Mittwoch, 2. Mai 2007

Silvestrov - 6. Sinfonie

Manch zeitgenössischer Kollege mag mich nun vielleicht verfluchen, weil ich wieder für "schlabbrige Postmoderne" Werbung mache, aber nichts ist ekliger als solche Kategorisierungen itself, also los:
Meine CD des Monats, wenn nicht die Entdeckung des Jahres 2007 bis dato wäre diese hier:

Valentin Silvestrov, 6. Sinfonie (1994/95), SWR SO Stuttgart, Leitung Andrej Boreyko (ECM).
Ich kannte Silvestrovs Musik schon früher, allerdings vor allem die 2. und 4. Sinfonie, die in einem rebellischen, avantgardistischen und sehr emotionalen Stil verfasst sind. Wie viele andere Komponisten im Osten muss auch Silvestrov eine "Wende" im OEuvre erlebt haben hin zu einer Art Postmoderne, die sich in Polen noch im Pathos äußert, aber bei diesem Ukrainer schon die Barriere zur Weisheit genommen hat. Anders wäre diese fabulöse, lichte und doch sehr klug angelegte 6. Sinfonie mit ihren vier luziden Ecksätzen und einem fast halbstündigen Koloss in der Mitte nicht zu erklären. Der Film zu dieser Musik scheint noch nicht zu existieren, und doch sehe ich ihn schon. Möglicherweise hat er keine Handlung, sondern ist nur eine Betrachtung, ein langes, gedehntes Nachdenken, Nachsinnen, Anfühlen. Und wer mir nun nach dem Hören sagt "Das klingt ja wie Mahler" hat Recht, aber wenn ihm dies als einziges einfällt, tut derjenige mir leid...

Zum Geburtstag Schubert und ein Ehrendoktor

Peter Gülke dirigierte die Hochschulmatinee in der Semperoper

Normalerweise stehen bei den Konzerten des Hochschulsinfonieorchesters die jungen Musiker im Mittelpunkt des Geschehens, am Sonntagvormittag war es in der Semperoper ein bißchen anders: Die große Aufmerksamkeit galt dem Dirigenten der Matinee, der zwar notwendigerweise die konzentrierten Blicke der Musiker auf sich gerichtet sieht, aber sich ansonsten mit Leidenschaft in den Dienst der Musik stellt, und dies in Schrift, gesprochenem Wort und natürlich in Tönen auf einem herausragenden qualitativen Niveau. Dem Musikwissenschaftler und Dirigenten Peter Gülke, der am Konzerttag übrigens seinen 73. Geburtstag feierte, wurde im Anschluss an die Matinee die Ehrendoktorwürde der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden verliehen - ein Zeichen des Dankes und der besonderen Verbundenheit mit dem Institut, aber eben auch eine besondere Würdigung eines Lebenswerkes, das Studenten, Musikern und Musikwissenschaftlern, aber auch interessierten Laien zugute kommt, denn Gülke liegt es stets an Verständlichkeit und Plastizität bei seiner Arbeit. So trifft man in einer Ringvorlesung Beethoven und Schubert in den Gassen von Wien, bewundert seine Plädoyers für Zeitgenössisches ebenso wie unzählige außergewöhnliche Ausgrabungen der Musikgeschichte, die Gülke sowohl verlegerisch als auch durch Aufführungen und Einspielungen dokumentierte. Die musikalischen Spuren Gülkes in Dresden gehen zurück auf seine Tätigkeit an der Sächsischen Staatsoper ab 1976, schon damals leitete er auch das Hochschulsinfonieorchester, sein weiterer Lebensweg führte über Weimar, Wuppertal und Freiburg nach Berlin, wo er heute als freier Musiker, aber eben auch als gefragter Dozent lebt. Für die Studenten ist seine stetige Rückkehr an die Hochschule in Dresden ein Glücksfall - im Konzert am Sonntag standen folgerichtig für Gülkes Arbeitsschwerpunkte Werke von Beethoven, Schubert und eine Uraufführung auf dem Programm. Stephan Lewandowskis "Moments musicaux. Détails de l'éternité" war eine klug gearbeitete Klangstudie, die sich aber nur selten zu tieferer Emotion aufschwang. Das lag vor allem am karg behandelten harmonischen Material, das viele Rotationen und Varianten aufwies, aber sich innerhalb des Stückes nicht zu dramaturgisch plastischen Verläufen entwickelte. So entstand der Eindruck eines steinigen Klangfeldes zwischen Statik und (leichter) innerer Unruhe. Im Violinkonzert von Ludwig van Beethoven war sogleich bemerkenswert, mit welcher Akribie Gülke den Orchesterpart vorbereitet hatte, viele Details waren zu hören und Gülke verlegte sich niemals auf einen reinen Begleitapparat, sondern hatte eine Menge mit dem Orchester zu sagen. Auffallend waren die gemäßigten Tempi aller drei Sätze, wobei der 3. Satz nur noch mit Mühe als Allegro wahrnehmbar war. In den anderen beiden Sätzen störte diese Ruhe weniger, denn Gülke und die hervorragende Solistin Fanny Fröde (Klasse Prof. Ivan Zenaty) konnten so vieles ausspielen. Bei Frödes sehr intensivem Klang, selbstverständlicher Sauberkeit und makelloser Technik entfaltete sich die Partitur sehr natürlich. Im Kopfsatz allerdings hätte sie mehr Piano-Kultur zeigen können, manche Passage wurde von ihr mit zuviel Kraft unterlegt. Traditionell werden jedes Jahr im Rahmen einer Matinee zwei Stipendien der Stiftung für Kunst&Kultur der Stadtsparkasse Dresden verliehen. In diesem Jahr dürfen sich Kateryna Titova (Klavier, Klasse Prof. Zenziper) und Jörg Genslein (Chordirigieren, Klasse Prof. Rademann) über die Auszeichnung freuen, beide wurden für ihre herausragenden musikalischen Leistungen innerhalb und außerhalb der Hochschule geehrt. Zum Abschluss zeigte das Hochschulsinfonieorchester eine gute Gesamtleistung in Schuberts "Großer" C-Dur-Sinfonie. Peter Gülke dirigierte sehr flexibel, strukturierte die Teile deutlich und ließ immer wieder Raum für melodische Entfaltung in den diesmal gut disponierten Orchestergruppen, ein anspruchsvolles Konzert fand damit einen harmonischen Abschluss.

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