Samstag, 24. Oktober 2015

Blick nach Rumänien

Uraufführungen von Doina Rotaru und Violeta Dinescu im Sinfonietta-Konzert

Bei der Fülle an Musik auf dieser Welt erscheint es seltsam, dass sich in den Konzertsälen ein Kanon mitteleuropäischer Musik herausgebildet hat, bei dem nur selten - und dann meist mit dem wörtlich zu nehmenden Begriff des Außergewöhnlichen einhergehend - Grenzen gesprengt und Horizonte erweitert werden. Für das Ensemble Sinfonietta Dresden ist das Besondere selbstverständlich - seit Jahren erkunden die Musiker nicht nur die zeitgenössische Musik in unserer direkten Umgebung, sondern widmen sich auch den musikalischen Landschaften in Osteuropa. Innerhalb der Reihe KlangNetz-Konzertreihe "An die Freunde" kam es am Donnerstagabend in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene-Museum zu einer intensiven Begegnung mit der Musik in Rumänien.

Sinfonietta Dresden beschränkte sich nicht auf die bloße musikalische Darbietung - die beiden rumänischen Komponistinnen Doina Rotaru und Violeta Dinescu steuerten je eine Uraufführung bei und standen auch vor und nach dem Konzert zum Gespräch zur Verfügung - dazu lud Dirigentin Judith Kubitz am Ende des Konzertes zu rumänischem Rebensaft ein. Das war am Ende eine willkommene Abrundung eines musikalischen Abends, der sich auch musikalisch vollmundig und apart gab: George Enescus in seiner radikalen Einstimmigkeit einzigartiges "Prélude à l'unisson" aus dessen 1902 entstandener 1. Orchestersuite rahmte das Konzert, im Mittelpunkt stand Debussys berühmtes "Prélude à l'après-midi d'un faune" (1894) - Stücke, die für die beiden rumänischen Komponistinnen, die derselben Generation angehören, einen besondere Rolle in ihrem Schaffen spielen.

Doina Rotaru (*1951) lebt noch heute in Bukarest, während Violeta Dinescu (*1953) in den 80-er Jahren nach Deutschland übersiedelte. Was alle Kompositionen einte, war eine faszinierende Farbigkeit und Sinnlichkeit im Umgang mit sehr verschiedenen Orchesterbesetzungen - von der aus Bautzen stammenden Dirigentin Judith Kubitz wurde das höchst sorgfältig und mit viel Lebendigkeit zu überzeugendem Klangcharakter angeleitet. Doina Rotarus Ensemblestück "Centrifuga" etwa verlor auf diese Weise nie den leichten, spielerischen Charakter im Umgang mit Geschwindigkeiten und rotierenden Rhythmen.

Violeta Dinescus "Akrostichon" hingegen bildete sofort einen Kontrast in einer fast episch zu verstehenden, zerklüfteten und auch zeitlich gedehnten Klanglandschaft, deren Zusammenhang sich schwieriger erschloss. Stetig sah man sich mit neuen Tongebirgen konfrontiert, in der die phantasievoll auskomponierte Klangfläche dominierte. Wiederum erfrischend anders gab sich Dinescus Filmmusiksuite zu Friedrich Wilhelm Murnaus "Tabu" als Beweis, dass sich zeitgenössisches Musikdenken und eine handwerklich sauber zu absolvierende Begleitmusik nicht ausschließen. Im an Höhepunkten reichen Konzertabend war das in seinen Zeitmaßen sehr kompakt komponierte Klarinettenkonzert von Doina Rotaru "Fragile II" eindrucksvoll in einer stark emotionalen Interpretation, die vom Solisten Emil Visenescu ausging und sich sofort auf das feinsinnig musizierende Ensemble übertrug.

Danach hatte es Enescus wiederholtes "Prélude" leicht und klang plötzlich ganz anders als bei der ersten Runde: Was zu Beginn noch neu und fremd war, klang auf den gleichen Saiten gespielt anderthalb Stunden später viel vertrauter. Man hatte Freundschaft geschlossen mit der erfindungsreichen, den Melos und die eigene Tradition nie vergessenden rumänischen Musikkultur.

Musik bewahren und zugänglich machen

Das Deutsche Komponistenarchiv in Hellerau wird zehn Jahre alt

"Meine Zeit wird kommen." formulierte Gustav Mahler einst und er hatte Recht behalten. Ob sich Mahler beim Verfassen dieses Satzes in einem Brief an seine Frau Alma darüber Gedanken gemacht hat, was mit seinen vielen Noten und Skizzen, Briefen und Entwürfen einst geschehen wird? Er dürfte Glück gehabt haben - das Zusammenspiel von Verlagen, Archiven und Bibliotheken ermöglicht heute den tiefen Einblick in sein Musikdenken. Doch nicht jeder Fall ist so einfach: oft landen Nachlässe auf Dachböden, hat sich der Komponist selbst gar nicht zu Lebzeiten um seine kiloschweren Partituren gekümmert und eine Aufbereitung fällt erst recht schwer, wenn Rechte, Erben und ein in alle Welt verstreutes Material zu berücksichtigen sind.

Den Handlungsbedarf für die Gründung eines Deutschen Musikarchives sah Komponist Harald Banter, Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates, als er selbst Materialien seines Freundes Georg Haentzschel, einem der großen Komponisten im UFA-Filmgeschäft in den 30er- und 40er-Jahren, erhielt. Es sollte ein Archiv entstehen, das allen bedeutenden deutschen Komponisten offensteht, gleich in welchem Genre sie tätig waren oder sind. Das Deutsche Komponistenarchiv wurde 2005 mit Förderung der GEMA-Stiftung gegründet - und befindet sich in institutionell fester Eingliederung im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau in Dresden. Wenn jetzt das zehnjährige Bestehen gefeiert wird, ist der Blick auf die vergangene Zeit relativ zu sehen, denn ein solches Archiv, das in der Bewahrung der Komponistennachlässe sozusagen eine Art musikalisches Gedächtnis bildet, hat natürlich immer die Ewigkeit im Blick.

Danach richtet sich auch die professionelle Ausrichtung, die in Hellerau verfolgt wird, denn die Handschriften und Noten sollen natürlich auch in ferner Zukunft noch verfügbar sein. Um die Aufnahme, Archivierung und Pflege kümmert sich die Leiterin des Archivs, Julia Landsberg. Vor Ort nimmt sie Wünsche der Einsicht in die Manuskripte, Tonträger, Rezensionen und Korrespondenzen entgegen - es stehen auch kontinuierlich zu übergebende, künftige Nachlässe auf der Warteliste. Das Interesse wiederum wächst mit der Bedeutung des Archivs, das aber schon jetzt wichtige Anlaufadresse für Musikwissenschaftler, Biografen oder Dirigenten ist: Nachlässe von über 30 Komponisten lagern im Archiv, darunter Filmmusikkomponisten wie Hans-Martin Majewski ("Menschen im Hotel") oder Rolf Alexander Wilhelm, der die Musik zu Filmen von Loriot schrieb. Der erst kürzlich verstorbene, im Osten berühmte Musical-Komponist Gerd Natschinski übereignete seine Kompositionen dem Archiv ebenso wie der Geiger Helmut Zacharias oder die Komponisten Ernest Sauter und Karl-Gottfried Brunotte.

Am heutigen Montag wird in Hellerau gefeiert: in der Festveranstaltung zum Zehnjährigen Bestehen wird nicht nur in Beständen gestöbert und die Bedeutung des Archivs gewürdigt, sondern es werden auch Werke von Ernest Sauter, Karl-Gottfried Brunotte, Norbert Schultze und Gerd Natschinski erklingen - so erfüllt das Deutsche Komponistenarchiv an diesem Abend eines seiner wesentlichen Ziele: die Musik zu bewahren, und sie wieder zum Klingen und damit in die Erinnerung zu bringen.
(19.10.2015)

Poetisches Gedenken

Landesjugendorchester Sachsen im Konzert mit Werken von Paul Aron, Iris ter Schiphorst und Robert Schumann

Zweimal im Jahr lädt das Landesjugendorchester Sachsen in Dresden zum Konzert ein und stellt die zuvor in einer Projektphase erarbeiteten Werke vor. Doch was sich dann im zweistündigen Konzertabend manifestiert, geht weit über das bloße Präsentieren eines Ergebnisstandes hinaus. Der künstlerische Leiter Milko Kersten prägt seit fünfzehn Jahren das Ensemble und zeichnet verantwortlich für Projekte mit alter und neuer Musik - das Sprengen der Grenzen zwischen den Künsten und Stilen ist ihm nicht nur vertraut, die Offenheit und der Bezugsreichtum zeigt sich auch immer wieder im Enthusiasmus der Jugendlichen - die Projektwochen vor den Abschlusskonzerten geraten intensiv.

Auch das Konzert am Sonnabend war eines, das an keiner Stelle das bloße Musizieren und Repertoireaneignen zum Ziel hatte. Die Musik wies direkt in unsere Gegenwart hinein und die Konfrontation mit aktuellen Themen, die uns in Dresden und in Europa derzeit bewegen, war unumgänglich und beabsichtigt. Sie geschah auf eine künstlerische Weise, die das Experiment in den Vordergrund stellte und damit auch nicht von vornherein bestimmte Antworten zu geben bereit war. Im Mittelpunkt stand bei "In Memoriam" ein poetisches Gedenken an die Pogromnacht 1938, die sich am 9. November jährt. Mit diesem Motto gestaltete das Landesjugendorchester Sachsen einen offenen, interdisziplinären Raum zwischen Musik, Theater und Poesie.

