Sonntag, 30. August 2015

Kammermusikalische Perle

Saint-Saëns, Pintscher und Dvořák beim Moritzburg Festival

Mit drei sehr unterschiedlichen Werken wartete das Moritzburg Festival am Mittwochabend im Monströsensaal des Schlosses auf - eigentlich hatte eine Uraufführung von Matthias Pintscher den Abend bereichern sollen, doch Jan Vogler musste krankheitsbedingt absagen, damit entfiel das Solowerk für Cello, das er selbst interpretiert hätte. Ein weiteres Werk von Pintscher für Cello und Klavier, "Uriel" aus dem Jahr 2012, gehört in eine zyklische Werkbindung mit dem nun ungehörten neuen Werk und wurde aber dennoch gespielt.

Zwei mit zeitgenössischer Musik ungemein vertraute Interpreten, der Pianist Oliver Triendl und der Cellist Anssi Karttunen widmeten dem Werk, das vom Höreindruck eine vorsichtig-zerbrechliche Charakterzeichnung der Engelsgestalt ergab - in Zusammenhang mit dem gleichnamigen Bild von Barnett Newman, auf das sich Pintscher bezog, trat noch eine weitere Ebene, abstraktere Ebene zwischen Licht und Dunkel hinzu. Karttunens äußerst ruhige und feinsinnige Auslotung der Cellolinien mit leichtem Echo im Klaviersatz war spannungsgeladen, das Werk wurde auch auf diese Weise sehr zugänglich.

Zuvor hatte ein hochkarätig besetztes Solistenensemble eine Perle der Kammermusik gehoben, die vielen kaum bekannt sein dürfte. Vielleicht ist Camille Saint-Saëns Klavierquartett B-Dur zu eigen, auch zu extrovertiert, als dass es in gängige Programme passt? In der jederzeit sich stark für die Musik einsetzenden, im Ensemble völlig homogenen Interpretation von Vineta Sareika (Violine), Kyle Armbrust (Viola), Johannes Moser (Cello) und Lise de la Salle (Klavier) machte das Zuhören große Freude. Nur der erste Satz schwebt in lyrischem Sanftmut, wie man ihn auch von Gabriel Fauré kennt, vorbei, danach wird es ernst: ein Choralsatz gemahnt in der Motivik an Wagners Ring und könnte im vorgeschriebenen maestoso beinahe in Kitsch abgleiten, doch die vier Interpreten sorgten hier für einen sehr guten Fluss der Musik. Das einen weiten Tonraum durchgaloppierende Scherzo wirkt dann im Ausdruck leichter. Überraschend unterbrechen zwei von Vineta Sareika und Lise de la Salle auftrumpfend und frei interpretierte Rezitative das muntere Treiben, bevor das pulsierende und noch einmal virtuose Finale den Zuhörer mitreißt.

Im Gegensatz zu diesem saftig-romantischen Werk, ist ausgerechnet das das Konzert beschließende Streichquintett Es-Dur Opus 97 Antonín Dvořák ein eher sanfter Vertreter seines Genres. In ähnlicher Motivik wie in den Nachbarwerken, dem "amerikanischen" Streichquartett und der 9. Sinfonie, wird hier ein lyrisches Klangideal in allen vier Sätzen hochgehalten - die Heimatverbundenheit leugnet der Melodiker Dvořák ohnehin nie. Yura Lee, tags zuvor noch an der Bratsche zu erleben, war in dieser Aufführung die Primaria, ihr wäre allerdings ein in den Linien intensiverer, auch manchmal genauer führender Klang zu wünschen gewesen. Im Quintett sorgten weiterhin Kai Vogler, Adrien La Marca, Kyle Armbrust und Christian Poltéra für eine an vielen Stellen vor allem in den Mittelsätzen aufhorchende, jederzeit den zumeist unbeschwerten Charakter des Werkes nachfühlende Aufführung.
(27.8.2015)

Musik über Bilder und schwarze Tonarten

Beethoven, Pintscher und Brahms in Moritzburg

Nicht immer läuft alles nach Plan, auch in der Kultur nicht. Im aktuellen Jahrgang des Moritzburg Festivals steckt ein wenig der Besetzungswurm - nachdem kurz vor Beginn die Geigerin Karen Gomyo abgesagt hatte, musste sich nun Cellist Jan Vogler selbst krankheitsbedingt für die Mitwirkung an den Konzerten am Dienstag und Mittwoch ausklinken. Für die Klasse des Kammermusikfestivals spricht, dass man nicht nur hochkarätigen Ersatz in beiden Fällen fand, sondern dass in den nun neuen Besetzungen genauso geistvoll und auf hohem Niveau musiziert wurde, wie es eben der Moritzburger Anspruch ist.

