Montag, 22. Juni 2015

Östliche und westliche Traditionen

Ensemble Courage im zweiten "An die Freunde..."-Konzert

Im zweiten Konzert der neuen KlangNetz-Reihe "An die Freunde..." gab es erneut Ensemble-Kammermusik zu erleben, diesmal richtete sich der Blick nach Asien. Natürlich ist das Motto der Konzertreihe derart dehnbar, dass man ohne weiteres eine zehnjährige Reihe daraus basteln könnte - die acht Konzerte in diesem Jahr werden fokussierend nur einige Aspekte erfassen können. Der Blick nach Asien ist insofern - erneut - wichtig, da sich seit den ersten Annäherungen europäischer Komponisten der zeitgenössischen Musik die Musiklandschaft gewandelt hat: viel selbstverständlicher trifft man heute auf asiatische Komponisten und Interpreten, die meisten von ihnen weisen eine fast globale Ausbildung bei Lehrern und Instituten rund um die Welt auf.

Insofern hatte das Ensemble Courage sicher die Qual der Wahl bei der Auswahl der Kompositionen. Mit dem Porträt von Isang Yun (1917-95) und Toshio Hosokawa (*1955), zwei Vaterfiguren der asiatischen zeitgenössichen Musik, gelang eine runde Dramaturgie. Eine Uraufführung des jungen chinesischen Komponisten Shen Hou, der in Dresden an der Musikhochschule studiert, setzte einen aktuellen Akzent. Schön auch, dass man im kooperierenden Hygiene-Museum auf Atmosphäre setzte. Statt Frontalbespielung saß das Publikum in kleinen Runden an Tischen, japanische und chinesische Tees wurden gereicht. Trotzdem war die Bühne dann doch ein paar Meter zu weit vorne, als dass sich gänzlich Intimität im großen Marta-Fraenkel-Saal einstellte.

Das zu Beginn gespielte Quartett für Flöte, Violine, Cello und Klavier ist insofern untypisch für Isang Yun, da es mit ungewohnt sanften, fast impressionistischen Klängen startet. Erst später wird die Struktur aufgeraut - einem durchgehalten fortissimo gespielten, wilden Abschnitt antwortete ein kurzes Adagio wie ein Abgesang. Dem Koreaner Yun folgte der Japaner Hosokawa: dessen "Stunden-Blumen" sind deutlich auf Olivier Messiaen bezogen, zitieren jedoch nicht wörtlich. Hosokawas im Mikro- wie Makrokosmos auf Entstehen und Vergehen eingehende Ästhetik ist schwer erreichbar, gleichwohl schuf das Ensemble Courage hier wie auch in den aphoristisch anmutenden "Duo" für Violine und Violoncello spannungsgeladene Darbietungen.

Shen Hous Uraufführung "Z" setzte einen schönen Kontrast, war sie doch im Gegensatz zu Yuns und Hosokawas tonreich-entwickelnden Kompositionen im zu entdeckenden Moment aufgehoben. Da stand die Zeit still und trotzdem gab es jede Menge Geräusche und Ereignisse zu entdecken - um so aufregender war dann ein plötzliches Insistieren eines Klanges oder eine aufgebaute Fläche. Isang Yuns "Pièce Concertante" aus dem Jahr 1976 beschloss das Konzert - trotz markant dissonantem Material war es das mit (westlicher) Musiktradition am nächsten zu verbindende Werk, und man konnte den klar abgegrenzten Teilen gut folgen. Fernab von Exotismus oder dieser Kultur gerne vergebenen Klischees ging das Ensemble frisch und kompetent mit diesen Werken um und zeigte eine Spielkultur, die tiefes Eindringen beim Hören ermöglichte. So konnte im wahrsten Sinne des Wortes Freundschaft geschlossen werden mit einer Musik, die uns heute kaum mehr fremd erscheint, sondern ihren Platz in der musikalischen Welt eingenommen hat.

Schwelgen mit Brahms

Orchester "Medicanti" im Konzertsaal der Musikhochschule

Halbjährlich lädt das Orchester "Medicanti" der medizinischen Fakultät an der TU Dresden zum Sinfoniekonzert ein, den Abschluss vor den Sommerferien bot am vergangenen Wochenende ein Konzert in der Musikhochschule. Das traditionsreiche Orchester hat nicht nur viele Mitglieder, es hat auch viele Freunde und Fans und so stieß man mit der Kapazität des Konzertsaales zwar an seine Grenzen, den überwiegend jungen Musikern bot das volle Haus aber eine besonders spannungsreiche Atmosphäre zum Musizieren.

Spätromantik und frühe Moderne war im Programm aufgeboten - Antonín Dvořáks Konzertouvertüre "In der Natur" erklang zu Beginn und war gleich ein nicht ungefährlicher Einstieg, denn bevor man sich im Tutti freispielen durfte, waren da einige behutsam vorwärtstastende Motive zu bewältigen. Das gelang dem Orchester unter Leitung von Wolfgang Behrend aber mühelos, das warme Timbre der Musik von Dvořák wurde sogleich eingefangen, auch Nebenstimmen in den Bläsern erhielten von Behrend Würdigung. Dass die Freude über die erwachende Natur noch spritziger hätte ausfallen dürfen, ist verzeihlich - man war bedacht auf ein gutes Gelingen in der direkten Akustik des Konzertsaales.

