Dienstag, 26. August 2008

Hingabe an die Musik

Sir Colin Davis und das Gustav Mahler Jugendorchester in der Semperoper

Es ist ein Geschenk für einen jungen Musiker, in einem der besten Jugendorchester Europas, wenn nicht gar der Welt mitspielen zu dürfen. Hat man sich beim Gustav Mahler Jugendorchester diese Möglichkeit durch Erfüllung der harten Aufnahmekriterien einmal erarbeitet, so ist die Erfahrung der Mitwirkung an einem der Projekte des Orchesters sicherlich prägend für die weitere Entwicklung, denn eine jede Projektphase ist einzigartig: weder im Alltag einer Hochschule noch im späteren Berufsleben, möglicherweise in einem Profiorchester, gelingt eine solch hochklassige, intensive Arbeit an einem Konzertprogramm erneut, davon kann man angesichts der schnellebigen Zeit und der engen Terminpläne von Musikern heutzutage ausgehen. Man darf sogar durchaus nachdenklich werden, wenn man erstaunt feststellt, dass manche Interpretationen dieses Jugendorchesters Referenzaufnahmen oder Konzertdarbietungen der "Profis" mühelos in den Schatten stellen. Noch staunenswerter wird dieser Umstand, wenn man bedenkt, dass sich dieses Orchester in der Besetzung ständig auswechselt, aber vielleicht liegt genau darin auch der Reiz: das Unmögliche möglich machen, einmal für die Musik alles geben. So war es auch am Sonntag im Semperbau. Zur Eröffnung der neuen Konzertsaison der Sächsischen Staatskapelle gastierte das Gustav Mahler Jugendorchester unter Leitung von keinem geringeren als dem Ehrendirigenten der Kapelle, Sir Colin Davis. Der junge aufstrebende Geiger Nikolaj Znaider war der Solist in Ludwig van Beethovens Violinkonzert D-Dur, Opus 61. Schon die sorgfältig modellierte Exposition des 1. Satzes ließ Großes erahnen, Znaider selbst tauchte mit dem Solopart wie aus dem Nichts auf und empfing den Zuhörer gleich mit einem sicher geführten, romantisch empfundenen Ton. Dieser Lyrismus zog sich durch alle drei Sätze und wurde von Znaider nur selten mit Dramatik versehen, wenn doch, dann war wie in der Kadenz des letzten Satzes jederzeit überlegene Kontrolle über jeden Strich, jeden Ton spürbar. Dies ergab gemeinsam mit dem tadellos begleitenden Orchester eine nahezu perfekte Interpretation, die aber niemals glatt wirkte. Im zweiten Satz berührte Znaider die unteren Tempogrenzen mehrfach, doch die beibehaltene starke Ausgestaltung der Melodiephrasen ließ nie den Fluss stocken. Dieser konsequente sanft-samtige Charakter der Interpretation war eine überraschende Ausdeutung des Konzertes und gelang überzeugend. Nordisch ging es nach der Pause weiter, die 2. Sinfonie D-Dur von Jean Sibelius ist nicht unbedingt als "Klassiker" auf den Programmen zu finden - in der zerklüfteten, melancholischen und erst am Ende von strahlendem Licht durchzogenen Partitur muss man die zahlreichen klanglichen Schönheiten erst zum Leben erwecken. Sir Colin Davis dirigierte das Werk nicht, er zelebrierte es, und das ging mächtig unter die Haut. Immer wieder spornte er das Orchester zu kraftvollen Steigerungen an und beflügelte vor allem den großen Legato-Atem der strömenden Melodien. Man wusste kaum, wohin man zuerst sein staunendes Ohr halten sollte: zum vollkommen satt und voluminös erzeugten Streicherklang, zum perfekt ausgehörten Blechbläsersatz oder zu den souveränen Holzbläsersoli. Hier stimmte einfach alles, und Davis schaffte es, mit den Musikern die kantige Form des Werkes bis zur Schlussapotheose unter enormer Spannung zu halten. Die völlige Verausgabung in dieser Aufführung war ihm beim donnernden Schlussapplaus anzumerken - wenn Musik zu so einem lebendigen, tiefgehenden Erlebnis wird, dankt man es ihm und dem Orchester gerne lautstark.

