die "Geschichte" der 8. Sinfonie aus: der erste Satz noch als Fundament eines Gebäudes, als Exposition des Ganzen angelegt. Weiche Tutti-Passagen waren mehr als Vorahnung formuliert und das hauchzarte Verstummen am Ende erlaubte das Ausklinken aus dieser Welt. Unter Strom gelegt war ebenso der 2. Satz, aber dennoch erlaubte gerade das von Thielemann konsequente zelebrierte Ausmusizieren der Details das Hinhören und der absolute Ruhepunkt der ganzen Sinfonie war in der unwirklichen Harfen-Horn-Welt des Trios erreicht. Das Adagio wartete mit golden-erdenen Grundfarben zu Beginn auf - Thielemann fing hier an zu zaubern und zu malen, die Kapelle folgte in exzellenter Verfassung. Nicht der wolkenaufreißende Höhepunkt selbst faszinierte, aber wie Thielemann den Ausklang des Adagios anlegte und selbst nach dem kräftezehrenden Wogen noch die Geduld für glitzernde Streicherakkorde fand, das ist nur grandios zu nennen. Ebenso zwingend war auch das Finale mit einer deutlich abgesetzten Coda - die selbstverständliche Beruhigung mit immer neuen Themenvarianten ließ zu, dass sich die finale Apotheose in frei schwingender Kraft entfalten konnte. Auch hier ließ sich Thielemann Zeit, ohne betont langsam zu wirken - es war über alle Sätze hinweg die bedingungslose Hingabe an eine großartige Komposition, die offensichtlich wurde. Thielemann öffnete in diesem Werk manche Türen und Fenster und zeigte dem erstaunten Zuhörer die sich dahinter zahllos verbergenden Schönheiten, die nicht mehr verbal beschreibbar sind - von einem "Gewaltwerk" ist diese Deutung der 8. Sinfonie nur denkbar weit entfernt. Vielleicht ist die Entdeckung und wunderbare musikalische Umsetzung dieser Schönheiten die wahre Überraschung dieses großartigen Konzertes.

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Erhaben, dramatisch und kontemplativ

"Elias" unter Frühbeck de Burgos im 1. Philharmonischen Konzert

Die 139. Spielzeit der Dresdner Philharmonie ist eröffnet. Traditionsgemäß werden für die ersten Konzerte der Saison besonders festliche oder außergewöhnliche Werke ausgesucht. Das erste Konzert der Saison gehörte dem Jubilar Felix Mendelssohn Bartholdy (Isaac Albéniz' Musik, dessen 100. Todestag gewürdigt wird, erklingt übrigens im 1. Außerordentlichen Konzert in zwei Wochen). "Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin" - welches Werk könnte besser an einen noch nicht ganz herbstlich anmutenden Sonnabend im September passen als das Oratorium "Elias"? Das Werk markiert den Gipfelpunkt der Oratorienkunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und auch heute kann man sich schwer der Faszination dieser Musik entziehen. Für das Gelingen ist ein aufmerksames Zusammenspiel aller sinfonischen und vokalen Kräfte erforderlich. Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos hat mit dem Werk große Erfahrung, spielte er es doch schon 1968 in London (damals u. a. mit Dame Gwyneth Jones und Dietrich Fischer-Dieskau) auf Schallplatte ein. Frühbeck de Burgos verlieh der Aufführung im Kulturpalast vor allem eine stark nachempfindbare Ernsthaftigkeit. So legte er den ersten Teil vorwiegend dramatisch im Sinne der alttestamentarischen Handlung an, den zweiten eher kontemplativ. Die Himmelsfahrt Elias' gelang mehr betrachtend denn als vorwärtsdrängende Filmmusik und daher wirkten sogar die sehr ruhigen Tempi der Schlusspartie erhaben. Nur an wenigen Stellen ("Alle Lande sind seiner Ehre voll") stockte der Fluss zu sehr. Eine sehr gute Leistung vollbrachte der MDR-Rundfunkchor (Einstudierung Michael Gläser); hier faszinierte vor allem die kundige Gestaltung der Motive, die stets von der natürlich erzählenden Sprache bestimmt war. Ein stets runder und ebenso volltönend wie intimer Gesamtklang war das Pfund des Chores. Frühbeck de Burgos' dramatische Akzentuierung fand allerdings auch eine natürliche, angenehme Grenze, da er Chor und Orchester zwar forderte, sie aber nie zum Äußersten trieb und so einen tragfähigen Klang erzeugte. Krankheitsbedingt musste im Solistenquartett Hanno Müller-Brachmann seine Mitwirkung absagen. Als ein besonderes Glück muss gelten, dass man ausgerechnet in der umfangreichen Hauptpartie hochrangigen Ersatz finden konnte: Der Bariton Roman Trekel sprang ein und begeisterte das Publikum mit einer starken, charaktervollen Darstellung der Elias-Figur, bei der er deutlich differenzierte zwischen der Konversation mit dem Volk, dem Gebet zum Herrn oder den nachbetrachtenden Arien. Unterschiedlich war der Eindruck der anderen Solisten: Annette Markert überzeugte mit einer weichen Führung ihrer großen Altstimme. Ruth Ziesak breitete zwar in der Höhe schöne legato-Bögen aus, ihre Stimme wirkte aber in Rezitativen und mit ungünstiger Vokalfärbung oft spitz. Otokar Klein (Tenor) konnte mit dem guten Niveau der Aufführung nicht mithalten - neben einem deutlichen Sprachproblem trübten hier vor allem stimmtechnische Fehler den Genuss. Erfreuen konnte man sich am Ende des 1. Teils an Hans Wünsche (Knabensopran) aus dem Philharmonischen Kinderchor. Die Philharmoniker begleiteten die Vokalpartien zumeist konzentriert und mit viel Sinn für die Ausgestaltung eigener solistischer Passagen, lediglich am gemeinsamen Artikulieren der Streicher in den Rezitativen ließe sich durchaus noch arbeiten. Der "Elias" ist für die Philharmoniker lediglich der Auftakt zu einer ganzen Woche voller Musik: Am Dienstag geht es zu einer kurzen Konzertreise nach Burgos (Spanien), bevor am nächsten Wochenende das 1. Zykluskonzert mit einem reinen Weber-Programm ins Haus steht.

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