Freitag, 8. April 2016

Spielkultur der Spitzenklasse

Bundesjugendorchester gastierte mit de Falla, Schumann und Strauss in Dresden

"Konrad", sprach die Frau Mama, "ich geh' aus und du bleibst da!" - so heißt es in einer Geschichte im "Struwwelpeter". Im Fall des gleichnamigen Maskottchens des Bundesjugendorchesters ist es genau umgekehrt - Konrad befindet sich mit dem Orchester auf großer Fahrt - und hat seinen Platz vor dem Dirigentenpodest, das Publikum kritisch beäugend und im Rücken Dirigent Sebastian Weigle und ein 100-köpfiges Orchester aus Jugendlichen. Das Bundesjugendorchester, 1969 gegründet und in der Obhut des Deutschen Musikrates befindlich, versammelt die besten Nachwuchsmusiker in Deutschland - glücklich können sich die Städte schätzen, die das Orchester bei seinen Tourneen besucht.

Am Montag gastierte es im Rahmen seiner Frühjahrstour im Konzertsaal der Musikhochschule Dresden und krönte damit ein musikalisches Wochenende mit Konzerten der Jungen Bläserphilharmonie Sachsen und des Landesjugendorchesters Sachsen. Was man dem Bundesjugendorchester gar nicht anmerkte, war irgendeine Form von Tourstress (Konzerte in Baden-Baden, Köln und Zwickau sowie eine CD-Aufnahme waren bereits absolviert) oder Aufregung - im Gegenteil: man blickte in fröhliche Gesichter und Dirigent Sebastian Weigle startete das Konzert beschwingt mit den beiden "Dreispitz"-Suiten von Manuel de Falla. Dass bei der höchsten Perfektion der Instrumentalisten und den nur fulminant zu nennenden Interpretationen mit Weigles vollem Einsatz für die Musik die Suite noch einmal angesetzt werden musste, war ein schon fast sympathischer Zug - der erste Einsatz ging ins Leere, der zweite war um so prägnanter.

Und dann breitete sich das spanische Kolorit so natürlich aus, als seien die Musiker gerade eben nicht aus Zwickau, sondern aus Manuel de Fallas sonnengetränkter Villa in Granada angereist. Schon hier verursachten die von Weigle auf den Punkt gebrachten Rhythmen, die von allen Musikern ausgekosteten Bläserlinien und das mit Tempo-Zug vorangetriebene folkloristische Klanggemälde reichlich Gänsehaut. Man ging begeistert mit und erfreute sich an der ungemein hohen Spielkultur des Orchesters, wo keiner für sich selbst spielt, sondern alle aufmerksam Anteil nehmen am Spiel der anderen.

Das setzte sich bei Robert Schumanns Konzertstück für vier Hörner und Orchester fort, getragen von einem Spitzenquartett an den Waldhörnern: die vier Hornisten der Berliner Philharmoniker - übrigens das Partnerorchester des Bundesjugendorchesters - Stefan Dohr, Stefan de Leval Jezierski, Andrej Zust und Sarah Willis waren nicht nur kundige Sachwalter der Komposition, mit der Robert Schumann 1849 der Neuentwicklung des Ventilhorns in höchst virtuoser Weise huldigte. Von den Schwierigkeiten des Werkes bekam man in dieser Aufführung rein gar nichts mit: Weigle fiel mit den ersten frohlockenden Akkorden mit der Tür ins Haus, und das Soloquartett zeigte seine Klasse mit überschäumender Spiellust, so dass man bedauerte, dass Schumann sein Konzertstück gar so kompakt verfasst hatte. Die Tempoangabe des dritten Teils "Sehr lebhaft" namen die Musiker wörtlich: so flott und gleichzeitig volltönend in allen Registern hat man das Stück wohl noch nicht erlebt. Der brausende Applaus wollte kein Ende nehmen, die Zugabe war unausweichlich.

War man schon in der Pause von diesen musikalischen Höhenflügen positiv geplättet, so setzen Weigle und das Bundesjugendorchester im zweiten Teil noch eins drauf. Richard Strauss' Tondichtung "Don Quixote" kommt lediglich in der Geschichte selbst und in Strauss' Überschriften putzig und charmant daher. Das stellt sich in der Partitur allerdings als immense Herausforderung für alle Orchestergruppen dar: abrupt zu vollziehende Charakterwechsel und offen liegende solistische Einwürfe machen das Stück zu einem abwechslungsreichen, durchaus im Cervantes-Sinne "gefährlichen" Abenteuer.

Kein Problem allerdings, wenn man Ludwig Quandt (Berliner Philharmoniker) als Quixote-Cellisten und Teresa Schwamm (Armida Quartett) im Trio mit Euphonium und Bassklarinette als Sancho Pansa in den Hauptrollen zur Verfügung hat. Schafherde und Windmühlen, Liebeszauber und versöhnlicher Ausklang waren hier so intensiv und selbstbewusst von allen ausmusiziert, dass es eine helle Freude war. Mit der Zugabe von Erich Wolfgang Korngolds "Duell" aus der Filmmusik zu "Der Prinz und der Bettelknabe" setzten Weigle und die jungen Musiker einen rasanten Schlusspunkt unter ein großartiges Konzert, und auch Maskottchen Konrad war's zufrieden.
(6.4.2016)

Ein Konzert der Kulturen

Trilaterales Konzertprojekt mit dem Landesjugendorchester Sachsen und dem Europera Youth Orchestra

Zwei große Konzertprojekte veranstaltet das Landesjugendorchester Sachsen jedes Jahr, eines im Frühjahr und eines im Herbst. Es ist ja immer wieder erstaunlich, wie der Nachwuchs innerhalb einer kurzen Probenphase in immer neuen Besetzungen zu einem konzertfähigen, Ensemble zusammenwächst. Das diesjährige Frühjahrsprojekt war als trilaterales Projekt in Kooperation mit dem Europera Youth Orchestra konzipiert, letzteres ist seit einigen Jahren im Dreiländereck Tschechien-Polen-Deutschland beheimatet.

So bestand etwa ein Drittel des Orchesters aus Jugendlichen aus Polen und Tschechien, und während der gemeinsamen Probenphase auf Schloss Colditz gab es sicher viele Möglichkeiten des Austausches, Unterschiede und Gemeinsamkeiten auch in der musikalischen Ausbildung feststellend. Dem Konzert in Dresden am Sonnabend folgten am Sonntag und Montag weitere Auftritte in Jelenia Góra und Liberec. Seit 2015 wird das EYO von Frédéric Tschumi geleitet - ein junger Schweizer Dirigent, der auch beim jetzigen Gemeinschaftsprojekt am Pult stand. Das Motto "Konzert der Kulturen" hätte man schon allein auf die Herkunft der Orchestermitglieder beziehen können, aber mit dem ausgewählten Programm wurde der Kulturbegriff endgültig weltläufig: Hollywood, der Broadway und der in Amerika als Dirigent und Komponist 1891 warmherzig empfangene Antonín Dvořák kamen zu Ehren - damit entstand ein sehr populäres und sicher den Jugendlichen entgegenkommendes Konzertprogramm.

Dramaturgisch wollte das nicht so recht ineinandergreifen, denn die am Computer konzipierten, auf Wirkung bedachten Filmmusiken zu "How to train your dragon" (James Powell) und "Fluch der Karibik" (Klaus Badelt) bewegen sich in einer ganz anderen Ästhetik als die Dvořák-Sinfonie. Dafür waren die jungen Musiker aber sensibilisiert und vor allem auch gut vorbereitet. Zu Beginn war noch etwas Nervosität angesichts des ausverkauften Konzertsaales in der Dresdner Musikhochschule spürbar, doch Tschumi und das große Orchester verbreiteten bald den typischen Hollywood-Klang, der wohl auch deshalb leichtfiel, weil die vorhersehbare, rustikale Machart wenig Herausforderungen bietet - vielleicht nimmt man sich künftig einmal Filmmusiken von Bernard Herrmann, Wojciech Kilar oder Alfred Schnittke vor, um auch innerhalb des Genres durchaus Aufregenderes zu zeigen.

Solistin in George Gershwins "Rhapsody in Blue" war die 24-jährige polnische Pianistin Agnieszka Skorupa, die ihren Weg durch die Rhapsodie mit Bedacht und einem sehr klassischem Zugang wählte - ein wenig mehr Extrovertiertheit hätte dem auch formal schwer zu bändigenden Stück aber auch gutgetan. Solche Passagen blieben meist dem Orchester vorbehalten, das hier vor allem mit packendem Blech-Einsatz glänzte. Nach viel Orchesterwirbel im ersten Teil bedankte sich Agnieszka Skorupa für den großen Beifall mit einer meditativen Zugabe: Arvo Pärts "Für Alina" war der Ruhepunkt vor der Pause - nach welcher man in klassischere Gefilde umschaltete.

Zwar ist Dvořáks 9. Sinfonie "Aus der neuen Welt" ein zur Genüge bekanntes, auch dankbares Stück für ein Jugendorchester - vielleicht war aber bei diesem Projekt das Zusammenschweißen des Ensembles noch nicht ganz auf den Punkt geglückt. Die Interpretation glich beim Hören einer kleinen Achterbahnfahrt: hier das vollkommen glückselig machende Englisch-Horn-Solo im 2. Satz oder auch mutige Holzbläserpassagen, selbst die in der hohen Lage geführte Dramatik in den 1. Violinen im 1. Satz gelang sehr gut. Dann aber gab es an anderer Stelle leicht verunglückte Einsätze und schwierige Intonation - gerade das klassische Repertoire kennt man eigentlich von LJO-Projekten in besserer Gesamtqualität. Dass Frédéric Tschumi an einigen Stellen des Übergangs sichtbar nicht mehr leisten konnte, als möglichst das Gesamtgefüge zusammenzuhalten, ist eigentlich ein Schritt zu wenig. Nur an einigen Stellen im zweiten Satz begann die Musik von innen heraus zu glänzen, merkte man, dass sich die Musiker mit einem gemeinsamen Gedanken wirklich verbanden - von solchen Momenten hätte man sich noch mehr gewünscht.

Bruckner zum Innehalten

Dresdner Philharmonie zu Ostern

Kulturgenuss zu Ostern - von diesem Angebot machte das Publikum der Dresdner Philharmonie an den Osterfeiertagen regen Gebrauch: das Albertinum war zu den beiden Konzerten komplett ausverkauft. Ostergeschenke gab es reichlich, wenngleich nur zwei Werke auf dem Programm standen: das 2. Violinkonzert g-Moll Op. 63 von Sergej Prokofieff und die 4. Sinfonie von Anton Bruckner. Mit dem israelischen Geiger Vadim Gluzman konnte ein bewährter solistischer Partner der Philharmonie gewonnen werden, und der kennt sich bestens mit Sergej Prokofieff und der Konzertliteratur insbesondere des 20. Jahrhunderts aus.

So war seine Interpretation des 2. Violinkonzerts auch eine einzige Freude: Gluzman hat einen strahlenden Ton und verbindet das motivische Material des Stücks mit rhythmischer Verve, die stets natürlich wirkt, im dritten Satz auch den derb-tänzerischen Charakter betont. Die klassischen Wurzeln dieses Konzerts, die Prokofieffs Satz nie verleugnet, waren in dieser Lesart sehr schön spürbar, den Rest erledigt Gluzmans Spielwitz und Sinn für gut getimte Phrasengestaltung. Chefdirigent Michael Sanderling bewies sich mit dem Orchester als klanglich sensibler Partner, wobei man sich im ersten Satz noch etwas gegenseitig abtastete. Hier spielte mehr prozesshafte Entwicklung eine Rolle, war noch nicht alles auf den Punkt gebracht. Das fulminante Finale des Konzerts forderte großen Beifall heraus, Gluzman bedankte sich mit Johann Sebastian Bach - frei von Pathos und klar wie ein Glas Wasser.

Anton Bruckners 4. Sinfonie ist die wohl populärste seiner neun Sinfonien - ausgerechnet diese Sinfonie wurde vom zweifelnden Komponisten allerdings gleich mehrfach überarbeitet. Gerade im kontrastreichen Finale sind die verschiedenen Lösungen, die die motivische Entwicklung anbot, auch in der Fassung der "letzten Hand" noch spürbar, im Gegensatz dazu sind der 1. Satz und das Scherzo von sicherer Form- und Klanggebung. Michael Sanderling lotete diese Sphären von selbstbewusster, auch vorwärtsgerichteter Spannung mit dem Orchester gut aus. Wertvolle Unterstützung erhielt er durch Jörg Brückner am 1. Horn. Der ehemalige Philharmoniker (heute 1. Hornist bei den Münchner Philharmonikern) erhielt einen großen Sonderbeifall für die solistisch wie im Quartett herausragende Leistung.

Von seiner innigen Motivausformung im 1. Satz ging auch der Gesamtcharakter der Sinfonie aus, der mit dem Adjektiv "romantisch" eigentlich nur unzulänglich erfasst ist. Sanderlings Lesart dieser Sinfonie war - besonders im 2. Satz und im Finale - äußerst detailgenau, manchmal auch etwas zu detailverliebt, was Nebenstimmen und harmonische Entwicklungen anging. Weniger auffällig war die Pulsierung des Werkes berücksichtigt, gerade im Finale erlaubte sich Sanderling im Grundtempo Freiheiten, die zwar überraschend mit Gaspedal und Bremse spielten, aber in dieser Lesart wurde stark der einzelne Moment in den Vordergrund gerückt. Trotzdem, und das war das Interessante dieser Aufführung, entstanden so Augenblicke, in denen man innehalten konnte, das Bekannte plötzlich ein sensibles, auch zerbrechliches Klanggewand erhielt - die Größe der Musik entstand vor den Ohren neu.

Vielfarbiges Chor- und Orchesterkonzert

Hochschulmatinee in der Semperoper mit Arroyo, Beethoven und Schubert

Facettenreich gab sich das chorsinfonische Konzert, das die Musikhochschule Dresden als Matinee in der Semperoper veranstaltete. Dem Hochschulchor war zwar nur eine Konzerthälfte vorbehalten, doch mit Franz Schuberts Messe Es-Dur stand ein gewichtiges, bis in heutige Zeiten faszinierendes Spätwerk des Komponisten auf dem Programm. Vor dem Konzert wurde, übrigens zum nunmehr 20. Mal, das Carl-Maria-von-Weber-Stipendium der Dresdner Stiftung Kunst & Kultur der Ostsächsischen Sparkasse verliehen. In diesem Jahr erhält es der gebürtige Chemnitzer Pascal Kaufmann, der an der Dresdner Hochschule sowie an der Kirchenmusikhochschule Orgel studiert und schon mehrfach durch Konzerttätigkeit in Dresden sowie originelle Bearbeitungen und Improvisationen an seinem Instrument aufgefallen ist.

Zu Beginn des Konzertes stellte Ekkehard Klemm am Dirigentenpult mit dem Hochschulsinfonieorchester ein neues Orchesterwerk des in Dresden studierenden spanischen Komponisten Alberto Arroyo (geb. 1989) vor: "Se una notte..." bezieht seine Inspiration aus Italo Calvinos Roman "Wenn ein Reisender in einer Winternacht". Das Ungefähre, Nebulöse und Schemenhafte wird hier zum Thema und Arroyo findet dafür interessante, zerbrechliche Klangfarben. Nur einmal schwingt sich das Stück zum forte auf, und versiegt dann über einige Bläserfiguren, die von den Seitenlogen im Rang erklingen. Klemm erreichte mit den jungen Musikern eine in der Dynamik sensible Darstellung, zu einem Mehr als einem hübschen Tableau interessanter Klangzusammenstellungen kam es jedoch nicht.

Traditionell stellen sich in den Orchesterkonzerten der Hochschule auch Solisten der Instrumentalklassen mit einem Konzertwerk vor, am Sonntag war es der chinesische Pianist Mu Xu (Klasse Prof. Arkadi Zenzipér), der sich Ludwig van Beethovens 1. Klavierkonzert C-Dur vornahm. Das gelang ihm erfreulich gut, da er sich viel Mühe mit der Artikulation der Themen gab und zumeist in Ruhe die Musik ausgestaltete. Ein wenig hatte man den Wunsch, Mu Xu könne sich durchaus noch etwas mehr persönliche Zeichnung trauen - die technischen Fähigkeiten dazu besitzt der junge Pianist in jedem Fall.

Nach der Pause dann füllte sich die Bühne der Semperoper mit dem über 100 Stimmen starken Hochschulchor, dem studentische Sänger, Schulmusiker und Instrumentalisten angehören. Dies sei erwähnt, weil es sich eben nicht um einen professionellen Chor handelt. Dennoch hatten Karl Hänsel und Olaf Katzer die Aufführung sehr gut vorbereitet und Karl Hänsel (Klasse Prof. Hans-Christoph Rademann) hatte am Sonntag die Leitung inne. Seine Interpretation der Schubert-Messe entstand mit viel Überlegenheit und klarer Führung von Chor und Orchester. Hänsel bevorzugte flüssige, aber nicht zu schnelle Tempi und setzte auf eine weiche Klanggebung. Bei den Parts des Solistensextetts (Jiheon Lee, Teaa An, Aneta Petrasová, Seonsoo Ryu, Christopher Renz und Jussi Juola) führte dies zu einer unerwartet zurückhaltenden Musizierhaltung. Transparent und homogen waren die Chorfugen ausgeführt und man freute sich, dass diese große Masse an Sängern doch an vielen Stellen fast kammermusikalisch geführt wurde, lediglich manche Steigerungen wie etwa zu Beginn des "Sanctus" hätten noch etwas mehr Intensität erfahren dürfen.

Neue Welten, andere Welten.

Rachmaninow und Dvořák im Albertinum-Konzert der Dresdner Philharmonie

Quasi auf der Durchreise konnte man die Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende im Lichthof im Albertinum erleben - das Orchester befindet sich gerade auf einer kleinen Tour durch Deutschland und hatte bereits Konzerte in den Philharmonien in Berlin und Köln absolviert. Nach dem Gastspiel zu Hause packten die Philharmoniker erneut die Koffer und gastierten am Sonntagabend noch im Gasteig in München. Auf diese Weise bekamen die Konzerte sicher eine andere Atmosphäre als ein übliches, im Probenzentrum am Waldschlößchen vorbereitetes Konzert, und eher ernüchternd-gewohnt dürften die akustischen Begrenzungen des Albertinums nach den Konzerten in Köln und Berlin ausgefallen sein.

Dafür aber war aber der Saal in Dresden zweimal komplett ausverkauft. Das dürfte zum einen am Programm gelegen haben, das ausschließlich spätromantische Klassiker enthielt, zum anderen am Solisten des Abends, Nobuyuki Tsujii. Der 27-jährige japanische Pianist, von Geburt an blind, gewann vor sieben Jahren den hochangesehenen Van Cliburn-Wettbewerb und ist seitdem auf den Bühnen der Welt zu Hause. Mit der Philharmonie erarbeitete er das 3. Klavierkonzert d-Moll von Sergej Rachmaninow, das für viele junge Pianisten einen Markstein in der Karriere bildet. Absolut anzuerkennen ist, welch enorme Leistung die Leidenschaft für die Musik bei Tsujii entfacht.

Als Zuhörer wurde man sofort wach, weil die Sinne sich viel stärker dahin konzentrierten, wo sie ohnehin bei Musik hingehören - zum Hören selbst. Tsujii arbeitet damit ausschließlich und hatte keine Probleme, dem Orchester zu folgen, auch seine Technik ist beeindruckend. Interpretatorisch scheint dieser Rachmaninow aber aus einer anderen Welt zu stammen. Nobuyuki Tsujii hatte für die Themenvorstellung noch eine schöne Gestaltung übrig, näherte sich der komplexen Partitur aber meist mit einer nüchternen, zuweilen mechanisch wirkenden Haltung. Über eine gewisse Art von Organisation wies seine Interpretation selten hinaus, die differenzierenden Möglichkeiten gerade des Anschlags waren insbesondere in größeren Steigerungsbögen begrenzt. Die Ruhe und Konzentration, mit der Tsujii hier die Phrasen ein ums andere Mal anging, spricht jedoch für eine Innigkeit und Verbundenheit mit der Musik, der man sich mit Respekt nähern sollte und die hoffentlich nicht ausschließlich von Agenten im Hintergrund bestimmt wird. Chefdirigent Michael Sanderling folgte mit den Philharmonikern behutsam, die hier spürbare Konzentrationsleistung verhinderte jedoch manches Freispielen, das erst im dritten Satz besser wurde.

Gerahmt wurde das Klavierkonzert von zwei Werken von Antonín Dvořák. Die offenherzig-fröhliche Konzertouvertüre "Karneval" ließ Sanderling zu Beginn des Konzertes mit viel Esprit musizieren, die etwas loser gefassten Zügel vom Dirigentenpult sorgten für eine schöne Atmosphäre. Ein Spiel voller Sorgfalt bis in kleinste Details hatte sich Sanderling für die 9. Sinfonie e-Moll "Aus der neuen Welt" aufgehoben und hier gelang sogar der Spagat, Perfektion und frei schwingende Musikalität in den oft gar nicht genau zu bezeichnenden Einklang zu bringen, bei dem ungeahnt im Miteinander große Momente entstehen. Natürlich ist das Englisch-Horn Solo, exzellent vorgetragen von Volker Hanemann als Gast an diesem Pult, hier zu erwähnen, aber von immenser innerer Spannung war auch der Streichersatz des 2. Satzes getragen. Ebenso erfreute man sich am durchweg atmenden und wunderbar ausphrasierendem Zusammenspiel der Holzbläser, und auch die warm tönenden Einsätze des Blechs im piano schienen nahezu vergoldet. Vielleicht hat Tsujii mit seinem Spiel ja eine besondere Sensibilität auch für die Sinfonie hervorgekitzelt - eine solch runde, in den Tempi von Sanderling feinnervig-flüssig angegangene Interpretation dieser so bekannten Sinfonie ließ packende Hörerlebnisse entstehen, somit wahrlich "neue Welten".

Ehrung für Sofia Gubaidulina

Sächsische Staatskapelle stellt Konzertsaison 2016/2017 vor

Einen Tag nach der Saisonvorstellung der Semperoper stellte auch die Staatskapelle Dresden ihr Jahresprogramm für 2016/2017 vor. In der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen kündigte Chefdirigent Christian Thielemann die Fortsetzung seines Bruckner-Zyklus an - die neue Spielzeit wird am 2. September mit dessen 3. Sinfonie d-Moll eröffnet. Ihm zur Seite musiziert der neue Capell-Virtuos, der junge russische Pianist Daniil Trifonov, der laut Thielemann "derartig begabt sei, dass man Angst vor ihm bekommt" - von seiner Spielkunst kann sich das Dresdner Publikum in mehreren Konzerten und einem Rezital überzeugen, Werke von Mozart, Ravel und Schumann stehen dabei im Mittelpunkt. Thielemann dirigiert weiterhin ein Konzert mit Werken von Tschaikowsky und Liszt, hat Schönbergs großes Orchesterwerk "Pelleas und Melisande" ins Programm genommen und leitet in der Semperoper ebenso das Silvesterkonzert am 30. Dezember 2016 sowie einen Festakt zu den Dresdner Einheitsfeiern am 3. Oktober.

Einen deutlichen Schwerpunkt im Programm der Saison werden Werke der neuen Capell-Compositrice bilden. Erstmalig wird diese Residenz zum zweiten Mal an die gleiche Person verliehen, nicht, weil es nicht genug spannende Komponisten auf dem Planeten gäbe, sondern weil sich die Staatskapelle Dresden nach einer bereits begonnenen, intensiven Zusammenarbeit mit Sofia Gubaidulina dazu entschlossen hat, diese fortzusetzen und damit gleichzeitig ihren 85. Geburtstag zu würdigen. Diese Residenz fällt umfassend aus - neben einem neuen Orchesterwerk namens "Der Zorn Gottes", das Christian Thielemann selbst dirigieren wird, hat sie ihr für Dresden begonnenes und während der Residenz 2014/2015 erfolgeich uraufgeführtes "O komm, Heiliger Geist" nun zu einem Oratorium komplettiert, es wird von Omer Meir Wellber, Solisten und dem MDR-Chor im 3. Sinfoniekonzert erstaufgeführt.