Eigenwilliger Brahms

Thomas Zehetmaier und das Kammerorchester Basel in der Frauenkirche

Vor zwei Jahren gastierte das Kammerorchester Basel bereits in der Frauenkirche, unter Leitung von Paul McCreesh brachte es damals ein Mozart-Programm zu Gehör. Beim erneuten Gastspiel am Sonnabend trat das international renommierte Ensemble in großer Besetzung an, und offenbar hatten die beim letzten Gastspiel besetzten Musiker nicht nur bei ihren Kollegen von der Frauenkirche geschwärmt sondern diese auch über die akustischen Verhältnisse in Kenntnis gesetzt, anders ließe sich die unbekümmerte und staunenswerte Spielfreude des nunmehr in spätromantischer Orchesterstärke angetreten Ensembles nicht erklären. Für den erkrankten Paul McCreesh stand Thomas Zehetmaier am Pult, den viele sicherlich zum ersten Mal als Dirigenten erlebt haben dürften. Obwohl der Allround-Musiker schon seit sechs Jahren Chefdirigent der britischen Northern Sinfonia ist, ist er dem Publikum weltweit vor allem als Geiger der Spitzenklasse bekannt. In der Frauenkirche stellte er zunächst eine Rarität vor, die Ouvertüre "Ein feste Burg ist unser Gott" von Joachim Raff, eines Komponisten, der zumeist im Schatten von Liszt und Brahms stand und wirkte. Der Einsatz für dieses Stück war bemerkenswert und die Interpretation höchst aufmerksam. Allerdings wird diese protestantische Ouvertüre auch heutzutage nicht viel mehr Freunde finden als vor 142 Jahren, dem widerspricht schon die kaum aufregende Themenverarbeitung: der allseits bekannte cantus firmus verschwindet eine Viertelstunde im kontrapunktischen Niemandsland, um dann kurz vor Schluss im bekanntem Gewande wiederaufzutauchen: Coda fortissimo, Applaus. Zur Demonstration der hohen Spielkultur des Kammerorchesters Basel taugte die Ouvertüre allemal. Ganz anders ergeht es der Rezeption der "Rokoko-Variationen" von Peter Tschaikowsky. Da der russische Komponist sich nicht zu einem "echten" Cellokonzert hat hinreißen lassen, ist das liebliche Gelegenheitswerk ins Repertoire nahezu aller großen Cellisten eingegangen. Dass eine intelligente Interpretation dieses Werkes die Partitur aber von der ersten bis zur letzten Note spannend machen kann, bewies der holländische Cellist Pieter Wispelwey. Den Begriff Rokoko verstand dieser vor allem als zwingende (nicht gezwungene) Verspieltheit, die derbe und sogar surreal wirkende Töne mit einschloss - in Wispelweys fantastischer Phrasierung glaubte man einem Märchenerzähler zuzuhören und wurde in ferne Welten getragen. Nicht immer gelang dem Kammerorchester eine ebenso zauberhafte Begleitung, auffällig war, dass das Orchester an einigen Stellen schneller auf den Solisten reagierte als Zehetmaier selbst. Diese Unsauberkeit im metrischen Bereich setzte sich im Schlusswerk leider fort. Sicherlich wollte Zehetmaier mit flexiblen Tempi in Johannes Brahms' 1. Sinfonie eine interessante Deutung formen, ihm entglitt aber zu oft die rhythmische Struktur des Werkes, die polyphonen Stimmen passten nicht übereinander. Zudem litt das Werk entweder unter Verlangsamung (im doch sehr stückhaft musizierten 2. Satz) oder unter plötzlichen "Rasanti", die in keiner Weise durch die Partitur gerechtfertigt waren. So verlor die gar nicht sostenuto genommene Einleitung der Sinfonie ihre insistierende Haltung, das Allegro-Thema des 4. Satzes trieb gefährlich voran. Wurde die Musik leise, verlor Zehetmaier an Tempo, baute sich ein Tutti auf, schlingerte sie aus dem Ruder. Sicherlich darf man solch eine Interpretation als eigenwillig betrachten, famos ist dabei aber die konzentrierte Folgsamkeit des Ensembles zu nennen, das zudem mit wunderschönen Horn- und Flötensoli in der Sinfonie glänzte und immer wieder zu differenziertem, klangintensivem Spiel fand.

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