Maximilian Otto nahm dann am Flügel Platz, der erst sechzehnjährige Pianist ist ein Multitalent und bildet sich nicht nur an den Tasten fort (am Landesgymnasium für Musik bei Oksana Weingardt-Schön), sondern komponiert auch und erhält Unterricht in Kontrabass, Musiktheorie und Dirigieren. Dass er sich Sergej Prokofjews 1. Klavierkonzert Des-Dur für diesen Auftritt ausgesucht hat, spricht für gehörigen Mut und Anspruch - dieses in kaum zwanzig Minuten vorüberflitzende, kompakte Konzert birgt viele Hürden, aber auch virtuose Spielfreude in sich. Otto löste die Aufgabe mit Bravour und vor allem Sorgfalt. Er spielte ruhig und besonnen die technisch schwierigen Läufe aus und konnte den Motiven viel Charakter verleihen, in den kleineren und größeren Kadenzen griff er beherzt zu. Behrend und die Medicanti begleiteten aufmerksam und schwungvoll, nur im finalen Tutti ging das Klavier dynamisch unter. Da hatte Otto aber längst das Publikum für sich eingenommen und bedankte sich mit einer Etüde von Alexander Skrjabin.

Eine große Aufgabe stand dann noch nach der Pause an: Johannes Brahms 2. Sinfonie D-Dur ist ein lichtes, weniger dramatisches Werk, das stetig zwischen lyrischem Schwelgen und sanft aufgerauter Entwicklung pendelt. Das vermittelte Behrend dem Orchester gut, gleich der umfangreiche 1. Satz gelang überzeugend in der Ausgestaltung der Motive. Im großen Streicherapparat war da viel Verständnis für die Bögen der Musik verhanden und man konnte sich an konzentriertem, gemeinsam realisierten Spiel erfreuen. Lediglich der 2. Satz wurde im angezeigten Tempo zu zäh und verlor dadurch seine innere Spannung - dieses Adagio verträgt auch im langsamem Duktus mehr Leidenschaft. Im fein ausgehörten Allegretto und dem zum Ende hin positiv drängenden Schlusssatz konnte man sich allerdings nur freuen über viel homogenes, auch in schwierigen Bläserpassagen klangschön realisiertes Spiel - ein gelungener Semesterabschluss!

In höheren Sphären

Martin Grubinger, Christoph Eschenbach und die Bamberger Symphoniker in der Semperoper

Nein, sie sind nicht irgendein städtisches Orchester - die Bamberger Symphoniker, obwohl erst 1946 gegründet, haben seit Jahrzehnten einen hervorragenden Ruf und haben sich weit über Bayern hinaus einen Namen gemacht. Große Dirigentenpersönlichkeiten wie Joseph Keilberth und Horst Stein prägten das Ensemble, Jonathan Nott führte sie ins 21. Jahrhundert. Mit Christoph Eschenbach am Pult gastierten sie am Finalwochende zu den Musikfestspielen in der Semperoper. Der Dirigent wurde erst vor wenigen Tagen mit dem wichtigen Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet - die Würdigung seines Lebenswerks im Dienste der Musik.

Die Förderung junger Talente ist Eschenbach immer besonderes Anliegen, der prominente Solist, den er mitbrachte, ist allerdings längst in höhere Sphären aufgebrochen: Martin Grubinger ist weltweit einer der besten Schlagwerker und war erst im April zu Gast bei der Dresdner Philharmonie - seine hiesige Fangemeinde sorgte für ein vollbesetztes Auditorium in der Semperoper. Mit dem von ihm 2007 uraufgeführten Schlagzeugkonzert "Frozen in Time" des israelischen Komponisten Avner Dorman brachte Grubinger dieses Mal ein Stück mit, das in gut einer halben Stunde Dauer einmal die ganze Welt durchforstete, historisch wie geographisch.

Dass dabei ein polystilistischer Flickenteppich zwischen indischer Tala, Swing, afrikanischen Rhythmen und europäischer klassischer Tradition entstand, war insofern verschmerzbar, da von Anfang bis Ende Auge und Ohren auf Grubingers Kunst fixiert waren, der zwischen leisestem Vibraphonklang, einem eigenen Klangkosmos aus Marimba und Glocken sowie entfesselten Trommelkaskaden beeindruckend agierte. Kongenial war die Partnerschaft zwischen Grubinger und Eschenbach, wobei letzterer trotz rasant wechselnden Charakteren immer genügend Atem für den Solisten bereithielt. Was in diesem Werk - zumindest bis Reihe Neun - komplett akustisch unterging, war der Orchesterpart. Viele Passagen der Ecksätze waren lediglich optisch wahrzunehmen, nur im zweiten Satz des formal recht biederen Stücks konnten die Musiker sich zu raffinierten Klangfarben im Dialog mit Grubinger entfalten.