Weitere Stücke von Gubaidulina erklingen in Sinfoniekonzerten, Aufführungsabenden und einem ihr gewidmeten Porträt-Kammerkonzert in der Schlosskapelle. Bei insgesamt 17 aufzuführenden Kompositionen kann man von einer umfassenden Werkschau sprechen, die es so noch nicht in einer Saison der Kapelle gegeben hat. Diese intensivere Art der Residenz soll aber auch in den kommenden Jahren fortgesetzt werden, so Dramaturg Tobias Niederschlag. Der erste Gastdirigent der Staatskapelle, Myung-Whun Chung, wird seinen Mahler-Zyklus mit der 5. Sinfonie cis-Moll fortsetzen, er leitet zudem auch das Gedenkkonzert am 13. Februar mit dem Fauré-Requiem und ist im Januar 2017 gemeinsam mit Solisten der Staatskapelle als Pianist im jährlich im Meetingpoint Music Messiaen aufgeführten "Quatuor pour la Fin du Temps", das Messiaen 1941 dort in der Gefangenschaft komponierte, vertreten.

In der Schar der bekannten und berühmten Dirigenten sind in der kommenden Saison viele Namen erneut vertreten, die schon seit Jahren erfolgreich mit der Staatskapelle zusammenarbeiten, wie etwa Donald Runnicles oder Vladimir Jurowski. Es wird ein lang erwartetes Wiederhören mit Daniel Harding (Dvořák und Mahler) geben, und selbstverständlich wird Herbert Blomstedts 90. Geburtstag gebührend begangen - mit Beethoven und Bruckner wird der große Dirigent das Dresdner Publikum und sich selbst beschenken. Zu den Solisten der Sinfoniekonzerte zählen weiterhin Andras Schiff, Maria Joao Pires, Matthias Goerne, Lisa Batiashvili und das Borodin Quartett. Fortgesetzt wird auch das Palmsonntagskonzert mit Reinhard Goebel, dann unter anderem mit dem "Dettinger Te Deum" von Georg Friedrich Händel.

Auf Tour erlebt man die Sächsische Staatskapelle im nächsten Jahr in den großen Musikzentren Europas. unter anderem in der neu eröffneten Elbphilharmonie in Hamburg. Besonders freut sich Christian Thielemann auf eine Residenz in der Suntory Hall in Tokio, bei der auch Richard Wagners "Rheingold" in einer halbszenischen Fassung auf dem Programm steht. Der Vorverkauf für die neue Saison der Sächsischen Staatskapelle beginnt wie der der Semperoper am 21. März 2016.
(4.3.2016)

Donnerstag, 17. März 2016

Rückblick und Vorfreude

Philharmonie-Intendantin Frauke Roth zieht Bilanz

Seit Januar 2015 ist Frauke Roth als Intendantin der Dresdner Philharmonie im Amt - gestern lud sie zu einem Pressegespräch in die Räume des Orchesters am Waldschlößchen, um die Bilanz des ersten Jahres zu ziehen. Und diese fällt sehr positiv aus. In der Vorstellung der Kennzahlen des Orchesters entwickeln sich im Vergleich zum Vorjahr vor allem die Abonnentenzahlen gut. Derzeit halten über 7000 Abonnenten der Dresdner Philharmonie die Treue - Tendenz steigend. Das, so Frauke Roth, sei etwas Besonderes in einer schwierigen Interimszeit ohne feste Spielstätte. Die verschiedenen Konzertstätten und Formate der Philharmonie seien gut angenommen und auch in der Interimszeit neu entwickelte Angebote wie etwa die Apéro-Konzerte im Hygiene-Museum erfreuen sich des Zuspruchs.

Die Auslastung der Plätze liegt derzeit bei 83%, auch dies ist eine Steigerung zum Vorjahr. Fernab aller Zahlen und Bilanzen, die natürlich auch hoffnungsvoll für die weitere Planung und für eine sichere Verwurzelung der Philharmonie in der Stadt sprechen, war im Gespräch vor allem die Aufbruchsstimmung spürbar, die sich mit der Eröffnung des neuen Konzertsaales im umgebauten Kulturpalast verbindet. Der Termin steht und wurde von Oberbürgermeister Dirk Hilbert vergangene Woche auf der ITB Touristikmesse in Berlin verkündet: am 28. April 2017 findet die schwierige Interimszeit der in der eigenen Stadt konzertierend reisenden Philharmonie ihr Ende. Somit blicken alle nach vorn und die Vorfreude ist schon insofern berechtigt, da bekanntermaßen in anderen Städten große Bauvorhaben im Kulturbereich mit wenig Glück im konsequenten Fortschritt gesegnet sind.

Orchestervorstand Peter Conrad betonte, dass die Stimmung im Orchester sehr gut sei - man blicke jeder Neuigkeit zum neuen Saal und vor allem den anstehenden Akustikproben mit Spannung entgegen. Gerade erst war die Philharmonie bei ihrer Tournee mit den Konzertsälen in Berlin, Köln und München konfrontiert, die Rückkehr in die Interimsspielstätten in Dresden sei, so Frauke Roth, bei aller guter Partnerschaft zu Schauspielhaus und Albertinum, natürlich ernüchternd. Dennoch habe das Orchester in diesen engen Grenzen und mit manchen Kompromissen nicht nur eine konstant stabile Leistung für sein Publikum gezeigt, sondern auch seine Vielfalt und Eigenheit bewahrt. Mit dem Rückenwind eines positiven ersten Amtsjahres startet Frauke Roth mit dem Orchester nun im Sommer in die letzte Spielzeit auf fremden Bühnen - ab dem Frühjahr 2017 hat die Dresdner Philharmonie wieder ihren Platz inmitten der Stadt, dies sei auch ein wichtiges Signal. Die offene, international geprägte und weithin geschätzte Arbeit des Ensembles in den Bereichen Kultur und Bildung werde dann wieder von innen heraus zu den Menschen gebracht. Die Vorstellung der Konzertsaison 2016/2017, in die auch der Eröffnungstermin im April 2017 fällt, wird am 17. Mai stattfinden.

Freitag, 12. Februar 2016

Kan Kun

zu meiner Uraufführung "Kan Kun" (11. Februar, Dresdner Kammerchor, Ltg. Hans-Christoph Rademann) stelle ich hier den Programmhefttext zur Verfügung.

Kan Kun für gemischten Chor (2015/2016)
»Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«
— Paulus, 1. Brief an die Korinther, 13

Sehr früh stand als Motto für das vierte Jubiläumskonzert des Dresdner Kammerchores das Motto „Dresdner Stimm/ung/en“ fest, auf das ich mich auch explizit bei der Komposition beziehen wollte. Wie es bei meinen Stücken meistens der Fall ist, konstruiere ich nicht einen Bezug oder Zusammenhang, sondern die Texte und Hintergründe springen mich meist an, hinterlassen einen Klang oder eine schlaglichtartige Struktur, ein Nachwirken, das sich auf das Papier bahnt So wurde ich auf das Projekt „Glaube, Liebe, Hoffnung - Nachrichten aus dem christlichen Abendland“ des Digitalen Textkollektivs „0x0a“ (Hannes Bajohr, Gregor Weichbrodt) aufmerksam. Über ein Scraping-Script hat 0x0a über mehrere Monate Kommentare der facebook-Pegida-Seiten gesammelt. Es entstand ein Textkorpus von über 282.000 Kommentaren, die ungefiltert gesammelt wurden und als Datenbank jedem zur Verfügung stehen.

Später wurden Kommentare mit einem Filter versehen, der den Äußerungen ein Gegenüber verleiht: „Indem die angeblichen Verteidiger des christlichen Abendlandes mit den paulinischen Tugenden von »Glaube, Liebe, Hoffnung« konfrontiert werden, lassen wir sie selbst artikulieren, was sie glauben, lieben und hoffen. Dass vor allem Deutschland geliebt wird, überrascht weniger als die Wünsche der Kommentatoren, die von Umsturz- und Gewaltfantasien bestimmt sind.“ (0x0a) - Der 1. Satz meines Stücks „Kan Kun“ ist eine künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Textkorpus. Weniger ist es eine Vertonung denn eine willkürlich-willentliche Auswahl von etwa 260 Kommentaren, die von den 36 Stimmen in Stimmung und Wort-Klang umgesetzt werden. Dabei ist der Inhalt in dieser Massierung fast zweitrangig, viel mehr interessierte mich bei der Umsetzung die erlebte Tatsache der permanenten und in unserer Informationsgesellschaft allgegenwärtigen Äußerung - der Aktion, der ständig eine Reaktion folgt, und in deren Massierung Undeutlichkeit, Verformung und Überforderung entstehen.

Diese Aufhäufung erzeugt wiederum einen Klang, einen Ausdruck. Zu den individuellen Äußerungen gesellen sich Parolen, die Dresdner derzeit Woche für Woche auf der Straße hören, doch auch diese sind verfremdet vertont: durch die ausschließliche Benutzung von Anagrammen dieser Hetzrufe entstehen zwar neue Bedeutungen, die Geste allerdings bleibt gleich. Das Wort-Klangstück wird schließlich wie im Textkorpus selbst vom Chor mit dem Korintherbrief konfrontiert - ich habe allerdings nicht den 13. Vers wiederholt, sondern mit den davor stehenden Versen 9 und 12 eine weitere Ebene der Deutung - Stückwerk und Spiegel - eingebracht.

Im 2. Satz wird erneut ein Klang unserer Zeit gesucht, hier ist es ein Tweet (eine 140-Zeichen-Nachricht aus dem sozialen Netzwerk Twitter) des französischen Premierministers Manuel Valls, der einen Tag nach den Anschlägen von Paris, am 14. November 2015, der Welt verkündete: „Wir sind im Krieg. Wir ergreifen außergewöhnliche Maßnahmen. Und diesen Krieg werden wir gewinnen.“ - Die innere Ambivalenz dieser Äußerung stellt der Chor in einer Nachzeichnung dar, der Chor wird hier selbst zum Hörer, der daraus ein sich in immer neuer Weise „zuschnürendes“ Gefühl formt.

Schließlich - auch das ist eine „Dresdner Stimm/ung/e“ - wird im dritten Satz mit einem chinesischen Gedicht der Blick nach innen gerichtet. Das Bild des „stummen Äugens über das Land“ kann Kontemplation bedeuten, es umfasst aber auch das pure Grauen, wenn dieses Land tatsächlich nur noch im Wunschdenken des inneren Auges existieren sollte. Eine Flucht nach innen erscheint sinnlos, weil wir das Außen mit nach innen nehmen, und umgekehrt. „Kan Kun“ - das achte Hexagramm im I Ging, erschien mir schließlich als thematische Klammer und Titel auf der Hand liegend. In diesem Hexagramm liegt das Wasser über der Erde - beides bedingt einander und sichert Stärke: Kan Kun - das Zusammenhalten.
Ich danke Hannes Bajohr und Gregor Weichbrodt.
Textkorpus „Glaube, Liebe, Hoffnung“

(c) Alexander Keuk

Montag, 29. Februar 2016

musik. notizen.

Unter dieser Überschrift fasse ich Gedanken zu Musik zusammen, die in keine Rezension passen und die keinen literarischen oder wissenschaftlichen Anspruch erheben. Sie kommen mir beim Hören oder Nachhören, sind Einblick in mein Musikdenken, bruchstückhaft, vergänglich, widersprüchlich. Ich schreibe hier nicht von Wahrheiten und Korrektem, sondern von Eindrücken, Bildern, Emotionen und Fragen, die sich mir selbst stellen. Der Blogeintrag wird fortlaufend ergänzt.

Konzert: 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden, 23.1.2016
Gustav Mahler, Blumine-Satz. Ich wundere mich, dass ich als Mahler-Liebhaber diesen Satz weder jemals live gehört habe, noch kann ich mich überhaupt an diese Musik erinnern, scheinbar besitze ich auch keine Aufnahme. Ein Debüt also? Das Stück ist unverkennbar Mahler, aber mir wird sofort klar, warum dieser Satz aus der 1. Sinfonie verschwinden musste. Nicht weil mit der Fünfsätzigkeit ein Rahmen gesprengt würde, ich glaube eher, weil Mahler das Thema selbst auf die Nerven gegangen sein dürfte und derartig leichtfüßige Motivik ohnehin in der Sinfonie genug zu finden ist. Also eher ein dramaturgischer Kniff, um die Spannung der Satzfolge zu erhalten. Für sich genommen taugt das Stück eigentlich wenig, es ist maximal ein Mahlersches Lied ohne Worte, mit einer netten Trompetenaufgabe versehen.

Ravel, Valses Nobles et Sentimentales. Zwar mir nicht gänzlich unbekannt, aber eher ein Werk, dass in der Vergangenheit kaum Aufmerksamkeit bei mir erzeugte, anders als es beispielsweise die Kraft und geschickte Komposition von "Alborada del Gracioso" beim ersten Hören tat. Zudem outet sich Ravel als Materialzweitverwerter - gut die Hälfte von "La Valse" ist in diesem früheren Werk harmonisch wie in der Orchestrierung angelegt. Dass der letzte Walzer im piano verdämmert, irritierte selbst das Publikum in der Semperoper - wie überhaupt der ganzen Partitur ein merkwürdiges Schimmern innewohnt. Vermutlich ist es eines der besten Beispiele des Fin de Siècle (und Ravel war sich dessen sicher nicht bewusst) in seiner Ungelungenheit zwischen französischer Eleganz - der Klavierfassung darf man zudem den Ruch der Perfektion bescheinigen -, Wiener Überschwang und einer leichten Naivität, der Ravel wohl immer wieder erlag, um den eigenen Zweifler in sich ruhigzustellen.

Konzert Philharmonie, 6.2.
Honegger Jeanne d’Arc au bûcher
Was sind das denn für groteske Szenen innerhalb eines eigentlich todtraurigen, dramatischen und geistlichen Oratoriums? Das ist ja komplett alles von Honegger so angelegt und führt zu einem merkwürdigen Zerrbild, Mittelalter nicht als grausame Realität sondern als Opera buffe? Oder wem wollte er da eins über das Ohr hauen? Etwa dem zeitgenössischen Katholizismus Frankreichs? Ich rätsel.

Gedenkkonzert Philharmonie, Kreuzkirche 13.2.16
Barbers Adagio funktioniert auch in der Chorfassung nicht. Eine einzige Sülze aus Akkorden, die so aneinandergeschichtet sind, damit sie DIE EINE Wirkung hervorrufen und keine andere. Das aber hat mit Kunst und mit Komposition nichts zu tun. Im Gegenteil: würde man das Stück in einem herkömmlichen, nicht programmatischen Konzert aufführen, würde jeder fragen: moment, wer ist tot? Man müsste also künstlich noch jemanden aus dem Anlass der Aufführung des Stücks heraus um die Ecke bringen, damit das Stück sich nicht selbst im Wege steht.
Gegeben wurde auch Peteris Vasks "Dona nobis Pacem" , ein Paradebeispiel dafür, wie man Bach falsch verstehen kann und diatonische Skalen, falsch angewendet, nur noch Leere und Hohlheit vermitteln. Ich gebe zu, dass die Tränendrüse bei anderen Zuhörern leichter zu aktivieren ist als bei mir, aber wenn man mir die Emotion um die Ohren derartig offen um die Ohren haut ("sei gefälligst traurig!", "hörst du den Trost in dem Mollakkord?", "habe Mitleid mit der absteigenden Tonleiter"), dann gehen meine ansonsten neugierigen Ohren leider zu.

Zwischendurch im Radio: Don Quixote von Richard Strauss, wahrlich ein entsetzliches Stück, wenn man nur mal diese Hauptthemen nimmt, die wie ein schlecht gezeichneter Comic wirken. Er komponiert etwas tapsig-derbes, und das klingt dann tapsig-derb, aber wer will denn so einen Schmarren hören? Dann doch lieber Cervantes lesen. Während ich diese Tirade gegen Strauss schreibe, boxt mir seine Rechte mit brillanter Instrumentation in den Magen, Elektra, Salome und die Metamorphosen hinterherwerfend. Dieser Hund.

7. KapellKonzert Andris Nelsons dirigiert Britten, Zimmermann, Schostakowitsch, 26.2.16
Zimmermann Trompetenkonzert "Nobody knows de trouble I see"
Zum einen: diese unglaubliche Kopfmusik von Zimmermann. Diese geilen Ideen, die durch den Hirnschredder laufen, Ebene um Ebene türmen und letztlich unbrauchbar werden. Tollste Instrumentierung und dann aber eine Sprache, ein Ergebnis, das nur noch mit sich selbst ringt, durch die Musik nicht ins Außen findet, das ist so jammertraurig.

Schostakowitsch 8. Sinfonie - wieder mal ein Baustein im Gefüge: CBC am Anfang - CDC am Ende, diese Sinfonie ist komplett ZENTRIERT, sie schwankt nicht, sondern hat einen derartig sicheren Boden wie ein Ausgleichspendel in einem Wolkenkratzer, vor jedem Erdbeben geschützt. Und dann dieses Entsetzen mittendrin. Und der 5. Satz, den ich nicht verstehe, der wie eine Matrix hinter die Apokalypse (3. Satz mit dem "NICHTS-Largo" hintendran) gequetscht ist. Warum bloß? Sieg der Naivität, des einfachen Gedankens? Womöglich wieder ein Zugeständnis an wohlfeile sowjetische Musik? Was die Neunte dann überspitzt, klingt hier (ich rede von den scherzando/Allegretto-Passagen im letzten Satz) wie gewollt, aber nicht gekonnt, und schon gar nicht gefühlt. Musik, die keine Antworten gibt, weiterhin. - Ein weiterer Gedanke: es ist das traurigste C-Dur der Musikgeschichte, das da am Ende 33 Takte in den Streichern schimmert. Wie überhaupt die ganze Sinfonie - in einer kompetenten Interpretaion, wie ich sie bei Nelsons wahrgenommen habe - eine unglaubliche Traurigkeit erzeugt.

Schuberts "Große"
Wenn es überhaupt eine Sinfonie gibt, an der man gute und schlechte Dirigenten SOFORT erkennt, dann diese. Ein Stück, das aber auch nun mal gar nicht, überhaupt nicht mit zwei, drei Proben runterzudirigieren ist, was leider auch den Alltag in den Philharmonien darstellt. Was Schubert hier in nahezu avantgardistischer Art ausbreitet, ist eine immense Herausforderung, denn ein falsch betonter Takt, ein spannungsloser Übergang, und ein ganzer Satz, ja die ganze Sinfonie kann derartig in die Bedeutungslosigkeit kippen, dass man es als Hörer fast Schubert anlasten möchte, aber genau darin liegt die Crux. Das Stück ist so genial und gleichzeitig eine Bestie, dass es absoluten Nachvollzug auch noch vom letzten Streicherpult fordert. Vermutlich habe ich deshalb auch noch nie eine Aufnahme oder ein Konzert gehört, das mich restlos befriedigt. Vielleicht gibt es das gar nicht, soll es das nicht geben. Zeichnet man diese Sinfonie zu scharf und missversteht ihre unterkühlte Dramatik, bekommt man ihre Längen um die Ohren gehauen. Widmet man sich der Länge und sucht den großen Bogen, verwischen die Konturen und man übersieht die harmonischen Feinheiten zu leicht. Ein gordischer Knoten.

Strawinsky, Pulcinella-Suite
Ein Stück, mit dem ich in diesem Leben nicht mehr warm werde. Was haben die (Dhiagilew, Strawinsky) sich bloß dabei gedacht? Ein Fisch, der nurmehr als Gräte tanzt.

Mahler, 8. Sinfonie Es-Dur
Nachdem heute das Finale wieder als innerer Ohrwurm mit mir tanzte, begriff ich langsam, dass Mahler ein doppeltes Requiem geschaffen hat. Eines, das ihn komplett überfordert hat in der schon fast irregulären Vermischung von Pfingsthymnus mit dem zweiten Teil des Faust. Und auf eine hier noch nicht erklärbare Weise missversteht er beides und schafft dadurch etwas Neues, nämlich im ersten Teil statt eines Geisteshauchs ein seltsam profanes Babylon, eine Neuzeit-Verirrung, und im 2. Teil geht er nahezu mit Strauss'schem Illustrationseifer an einen Text heran, an dem sich schon ganz andere die Notenblätter und Theaterbretter zerbissen haben. Und dann dieser Triumph am Ende, der am besten funktioniert, wenn man ohnehin keinen Text mehr versteht (beim langsam-gebrüllten Bernstein geht's am besten), das ist eigentlich die schönste (Prae-)Totenmesse, die man sich vorstellen kann (bloß für wen?), ein sattes Zurücklehnen in den Sarg, Requiem Eins, fini. Und legt man nach der Achten gleich die Neunte auf, so ist plötzlich alles Äußerliche weg, alle "Tausend" sind weg, die Stühle leer, egal, wo man sich auch hinwendet, man trifft niemanden mehr - außer seinem eigenen Spiegelbild. Und erschrickt. Requiem zwei. -- Ich könnte nun noch darüber spekulieren, ob die begonnene Zehnte nicht noch eine Idee verfolgt, die natürlich acht und neun überwunden haben muss - was in transzendente Felder des Jenseitigen führt, aber das lasse ich für heute...

Traum CXVIII

Der Traum war zweiteilig und leider sind nur noch einige Bilder und Fragmente vorhanden, die in beiden Teilen keinen wirklichen Sinn ergeben:
1) ich komme in W an, soll auf ein Kind aufpassen, das eingewickelt in Decken ist, ich trage den Kindersitz für den "M1" zu meinem Audi, das Kind ist alleine unterwegs an der Blücherbrücke, ich hole noch jemand zweites ab, die Autos fahren um das Kind herum.
2) ich bin in Nürnberg, übernachte im DG, eine bekannte Wohnung, in der die Treppen in der Mitte des quaderförmigen, einräumigen Wohnbereichs liegen, gegen vier Uhr in der Nacht kommt Nina (ich schreibe hier den vollen Namen, da es sich um eine von Bild und Stimme her mir vollkommen unbekannte Person handelt) von einer Reise zurück, ihr Bruder ist auch da, Nina ist mir sehr zugetan. Später soll ich sie beschreiben, ihre Körpergröße gebe ich erst mit 1,80 an, reduziere dann aber auf 1,75.

Sonntag, 28. Februar 2016

Teuflisch gut.

Paganini mit Violine und Gitarre bei den Meisterkonzerten Albrechtsberg

Es ist sicherlich eine Betrachtung wert, wenn man feststellt, dass bestimmte Instrumente eher selten den Weg auf das klassische Konzertpodium finden. Dann aber ist meistens um so erstaunter, was Komponisten und Virtuosen dieser Instrumente für außergewöhnliche Klangwelten zu erzeugen imstande waren und sind.

Für die Gitarre gilt dies in besonderer Weise, schwankt doch ihre Präsenz im Konzertsaal je nach musikalischer Epoche, aber auch in den verschiedenen Kulturkreisen wurde sie mit unterschiedlicher Vorliebe behandelt: in Spanien etwa ist sie in der Kunstmusik nicht wegzudenken, im deutschen Kulturraum gilt sie eher noch als das jedem zugängliche Volksinstrument. Gitarre spielen kann jeder? Das wird sich vielleicht auch der eine oder andere Konzerthörer beim Meisterkonzert im Schloss Albrechtsberg kurz vor dem Beginn gedacht haben, aber spätestens bei den ersten sorgsam erzeugten Tönen des Finnen Ismo Eskelinen war klar, dass hier ein Meister auf dem Podium sitzt.

