Montag, 19. Mai 2014

Handgelenksübungen

Christian Thielemann leitet 4. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle

Man kennt die Karikaturen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Riesenhaftigkeit der Partituren etwa von Gustav Mahler und Richard Strauss begleiteten: Dirigenten vor Orchestermaschinen mit übergroßen Alphörnern und Schlagwerk werden da gezeigt, in einer Zeichnung vollzieht Strauss sogar höchstpersönlich mit einer Trompete die Hinrichtung der "Elektra". Solcher Humor ist verständlich, bei näherem Hinsehen aber kaum haltbar, denn bei allem Pomp und Pathos sind Strauss' Partituren nicht nur von großer Instrumentationskunst, sondern auch von reichlich Intelligenz und Ideenreichtum geprägt. Der 4. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle bot Gelegenheit, einmal unbekanntere und kleiner besetzte Stücke kennenzulernen.

Das Konzert war gleichzeitig eine Hommage des Orchesters an den Komponisten, der nicht nur neun seiner Opern in Dresden zur Uraufführung vorlegte, sondern dem "TV", dem Dresdner Tonkünstlerverein, bereits 1882 seine Bläserserenade Es-Dur Opus 7 widmete. Chefdirigent Christian Thielemann ließ es sich nicht nehmen, diesen besonderen Konzertabend selbst zu leiten und interpretierte zu Beginn die mit 13 Bläsern besetzte Serenade als klassisches und wohlgeformtes Jugendwerk - Tonsetzereskapaden wie im aus gleicher Zeit stammenden Violinkonzert sind hier noch Mangelware. Man vermeint eine noble Aufwartung zu hören, mit der Strauss die Bande nach Dresden knüpfte, dafür taugte eine Serenade allemal besser als neutönerische Experimente.

Rund 60 Jahre später entstand erneut ein Bläserstück für Dresden: die Sonatine Nr. 1 F-Dur wurde 1944 vom Tonkünstlerverein unter Leitung von Karl Elmendorff uraufgeführt. Diese Bläsermusik weist größere Dimensionen auf und ist klanglich im Gegensatz zur Serenade mit einer größeren Klarinettenfamilie ausgeweitet. Thielemann konnte sich hier voll auf das Können seiner Musiker verlassen und beschränkte sich daher auf genaue Nuancierung der Balance und Vermittlung einer spielerische Leichtigkeit - an keiner Stelle war ein zu schwerer oder gar auftrumpfender Klang merkbar und die Mischung zwischen Holz und Blech gelang exzellent. Dichten sinfonischen Klang mit schmetterndem Hornmotiv bewahrt sich Strauss für die finale Wirkung im 3. Satz auf, über einige etwas selbstverliebte Längen kann das Werk trotzdem nicht hinwegtäuschen.

Nach der Pause kamen dann die Streicher zum Zug: Im Gegensatz zur "Handgelenksübung" der Bläsersonatine sind die 1945 entstandenen "Metamorphosen für 23 Solostreicher" - von Strauss zwar ebenfalls bescheiden als Studie betitelt - von weitaus ernsterem Charakter, zudem sollte man jedem Zweifler an Strauss' Musik dieses Stück zum intensiven Studium vorlegen. Bei allem Verharren in einer Tonsprache einer "alten Welt" bleibt dieses Stück in seiner Dichte und in seiner Leidenschaftlichkeit faszinierend. Es ist kein Geheimnis, dass die "Metamorphosen" seit Jahrzehnten zum Paradestück der Kapellmusiker zählen - erst bei den Salzburger Osterfestspielen stand das Werk wieder auf dem Programm.

Beim Aufführungsabend gelang erneut eine mitreißende, bis zur eben in diesem Stück gleichberechtigten "23. Stimme" ausgereifte Interpretation, die von Thielemann sicher in einem permanentem Fluss mit viel Sinn für Innehalten und Vorwärtsdrängen gehalten wurde. Sinnbildlich für den Charakter des ganzen Werkes stehen die sanft verklingenden Schlussakkorde - deren besondere Wärme eben nur entsteht, wenn jeder einzelne Musiker genau darum weiß. Dass Vater Franz Strauss seinen komponierenden Sohn mit der Bläserserenade und anderen Jugendwerken in Dresden vorstellte, muss eine weise Entscheidung gewesen sein.

Trackback URL:
https://mehrlicht.twoday.net/stories/876868426/modTrackback

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Passfarben
Was da wohl für eine Psychologie dahintersteckt. Colors...
Kreidler - 20. Apr, 05:34
Niedergang auf dem Buchrücken
The expressive design of the 1946 edition of Gibbon's...
Kreidler - 19. Apr, 05:34
Rhythmen aus alten Zeiten
Zürich HB Flap (at MuDA)2016(Sound on!) pic.twitter.com/wZWdRI6AaP —...
Kreidler - 18. Apr, 05:33
Origamitanz
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 17. Apr, 05:04
Vom Glasstapel
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 16. Apr, 05:04
FLURFUNK-Podcast: Qualität in den Medien – was die Gesellschaft...
Teil IV unserer Podcast-Serie zu Qualität und...
owy - 15. Apr, 20:49

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6693 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren