Sonntag, 20. Dezember 2015

In den Lücken der Verzweiflung

Premiere von Friedrich Goldmanns Opernphantasie "R. Hot bzw. Die Hitze" in Semper 2

Nach fünf Jahren Ehe wird die so genannte "Holzhochzeit" gefeiert. Da wird nicht nur auf Holz geklopft, das Holz ist auch das Symbol für Bestand und Festigkeit. Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren wurde an der Semperoper die kleine, feine Bühne Semper 2 eröffnet, um vor allem Kammer- und Barockoper, aber auch Nachwuchstalenten und Experimentellem ein Podium zu bieten, und damit eben genau die vielschichtigen, intimen Musiktheaterformen zu ergänzen, die im großen Haus ungeeignet wären, aber doch zwingend zu einem führenden Opernhaus dazugehören.

Die erste Semper 2-Premiere der Saison 2015/2016 war am vergangenen Freitag die 1971-74 und drei Jahre später an der Berliner Staatsoper uraufgeführte entstandene Oper "R. Hot bzw. die Hitze", das einzige Werk dieser Gattung des 2009 verstorbenen Komponisten Friedrich Goldmann, dessen Werke auch in Konzerten der Musikhochschule jüngst vorgestellt wurden. Bei der Wiederentdeckung oder -erweckung von in der DDR entstandenen Musiktheaterwerken ist die erste zu stellende Frage für Regisseur wie Publikum: was bedeutet uns ein solches Werk heute? Warum bringen wir es auf die Bühne? Vor allem im Mut zum Ausstellen des Widerspruchs, zum Kante-Zeigen und in der Feststellung, dass das Ziel eines gelungenen Opernabends seltenst durch ein perfektes Drama erreicht wird (was wäre dies überhaupt?), lag die Stärke der Entscheidung für dieses Goldmann-Werk. Denn sowohl Goldmann als auch der die Vorlage liefernde Jakob Michael Reinhold Lenz nennen ihr Kunstwerk "Phantasie" und legitimieren damit einen freien, in Gedanken strömenden Vorgang und Umgang mit Themen, der in einem Nummernballett unglaubwürdig erscheinen würde. Dazu passt Goldmanns Musik "in über einhundert Posen".

Tatsächlich sind es 112 Szenen, die hier mal in fließendem Übergang, mal mit scharfem Schnitt aneinandergereiht sind, und die trotzdem ein Ganzes ergeben, vor allem auch, weil Regisseur Manfred Weiß dem unaufhörlich sich steigernden Zug des Stückes folgt, das regelrecht in ein Finale hineinkippt, dessen Charakter zwischen Hölle und Satire schwankt - eine uns in heutigen Tagen seltsam bekannte Emotionsachterbahn. Lenz' Drama, dem Goldmanns Librettist Thomas Körner 1974 eng folgte, konzentriert sich stark auf die Person des jungen Robert Hot, seinem Schicksal und vor allem seiner Vaterbeziehung. Die Konzentration wird von Goldmann in die Partitur aufgenommen: nur ein Bläserquintett samt Kontrabass und E-Orgel sitzt da, aber wie unendlich farbig Goldmann die sieben Musiker, die auch Maultrommeln und zahlreiche Percussion bedienen, be- und ausnutzt, das ist absolut hörenswert. Regisseur Manfred Weiß tat gut daran, die Charakterlinien des Robert Hot zwischen Fremd- und Eigenbestimmung verfolgbar zu machen, indem recht spartanisch agiert wird im Semper 2-Kubus. Ein schwankender - nichts ist in diesem Stück von Sicherheit - Quader dient als Palast oder Gefängnis, Bühne und Kostüme (Timo Dentler, Okarina Peter) lenken nicht ab, sondern vermitteln einen klaren Bewegungs- und Haltungsraum. Videos von unangenehm vor dem Auge rotierenden Plattenbaufassaden oder sich bewegenden Vorhängen deuten ebenfalls auf die permanent vorhandene latente Unruhe im Stück hin.

Robert Hot gewinnt die Sympathien der Zuschauer, schon allein durch die von Lenz subtil gestaltete Befreiungsaktion vom Vater. Was der ansonsten an der Kölner Oper wirkende Tenor Martin Koch, den man als Gast erstmals in Dresden erlebte, aus seiner ohnehin stimmlich halsbrecherischen Hauptrolle als Robert Hot auch darstellerisch herausholt, ist nur phänomenal zu nennen - ist er doch in den 90 Minuten auch permanent präsent auf der Bühne. Peter Lobert gibt stimmlich wie körperlich den überzeugenden Übervater, Tom Martinsen den hemdsärmeligen Mitläufer Lord Hamilton und die Britin Menna Cazel (Junges Ensemble der Semperoper) glänzt mit idealisiertem Mädchen-Pink, aber auch mit bezirzender Stimmkunst - weiterhin wirken in kleineren Rollen Allen Boxer und Michael Kranebitter mit. Die kleine Abordnung der Sächsischen Staatskapelle samt Akademisten ist unter Max Rennes umsichtiger Leitung hochmotiviert und bringt Goldmanns Kamikaze-Arabesken noch im richtigen Taktmaß unter. Wenn überhaupt ein Wunsch offenbleibt bei dieser ver-rückten Oper, die ihre stärksten Momente in den von Regisseur Weiß wie auch von Goldmann in den Fokus gerückten Lücken der Verzweiflung hat, dann der, dass die Dosis der Abstraktion, der Überwältigung noch hier und da stärker ausfallen dürfte, um dem Stück auch seine schwachen Momente zu nehmen.

Der etwas angestaubt-bemühte Rocksong-Einspieler etwa hätte noch mindestens einen Esslöffel Wahn mehr ausgehalten. Überraschend blieb am Ende des Abends wieder einmal die Erkenntnis, dass bei allem politischen Stichen, die Goldmann auch in diesem Stück mit aller damals gebotenen Vorsicht setzt, Robert Hots von Lenz vorgesehene Selbstrichtung am Ende durch einen hoffnungsvollen Neuanfang des Paares ersetzt wird. In Hanns Eislers "Ernsten Gesängen" heißen die letzten Zeilen des Sängers "Was auch ohne ihn blüht, preist er, künftigen Glückes gewiß." - Friedrich Goldmann nimmt mit Robert Hot das Schicksal am Ende selbst in die Hand: "Behaltet Euren Himmel für Euch!"
Alexander Keuk

Weitere Aufführungen: 12./14./17./20./21.1.

(14.12.2015)

Blütezeit der Spätromantik

Rachmaninow, Elgar und Sibelius im 4. Kapell-Sinfoniekonzert

Zwischen 1899 und 1909 sind die drei sinfonischen Werke entstanden, die bei der Staatskapelle Dresden im 4. Sinfoniekonzert der laufenden Saison auf den Pulten lagen - der Zeitraum benennt eine Blütezeit der Spätromantik, in der auch die meisten Sinfonien von Gustav Mahler oder sinfonische Dichtungen von Richard Strauss veröffentlicht wurden. Sergej Rachmaninow, Edward Elgar und Jean Sibelius in einem Programm gegenüberzustellen bot also reizvolle Bezüge, beispielsweise im Einbezug der nationalen Schulen und weitreichenden Musiktradition der jeweiligen Länder.

Thematisch war der erste Teil des Konzertes dem Meer gewidmet - in Rachmaninows berühmter, 1909 beim Aufenthalt in Dresden vollendeter sinfonischen Dichtung "Die Toteninsel" nach dem Gemälde von Arnold Böcklin sind die Wogen durchweg spürbar und durchaus von Lebendigkeit durchzogen, bei Böcklin liegt das Wasser still. Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, Donald Runnicles, gastierte wieder einmal im Kapellkonzert und wollte wohl zu Beginn für eine passende, kontemplative Stimmung sorgen. Etwas zuviel Ordnungswille im ersten Drittel führte aber genau zum Fehlen des Klangschmelzes, der eine spannungsvolle, zur Steigerung taugende Atmosphäre hervorrufen würde. So kam Runnicles mit dem Orchester erst ab dem zweiten Höhepunkt des Werkes wirklich in Schwung, waren auch immer wieder kleinste Schwankungen im Tempo und im Zusammenspiel zu beobachten.

Edward Elgars Orchesterlieder "Sea Pictures", Opus 37 sind auf der britischen Insel weitaus häufiger zu hören als hier - See und Se(e)hnsucht liegen uns Kontinentalbewohnern nicht so sehr im Blute, als dass wir eine manchmal mit gehörigem Pathos verbundene Meereslyrik als allererste Vorliebe nennen würden. Die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill zeigte sich vertraut mit den Liedern und gestaltete sie farbenreich und technisch mühelos - ihr Timbre mit einer schon etwas fahl-eisernen Tiefe mag zwar gewöhnungsbedürftig sein, aber für die zum Teil balladesken Lieder passte die Interpretation. Den üppigen Orchesterpart hatte Runnicles vorsichtig sachwaltend in der Hand, viele Details dieser Meeresmusik kamen so gut zur Geltung. Dass Jean Sibelius in dieser Komponistenrunde als fortschrittlichster Kandidat wirken musste, ist kein Geheimnis: wer solch eine ruppig-schöne Sinfonie als Erstling auflegt, zeigt trotz mancher im Stück verarbeiteten Vorbilder der Tradition einen großen Mut.

Ein herrliches Klarinettensolo (Robert Oberaigner) leitete die Sinfonie ein, schwungvoll nahm Runnicles das Allegro des ersten Satzes auf. Erneut waren hier kleine Mängel in der Homogenität und im fließenden Zusammenspiel der Orchestergruppen spürbar und trotz vieler wirklich traumhaft schöner Stellen vor allem im 2. und 3. Satz kam die letzte, zwingende Kraft der Interpretation nicht zustande. Der von vielen Kontrasten und Stimmungsumschwüngen bestimmte 4. Satz wurde von Runnicles kaum atmend in den Übergängen durchgezogen, so dass sich die Intensität des Spiels nicht an allen Stellen frei entfalten konnte, auch fehlte vielen Holzbläserpassagen im Tutti die glänzende Präsenz. Erst zum von Sibelius fahl auskomponierten Abgesang der Sinfonie am Ende des Finales stellte sich wieder eine Hochspannung ein, die man vorher in der Aneinanderreihung schöner Augenblicke vermisst hatte; insgesamt hätte diese starke, eigentlich im Kontext auch sensationell neutönende Sinfonie mehr Innenbetrachtung verdient, die zu Atmosphäre und Spannung beigetragen hätte.
(30.11.2015)

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