Denn mit einer großen Auswahl von Werken des Teufelsgeigers - und, wie man am Mittwoch auch lernen konnte, auch Teufelsgitarristen - Niccoló Paganini war eine weitgehend unbekannte Literatur präsentiert, die auch nach dem fünften Stück noch nicht langweilig wurde, weil die zuweilen ausufernd-rhapsodische Komponierweise Paganinis für gehörig Abwechslung sorgte. Da hatte die Duopartnerin Mira Wang an der Violine mal ganz in der bekannten Weise die hochvirtuose Führungsstimme zu übernehmen, in der "Romanze" aus der Grand Sonata hingegen war es umgekehrt: Getupftes von der Violine untermalte einen von sehnsuchtsvoll tönender Ornamentik nahezu überquellenden Gitarrenpart.

Eskelinen ging diese vornehmlich leisen, sensiblen Töne seines Instrumentes mit viel Besonnenheit an und so konnte man sich auf feinste Klangnuancen konzentrieren, auf den Atem der Musik, den beide im Duo in faszinierender Weise immer wieder neu entwickelten. So kam auch gut heraus, dass Paganinis Stücke manchmal arg zwischen den Stühlen stehen: hier und da findet man noch Alberti-Bässe der Wiener Klassik, doch vor allem die langsamen Sätze seiner Sonaten weisen weit in die Romantik und haben singenden Charakter. Solistisch trat das Duo ebenfalls hervor: Eugène Ysayes fünfte Solosonate mit dem wunderbaren "L'Aurore" als erstem Satz ließ in Mira Wangs kompetenter, klangsatter Interpretation alle Farben eines Tagesanbruchs aufleuchten.

Ismo Eskelinen zeigte im Solospiel mit zwei Bearbeitungen von Manuel de Falla und Isaac Albéniz spanisches Temperament, das aber in seinen Händen so liebevoll und gleichzeitig mit stolzer Haltung geformt war, dass man die Grazie und Noblesse des Flamencos darin wiederentdecken durfte - wahrlich ein meisterliches, die Sinne anregendes Konzert.
(18.2.2016)

Musikalische Stimmungen zum Gedenken

Konzert zum 13. Februar der Dresdner Philharmonie in der Kreuzkirche

Zum Dresdner Gedenktag am 13. Februar steht ernste Musik auf den Programmen der Orchester, und bei Vokalkonzerten lauscht man zumeist einem Requiem oder einer Messvertonung. Michael Sanderling, Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, hat in den letzten beiden Jahren mit Aufführungen der 8. und 11. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch diese Tradition zwar nicht aufgebrochen, aber sinnfällig um einige Bezüge erweitert - die direkte Nachvollziehbarkeit von Ereignis und Gedenken wurde eingebettet in ein großräumig angelegtes, humanistisches Feld.

Gedanken zum Gedenken - so könnte man auch die durchaus anspruchsvolle Dramaturgie des diesjährigen Konzertprogrammes umschreiben, denn auf den ersten Blick fällt nicht auf, was die Komponisten Samuel Barber, Peteris Vasks oder Herbert Howells mit dem Dresdner Gedenktag verbindet. Offenkundig schien diesmal eine eher lose Verbindung, die auf dem Erzeugen musikalischer Stimmungen beruhte, im Vordergrund zu stehen. Samuel Barbers berühmtes "Adagio" erzeugt nüchtern betrachtet allein durch seine harmonische Anlage die melancholisch-traurige Emotion. Leider ist dieses Werk schon in seiner Rezeption bekannt dafür, für alle möglichen Gelegenheiten ernster Natur herzuhalten ohne selbst über den Gefühlsfaktor hinaus wirkende, tiefergehende musikalische Aspekte bereitzuhalten.

Von der Orgelempore der Kreuzkirche hinabtönend hatte der Philharmonische Chor unter Leitung von Gunter Berger den Pathos im Zaum und bemühte sich um eine klangschöne Interpretation der Chorfassung des Adagios im recht zügigen Tempo, womit einige Schwierigkeiten des Stückes galant umschifft wurden. Das Hauptwerk des rund eine Stunde währenden Konzertes war das 1939 entstandene Violinkonzert von Benjamin Britten, das selten auf den Podien erklingt, wohl weil es von Solisten einigermaßen gefürchtet ist. Mit einer so souveränen Solistin wie Sophia Jaffé jedoch gelang noch weitaus mehr als die pure Bewältigung des hochvirtuosen und gleichzeitig hochemotionalen Soloparts: sie animierte die Philharmoniker und Michael Sanderling zu rhythmisch pointiertem Spiel und bot eine jederzeit zielgerichtete, atmende Phrasierung an, hier folgte man als Zuhörer gerne der spannungsgeladenen Interpretation.

Ähnlich wie Brittens 3-jährigen USA-Aufenthalt 1939-1942 nicht wirklich als Exil bezeichnen mag, reduzierte sich die Auseinandersetzung mit Herbert Howells Orgelrhapsodie Nr. 3, auf die Information, er habe das Stück "in einer Nacht während des Ersten Weltkrieges in York geschrieben". Aus der spätromantisch empfundenen Musik sprach kaum existenziell Erfahrbares, das übersichtlich-differenzierte Spiel von Kreuzorganist Holger Gehring gefiel dennoch. Schließlich fand sich der Philharmonische Chor im Altarraum bei den Philharmonikern ein, um abschließend Peteris Vasks "Dona Nobis Pacem" (1997) zu musizieren.

Es ist wie Barbers Adagio ein in diatonischen Welten reisendes Werk von innigem Gefühl, das (ausschließlich) mit Melos arbeitet, aber in dieser Reduktion der Mittel kaum eine Wirkung erreicht, die man nicht anders schon sehr viel intensiver erlebt hätte - der Hinweis auf Schostakowitschs langsame Sätze sei hier erneut erlaubt. Gunter Berger hatte aber erneut mit einer fließenden, die Homogenität fördernden Lesart großen Anteil daran, dass man gerne zuhören mochte und die Friedensbitte des Werkes letztlich zu einem wichtigen, zeitlosen Dokument wurde, mit dem jeder im Raum persönliche Gedanken, Erinnerungen und Wünsche verband.
(15.2.2016)

Lohnender Aufwand

Arthur Honeggers "Jeanne d'Arc au bucher" halbszenisch bei der Philharmonie im Albertinum

Es gilt als eines der wichtigsten Oratorien des 20. Jahrhunderts und sicher als ein Schlüsselwerk im Schaffen des Schweizer Komponisten Arthur Honegger (1892-1955), der ansonsten eher durch seine Sinfonien und vor allem das Orchesterstück "Pacific 231" bekannt wurde: das Oratorium "Jeanne d'Arc au bucher", uraufgeführt 1938 in Basel, behandelt die Geschichte der auch als Jungfrau von Orléans bekannten Nationalheldin Frankreichs, die 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die halbszenische Aufführung der Dresdner Philharmonie im Albertinum geriet zu einem Höhepunkt der laufenden Konzertsaison, und dies nicht nur wegen des enormen Aufwandes und der Anforderungen, die Honegger an seine Ausführenden stellt.

Ein sehr großes Orchester, mit Klavieren, Ondes Martenot und reichhaltigem Schlagzeug besetzt, malt mit vielfältigen Klangfarben die Geschichte aus, Chöre, Sänger und Sprecher widmen sich in elf Szenen einer Rückschau der bereits an den Pfahl geketteten Jeanne d'Arc. Ihr Lebensweg und ihre persönlichen Erinnerungen werden mit Ereignissen verknüpft, die zu ihrer Verurteilung führten. In Honeggers Musik findet dies - in kongenialer Verbindung mit dem Libretto von Paul Claudel - einen kontrastreichen, dramaturgisch überzeugend angelegten Niederschlag. Impressionistisches wechselt da mit opernhaften Szenen, Liedformen oder dem prozessualem Königsmarsch beim Empfang des Königs in Reims - trotzdem bleibt die Musik Honeggers stark der Tradition verpflichtet.

In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Bildende Künste Dresden realisierte die Dresdner Philharmonie eine halbszenische Aufführung, in der die frontale Konzertsituation wenig aufgebrochen wurde, man aber spätestens ab dem Tierprozess der dritten Szene auch mit den Augen stets dabei war. Dabei hätte allein die Qualität der sängerischen und schauspielerischen Darbietung an diesem Abend schon eine konzertante Version gerechtfertigt.

Allen voran brillierte die Schauspielerin Johanna Wokalek als Jeanne d'Arc; ihre einfühlsame Darstellung vereinte das einfache Mädchen vom Lande mit der kettensprengenden Märtyrin. Ebenso herausragend und mit großer Ruhe gestaltete Franz Grundheber, der für Thomas Quasthoff eingesprungen war, seine Sprechrolle als Bruder Dominik.

Auch alle weiteren Solisten bewältigten ihre Partien mit Bravour, wobei die Szenen des Tiergerichts und des Bauernvolks (vorzüglich agierend: Tom Quaas, Imke Büchel und Herbert Lippert) ihre schon von Honegger in der Musik angelegte Überzeichnung erhielten - dem folgte die Regie von Reto Nickler zumeist behutsam und Moritz Haack (HfBK) hatte für die Protagonisten passende, phantasievolle Kostüme entworfen. Eine große Spannung entstand im Hinblick auf die ernsteren Szenen des Werkes mit Jeannes Trösterinnen Katharina und Margarethe (Guanquan Yu, Sopran und Janina Baechle, Alt). Bertrand de Billy, Erster Gastdirigent der Dresdner Philharmonie, hielt als Spiritus Rector der Aufführung mit zumeist straff geführten Tempi alle Fäden gut in der Hand und konnte so den Spannungsbogen bis in die dramatische Verbrennungsszene am Schluss halten. Genau diese aber erfuhr merkwürdigerweise eine szenische Zurückhaltung, wohl um die Aufmerksamkeit wieder auf die Musik zu lenken. Unbedingt herauszuheben ist die Leistung des Rundfunkchor Berlins (Einstudierung Michael Alber), der seine umfangreiche, tragende Rolle im gesamten Oratorium mit höchster Differenzierung zwischen leisestem Flüstern und vollstem Forte-Ausbruch ausgestaltete - dem stand der Philharmonische Kinderchor (Einstudierung Gunter Berger) mit souveränem, klarem Klang in nichts nach.

Eingedenk der Tradition konzertanter Opernaufführungen der Philharmonie in früheren Zeiten ist dies ein neuer Weg, der in Abhängigkeit von Raum, Werk und Umsetzbarkeit unbedingt weiter beschritten werden sollte, wenngleich hier die akustische wie visuelle Darstellung im Albertinum klar ihre Grenzen hatte und auch die akustische Verstärkung nicht immer befriedigen konnte - spätestens ab der zehnten Reihe unterschieden sich die Eindrücke nach dem Konzert doch stark. Unbestritten bleibt jedoch die Tatsache, einem herausragendem Werk des 20. Jahrhunderts in einer fulminanten musikalischen Interpretation beigewohnt zu haben.

Traum CXVII

Von einer ausschweifenden Chorparty wechsel ich mehrfach zum Laden hin und her, wo die Eröffnung gefeiert wird. Bei der Chorparty bin ich am Packen, im Laden herrscht purer Stress. Als dieser irgendwann schließt, stehe ich auf einer Straße hinter einer Mauer, an einem Spielplatz und trinke etwas, Cola aus einer Dose, die oben auf der Mauer steht. Ich sehe einen älteren Mann kommen, ein dürrer Typ mit Brille und grauen schütteren Haaren, er drückt mich hinter der Mauer zu Boden und hält mir etwas an den Hals, ich denke es ist ein Messer, aber es ist ein Gerät, mit dem man die Stimme ausschaltet. Das merke ich, als ich um Hilfe zu schreien versuche und nur ein Geröchel aus meinem Mund kommt. Allerdings hat der Typ, sich siegesgewiss, nicht mit meiner Kraft gerechnet und ich stoße ihn von mir, kniee dann über ihm. In dem Moment wache ich auf, ebenfalls in dieser Pose und muss erstmal durchatmen.

Sonntag, 31. Januar 2016

Genuss der Sonderklasse

Leonidas Kavakos und Robin Ticciati gastieren im 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle

Der Begriff des "Fin de Siècle" ist in der Kunstwelt allgemein bekannt - in der Anwendung auf die Musik der vorletzten Jahrhundertwende ist er zwar auch gebräuchlich, aber man sollte vorsichtig damit sein, über Analysen oder Intentionen von Werken dieser Zeit eine Folie zu legen, die die Gefahr der Indifferenz birgt. Interessant wird es allerdings, wenn die Indifferenz, die dem Begriff schon wegen des Zwischenraums einer Zeitenwende innewohnt, selbst zum Gegenstand der Betrachtung wird.

Insofern hatte das Programm, dass der junge britische Dirigent Robin Ticciati - seit seinem Debüt bei einem Aufführungsabend 2006 ein gern gesehener Gast bei der Sächsischen Staatskapelle - am vergangenen Wochenende zum 5. Sinfoniekonzert zusammenstellte, einen ganz eigenen Reiz. Gustav Mahlers "Blumine"-Satz war ursprünglich zu dessen 1. Sinfonie zugehörig und weist noch frühere Wurzeln auf, doch Mahler strich den Satz wieder aus der Sinfonie, erst 1966 wurden die Noten wiederentdeckt. Ticciati verlieh dem kurzen Stück Atmosphäre und die Berechtigung, in diesem Kontext zwischen Werken des Aufbruchs und solchen mit Nachwehen der Klassik und Romantik zu bestehen.

Auch Jean Sibelius ließ sich im Konzert neu entdecken - dies vor allem, weil mit dem griechischen Geiger Leonidas Kavakos ein absoluter Kenner und Könner des berühmten Violinkonzertes d-Moll, Opus 47 zu erleben war: Kavakos spielte 1991 als erster Sibelius' später aufgegebene Originalfassung des Konzertes ein. Seine Interpretation war von hoher Spannung getragen und man konnte sich für seine wunderbare Klanggebung und das sorgfältige Timing nur begeistern - da war selbst ein einzelner Ton wie das schattenhafte Verklingen des 2. Satzes ein Genuss der Sonderklasse. Kavakos legte die Schönheit dieses Konzertes offen, ohne in eine romantisierende Haltung zu verfallen und fand auf seiner Geige nuancenreiche, kupferfarbene Töne, die man diesem Instrument gar nicht zugetraut hätte. Aus innerer Überlegenheit und Ruhe heraus formte Kavakos das Konzert mit starker eigener Zeichnung und Übersicht für einen großen Atem über alle drei Sätze hinweg - daraus sprach äußerste Wertschätzung für die Musik.

Dieser Willen zum Kolorit übertrug sich auch auf die Kapellmusiker, die in den größeren Tuttipassagen von Mal zu Mal mutiger in der Klangfarbe agierten und Kavakos' Impulse wunderbar aufnahmen. Wie einmalig und auch im besten Sinne schockierend Musik nicht nur die Zuhörer, sondern auch den Interpreten selbst treffen kann, wurde bei der Bach-Zugabe deutlich, nach der Kavakos sich erst einmal selbst von den gerade verklingenden Noten erholen musste - von der Bühne lassen wollte ihn das Publikum danach kaum noch.

Im zweiten Teil des Konzertes ging es weiter mit Musik an der Zeitenwende: Maurice Ravels 1911 entstandene "Valses nobles et sentimentales" sind eine eigenartig luftige Zwischenraummusik mit Franz Schubert im Rücken und der walzerseligen Vorkriegszeit im Auge. Robin Ticciati arbeitete die Eleganz dieser Musik hervorragend heraus und sorgte vor allem mit freundlicher Ermunterung für den richtigen Swing im Dreiertakt. Gleiches galt für Claude Debussys Orchesterskizzen "La Mer" (1905), wenngleich hier die von Ticciati stets spürbare Sorgfalt der Darstellung etwas im Widerspruch zur beschriebenen ungezügelten Naturkraft stand: so säuberlich aufgereiht und gleichzeitig mit weichem, feinem Glanz versehen hat man Debussys Wellenspiele selten gehört.
(25.1.2016)

Samstag, 23. Januar 2016

Fünf musikalische Bilder

Orgel und Schlagzeug beim "Orgel-Winter" in der Diakonissenhauskirche

Die Diakonissenhauskirche in der Dresdner Neustadt bietet über das ganze Jahr hinweg vielfältige musikalische Veranstaltungen an. Im Januar, zur Zeit des Jahrestags der Orgelweihe, offeriert Kantor Jan Katzschke einen "Orgel-Winter" und rückt damit die 1973 geweihte, wohlklingende Schuke-Orgel ins Blickfeld. Zum Eröffnungskonzert am vergangenen Freitag konnten die Zuhörer die recht seltene Instrumentenkombination Orgel und Schlagzeug erleben, dazu fanden sich Steffen Walther, Organist der Kreuzkirche Chemnitz und Christian Langer, Schlagzeuger der Sächsischen Staatskapelle Dresden, im Duo zusammen.

Das aus fünf Teilen bestehende Programm hatte keine Zäsuren, so dass man die Kontraste zwischen Improvisation und ausnotierten Kompositionen, alter und neuer Musik intensiv wahrnehmen konnte. Neben zwei Werken für die Orgel allein sowie zwei rahmenden Duo-Improvisationen stand "Karakurenai" ("fremdes Purpur"), ein Werk des US-Amerikaners Andy Akiho im Mittelpunkt des Konzertes und sorgte mit immer wieder leicht veränderten Patterns auf der Steel Drum für einen exotischen Akzent - leider fiel es in der kunstvollen Umgebung der Nachbarwerke trotz der versierten Ausführung von Christian Langer schwer, sich auf diese wie am Reißbrett entworfene Klangtapete einzulassen.

Interessanterweise hatten Langer und Walther kein Originalwerk für die Duobesetzung ausgewählt, stattdessen sorgten die zwei Improvisationen dafür, dass man in Ruhe mit der spannenden Besetzung vertraut wurde: Klangflächen, sorgsam gesetzte Impulse und im gegenseitigen Zuhören organisch aufgebaute Steigerungen zeugten von Sensibilität für die Verschmelzung der beiden Instrumente, wobei Walther nur selten das Pleno der Orgel nutzen musste - die spannenden Momente lagen in leisen, suchenden Strukturen, wozu in der Orgel auch Solostimmen und Mixturen eingesetzt wurden. Schwierig erscheint es, einen Gesamteindruck des Konzertes widerzugeben, denn mit den beiden Orgelsolowerken taten sich weitere Welten auf: wer Johann Sebastian Bachs monumental-grandiose "Präludium und Fuge" e-Moll BWV 548 in einem Programm platziert, weiß um die Alleinstellung dieses großartig wirkenden und nachwirkenden Werkes.

Walther spielte es mit ordentlichem Zug im Tempo und schuf eine selbstbewusste, vor Kraft strotzende Interpretation, die aber dem Werk gemäß war. Dass Sigfrid Karg-Elerts stellenweise recht putzig komponierter "Valse mignonne" demgegenüber eher als leicht mundender Nachtisch im Ohr ankam, war verständlich. Zum Ende gab es im Duo nach einer großangelegten Steigerung in der Abschlussimprovisation versöhnliche Töne mit Marimba und Orgel - das Konzert stellte so fünf stark kontrastierende musikalische Bilder vor, auf die einzulassen sich aber in der Summe wertvoll erschien.
(17.1.2016)

Mozart-Menü mit Tischfeuerwerk

Sonderkonzert zu Rudolf Buchbinders 70. Geburtstag bei der Staatskapelle Dresden

Mit dem Feiern kann man nie früh genug anfangen. Vermutlich ist es den eng gestrickten Konzertkalendern geschuldet, dass der 70. Geburtstag von Rudolf Buchbinder kurzerhand vom Dezember auf den Januar vorverlegt wurde. Das Dresdner Publikum nahm das Geschenk eines Kapell-Sonderkonzertes mit dem Wiener Pianisten gerne an, erfreut sich Buchbinder doch hier einer großen Fangemeinde und musiziert seit Jahren in freundschaftlicher Partnerschaft mit der Sächsischen Staatskapelle. Für das Geburtstagsständchen - der Diminutiv wirkt angesichts des Programms seltsam unangebracht - braucht man indes keinen Pianisten anheuern, Buchbinder selbst beschenkte sich und seine Zuhörer mit Werken von Mozart und Weber und vollführte dies mit sichtlicher Freude, aber auch mit dem von ihm bekannten und vom Publikum geschätzten Anspruch.

So traf er bei den beiden ausgewählten Klavierkonzerten von Wolfgang Amadeus Mozart sehr überzeugend die Charakteristik der Werke - zunächst das in wunderbarer Weise auf ornamentlose, wesentliche Aussagen konzentrierte späte B-Dur-Konzert, KV 595. Vom Klavier aus leitete Buchbinder das gesamte Konzertprogramm und schonte mit drei Konzertwerken auch seine eigene Kraft nicht. Zu Beginn des B-Dur-Konzertes war in der Orchestereinleitung allerdings noch manches verquer, die Musiker befanden sich in puncto Homogenität und Intonation noch in einer Art Findungskommission. Hier wirkte der Vertrauensmotor, den Buchbinder mit sehr sparsamen Bewegungen vom Klavier aus beim Orchester in Gang setzte, noch etwas morgendlich unterkühlt. Doch ist das "concertare" eben ein wachsender Prozess gegenseitiger Inspiration, und mit den ersten Klaviereinsätzen breitete sich ein wunderbar entspanntes, schließlich ein auch vor allem im C-Dur-Konzert KV 467 beseelt zu nennendes Musizieren aus. Interessant waren einige interpretatorische Feinheiten: Wo sich andere Orchester und Solisten bei Mozart gern in Tempo oder Agogik in Sphären der Extreme begeben, besann sich Buchbinder auf Natürlichkeit, vielleicht gar auf eine ehrliche Naivität.

Das war eine sanfte und gleichzeitig kompetente Unterhaltung mit Mozart, die nur an seltenen Stellen die Gefahr des Lapidaren in sich barg - dieser Grat ist aber bei jedem Zuhörer anders ausgeprägt, und Buchbinder zwingt erst recht zum Hinhören, wenn er Mozarts raffiniertes Komponieren nicht auf dem Silbertablett präsentiert, sondern organisch in den Kontext des gesamten Werkes einbettet. Und wenn Mozart dann so genialisch auftrumpft, wie im über das Werk hinaus berühmten Andante des C-Dur-Konzertes, bleibt den Musikern nur, sich diesem Schwelgen hinzugeben. Wenn Mozart das sechs-Satz-Menü der Geburtstagsmatinee darstellte, so war das dazwischen platzierte Konzertstück f-Moll von Carl Maria von Weber das Tischfeuerwerk. Buchbinder versah Webers üppig verzierten, romantischen Klaviersatz mit ordentlichem Vorwärtsgang, arbeitete deutlich harmonische und rhythmische Finessen aus und leitete die Orchestermusiker zu differenziertem Folgen an.

Einhelliger, berechtigter Jubel breitete sich im Opernrund aus, nicht nur das gelungene Konzert, sondern vor allem den Künstler Rudolf Buchbinder und sein lebenslanges und weltweit ausstrahlendes pianistisches Wirken. Davon können sich auch Zuhörer in den Musikzentren Wien, München, Baden-Baden oder Berlin in den nächsten Tagen überzeugen, wenn die Staatskapelle mit Buchbinder auf Tournee geht.
(11.1.2016)

Traum CXVI

Ich bin in einem Kellerraum, der eine Mensa ist und gehe zu einem Tisch mit zwei Stühlen, nah am Fenster, das oben im Kellergewölbe eingelassen ist, man kann aber draußen nichts sehen. An einem weiteren Tisch sitzt M.B., alleine. Auf den beiden Stühlen liegen Obstkartons, in denen Müll angezündet wurde. Der Müll qualmt, ich mache das Fenster auf. Zu mir gesellen sich zwei junge Mädchen, vielleicht 14, 15 Jahre alt und fragen mich, auf welche Schule ich gegangen bin. Ich antworte, aber die Mädchen sagen, sie kennen die Schule nicht.

Donnerstag, 21. Januar 2016

Das brandneue Testament

Mein erster Kinobesuch in diesem Jahr galt einem neuen Film aus Belgien, der soeben in den Programmkinos angelaufen ist. Jaco van Dormael erzählt die schöne Geschichte von Ea, die mit ihrer Familie in Brüssel lebt. Ihr Vater ist nicht irgendwer, sondern - Gott. Dass wir uns kein Bild von Gott machen sollen, hat nach diesem Film einen Sinn erhalten - denn Gott ist Choleriker, läuft zu Hause im versifften Bademantel herum, guckt Sportsendungen und kommandiert an seiner Familie herum. Wenn er arbeitet, dann in einem kafkaesken Raum voller Schubladen an einem alten PC. Dort initiiert er Naturkatastrophen, aber feilt auch am 2526. Gebot. Seine Tochter bricht aus diesem Horror aus - und zwar durch die Waschmaschine, dem einzigen Ausgang aus der Wohnung. Zuvor hat sie allen Menschen auf der Welt noch den Todeszeitpunkt mitgeteilt, was ungeahnte Auswirkungen hat. Sie schart sechs Apostel um sich, deren je eigene Geschichten von van Dormael liebevoll erzählt werden. Da gibt es den Scharfschützen, die frustrierte Ehefrau - (Catherine Deneuve, die sich fortan in einen Gorilla verliebt), den Obdachlosen oder Willy, der lieber ein Mädchen sein will. Was in der Beschreibung eher nach Klamauk klingt, ist filmisch sehr schön umgesetzt und der Film wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Komödie und poetisch inszeniertem Drama - immer wieder hält man inne, um dann wieder in die nächste Überraschung gestürzt zu werden. Leider ist "Das brandneue Testament" mit einem etwas holprigen Schluss versehen, aber der wird hier nicht verraten und mag vielleicht sogar gefallen. Auf jeden Fall ein sehenswerter Film!!



CAST: Pili Groyne, Benoît Poelvoorde, Yolande Moreau, Catherine Deneuve, François Damiens, Laura Verlinden

* Filmseite "Das brandneue Testament"

* Rezension bei filmgazette

Dienstag, 19. Januar 2016

WTF Musik

Auf Anregung von Musik - mit allem und viel scharf gibt es heute von mir auch die Top Ten der #WTFmusik, per definitionem da musica con tutti con acidum: "»WTF-Musik, die [w]. Sie ist eine epochenübergreifende Musikrichtung, die nicht zwischen E- und U-Musik unterscheidet. Sie ist eine Musikrichtung, die nicht durch werkimmanente Charakteristika zusammengehalten wird, sondern einzig die „What the Fuck“-Reaktion des Rezipienten als gemeinsames Spezifikum anerkennt (sic!).«"

Ich muss gleich dazu bemerken, dass innerhalb meiner zehn Titel keine Rangfolge existiert und ich vermutlich noch zweihundertdrölf Stücke ergänzen könnte. Demnach eine Momentaufnahme, und ich lasse sie unkommentiert, da die Gründe sowieso bei jedem Stück verschieden sind. Die Stücke der Liste von Holger würden hier ebenso Eingang finden, aber ich habe versucht, neue Beispiele zu finden. Wenn wir die Listen schön verlinken, gibt es für unsere Leser jede Menge Musik zu entdecken. Und wir wissen ja: The Rest is Noise.



TOP TEN #WTFMUSIK

I. Jón Leifs - Hekla
II. Allan Pettersson - 9. Sinfonie
III. Bloedes Orchester
IV. Mauricio Kagel - 10 Märsche um den Sieg zu verfehlen
V. Johannes Kreidler -bolero
VI. Joseph Beuys - ja ja ja ne ne ne
VII. Richard Wagner - Tristan und Isolde
VIII. Hans-Joachim Hespos - Stitch
IX. Ludwig van Beethoven - Eroica
X. Havergal Brian, 1. Sinfonie "Gothic"
XI. György Ligeti: Mysteries of the Macabre mit Barbara Hannigan

(Im nächsten Blogbeitrag: Wie ich bis zehn zählen lernte)

Mehr #WTFmusik im Opern-Blog bei Barbra Streusand

Dienstag, 5. Januar 2016

Traum CXV

Nur noch zwei Fragmente vorhanden, obwohl ich weiß, dass es einen größeren dritten (ersten) Teil des Traumes gab.
1) ich sitze in einer Runde, einem Stuhlkreis mit vielen Komponisten zusammen. Gegenüber sitzt C.M., der mit dem Gesicht zu mir sitzt . Er sagt, jetzt kommen C. und ? (Namen hab ich nicht mehr), die tatsächlich hinter ihm den Raum betreten. Ich wähne mich in einem Kreis von Sehern, von Weisen.
2) Ich schaue oben aus dem Fenster. Unten auf der Straße fährt ein VW-Bus, es ist spiegelglatt. Der Bus schleudert, stößt andere Autos an, kippt um und zerlegt sich in Einzelteile, viele kleine Pakete.

Medley zum Jahresausklang

Silvesterkonzert der Staatskapelle Dresden mit Lang Lang und Christian Thielemann

Ernst, Gediegenheit und Anspruch: was man der klassischen Musik oft nachsagt, ist zumindest an einem Tag des Jahres widerlegbar. In den allenorten stattfindenden Silvesterkonzerten werden, wenn nicht gerade dem Ritus der Aufführung der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven gehuldigt wird, bunte Programme aufgelegt, die der leichten Muse innerhalb der Klassik huldigen oder auch einen Grenzgang wagen, in jedem Fall aber bestens unterhalten. Dieser Maxime geht auch Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle seit Beginn seiner Amtszeit in Dresden nach - die vom ZDF regelmäßig ausgestrahlten Silvesterkonzerte sind Chefsache.

In diesem Jahr machte Thielemann chronologisch etwa dort weiter, wo er vor zwei Jahren endete: nach den Roaring Twenties waren nun die amerikanischen Fifties dran, die natürlich ohne die Vorarbeit von George Gershwin nicht denkbar sind. Im von Kamerakränen und Scheinwerfern dominierten Ambiente gab es in der Semperoper aber zu Beginn erst einmal einen klassischen Ausflug nach Norwegen: der weltweit gefeierte chinesische Pianist Lang Lang spielte Edvard Griegs 1868 entstandenes Klavierkonzert a-Moll. Einen anderen Grund, als den Starsolisten, der später noch einen zweiten Auftritt mit George Gershwins "Rhapsody in Blue" erhielt, angemessen in Szene zu setzen, gab es wohl nicht für diesen Programmpunkt und es ist auch besser, diese Darbietung schnell zu vergessen.

Wie Intensität ohne exzentrische Übertreibung ein musikalisches Hochgefühl erzeugen kann, machte die Staatskapelle in der Einleitung zum zweiten Satz fabelhaft vor. Lang Lang fand diese Grenze allerdings nicht, wichtiger als das Klavierspiel schien alles Drumherum zu sein. Seine körperlichen Gebärden kindlichen Entdeckens eines Harmoniewechsels, der natürlich im großen Ritardando zelebriert sein muss, wirkten kurios, und in der Aneinanderreihung von maßloser Akzentsetzung, Unterteilung von Takten in zwei verschiedene Tempi und Untermauerung der Großartigkeit der Musik mit Fußtritten im Forte verzerrte sich das im komponierten Satz übrigens auch nicht beherrschte Konzert zur Karikatur. War hier die Dosis des Ausdrucks mit permanentem Überdruck versehen, vermisste man diesen ausgerechnet in Gershwins "Rhapsody in Blue". Zwar packte Lang Lang hier nun eine gewisse Lässigkeit aus, doch die Virtuosität wirkte ausgestellt und bediente vorrangig die Ebenen von Geschwindigkeit und Pathos, wodurch das beim Zuhörer mitwippende Bein ein ums andere Mal in unerklärlichen Schleuderkurs geriet.

Merkte man schon in der Orchesterbegleitung der "Rhapsody (selbstverständlich mit fulminantem Klarinetten-Solo zu Beginn!), dass die Staatskapelle an diesem Abend ausnehmend gut aufgelegt war, so geriet der weitere Fortgang des Konzertes, insbesondere in den Bernstein-Stücken aus "On the Town" und "Wonderful Town" zu einem tollen orchestralen Klangrausch. Zwar merkte man im Detail die Zerrissenheit manches Musikers, als Mitglied eines Spitzenorchesters die broadwaytypischen "dreckigen" Harmonien und Rhythmen voll auszukosten, doch Thielemann gelang diese Gratwanderung und vertraute dem Können seiner Musiker. Die israelische Mezzosopranistin Rinat Shaham und der US-amerikanische Bariton Lucas Meachem - letzterer wird den Dresdnern 2016 in der Premiere von "Don Giovanni" wiederbegegnen - vergoldeten schließlich bekannte Songs wie "As Time Goes By" oder "Lady be Good" mit sängerischem Feingefühl; hier stand nicht opernhafte Selbstinszenierung, sondern musikalischer Esprit im Vordergrund, so dass man als Zuhörer nur noch schwelgen durfte.

Ein bewegender Moment entstand, als Meachem in Cole Porters "I love Paris" ein kleines Tuch mit der französischen Flagge an sein Herz drückte - es brandete spontaner Applaus auf, und bei aller üblichen und zulässigen Ausgelassenheit am Jahresende fand diese Geste der Freundschaft und des Gedenkens ebenso auch wie das im Programmheft auf einer Sonderseite abgedruckte Bekenntnis des Orchesters zu den in der Schillerschen "Ode an die Freude" ausgedrückten Idealen des Humanismus und der Mitmenschlichkeit einen angemessenen Platz.
(2.1.2016)

Freitag, 1. Januar 2016

Schneefrei und kontrastreich

Weihnachten in aller Welt mit den MDR-Chören in der Frauenkirche

Jeder von uns kennt die altbekannten Weihnachtslieder und singt sie zu Hause oder in der Kirche, und in diesen Tagen kann man die Vielfalt der musikalischen Weihnacht in vielen Konzerten hören. Weihnachten wird in jedem Land anders gefeiert und auch anders besungen, der Ausdruck reicht von inniger, still geformter Gläubigkeit bis hin zu fröhlichen Festgesängen, von barocker Kunst bis hin zu folkloristischem, manchmal gar kitschigem Arrangement. Wer im Advent aufmerksam das Radioprogramm verfolgt hat, konnte bei MDR figaro ganz persönliche Geschichten und Lieder der Mitglieder des MDR-Rundfunkchores hören, der sich aus Sängerinnen und Sängern vieler Nationen und kultureller Identitäten zusammensetzt.

Im Weihnachtskonzert in der Frauenkirche stellte der Chor am Sonnabend einen Teil dieses klingenden Adventskalenders vor - Volksweisen aus aller Welt wechselten sich mit umfangreicheren Motetten aus dem 19. und 20. Jahrhundert ab. Programmatisch hatte man das Konzert zwar unter den Titel "Friede auf Erden" gestellt, und natürlich bildete das Weihnachtsfest den roten Faden, aber die insgesamt siebzehn Stücke glichen eher einer flotten Schlittenfahrt um den Erdball, man musste sich seine Pralinen darin selbst suchen.

Gefühlsselige Sätze wie Biebls "Ave Maria" oder Lauridsens "O magnum mysterium" verloren hier den Contest gegenüber dem herrlichen Carol "There is no rose of swych virtue". Den ersten Teil bestritt der von Ulrich Kaiser geleitete MDR Kinderchor - die außerordentliche Qualität dieses Ensembles besteht in selbstverständlicher Intonationsreinheit, Klarheit in der Sprache und differenzierter Gestaltung. Gern folgte man den traditionellen Weisen und manches Lied erklang in moderneren Arrangements wie etwa das zugegebene "Stille Nacht" mit einer schon etwas kurios anmutenden Orgelbegleitung in der dritten Strophe. Was bei allem herausragenden Können des Kinderchores leider fehlte, war eine emotionale, warmherzige Atmosphäre. Da war die Perfektion insgesamt zu deutlich einhergetragen, und das Fallenlassen in die Schönheit der Melodien fiel gerade deshalb schwer. Eher nüchtern durchorganisiert wirkten schlichte Lieder wie "Maria durch ein Dornwald ging", während etwa Josef Rheinbergers anspruchsvolle Sätze aus der "Weihnachtsmesse" in ihrer Farbigkeit mehr überzeugten.