Dabei ist der Cellist Christian Poltéra hier gesondert zu würdigen, der eigentlich nur für ein Stück des Dienstagkonzertes im Schloss Moritzburg besetzt war, nun aber das komplette Konzert mühelos und mit vollem Engagement in der kammermusikalischen Gemeinschaft bestritt. Der Abend im Monströsensaal des Schlosses begann mit dem Streichtrio c-Moll von Ludwig van Beethoven. Da auch Johannes Brahms 3. Klavierquartett in dieser Tonart steht, war das in der Mitte stehende zeitgenössische Werk von Matthias Pintscher, dem Composer-in-Residence des Festivals sozusagen in diesen c-Moll-Raum eingebettet.

Dieser Klangraum jedoch konnte unterschiedlicher nicht ausfallen: in Beethovens Trio gelangt man dabei nahezu an einen Urgrund der Kammermusik mit drei Melodieinstrumenten, denen Beethoven 1798 noch recht konventionelle Aufgaben gibt. Genussvoll legten sich Vineta Sareika (Primaria des Artemis-Quartetts), Adrien La Marca und Christian Poltéra in die Wogen dieses Werkes. Mit viel Differenzierung gelang ihnen eine gute Nachzeichnung und vor allem die Darstellung des an Haydn und Mozart gemahnenden klassischen Charakter des Werkes.

Von Matthias Pintscher gab es dann ein Quartettwerk namens "Study IV for Treatise on the veil" (etwa: Studie IV über die 'Abhandlung über den Schleier') zu hören. Mira Wang, Robert Chen, Yura Lee und Christian Poltéra schufen eine spannungsgeladene Interpretation dieses Stückes, das im Beziehungsgeflecht von Kunst über Kunst artifiziell und abstrakt wirkte, dabei aber eine konsequent durchgehaltene Ebene aus leisesten Geräuschlinien und punktuellen Gesten vorstellte. Zwei Wünsche blieben offen: wenn der Werkbezugspunkt ein Bild des Malers Cy Twombly ist, sollte diese visuelle Ebene im Konzert auf jeden Fall in irgendeiner Weise erfahrbar sein - der stetige Blick auf das Geweihensemble im Monströsensaal war eher ein absurdes Surrounding für dieses Stück. Und für Dialoge mit Publikum oder Interpreten wäre die ohnehin obligate Anwesenheit eines Composer-in-Residence nützlich gewesen, doch Pintscher glänzte durch Abwesenheit. Trotz hervorragendem Einsatz der Interpreten trägt ein solches Durchwinken der zeitgenössischen Musik nicht unbedingt zum Verständnis bei.

Nach der Pause ging es zurück zu c-Moll und zu Johannes Brahms - doch nach der Beethoven-Erfahrung in der gleichen Tonart war hier deutlich spürbar, wie schwarz diese Tonart in Brahms Tonsetzung nun gefärbt war. Das über Jahre hinweg nicht komponierte, sondern schwer errungene Werk bekam von Francesco Piemontesi vom Klavier aus immer wieder dramatische und außerordentlich genau geformte Attacken, die sich wie Lunten in die Streichinstrumente legten und zu vielen vor Spannung berstenden Höhepunkten führten. Auf diese Weise erhielt das Scherzo seinen traurigen Sarkasmus, fragte das Andante trotz wunderschöner Cellolinie ständig "was wäre, wenn?" und erst im Finale schien sich vorsichtig die Anspannung zu lösen, wenngleich die unwirkliche Sehnsuchtswelt erhalten blieb. Diese Hochromantik war bei Piemontesi, Mira Wang, Yura Lee und Christian Poltéra in den besten Händen und wurde vom Publikum stark gefeiert.
(26.8.2015)

Gemeinsame Sache

Herbert Blomstedt und das Gustav Mahler Jugendorchester in der Frauenkirche

Unangetastet lag die Partitur auf dem Pult. Was darin steht, verbreitete sich durch Blicke und sparsame Gesten geführt im Raum der Frauenkirche. Wenn Herbert Blomstedt eine Sinfonie von Anton Bruckner leitet, ist dies ohnehin ein besonderes Ereignis, denn sicherlich gehört dieser Komponist zu seinen Favoriten, hat sein überreiches musikalisches Leben intensiv begleitet und entsteht in jeder Aufführung, angereichert mit der enormen Erfahrung und einem gehörigen Schuss Weisheit, den nur ein 88jähriger versprühen kann, immer wieder neu.