Beispielhaft für die Schicksale der NS-Zeit stand in diesem Konzert die Erinnerung an den 1886 in Dresden geborenen Musiker und Komponisten Paul Aron, der zwischen den Weltkriegen über 200 Werke zeitgenössischer Komponisten in seiner eigenen Konzertreihe aufführte und maßgeblich zum Musikleben der Stadt beitrug, eher er bereits 1933 ins Exil in die Tschechoslowakei und später in die USA gehen musste. Man muss dem Landesjugendorchester höchst dankbar sein, dass es gleich zwei Werke des Komponisten wieder zu Gehör brachte - die "Four Ostinatos" (in der Orchestrierung von Milko Kersten) erwiesen sich in der stilistischen Farbigkeit der dreißiger Jahre ebenso als Entdeckung wie die drei Lieder auf Texte von William Butler Yeats, die die Sopranistin Salome Kammer mit warmem Timbre in ihrem poetischen, oft kammermusikalisch anmutenden Raum beließ. Poesie oder der Versuch, sich mit Worten dem oft Unaussprechlichen zu nähern (was eben auch die Musik zu leisten vermag, darin besteht ihre faszinierende Nähe), bildete einen roten Faden des Konzertes.

Von der in diesem Jahr mit dem Ingeborg-Bachmannpreis ausgezeichnete Lyrikerin Nora Gomringer sprach die Schauspielerin Karina Plachetka (Staatsschauspiel Dresden) Texte, die der Musik eine weitere Ebene hinzufügte, Nachdenken und Nachsinnen ermöglichte, ohne bloß das Erklungene verbal zu bebildern. Hinzu kam eine Uraufführung der Komponistin Iris ter Schiphorst mit dem Titel "An den Stränden der Ruhe..., wo die Sonne untergeht". Auch dies war Wort-Klang-Collage, die sich hier explizit auf die politische Gegenwart der Flüchtenden im Mittelmeerraum bezog - die nun mit Masken spielenden Orchestermusiker spiegelten Schicksale der Unbekannten, wie überhaupt hier mit von den Jugendlichen hervorragend umgesetzten, bedrohlichen Klängen und theatralischen Aktionen bald eine Atmosphäre entstand, die vom Kunstmachen bald in die Dramatik einer Dokumentation des Tatsächlichen kippte. Das war als Konzerterlebnis gleichzeitig eine einzigartige, vielleicht widersprüchliche, aber vor allem aufwühlende Erfahrung. Wenn ein Wunsch offenblieb, dann der, dass man die Texte Gomringers oder die in ter Schiphorsts Werk skandierten, akustisch nicht verständlichen Worte gerne noch einmal nachgelesen hätte, was das Programmheft nicht anbot.

Dass im zweiten Teil des Konzertes Robert Schumanns 1. Sinfonie B-Dur, die "Frühlingssinfonie", nun mit deutlich helleren Texten von Gomringer verknüpft, erklang, war nach diesem aufrüttelnden ersten Konzertteil ein schroffer Kontrast. Hier war noch einmal hohe Konzentration gefragt, denn auch dieses scheinbar bekannte Werk will erst einmal zusammengesetzt sein. Doch weniger als die letzte Präzision gelang ausgerechnet mit diesem von den jungen Musikern mit viel Kraft und Lebendigkeit angefüllten Stück der Blick nach vorn, der bei allem Erinnern unabdingbar ist. Und dieser Blick darf auch ruhig einmal das Wagnis, die Vorwitzigkeit, das kleine Scheitern und den maximalen, überraschenden Erfolg beinhalten - sonst wäre die Kunst kalt und tot.
(18.10.2015)

Traum CX

Bin in einem Haus mit 10 anderen und einem Killer. Dieser hat angekündigt, sechs von uns erschießen zu müssen. Große Angst bei allem, der Typ prüft von jedem Unterlagen und Papiere und legt fest, wer erschossen wird. Als Grund gibt er z. B. an, dass in den Unterlagen Plakate mit Autogrammen dabei sind. Die Signaturen sind kyrillisch, es ist neben einer Choristin auch jemand aus Russland dabei. Ich sorge mich zunächst, dass es das wohl war mit mir, das wandelt sich aber im Laufe des Traums und ich bin mir sehr sicher, dass ich überleben werde. In den letzten "Einstellungen" des Traums schaue ich von außen auf das Haus, es ist ein freistehendes, etwa vierstöckiges Gebäude aus Backsteinen. Mir ist unklar, wie wir dort rauskommen sollen, es scheint aber verborgene Gänge zu geben. Die Erschießung selbst ist nicht Bestandteil des Traums.

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