Im zweiten Teil des Konzertes waren dann die Bamberger Symphoniker selbst der Solist: in Béla Bartóks "Konzert für Orchester" konnten sie eine hervorragende Klangkultur entfalten und überzeugten vor allem mit homogener Umsetzung von Eschenbachs nuanciertem Dirigat. In den ersten vier Sätzen war eine prägnante, natürliche und zuweilen auch verspielte Vorstellung der vielen Motive und Klangfarben zu erleben - Bartóks lustvolles Spiel mit Rhythmen und Volksmelodien erschien hier liebevoll gewürdigt. Das Finale nahm Eschenbach dann ziemlich rasant, was aber mit stets spürbarem gegenseitigen Vertrauen zum Erfolg führte. Ein passendes Encore bildete Maurice Ravels bekanntes Poème choréographique "La Valse" zum Abschluss, hier durften - mit von Eschenbach klug organisiertem Spannungsaufbau - vom Kontrafagott bis zum Piccolo alle Instrumente selig im Dreivierteltrubel glänzen.
(9.6.15)

Darf der das?

Klavierabend von Olli Mustonen bei den Dresdner Musikfestspielen

Wenn man den Finnen Olli Mustonen zu einem Konzert einlädt, lohnt es sich, ihn erstmal zu fragen, in welcher ausübender musikalischer Profession er sich dem Publikum vorstellen will - aktiv ist er als Dirigent, Pianist und Komponist. In Dresden konnte man sich bereits beim Moritzburg Festival von seinem Können überzeugen. Bei den Musikfestspielen gab er am Freitag ein Klavierrecital, bei welchem er auch eine eigene Klaviersonate vorstellte. Ohnehin verspricht ein komponierender Interpret meist interessante Interpretationen, weil der Blick des Tonsetzers auch bei fremder Literatur nie ganz abschaltbar ist. Diese Haltung schuf wohl die außergewöhnliche Energie dieses Klavierabends, bei dem man sich einige Male des soeben Gehörten vergewissern musste: darf der das? Geht das denn überhaupt? Nicht alle dieser Fragen und Irritationen konnten aufgeklärt werden.

Zunächst widmete sich Olli Mustonen dem "Kinderalbum" von Peter Tschaikowsky - sicherlich ein Werk, das jedem Klavierschüler schon einmal begegnet ist; seltener werden die vierundzwanzig Stücke in Gänze aufgeführt. Mustonen ging mit dem Seziermesser zu Werke, traf die Charaktere teilweise so blitzscharf, dass die Puppengeschichte als Scherenschnitt vor dem Ohr entstand. Reiter und Volkstänzer waren schneller um die Ecke verschwunden, als sie aufgetreten waren und die Lerche bekam ein stählernes Korsett. Das war extravagant und bisweilen weit über die Noten hinaus interpretiert: Mustonen öffnete hier seine eigene Märchenkiste und spielte auf seine Weise mit den Figuren, selten versonnen, manches mal ruppig.

Mit Tschaikowsky führte dies zu einem Aha-Effekt, bei den sechs folgenden Chopin-Mazurken war dann aber mit ähnlich hartem Anschlag eine Grenze überschritten. Punktierungen gerieten hier so scharf, dass der von Chopin meisterlich behandelte Tanzcharakter derb wirkte - diese im Ausdruck nah an der Verzweiflung angelegte "finnische Mazurka" war zwar sicher ein einzigartiges Hörerlebnis, mit Chopin hatte sie nur wenig am Hut. In der zweiten Konzerthälfte hatte Mustonen pianistisch üppigere Werke ausgewählt, in welchen er auch viel virtuoses Spiel zeigen konnte und - weiterhin - extremen Ausdruckswillen nachging.

Nun aber fanden Werk und Interpretation glücklicher zueinander, zunächst in Mustonens eigener Klaviersonate "Jehkin Iivana", die mythischen finnischen Geschichten und dem finnischen Nationalinstrument, der Kantele, ein musikalisches Denkmal setzt - hier konnte man wunderschön ausgespielte Klangwelten verfolgen, die Mustonen mal volkstümlich, mal vollgriffig-sinfonisch in Töne gesetzt hatte. Mit Sergej Prokofjews 7. Klaviersonate stand dann zum Abschluss ein gewaltiges und durchaus auch gewalttätiges Stück aus den Jahren des 2. Weltkrieges auf dem Programm, dem Mustonen kompromisslos begegnete - im leisen wie lautem Extrem. Dadurch geriet besonders der langsamere zweite Satz mit seinem irrwitzigen Walzer zu einer Art visionärem Horror, den dritten spielte Mustonen in einem Rutsch und verausgabte sich dabei völlig. Einen solchen Klavierabend erlebt man nicht alle Tage.
(8.6.15)

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