Und dabei gerät man ein ums andere Mal ins Staunen, wie Blomstedt - hier bereits zum vierten Mal für ein Tourprojekt des Gustav Mahler Jugendorchesters am Pult stehend - nicht nur die musikalischen Angebote der jungen, exzellenten Musiker vor ihm aufnimmt, sondern wie sich hier im Höreindruck der 8. Sinfonie c-Moll das sinfonische Riesengemälde derart auftut, dass einem eher Gedanken von Leichtigkeit, Esprit und Frische in den Sinn kommen, denn die eines verstaubten Kolosses, als die man die ja unwidersprochen monumental konzipierte Sinfonie in manch sesselschwerer Einspielung auch kennt. Das 1986 auf Initiative von Claudio Abbado gegründete Gustav Mahler Jugendorchester gastierte auf Einladung und in Kooperation mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden vor deren Saisoneröffnung. Dieser Prolog weist nicht nur auf die Nachwuchsarbeit hin - viele ehemalige GMJO-Musiker sind heute Kapell-Musiker - sondern vermittelt auch ein Bild des aktuellen, hohen Ausbildungsniveaus in Europa; schließlich ist das GMJO nicht ein aus Spaß an der Freude inszeniertes Sommerprojekt, sondern hier versammelt sich die Elite der Musikstudierenden in Europa, um besondere gemeinsame Konzerterlebnisse zu schaffen.

Atemberaubende Präzision in der Ausführung war dann auch der Eindruck, den man vom Orchester im ersten Satz der Sinfonie erhielt. In der hellwachen Konzentration der Musiker war die Musik zwar sehr transparent und durchhörbar, manchmal eben aber auch im perfekten Gelingen etwas zu kühl im Ausdruck, von Blomstedt aber auch in der Übersicht der ganzen Sinfonie im Hinblick auf Kommendes konzipiert. Wenn hier noch maximal der Trompetenklang im Tutti etwas zu scharf geriet, gewöhnten sich die Musiker dann immer mehr an den Frauenkirchenraum und Blomstedt gab Übergängen genug Atem, damit Schlussakkorde und Neueinstiege organisch und natürlich wirkten. Nach dem in ganzen Takten weich pulsierenden Scherzo inklusive einem flüssig, fast drangvoll dargestellten Trio geriet das mächtige Adagio zum Höhepunkt der Aufführung, nicht nur wegen des hier von Blomstedt völlig ohne äußerliche Anstrengung hergestellten Spannungsaufbaus, sondern auch mit vielen klanglich überzeugenden Details.

Hörner und Tuben waren solistisch wie im Ensemble ein einziger Genuss, und der vibratolose Einstieg der Violinen zu Beginn des Satzes glich einer Toröffnung zu einer anderen Welt, die am Ende des Satzes ebenso traumwandlerisch sicher wieder verlöschte. Auch die Tempogestaltung von Herbert Blomstedt war hier flexibel genug, dass Steigerungen natürlich gerieten und kammermusikalische beleuchtete Entwicklungen genug Raum erhielten. Das Finale bekam - kaum verwunderlich, aber dennoch frappierend einleuchtend - von Blomstedt auch den finalen Charakter verliehen, mit mehreren Anläufen zur Großartigkeit bestimmt, dennoch nie den Rahmen sprengend. Die stehenden Ovationen des Publikums galten dem Werk, dem exzellenten Orchester und vor allem Herbert Blomstedt, dessen herausragende Musikalität am eindrücklichsten wirkte, wenn er milde lächelnd schlicht einer Streichergruppe bei der Entfaltung eines Themas zuhörte - die Vermittlung des Vertrauens in der gemeinsamen Sache Musik war eine schöne Konstante in dieser nachdrücklich wirkenden Aufführung.
(25.8.2015)

Brennen für Beethoven

Gala-Konzert mit überraschendem Finale beim Moritzburg Festival

Mit einem "Gala-Konzert mit anschließendem Dinner" wartete das Moritzburg Festival am Freitagabend auf. Nimmt man Gala wörtlich, so definiert man damit eine besonders festliche Veranstaltung, einen Höhepunkt des Festivals gar? Doch vermutlich musste nur für das für normalsterbliche Besucher im Preis unerschwingliche Gesamtpaket aus Konzert und Exklusiv-Dinner ein Name gefunden werden. Die Programmauswahl rechtfertigte den Titel nicht unbedingt, wenngleich man dem Festival insgesamt mühelos das Flair des Festlichen bescheinigen kann.

