Freitag, 10. Oktober 2008

Die Präzision des Nichts

Sheherazade - ein audiovisueller Abend von Daniel Smutny

Keine leichte Kost wurde den Zuhörern bei den "Tagen der zeitgenössischen Musik" am Dienstagabend vorgesetzt. Wer diesen Konzertabend allein über das pure Musikerleben (jenseits von Programmheftpamphleten) bewältigen wollte, war etwa nach einer halben Stunde überfordert, nach einer Stunde gescheitert und nach satten zwei Stunden Performance sogar leicht verärgert. Es ist natürlich das gute Recht des Komponisten Daniel Smutny, die Grenzen des musikalisch Verständlichen und Verstehbaren sensibel auszuloten und damit dem Zuhörer jede Menge ästhetischer Fragen, auch Provokationen aufzutischen. Steht diese Intention der Komposition aber stetig im Vordergrund einer Aufführung, so wird der Zuhörer um das sinnliche Erleben von Musik gebracht, schon gar, wenn der audiovisuelle Abend mit "Sheherazade" betitelt wird. Sicher wird man mir entgegnen: selbst schuld, was geht er auch mit solchen Ansprüchen an die Musik in die Aufführung? Richtig, möglicherweise hat mich diese Darbietung, diese Stilistik von Musik einfach nicht erreicht, erreichen können. Die Gründe dafür darf man aber auch in der Dramaturgie dieses Abends suchen und wird prompt fündig. Smutny stellt verschiedene Elemente einer Aufführungssituation vor: es gibt auf der Audio-Ebene komponierte, improvisierte und präsentierte (elektronische) Klangsituationen. Anstelle aber deren Unterschiede und Möglichkeiten kreativ auszunutzen, nivelliert Smutny die Ebenen zu einem einzigen Strom aus unterkühlter Laptop-Musik, einem elend langen und undenkbar leisen Streichquartett und hinzusortierten Improvisationen an tape (Manuel Stagars) und Schlagzeug (Bernd Settelmeyer) - aber bitte vorsichtig und leise! Die Zaghaftigkeit wird hier zu einem Konzept, das scheitern muss, weil sie keine musikalische Kraft entfalten kann, erst recht nicht über eine solche Zeitspanne. Die Musik wird im Ansatz gleich weggepegelt, ausradiert oder unterdrückt und Smutny will sogar die Interpreten in seine Infragestellung von Musik einbeziehen: "Wie soll ich das bloß spielen?" - Den Musikern des Helios-Quartetts war ihr Bemühen um eben diese geforderte "Präzision des unsagbar schwer spielbaren Nichts" deutlich anzusehen. Für den Zuhörer bleibt leider wenig musikalisch Fühlbares neben der (nebenbei recht öden) Betrachtung dieses Kraftaktes über. Die Brücke zur Geschichte der Sheherazade, die um ihr Leben lesen muss, misslingt selbst noch in der Abstraktion gründlich mit all den Kratz- und Fiepgeräuschen, seien sie durch Streichbögen, durch Trommeln oder durch Sampler erzeugt. Hier liegt vermutlich der Hund begraben: keineswegs hätte ich mich so kritisch geäußert, wäre Smutny strikt bei dem geblieben, was er auch so schön im Programmheft ausführt, nämlich der kompositorisch-dramaturgischen Erforschung unterschiedlicher Präsentationsformen eines Live-Acts. Somit bleibt der visuellen Ebene die Aufgabe vorbehalten, sich der Protagonistin des Abends, der Königstochter Sheherazade, intensiv und kreativ zu widmen. Izy Kusche gelingt dies auch mit einer faszinierenden Bildsprache (und vor allem: in wenigen Minuten!) grandios. Allein die Musik läßt sich nicht abschalten - wozu bettet Smutny auch noch ein Streichtrio ein, nachdem er mit dem vorangegangenen Streichquartett exakt dieselbe Haltung in extremum schon einmal exerziert hat? Wenn dieser audio-visuelle Abend zur Absicht hatte, möglichst viele Fragen aufzuwerfen, so darf man das Vorhaben als gelungen bezeichnen. Musikalisch bereichernd war die Aufführung keinesfalls.

