Montag, 17. August 2009

Händel und Mendelssohn - facettenreiche Häppchen

MDR-Musiksommer gastierte mit Chor und Orchester in der Frauenkirche

"Sommersinfonik" nennt der MDR Musiksommer seine Konzertreihe, mit dem die Klangkörper des MDR derzeit in verschiedenen Orten des Sendegebietes gastieren, so auch am Sonnabend in der fast ausverkauften Dresdner Frauenkirche. Die sommerliche Stimmung legitimiert wohl ein Programm hart an der Grenze zur Unkultur des Häppchenradios. Man goutiert es trotzdem: schließlich huldigt man wieder einmal den Jubilaren Mendelssohn Bartholdy und Händel, und das auch noch auf einem so hohen Niveau, dass man den Gram über die "Best-Of"-Dramaturgie auch schnell beiseite legt. Das genaue Programmstudium offenbarte zudem eine intelligente Auswahl der Stücke. Dirigent Howard Arman präsentierte mit dem MDR-Rundfunkchor und dem MDR-Sinfonieorchester weniger Händel und Mendelssohn zum Mitpfeifen (folgerichtig fehlte auch Händels "Halleluja" im Programm) als vielmehr den Facettenreichtum oratorischer und motettischer Kompositionskunst beider Komponisten, und gerade in der Verwendung theatralisch-musikalischer Mittel gab es hier viele Verwandtschaften zu entdecken. Mit Mendelssohns "Hora Est" stand ein selten aufgeführtes Werk für 16stimmigen Chor am Beginn, das sich im gut dosierten Klangvolumen des MDR-Chores deutlich bis zum Ende hin steigerte - auf die nachschlagende Orgel hätte allerdings verzichtet werden müssen. Plastisch und opulent geriet anschließend der 114. Psalm von Mendelssohn, wobei Orchester und Chor eine intensive Textausdeutung formten. Arman verstand es immer wieder, aus der Ruhe heraus seine Absichten zu vermitteln und transparenten, tragenden Klang zu erzeugen. Das faszinierte auch in den Chören aus Händels "Israel in Egypt", die trotz der Zerstückelung eine Intensität erhielten, als hätte man sich mehrfach in die laufende Handlung eingeblendet, so etwa in der "entspannten Höchstspannung" des "He spake the word" oder in der rezitativischen Kraft des "He sent a thick darkness". Obwohl das MDR-Orchester hier anständig seine Begleitrolle erfüllte, hätte man sich für die barocke Musik ein Ensemble gewünscht, das Armans gestalterische Absichten hätte besser einlösen können. So waren die Schläge in "He smote the first-born" zwar exakt gesetzt, aber man hörte eben "Händel mit großem, modernem Sinfonieorchester", dies musste in der Kirche oft zu abgedämpft, zu konturenlos klingen. Im zweiten Teil gab es die Kürzestfassung (Ouvertüre-Choral-Schlusschor) von Mendelssohns Oratorium "Paulus" zu hören, wobei sich Arman hier für recht legere, gefällige Tempi entschied und die Enden etwas eckig gerieten. Da zudem die Schlussfuge "Lobe den Herrn, meine Seele" nicht ganz homogen ausfiel, war diese Häppchenkost der schwächste Programmteil. Versöhnt wurde man mit der innigen Hymne "Hör mein Bitten"; Antje Moldenhauer-Schrell (Sopran) gestaltete hier aus dem Chor heraus souverän und warm timbriert die Solopartie, wie auch andere Sänger kleinere Passagen in den Händel-Chören übernahmen. Mit Chören und Orchesterstücken aus Händels "Saul", "Solomon" (in wunderbarer piano-Grundhaltung) und "Judas Maccabaeus" ging es weiter, bevor der kunstvolle Chorus "Worthy is the Lamb" aus dem Messias den Abschluss bildete. Über 10 Jahre leitet Howard Arman nun erfolgreich den MDR-Rundfunkchor - er besitzt ein Ensemble, das durch seine hohe Flexibilität imstande ist, stets den Kern der Musik zu treffen - auch wenn die Komposition nach drei Minuten schon wieder vorüber ist. Das Konzert war also ein Genuss für Kenner und Liebhaber und vielleicht auch ein Anreiz für die Zuhörer, die vorgestellten Werke einmal in Gänze kennenzulernen.

Spannende Erstaufführung

"Mailänder Vesperpsalmen" von Johann Christian Bach erklangen in der Frauenkirche (Rezension vom 9.8.09)

Dass man mitten im Sommer in der Dresdner Frauenkirche einer deutschen Erstaufführung eines klassischen Werkes beiwohnen kann, ist schon ungewöhnlich. Dass das dargebotene Stück gut 250 Jahre alt ist, bedarf ebenfalls einer Erklärung. Die erste Antwort ist simpel und erfreulich: die Frauenkirche "spielt durch", denn die sonnabendlich stattfindenden Konzerte im Kirchraum kennen keine Sommerpause. So kann man einige spannende Gastspiele erleben, am 15. August gastieren etwa die MDR-Klangkörper mit einem Händel-Programm anlässlich des MDR-Musiksommers. Am vergangenen Sonnabend war der Süddeutsche Kammerchor zu Gast. Gemeinsam mit dem ECHO-ausgezeichneten "Concerto Köln" wurden die "Mailänder Vesperpsalmen" von Johann Christian Bach zur Deutschen Erstaufführung gebracht. Man möchte meinen, dass die Musik unserer Vorfahren nunmehr erschlossen und aufführbar sei, doch solche Aufführungen lehren uns, dass in vielen Bibliotheken und Sammlungen der Welt noch musikalische Schätze lagern. Die Vesperpsalmen gelangten (wie auch zahlreiche andere Beispiele norditalienischer Musik dieser Zeit) in einer Abschrift über eine Schule in Bellinzona in die Klosterbibliothek Einsiedeln in der Schweiz. Vier erhaltene Psalmen wurden eigens für die Aufführungsreihe des Süddeutschen Kammerchors ediert und diese bildet nun einen wichtigen Baustein in der Rezeption dieses Komponisten.
Im November werden die Psalmen in der Heimat des Chores, bei den Fränkischen Musiktagen in und um Alzenau, erklingen und sollen dann auch auf CD aufgenommen werden. Somit war die Erstaufführung ein Geschenk für die Dresdner, und was 1760 im Mailänder Dom als Bestandteil der Kirchenvesper erklang, erlebte nun in der Frauenkirche seine konzertante Wiedergeburt. Dabei war interessant festzustellen, dass sich der jüngste Bach-Sohn, der aufgrund seiner Wirkungsstätten auch "Mailänder" oder "Londoner" Bach genannt wird, wohl kaum um die Akustik "seines" Domes scherte, die um einiges schwieriger als die Dresdner Akustik sein dürfte. Bach huldigte vor allem dem Geschmack der Zeit und integrierte den recht weltlichen Opernstil des Belcanto-Landes auf selbstverständliche Weise in seine Psalmen. Für den Zuhörer heute manifestiert sich dies in hochvirtuosen Partien der vier Gesangssolisten. Das Orchester hat kaum tragende Aufgaben, aber jede Menge Ornamentik, der Chor spielt bei Bach allenfalls die Rolle des Bedeutungsverstärkers und rundet die Psalmen nur selten mit einem kurzen Fugato ab. Zwischen dem stark antiphonalen "Domine ad adjuvandum" und dem fast mozartesken "Beatus Vir" bestehen spürbare Entwicklungsschritte des Komponisten. Die vitale und kundige Interpretation der Musiker hob die Besonderheiten der Stücke denn auch gut hervor. Tadellos war die Leistung des Orchesters, lediglich das Continuo hätte gern als stärkeres Fundament auftreten dürfen. Bläser und Streicher boten ein geschlossenes Klangbild, störend wirkte ein oftmals nicht "geatmete" Einsatz der Orgel in den Kadenzen der Sänger. Das Quartett hatte eine sängerische Höchstleistung zu absolvieren: Joanne Lunn (Sopran) gestaltete zwar etwas geradlinig, wusste aber mit ihrem warmen Timbre zu begeistern, Thomas E. Bauer (Bass) wirkte solide, der Tenor Georg Poplutz gestaltete seine Partie so leidenschaftlich aus, dass man sich in seinen Arien besonders aufgehoben fühlte. Elena Biscuola (Alt) konnte sich noch nicht vom Notentext lösen und daher ihre an sich wohltönende Stimme nicht zu einer überzeugenden Interpretation führen. Der mit 18 Stimmen klein besetzte Süddeutsche Kammerchor überzeugte in den knappen Chorsätzen mit homogener Klangentfaltung, hätte aber durchaus extremer artikulieren dürfen. Dirigent Gerhard Jenemann fand stets vitale Tempi für die Psalmen; das finale Fugato des "Confitebor" war aber eine von vielen Nummern, die mehr Ruhe zugunsten einer deutlicher konturierten Aussage vertragen würden. Die immer ähnlich schnell angelegten festlichen Sätze erhalten ihre Kraft vor allem durch ein flexibles Dirigat, das konnte Jenemann nicht immer einlösen. Auch auf der dynamischen Ebene wäre eine größere Palette in der Kirche möglich gewesen, die den Zugang zu den an sich sehr spannenden Stücken noch erleichtert hätte.