Da alle Gäste noch ein 4-Gänge-Menü zu absolvieren hatten, beließ man es im Konzert bei drei kompakten Gängen ohne Pause - etwas mehr als eine gute Stunde Musik kam da zusammen. Wirklich festlich waren die zu Beginn vorgestellten "Quatre Petite Pièces" von Charles Koechlin (1867-1950) auch nicht gedacht. Einerseits war man froh, dass der unkonventionelle französische Tonsetzer endlich mal wieder in einem Konzertprogramm auftauchte, doch diese kleinen Stücke sind eher klassische Studien - wenn der Reiz der aparten Besetzung Violine, Horn und Klavier sich gerade einmal entfaltete, war das Stück auch schon zu Ende. Mira Wang (Violine), Felix Klieser (Horn) und Alessio Bax (Klavier) zeigten dabei vor allem mit gedeckten, warmen Klangfarben, dass auch eine Miniatur erfreuen kann - der Komponist hingegen sollte nicht an diesen Stücken gemessen werden, da gibt es noch ganz andere Diamanten zu entdecken.

Jan Vogler und Janne Saksala gaben sich dann dem Duo D-Dur für Cello und Kontrabass von Gioachino Rossini hin, wobei Hingebung die Musizierweise der beiden wohl treffend beschreibt: die leichtfüßige Virtuosität und der buffoneske Humor wurde schön herausgearbeitet, wobei der Belcanto im tief(st)en Register ebensowenig zu kurz kam wie die bassige Koloratur. Beide spielten Rossini mit großer Geste, und hier ist diese auch angebracht und führt nicht zur Karikatur, sondern zu zwingender Lebendigkeit.

Robert Chen, Annabelle Meare, Lawrence Power, Yura Lee und Guy Johnston fanden sich zum Konzertabschluss im Quintett zusammen und widmeten sich dem Streichquintett C-Dur, Opus 29 von Ludwig van Beethoven in einer solch anspruchsvollen Spielkultur, dass man erschrocken und bewegt auf der Stuhlvorderkante saß. Beethoven kann ja einen Zuhörer furchtbar kalt lassen, wenn die Interpretation die Nervenstränge des Werkes nur partiell erreicht. Hier war aber von den ersten Tönen an klar, dass tiefes Eindringen und extreme Auslotung der Charaktere zur gemeinsamen Sache gehörte. So formten sich schon im ersten Satz homogene Klangfarben und ein atmendes Spiel, bei welchem alle fünf Musiker sich gegenseitig genug Raum gaben, um die zahlreichen Parallelstraßen, Sackgassen und auch findige Abkürzungen der Partiturreise mühelos darzustellen. Ob diese "brennende" Aufführung dafür verantwortlich war, dass kurz nach Verklingen der letzten Töne tatsächlich die Feuerwehr im Moritzburger Schloss anrücken musste, wird wohl nicht gelöst werden. Unversehrt konnten die Besucher nach einem kurzen Aufenthalt an der frischen Abendluft - fachmännisch Evakuierung benannt - dann aber vom musikalischen zum kulinarischen Menü überwechseln.
(23.8.2015)

Beethoven-Krimi und flotter Mozart

Eröffnungskonzert des Moritzburg Festivals mit dem Akademie-Orchester

Traditionell öffnet das Moritzburg Festival nicht vor den Toren Dresdens seine Pforten, sondern mitten in der Stadt - mit einem Orchesterkonzert in der VW-Manufaktur. Hier stellt sich die Moritzburg Festival Akademie vor, ein Ensemble aus rund 40 jungen Musikern, die eigens jedes Jahr ausgewählt werden, um mit den renommierten Solisten des Festivals und einem Dirigenten Orchester- und Kammermusikliteratur zu erarbeiten. Insofern erreichte das Festival schon zu Beginn einen ersten Abschluss, denn diesem Konzert ging bereits eine intensive Probenwoche voraus.

