Freitag, 24. August 2007

Großartige Künstlerin

Midori gastierte im Palais im Großen Garten

In diesem Jahr hat sich der MDR Musiksommer für Dresden die "Perlen" aufbewahrt: Eröffnung und Abschluss des Festivals in der Frauenkirche, dazu ein Höhepunkt im Palais im Großen Garten. Am Donnerstagabend gab dort die Ausnahmegeigerin Midori ein Recital. Die Zuhörer erlebten ein Konzert ersten Ranges, das zwei außergewöhnliche Künstler zusammenbrachte. Es muss bei der Betrachtung des Konzertes von vornherein von beiden gesprochen werden, denn der Begleiter Charles Abramovic gehört zu den Weltbesten seiner Zunft, und eine solche Homogenität, eine nahezu traumwandlerische Ergänzung der interpretatorischen Absichten erlebt man wirklich selten. Die Idee von partnerschaftlicher Kammermusik wurde hier in besonderem Maße plastisch. Das manifestierte sich bereits in der A-Dur-Sonate von Johannes Brahms. Im Überblick seines Sonatenschaffens ist diese Sonate sicherlich das lyrischste, wärmste Exemplar, welches nur im Mittelsatz zwischen zwei gegensätzlichen Stimmungen pendelt. Midori und Abramovic zeigten viel Liebe zum Detail ohne den großen Bogen zu verlieren, ruhig und mit Sinn für die unterschiedlichen Emotionen des Werkes gestaltete Midori die Themen aus. Eine echte Entdeckung stellt die 2. Sonate "Sonate mystique" von Ernest Bloch dar. Große Kantilenen spannen sich über einen rauschhaften Klaviersatz mit spannenden harmonischen Wendungen. In verschiedenen Wellen steigert sich das Werk bis zu ekstatischem Gesang, den Midori mit vollem Körpereinsatz Nachdruck verlieh. Die Gegenüberstellung von Geigenkammermusik von Robert Schumann und Franz Schubert bestimmte den zweiten Teil des Konzertes, auch hier hatte man permanent das Gefühl einer völlig überlegenen Durchdringung der Werke. Wenn überhaupt ein Manko festzustellen war, dann jenes, dass das konsequente Bemühen um weichen Klang und Schönheit der Melodie auf Dauer doch zu glatt wirken kann. Robert Schumanns "Phantasiestücke" sind aber in dieser Hinsicht auch nur begrenzt in Extreme auszuweiten, und Midoris wundervolle Klangbehandlung des Instrumentes ließ genussvolles Zurücklehnen zu. Franz Schuberts große Phantasie C-Dur erfordert hingegen die Virtuosin, noch dazu sparte der Komponist nicht an einem geradezu frechen Klaviersatz - staunend betrachteten die Zuhörer, mit welch grenzenloser Entspannung Midori und Abramovic auch in den zahlreichen Verstrickungen des Variationssatzes zu Werke gingen. Besonders bemerkenswert war die Einleitung der Phantasie, in welcher Abramovic im leisesten Spektrum nuancenreich gestaltete und so Midori jederzeit Freiheit zur Entfaltung ließ. Kleine Piècen von Glasunow und Kreisler beendeten ein großes Konzert einer gereiften und großartigen Künstlerin.

Musiktheater (er-)denken

Die Hellerauer Sommerakademie erfindet und betrachtet Kunst

Rauchend sitzen einige junge Teilnehmer der Sommerakademie auf der Treppe vor dem Festspielhaus Hellerau. Wer keine Zigarette hat, dem raucht sicherlich der Kopf, was bei dem Programm der erstmalig durchgeführten einwöchigen "Sommerakademie Hellerau" aber eher eine durchaus erwünschte Begleiterscheinung ist: Morgens gibt es theoretische Vorträge, mittags und nachmittags Projektvorstellungen oder -entwicklungen und abends Konzert oder Lesung. Doch bei dieser Akademie geht es nicht um die Verfeinerung des Virtuosenspiels auf einem Instrument, sondern vor allem um die Entwicklung eines künstlerischen Prozesses, um Begegnung, Kontakt und Austausch von Positionen. An dieser Stelle trifft Hellerau wieder auf seinen Ursprung, auf den Diskurs zwischen Kunst-Denkenden und Kunst-Schaffenden. Dass bei dieser Akademie also Komponisten, Tänzer, Regisseure und bildende Künstler gemeinsam arbeiten, ist nicht Hindernis, sondern Bereicherung. Der Untertitel "Klang-Raum-Bewegung" weist auf das experimentelle Musiktheater hin, das im Mittelpunkt der Akademie steht. 60 aktive Teilnehmer, Dozenten und Musiker zählt die Akademie, damit sei für einen auf den Weg zu bringenden produktiven Prozess die Höchstgrenze erreicht, so Marion Demuth, die für das Konzept der Akademie verantwortlich zeichnet. Neben der Präsentation von aktuell für Hellerau in der Entstehung begriffenen Projekten gibt eine sogenannte "Projektbar": ein offener Raum zum Experiment. Quasi in Fortführung des früheren Stipendiatenprogramms wird diese Sommerakademie unter der Mentorschaft des Komponisten Manos Tsangaris eine Aufführung für die nächste Akademie erarbeiten. Platz zum Erdenken von Situationen, Modellen, Konzepten ist in dieser Woche reichlich vorhanden. Am Mittwochnachmittag erläuterte beispielsweise die Komponistin Elena Mendoza-Lopez mit dem Team ihres Musiktheaters "Niebla" (UA am 29.9.2007 im Festspielhaus Hellerau) den Entstehungsprozess, bei dem von Anfang an Komponist und Regisseur, sehr bald auch Bühne und Kostüme einbezogen waren. Dabei wurden recht schnell die Unterschiede zwischen der institutionalisierten Oper und dem zeitgenössischen Musiktheater, das mit jedem neuen Werk Bühne, Raum, Kostüm, Musik und Darstellung neu erfindet, deutlich, denn der "traditionelle" Opernauftrag verlangt vom Komponisten lediglich eine fertige Partitur, danach stürzt sich ein Regieteam darauf und oftmals stimmen die Visionen des Künstlers mit den Realitäten des Bühnenbetriebes recht wenig überein. Wichtig war in dem Zusammenhang die Aussage des Dirigenten Titus Engel, dass das Nachdenken über Musiktheater parallel zu neuen Projekten entwickelt werden müsse und möglicherweise so bessere Bedingungen für zeitgenössisches Musiktheater geschaffen würden, denn der starre Opernbetrieb läßt Experimente kaum zu. Die Sommerakademie bildet so einen lichten Ort von Kunstentstehung und deren Betrachtung. Leider geschieht dies etwas unbeachtet vom Dresdner Publikum, das aufgefordert sein müßte, den neuen Dresdner Kunst-Ort Hellerau in Beschlag zu nehmen. Damit im Vorort kein denkender Kokon entsteht, werden die Akademie-Projekte bald schon tönende Wirklichkeit - als nächstes bei den 21. Tagen der zeitgenössischen Musik (29.9.-7.10.07), denen viele offene Zuhörer zu wünschen sind.

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