Pilgerreise durch die Musikgeschichte

"Canticum Novum" präsentiert Jakobus-Gesänge in der Dreikönigskirche (Rezension vom 24.7.09)

Ein wenig schade war es schon, dass sich zum sommerlichen Konzert des Dresdner Vokalensembles "Canticum Novum" in der Dreikönigskirche kaum zwei Dutzend Zuhörer einfanden - diese jedoch lauschten andächtig dem hochinteressanten Programm des Gesangsquartettes, das bereits seit sechs Jahren besteht. Vier Studenten der Musikhochschule bzw. Kirchenmusikhochschule Dresden verbinden in dem Ensemble ihre Liebe zum a-cappella-Gesang und verfolgen einen hohen Anspruch. Dramaturgisch war an dem Programm ihrer Sommerkonzertreise "St. Jacobus" jedenfalls nichts auszusetzen. Betrachtet man die verschiedenen Verzweigungen der Jakobswege in Europa, so ist es gar nicht verwunderlich, dass in diesem Konzert Musik auftauchte, die in so unterschiedlichen Gegenden wie Mühlhausen, Mantua oder Frankfurt/Oder entstanden war. Anhand der Beschäftigung mit der Person des Apostels Jacobus ließ sich auch eine Wanderung durch die Musikgeschichte plastisch vollziehen. So ging
es einige Male mal merklich, mal sanft über historische Grenzen, sei es vom späten Mittelalter in die Renaissance (Heinrich Fincks "In Gottes Namen fahren wir") oder von der Renaissance in den frühen Barock (Joachim a Burck "Fischer und Zöllner sinds gewesen"). In jedem Fall war die Mischung der Vokalwerke aufsehenerregend, denn mal konnte man sich auf die "wandernden" Texte konzentrieren, mal die Errungenschaften der jeweils neuen Stile bestaunen - und sei es nur die Hinwendung vom Psalmodieren zur Mehrstimmigkeit oder von der Mehrchörigkeit zurück zum homophonen Rezitativ. Dass diese musikalischen Kostbarkeiten zu Tage traten, ist dem kundigen Ensemble zu verdanken. Nur zu Beginn gestaltete das Quartett etwas verhaltener, vermutlich noch geschockt vom leeren Kirchenrund, was auch akustische Konsequenzen hatte: kaum eine Dresdner Kirche dürfte für ein Vokalquartett so unbarmherzig "antworten" wie Dreikönig. "Canticum Novum", bestehend aus Katharina Hesse (Sopran), Steve Wächter (Altus), Jörg Petzold (Tenor), Uwe Großer (Bass) schlug sich da achtbar und mutig durch die musikalischen Welten, zumal die ausgesuchten Werke zumeist sehr unbekannter Meister keinesfalls zum Repertoire vergleichbarer Ensembles gehören. Der Gesamtklang wurde zumeist immer runder, je mehr ein Stück große Linien und Polyphonie anbot. So gefielen die vor allem die spanischen Werke von Tomás Luis de Victoria und Christóbal de Morales. Ebenso überzeugte Schützens "Ist Gott für uns", das auch in den Affekten sehr natürlich klang. Sicherlich gab es hie und da im Tenor und im Sopran einige Unsicherheiten, und insgesamt wäre bei den alten Meistern noch mehr Deutlichkeit und Kontrastreichtum möglich gewesen. Doch lobenswert war nicht nur die Homogenität des Ensembles, sondern auch der Einsatz für das Neue: Jens Klimeks umfangreiche Motette "Die Jacobus-Gesänge" war eine farbige, vielschichtig deutbare Komposition. Der in Magdeburg wirkende, 1984 geborene Komponist hatte eine sinnfällige Struktur und klare musikalische Signale für seine Hymnus-Umsetzung gewählt, das überzeugte in der Summe und die Geschichte des Jacobus vermochte auch in dieser modernen Deutung emotional zu berühren. Sebastian Schilling trug zudem noch zwei Beispiele reich ornamentierter, nahezu improvisiert wirkender Musik spanischer Meister auf der Orgel vor - so gelang ein durchaus intimer, jederzeit spannender Konzertabend.

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