Der diesjährige Schirmherr, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Innenminister und Kuratoriumsvorsitzender Thomas de Maizière und der musikalische Leiter Jan Vogler freuten sich auf den neuen Festival-Jahrgang, in dem bis zum 30. August über ein Dutzend Konzerte stattfinden werden. Bei der Eröffnung zeigte sich also möglicherweise die kommende Generation großer Kammermusiksolisten, und was diese in einem ad hoc zusammengestellten Orchester unter den nicht einfachen Bedingungen des Manufakturraumes leisteten, war beachtlich.

Eine schöne Homogenität war gleich in der einleitenden Suite "Le Tombeau de Couperin" von Maurice Ravel festzustellen, in der sich delikat vor allem die zahlreichen Linien entfalteten, die Ravel der Oboe geschenkt hat. In diesem Jahr ist der in Wien lebende Fagottist und Dirigent Milan Turković mit der Leitung des Orchesters betraut, er sorgte für einen lebendigen Fluss des Werkes und zahlreiche Nuancen dynamischer Art traten zu Tage, die den über dem Boden schwebenden Charakter des Werkes intensivierten.

Zum Höhepunkt des Abends geriet das Solokonzert mit der französischen Pianistin Lise de la Salle. Sie ist erneut zu Gast beim Festival und wird in der kommenden Woche auch in Kammermusikwerken am Klavier mitwirken. Im Eröffnungskonzert widmete sie sich dem 4. Klavierkonzert G-Dur von Ludwig van Beethoven. Sie sorgte dafür, dass in allen drei Sätzen Höchstspannung auf der Bühne wie im Publikum herrschte, denn die Klarheit ihrer Artikulation gepaart mit Leidenschaft und einem in den Ecksätzen toll geführten metrischen Puls machte das Konzert fast zu einem Krimi. Jede einzelne Phrase wurde da zum Ereignis, de la Salle gestaltete klug und verdeutlichte harmonische und dynamische Entwicklungen besonders plastisch. Stark wirkte im 2. Satz der Dialog mit dem in schroffem Kontrast hereinfahrenden Orchester, und die Kadenz des 1. Satzes gelang Lise de la Salle überzeugend und in selbstbewusster, erdiger Manier. Trotz der wohl aus technischen Gründen ungewöhnlichen Platzierung des Flügels zwischen Celli und Bratschen, die dazu führte, dass Turković nur den Rücken der Pianistin sah, gelang die Zwiesprache mit dem Orchester sehr gut, ein Zeichen also, dass alle Musiker permanent in höchster Aufmerksamkeit agierten.

Die letzte, die so genannte "Jupiter"-Sinfonie C-Dur, KV 551von Wolfgang Amadeus Mozart beschloss den Abend - Milan Turković setzte dabei auf flüssige Tempi, die im zweiten und vierten Satz zwar dazu führten, dass viele Dinge zusammengefasst erschienen und manche Feinheiten und Flexibilitäten gerade im Andante Cantabile erhielten so weniger Raum. Die Akademie setzte diese Intentionen mühelos um, besonders das Finale schlug trotz rasant auszuführender Figuren nie in Hektik um - da war großes Können und Lust an der gemeinsamen Sache zu beobachten. Davon werden wir in den kommenden zwei Wochen in Moritzburg sicher noch mehr erleben.
(17.8.2015)

Orchesterwerkstatt "con brio"

Moritzburg Festival Akademie stellte sich in den Flugzeugwerken vor

Wenn das Moritzburg Festival am Sonntag mit dem Eröffnungskonzert in der VW-Manufaktur beginnt, dann haben die Teilnehmer der Festival-Akademie bereits eine ganze Woche harte Arbeit absolviert. Die 39 jungen Akademisten aus aller Welt bringen sich dann im Orchesterspiel, auf Tourneekonzerten und mit Kammermusiken unter anderem bei der "Langen Nacht der Kammermusik" am kommenden Donnerstag ein. Den Zuhörern wurde mit der Orchesterwerkstatt am Sonnabend also nicht nur eine Art Prolog zum Festival präsentiert, man erhielt auch interessante Einblicke hinter die Kulissen.

