Montag, 25. Mai 2009

Brahms vergoldet

Gabriela Montero begeisterte in der Semperoper

Improvisieren, das ist die hohe Kunst im Jazz. Auch in der zeitgenössischer Musik wird immer wieder einmal improvisiert. Vom Organisten verlangt man es ohnehin, wenn die Braut beim Auszug aus der Kirche länger braucht. Aber ein Pianist? Der benötigt Improvisation doch nur, wenn er einen Black-Out hat. Falsch. Ginge es nach der venezolanischen Pianistin Gabriela Montero, so dürfte Improvisation gängiger Bestandteil aller Klavierrecitals werden, allein: wer außer ihr beherrscht dieses Fach auf eine so unnachahmliche Weise und tritt damit auf öffentlich auf? Schließlich geht es nicht darum, einige Themen adhoc in verschiedenen Farbstufen vor sich hin zu klimpern. Gabriela Montero entwirft da binnen Sekunden ganze Rhapsodien, so dass man meinen könnte, auf Liszts Dachboden hätte sich noch eine Kiste mit Manuskripten gefunden. Neben der improvisierten Konzerthälfte bot Montero aber auch im ersten Teil ein "normales" Recital. Das Wort ist aber gleich wieder zu streichen, denn ihre Interpretationen erreichten eine so außergewöhnlich intensive Ebene, dass man sich in einem pianistischen Wunderland wähnte. Die berühmte Violin-Chaconne von Bach in der Bearbeitung von Ferruccio Busoni geriet am Beginn des Konzertes zu einem Exempel: Atmende Phrasierung und Tempoführung, ein vielseitiger Anschlag und eine kluge Einteilung von dynamischen Verläufen waren nur einige Marksteine dieser Takt für Takt überzeugenden Interpretation. Für mich hätte dieses Erlebnis schon ausgereicht, aber natürlich war auch spannend, wie sie sich nach diesem überstandenen Gipfelsturm den Klavierstücken Opus 118 von Johannes Brahms nähern würde. Und erneut stand man einem Wunder gegenüber: Montero vergoldete die Intermezzi und Balladen derart, dass man gemeinsam mit ihr auf behutsame und respektvolle Weise Brahms' Emotionswelten ergründen konnte. Im Intermezzo es-Moll war man spätestens dem Zauber von Monteros intensiver und gleichzeitig bescheiden-sinnlicher Gestaltungskunst erlegen. Ihr traumhaftes Pianissimo und ihr Wille zum Innehalten war Bestandteil der reifen, überlegten Brahms-Interpretation. Dass sie auch den (Tasten-)Löwen in sich hat, bewies sie mit Alberto Ginasteras 1. Klaviersonate, die ein vergnügliches Feuerwerk lateinamerikanischer lauter und leiser Töne war, von Montero mit schier unerschöpflichem Kraftvorrat vorgetragen. Nach der Pause war man sich mit Gabriela Montero einig: keiner wusste, was passieren würde. Die Gesangsbeiträge aus dem Publikum erreichten leider nicht ganz die Qualität der darauf folgenden pianistischen Darbietungen, ein Vergnügen war es allemal, und so durfte man den "Uraufführungen" der Konzertparaphrasen über "Summertime", dem Kanon "C-A-F-F-E-E" (mit leichtem Milhaud-Einschlag), und Bernsteins "America" lauschen. Mein Favorit war allerdings Mozarts "Komm lieber Mai", in welchem Montero ohne mit der Wimper zu zucken von Chopin zum Boogie wechselte - und das gekonnt! Oft schien sie völlig versunken in ihrer Improvisierwelt: ganz eigene, zauberhafte Phrasen wurden da geboren und verwehten wieder - ein einzigartiges Recital war dies, bei der sich Gabriela Monteros Vergnügen an ihrer "Arbeit" nahtlos auf das Publikum übertrug - man freute sich gemeinsam und dankte ihr mit stehenden Ovationen.