Abgründe und Anrufung

Dresdner Philharmonie brillierte mit Olivier Messiaens "Des Canyons aux Étoiles" in Hellerau

Ist es verwegen, einen unbestrittenen Höhepunkt der "Tage der
zeitgenössischen Musik" einem Komponisten zuzuordnen, dessen 100.
Geburtstag in diesem Jahr gewürdigt wird? Da steht Olivier Messiaens abendfüllendes Werk "Des Canyons aux Étoiles" wie ein
unverrückbares Bergmassiv zwischen all den Uraufführungen, Experimenten
und Entdeckungen und strahlt eine wohlige Wärme auf das ganze Festival aus. "Von den Schluchten zu den Sternen" - Messiaen nimmt den Hörer mit auf eine zehnsätzige Reise durch seinen Musikkosmos: Vorbei geht es an gedachten und erlebten Abgründen, respektvoll die Vögel beobachtend, durch alle Elemente und Philosophien hindurch hoch hinauf zu den Sternen, den Himmel schauend. Wie man das alles (und noch viel mehr) in ein textloses Orchesterstück packt? Das ist kaum zu beschreiben, aber es war am Mittwoch im Festspielhaus Hellerau in ganzer Schönheit zu erleben. Die erste Kooperationsveranstaltung zwischen dem Europäischen Zentrum der Künste und der Dresdner Philharmonie war ein voller Erfolg. Von nah und fern erschienen viele Freunde der großartigen Musik Olivier Messiaens. Eine Aufführung dieses 1974 uraufgeführten, enorm anspruchsvollen Werkes ist selten - die Philharmonie kann sich nach Marek Janowskis Sonderkonzert in der Kreuzkirche immerhin der zweiten Aufführung innerhalb von fünf Jahren rühmen. Dass kurz nach der Erstaufführung des Konzertes von Sofia Gubaidulina am vergangenen Wochenende nun ein weiteres großes Werk der zeitgenössischen Musik in bestechender Qualität gelang, spricht für die Flexibiliät und den Selbstanspruch des Orchesters. Mit Stefan Asbury am Pult besaß das Orchester zudem einen agilen, kundigen Leiter, der nicht nur die komplexe Rhythmik und die dynamische Balance der Instrumente gut organisierte, sondern durch deutliche Körpersprache immer wieder die emotionale Ebene unterstützte. Asbury ließ sich bei Übergängen genug Zeit, so dass das Stück (samt Musikern) atmen konnte und der jeweils nächste Abschnitt wieder genug Kraft zur Entfaltung erhielt. Geradezu magisch ist das Klavierspiel von Cédric Tiberghien zu nennen. Man vermutete fast, anstelle des Steinway-Schriftzuges auf dem Flügel wäre am Ende "Messiaen" erschienen, so souverän gestaltete der junge französische Pianist die beiden Solosätze und Dialogpassagen mit dem Orchester und verwandelte das Instrument in ein "Messiaen-Klavier", aus dem die Cluster, Vogelrufe und Schlagzeugklänge auf eine ganz natürliche Weise hervortraten. Dazu verlieh er den Motiven und Gestalten Leben durch einen höchst differenzierten Anschlag zwischen dem hörbaren Nichts und einem fortissimo, das in den Boden unter den Tasten einzuschlagen schien. Dieser Spielkultur stand der Hornist Simon Breyer in nichts nach. Sein "Interstellarer Ruf", der 6. Satz des Werkes, war eine superbe Demonstration erstklassigen Hornspiels und wurde von Breyer als intime Äußerung einer einzelnen Stimme herausragend ausgeformt. Der Satz erhielt somit als Rückblick (in die Canyons) und Ausblick (zu den Sternen) zugleich die zentrale Stellung im ganzen Werk. Überhaupt wurde angesichts des funkelnden Spieles der Solisten und des Orchesters klar, wie nah Messiaens Musik an gesprochener Sprache und mitteilender Aussage liegt. Wenn einmal die Schwierigkeiten der Interpretation überwunden sind und die Akkorde und Melodien frei zu schwingen beginnen, eröffnen sich neue Universen. Auch die Schlagzeuggruppe "Glorious Percussion" bereicherte die Aufführung mit der Gestaltung von Gamelan-Abgründen und ornithologischen Xylorimba-Erkundungen. Diese Darbietung von "Des Canyons aux Étoiles" war ein würdiges Jubiläumskonzert für einen Komponisten, der die Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert maßgeblich mitgeschrieben hat.

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