Der künstlerische Leiter Jan Vogler moderierte die Werkstatt im Flugzeughangar bei den Elbe-Flugzeugwerken - eine imposante Umgebung, die ebenfalls Arbeitsatmosphäre ausstrahlte und somit perfekt geeignet schien. Weniger ging es um ein perfektes Ergebnis, dafür nahm man auch Abstriche in der Akustik in Kauf, eher um einige kurzweilige Einblicke: Musik und Menschen standen im Vordergrund. Jan Vogler unterhielt sich mit zwei Akademisten, einer Geigerin aus Texas und einer Fagottistin aus Österreich, die sichtlich begeistert von ihren Erfahrungen berichteten. In diesem Jahr ist der Fagottist und Dirigent Milan Turković musikalischer Leiter der Akademie und berichtete von der außergewöhnlichen Erfahrung, binnen einer Woche die unterschiedlichen Nationen und Kulturen, aber auch Spieltalente zu einem homogenen Ensemble zusammenzuschweißen. Dass dies noch vor der Eröffnung - aber bereits nach einem absolvierten Tour-Konzert in Bad Elster - gelungen ist, davon konnten sich die Zuhörer in einigen Musikbeispielen überzeugen.

Zunächst erklang die Ouvertüre zur Oper "Die Hochzeit des Figaro" spielfreudig und mit viel Sinn für die von Mozart auf engstem Raum angesiedelten Kontraste. Von Jörg Widmann, 2012 zuletzt selbst Composer-in-Residence beim Festival (in diesem Jahr ist es Matthias Pintscher), wurde ein kurzes Orchesterstück namens "Con Brio" vorgestellt, das sich mit hoher Virtuosität mit den Charakteren beethovenscher Sinfonik befasst und damit permanent auf der Brücke zwischen Altem und Neuem unterwegs ist. Damit wurde eine Art gedanklicher Beethoven-Raum geschaffen, der - der Titel verrät es - "mit Feuer" zu spielen ist und derartig auch die Hörer begeisterte. Turković bat sich zwar aus, eben im Rahmen des Werkstattcharakters auch unterbrechen zu dürfen, doch der wilde Ritt gelang mit ordentlich Adrenalin bei den Musikern bis zum Finale, hier besonders vom unermüdlich werkelnden Paukisten Brandon Ilaw angetrieben.

Die französische Pianistin Lise de la Salle, die seit 2010 schon mehrfach in Moritzburg gastierte und die sommerliche Zusammenarbeit mit den Musikern hier auch als Höhepunkt ihrer eigenen Konzertsaison empfindet, interpretierte dann den 1. Satz aus Beethovens 4. Klavierkonzert G-Dur. Hier war es interessant, auch einmal verbal von der Interpretin die Richtung angezeigt zu bekommen: im Kontrast etwa zum Dritten Konzert sieht Lise de la Salle dieses Werk, und hier besonders die Ecksätze, als Ausdruck von Freude und Helligkeit, wie sie eigentlich so unverschattet selten in Beethovens Werk zu finden sind. Den Worten folgte man in der Musik prompt: Lise de la Salle ging mit klarem, ausdrucksstarken Spiel zu Werke, und die Akademisten begleiteten mit aufmerksamem Nachvollzug dieser Intentionen. Ein spontan von Vogler vorgeschlagenes Finale der Orchesterwerkstatt mit einem Auszug aus der "Jupiter"-Sinfonie von Mozart fiel den fehlenden Noten auf den Pulten zum Opfer, doch das Publikum wurde mit einem Da Capo der Figaro-Ouvertüre versöhnt in den Abend entlassen.
(16.8.2015)

Romantischer Schmelz und irdischer Mozart

Die Junge Deutsch-Polnische Philharmonie gastierte in der Martin-Luther-Kirche

Schon seit 15 Jahren existiert die Junge Deutsch-Polnische Philharmonie, und von Beginn an hatte sich das Orchester auf die Fahnen geschrieben, nicht nur einmal im Jahr ein Konzertprogramm mit Jugendlichen aus der Grenzregion von Polen und Deutschland auf die Beine zu stellen. Der Grundgedanke geht weit darüber hinaus: Immer wieder nehmen die Programme auf aktuelle Ereignisse oder Feierlichkeiten Bezug, so auch in diesem Jahr zum fünfzigsten Jahrestag des Hirtenbriefs der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder, der einen der ersten Schritte der Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete. Die Versöhnung kann man in dem Musikprojekt fortgesetzt sehen - eine Woche lang proben die Jugendlichen intensiv unter fachkundiger Anleitung und ziehen dann durch Kirchen und Konzertsäle.