Und als kleine Zugabe:
Impro über "M'r losse de Dom in Kölle"

Musik als befreiende Erfahrung

Gustavo Dudamel und das Concertgebouw-Orchester in der Semperoper

Nahezu ausverkauft war die Semperoper am Sonnabend, als das Königliche Concertgebouw-Orchester unter Leitung von Gustavo Dudamel bei den Musikfestspielen gastierte. Dem venezolanischen Dirigenten wurde zu Beginn der mit 25 000 Euro dotierte Saeculum-Glashütte-Original- Musikfestspielpreis verliehen. Damit richten die Dresdner Musikfestspiele den Preis neu aus, denn, so Intendant Jan Vogler, er soll zukünftig an Persönlichkeiten verliehen werden, die sich um Sozialisierung durch Musik und durch Förderung anderer Musiker verdient gemacht haben. Dudamel, selbst aufgewachsen im "El Sistema", dem besonderen Musikförderprogramm in Venezuela, wird das Preisgeld an Musikprojekte in seiner Heimat sowie in Schottland und Los Angeles weiterleiten. Dass Dudamel sich als designierter Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic Orchestra bereits in Sozialisationsprojekten der Armenviertel dieser Stadt engagiert, verdient höchste Anerkennung. Am Mittwoch erst debütierte Dudamel in Amsterdam beim Concertgebouw-Orchester und aufgrund der anschließenden kleinen Tournee kamen nun die Dresdner in den Genuss dieses erstklassigen Klangkörpers. Denn das Concertgebouw-Orchester ist das beste Orchester der Welt, jedenfalls nach einem 2008 veröffentlichten Ranking der britischen Fachzeitschrift Gramophone. Viel spannender und aussagekräftiger als jedes Umfrageergebnis ist jedoch der unmittelbare Konzerteindruck. Mit Carlos Chávez' "Sinfonia India" begann ein beeindruckender Konzertabend. Das kurze Stück des mexikanischen Komponisten beeindruckt durch seine rhythmische Finesse - Dudamel ließ sich nicht lange bitten und formte mit den Niederländern eine selbstverständliche, feurige und doch jederzeit kontrollierte Interpretation. Edvard Griegs Klavierkonzert ist zwar um einiges bekannter als Chávez' Komposition. Doch je nach Gusto des Pianisten kann gerade dieses Konzert vielfältige Deutungen und Klanggewänder erhalten. Der französische Pianist Jean-Yves Thibaudet nahm das Konzert von der spielerisch-virtuosen Seite und scheute sich dabei nicht, einige Male in Ausdrucksbereiche einzudringen, die eher am Rande einer freundlich-kultivierten Interpretation lagen. Und doch: das Werk erlaubt sowohl Dramatik als auch Verinnerlichung. Zwischen diesen Extremen pendelte Thibaudet mit Mut, aber auch mit dem Selbstbewusstsein eines absoluten Könners. Staunenswert war ebenfalls, wie präzise und selbstbewusst Dudamel den orchestralen Part des Konzertes formte. Nach der Pause erklang mit Sergej Prokofjews 5. Sinfonie B-Dur eine der auf den Konzertpodien beliebtesten Sinfonien des Komponisten: mit farbiger Instrumentation und enormen Steigerungen ist es vermutlich eines der besten Werke der sogenannten "gemäßigten Moderne", zu der Prokofjew in reifer Zeit fand. Wenn es angesichts der tollen Interpretation des Concertgebouw-Orchesters überhaupt einen Ansatz zur Verbesserung gäbe, dann in der Gestaltung der leisesten Phrasen, denn die dynamische Präsenz des Orchesters war zumeist sehr direkt. Dabei war die ganze Sinfonie von Dudamel wunderbar organisiert und kleinste Details waren sorgfältig herausgearbeitet. Dudamel ließ das Concertgebouw-Orchester frei musizieren, brachte sie zu völlig natürlicher Themengestaltung und weckte so den ganz eigenen Glanz des Orchesters: da entfaltete sich eine wohltuende Wärme in den Blechbläsern, gerieten Streicher-Attacken in den Ecksätzen zu blutigen Pfeilspitzen und ganz wie ein Uhrwerk schnurrte der 2. Satz vorbei. Die befreiende Erfahrung dieses Konzertes war die Musik selbst, für die Dudamel mit seinem ganzen Können und Temperament eintrat - da geriet das Spiel dieses superben Orchesters zur höchst freundschaftlichen Geste des produktiven, kreativen Miteinanders in der Musik.

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