In diesem Jahr scheint der Schwerpunkt des Projektes wieder mehr in Polen zu liegen - vier Konzerten in der Umgegend von Breslau stand das die Tournee beendende Konzert in der Martin-Luther-Kirche Dresden gegenüber. Hierher strömte am Mittwochabend eine treue Fangemeinde und war gespannt auf das diesjährige Programm. Romantischer Musik von Johannes Brahms und Henri Wienawski stand das "Requiem" von Wolfgang Amadeus Mozart gegenüber. Damit kam das Orchester auch in den Genuss chorsinfonischer Arbeit und der Chor der Technischen Universität Breslau durfte sich auf der kleinen Konzerttournee präsentieren. Auch die Solisten sind zumeist Studenten oder (ehemalige) Mitglieder des Orchesters.

Als Dirigent stand der Leiter des Vogtlandkonservatoriums in Plauen, Jörg Leitz, zur Verfügung. Mit sattem romantischem Schmelz zogen zu Beginn die Klänge der "Tragischen Ouvertüre" von Johannes Brahms durch das Kirchenrund und vermittelten gleich einen guten Eindruck von dem, was hier in kurzer Zeit zusammengewachsen ist: Streicher und Bläser spielten nicht nur sauber und aufmerksam, sie bemühten sich auch um zielgerichtete Phrasierung und verlieh dem Stück dadurch viel Charakter. In Henri Wienawskis 2. Violinkonzert, ein übrigens viel zu selten erklingendes Werk, hatte nicht nur die Solistin Krystyna Wasik umfangreiche Aufgaben zu bewältigen - dem Orchester kommt hier im spätromantischen Satz eine ebenso wichtige Rolle zu. Bis auf wenige Wackler in den schnellen Passagen des 3. Satzes gelang das außerordentlich gut. Krystyna Wasik wiederum konnte man nur beglückwünschen, weil sie das doch mit allerhand virtuoser Ornamentik gespickte Konzert ruhig, mit einem schönen großen Ton und vor allem stets mit einem Ohr auf das hinter ihr begleitende Orchester anging. Dass hier und da die Intonation im Gesamtgefüge etwas litt, war angesichts der schönen Musikalität zu vernachlässigen.

Ähnliches gilt für das Mozart-Requiem, das sich - dies ist bei einem Projekt mit Jugendlichen ein Kritikpunkt - ohne Pause für Musiker und Publikum anschloss. Nicht mehr ganz reichte da die Aufmerksamkeit für die verschiedenen, oft sehr plötzlich entstehenden und wieder vergehenden Charaktere der Musik. Hier war vor allem der Chor der Technischen Universität Breslau die Anschubkraft. Malgorzata Sapiecha-Muzol hatte die knapp 40 Sänger hervorragend vorbereitet: die Rufe des "Rex tremendae" etwa waren prägnant, es wurde dynamisch sehr differenziert gesungen und der Text sehr gut deklamiert. Jörg Seitz tat gut daran, überwiegend auf flüssige Tempi zu setzen, die den Ensembles zur Musizierlust verhalfen. Die vier studentischen Gesangssolisten aus Breslau, Daria Stachowicz, Agnieszka Pulkowska, Bartosz Nowak und Stavros Chatzipenditis lösten ihre Aufgaben gut gut - sicherlich war aber hier noch Entwicklungspotenzial vorhanden und vor allem Stachowicz hatte mit ihrem volltönenden Soprantimbre mit den feinen Mozartlinien einige Probleme. Zum Ende hin fehlte dann doch die werkübergreifende Intensität, das "Lux Aeterna" in eine transzendente Atmosphäre zu überführen - Erleichterung überwog in diesem eher irdisch musizierten Ende. Und doch - gerade wenn Jugendliche sich dieser wunderbaren Musik nähern, bekommt man eine große Ahnung, was Leben, Versöhnung, Verständigung alles bedeuten kann. Allein dafür sind die Konzerte der Jungen Deutsch-Polnischen Philharmonie höchst wertvoll und die Musiker nehmen auch in diesem Jahr sicher ein unvergessliches Erlebnis mit nach Hause.
(30.7.2015)

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