Auch der zweite Teil des Konzertes lebte von Kontrasten - hier das traditionelle französische Lied "Les anges dans nos campagnes", dort Arnold Schönbergs spätromantisch aufwallendes Chorwerk "Friede auf Erden". Philipp Ahmann, Chordirektor des NDR Chores, lockte mit flexiblem, auf Klangfülle wie auch Differenzierung setzendem Dirigat die Stärken des Chores hervor und die geisterhaft leisen Passagen des Schönbergwerkes beeindruckten da ebenso wie das später im Frauenkirchenrund gesungene "Es ist ein Ros entsprungen" in der Bearbeitung von Jan Sandström oder die mit viel Sinn für die schwierige Harmonik locker und transparent gesungenen Weihnachtsmotetten von Francis Poulenc. Mit "El Cant dels Aucells" (Der Gesang der Vögel), das durch Pau Casals berühmt gewordene katalonische Weihnachtslied, gestaltete der MDR-Rundfunkchor mit Alba Vilar (Solosopran) einen überaus berührenden Abschluss des Konzertes, von der Sehnsucht und dem Heimkommen am Weihnachtsfest kündend. Fehlt nur noch der von Gustav Holst in "In the bleak midwinter" besungene Schnee, der fiel "mitten im kalten Winter, vor langer Zeit."


* CD-Tipp: Strålande Jul - Strahlende Weihnacht - Weihnachtslieder aus Deutschland und aller Welt, MDR-Rundfunkchor, Philipp Ahmann (Label genuin)

(21.12.15)

Sonntag, 20. Dezember 2015

In den Lücken der Verzweiflung

Premiere von Friedrich Goldmanns Opernphantasie "R. Hot bzw. Die Hitze" in Semper 2

Nach fünf Jahren Ehe wird die so genannte "Holzhochzeit" gefeiert. Da wird nicht nur auf Holz geklopft, das Holz ist auch das Symbol für Bestand und Festigkeit. Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren wurde an der Semperoper die kleine, feine Bühne Semper 2 eröffnet, um vor allem Kammer- und Barockoper, aber auch Nachwuchstalenten und Experimentellem ein Podium zu bieten, und damit eben genau die vielschichtigen, intimen Musiktheaterformen zu ergänzen, die im großen Haus ungeeignet wären, aber doch zwingend zu einem führenden Opernhaus dazugehören.

Die erste Semper 2-Premiere der Saison 2015/2016 war am vergangenen Freitag die 1971-74 und drei Jahre später an der Berliner Staatsoper uraufgeführte entstandene Oper "R. Hot bzw. die Hitze", das einzige Werk dieser Gattung des 2009 verstorbenen Komponisten Friedrich Goldmann, dessen Werke auch in Konzerten der Musikhochschule jüngst vorgestellt wurden. Bei der Wiederentdeckung oder -erweckung von in der DDR entstandenen Musiktheaterwerken ist die erste zu stellende Frage für Regisseur wie Publikum: was bedeutet uns ein solches Werk heute? Warum bringen wir es auf die Bühne? Vor allem im Mut zum Ausstellen des Widerspruchs, zum Kante-Zeigen und in der Feststellung, dass das Ziel eines gelungenen Opernabends seltenst durch ein perfektes Drama erreicht wird (was wäre dies überhaupt?), lag die Stärke der Entscheidung für dieses Goldmann-Werk. Denn sowohl Goldmann als auch der die Vorlage liefernde Jakob Michael Reinhold Lenz nennen ihr Kunstwerk "Phantasie" und legitimieren damit einen freien, in Gedanken strömenden Vorgang und Umgang mit Themen, der in einem Nummernballett unglaubwürdig erscheinen würde. Dazu passt Goldmanns Musik "in über einhundert Posen".

Tatsächlich sind es 112 Szenen, die hier mal in fließendem Übergang, mal mit scharfem Schnitt aneinandergereiht sind, und die trotzdem ein Ganzes ergeben, vor allem auch, weil Regisseur Manfred Weiß dem unaufhörlich sich steigernden Zug des Stückes folgt, das regelrecht in ein Finale hineinkippt, dessen Charakter zwischen Hölle und Satire schwankt - eine uns in heutigen Tagen seltsam bekannte Emotionsachterbahn. Lenz' Drama, dem Goldmanns Librettist Thomas Körner 1974 eng folgte, konzentriert sich stark auf die Person des jungen Robert Hot, seinem Schicksal und vor allem seiner Vaterbeziehung. Die Konzentration wird von Goldmann in die Partitur aufgenommen: nur ein Bläserquintett samt Kontrabass und E-Orgel sitzt da, aber wie unendlich farbig Goldmann die sieben Musiker, die auch Maultrommeln und zahlreiche Percussion bedienen, be- und ausnutzt, das ist absolut hörenswert. Regisseur Manfred Weiß tat gut daran, die Charakterlinien des Robert Hot zwischen Fremd- und Eigenbestimmung verfolgbar zu machen, indem recht spartanisch agiert wird im Semper 2-Kubus. Ein schwankender - nichts ist in diesem Stück von Sicherheit - Quader dient als Palast oder Gefängnis, Bühne und Kostüme (Timo Dentler, Okarina Peter) lenken nicht ab, sondern vermitteln einen klaren Bewegungs- und Haltungsraum. Videos von unangenehm vor dem Auge rotierenden Plattenbaufassaden oder sich bewegenden Vorhängen deuten ebenfalls auf die permanent vorhandene latente Unruhe im Stück hin.

Robert Hot gewinnt die Sympathien der Zuschauer, schon allein durch die von Lenz subtil gestaltete Befreiungsaktion vom Vater. Was der ansonsten an der Kölner Oper wirkende Tenor Martin Koch, den man als Gast erstmals in Dresden erlebte, aus seiner ohnehin stimmlich halsbrecherischen Hauptrolle als Robert Hot auch darstellerisch herausholt, ist nur phänomenal zu nennen - ist er doch in den 90 Minuten auch permanent präsent auf der Bühne. Peter Lobert gibt stimmlich wie körperlich den überzeugenden Übervater, Tom Martinsen den hemdsärmeligen Mitläufer Lord Hamilton und die Britin Menna Cazel (Junges Ensemble der Semperoper) glänzt mit idealisiertem Mädchen-Pink, aber auch mit bezirzender Stimmkunst - weiterhin wirken in kleineren Rollen Allen Boxer und Michael Kranebitter mit. Die kleine Abordnung der Sächsischen Staatskapelle samt Akademisten ist unter Max Rennes umsichtiger Leitung hochmotiviert und bringt Goldmanns Kamikaze-Arabesken noch im richtigen Taktmaß unter. Wenn überhaupt ein Wunsch offenbleibt bei dieser ver-rückten Oper, die ihre stärksten Momente in den von Regisseur Weiß wie auch von Goldmann in den Fokus gerückten Lücken der Verzweiflung hat, dann der, dass die Dosis der Abstraktion, der Überwältigung noch hier und da stärker ausfallen dürfte, um dem Stück auch seine schwachen Momente zu nehmen.

Der etwas angestaubt-bemühte Rocksong-Einspieler etwa hätte noch mindestens einen Esslöffel Wahn mehr ausgehalten. Überraschend blieb am Ende des Abends wieder einmal die Erkenntnis, dass bei allem politischen Stichen, die Goldmann auch in diesem Stück mit aller damals gebotenen Vorsicht setzt, Robert Hots von Lenz vorgesehene Selbstrichtung am Ende durch einen hoffnungsvollen Neuanfang des Paares ersetzt wird. In Hanns Eislers "Ernsten Gesängen" heißen die letzten Zeilen des Sängers "Was auch ohne ihn blüht, preist er, künftigen Glückes gewiß." - Friedrich Goldmann nimmt mit Robert Hot das Schicksal am Ende selbst in die Hand: "Behaltet Euren Himmel für Euch!"
Alexander Keuk

Weitere Aufführungen: 12./14./17./20./21.1.

(14.12.2015)

Blütezeit der Spätromantik

Rachmaninow, Elgar und Sibelius im 4. Kapell-Sinfoniekonzert

Zwischen 1899 und 1909 sind die drei sinfonischen Werke entstanden, die bei der Staatskapelle Dresden im 4. Sinfoniekonzert der laufenden Saison auf den Pulten lagen - der Zeitraum benennt eine Blütezeit der Spätromantik, in der auch die meisten Sinfonien von Gustav Mahler oder sinfonische Dichtungen von Richard Strauss veröffentlicht wurden. Sergej Rachmaninow, Edward Elgar und Jean Sibelius in einem Programm gegenüberzustellen bot also reizvolle Bezüge, beispielsweise im Einbezug der nationalen Schulen und weitreichenden Musiktradition der jeweiligen Länder.

Thematisch war der erste Teil des Konzertes dem Meer gewidmet - in Rachmaninows berühmter, 1909 beim Aufenthalt in Dresden vollendeter sinfonischen Dichtung "Die Toteninsel" nach dem Gemälde von Arnold Böcklin sind die Wogen durchweg spürbar und durchaus von Lebendigkeit durchzogen, bei Böcklin liegt das Wasser still. Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, Donald Runnicles, gastierte wieder einmal im Kapellkonzert und wollte wohl zu Beginn für eine passende, kontemplative Stimmung sorgen. Etwas zuviel Ordnungswille im ersten Drittel führte aber genau zum Fehlen des Klangschmelzes, der eine spannungsvolle, zur Steigerung taugende Atmosphäre hervorrufen würde. So kam Runnicles mit dem Orchester erst ab dem zweiten Höhepunkt des Werkes wirklich in Schwung, waren auch immer wieder kleinste Schwankungen im Tempo und im Zusammenspiel zu beobachten.

Edward Elgars Orchesterlieder "Sea Pictures", Opus 37 sind auf der britischen Insel weitaus häufiger zu hören als hier - See und Se(e)hnsucht liegen uns Kontinentalbewohnern nicht so sehr im Blute, als dass wir eine manchmal mit gehörigem Pathos verbundene Meereslyrik als allererste Vorliebe nennen würden. Die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill zeigte sich vertraut mit den Liedern und gestaltete sie farbenreich und technisch mühelos - ihr Timbre mit einer schon etwas fahl-eisernen Tiefe mag zwar gewöhnungsbedürftig sein, aber für die zum Teil balladesken Lieder passte die Interpretation. Den üppigen Orchesterpart hatte Runnicles vorsichtig sachwaltend in der Hand, viele Details dieser Meeresmusik kamen so gut zur Geltung. Dass Jean Sibelius in dieser Komponistenrunde als fortschrittlichster Kandidat wirken musste, ist kein Geheimnis: wer solch eine ruppig-schöne Sinfonie als Erstling auflegt, zeigt trotz mancher im Stück verarbeiteten Vorbilder der Tradition einen großen Mut.

Ein herrliches Klarinettensolo (Robert Oberaigner) leitete die Sinfonie ein, schwungvoll nahm Runnicles das Allegro des ersten Satzes auf. Erneut waren hier kleine Mängel in der Homogenität und im fließenden Zusammenspiel der Orchestergruppen spürbar und trotz vieler wirklich traumhaft schöner Stellen vor allem im 2. und 3. Satz kam die letzte, zwingende Kraft der Interpretation nicht zustande. Der von vielen Kontrasten und Stimmungsumschwüngen bestimmte 4. Satz wurde von Runnicles kaum atmend in den Übergängen durchgezogen, so dass sich die Intensität des Spiels nicht an allen Stellen frei entfalten konnte, auch fehlte vielen Holzbläserpassagen im Tutti die glänzende Präsenz. Erst zum von Sibelius fahl auskomponierten Abgesang der Sinfonie am Ende des Finales stellte sich wieder eine Hochspannung ein, die man vorher in der Aneinanderreihung schöner Augenblicke vermisst hatte; insgesamt hätte diese starke, eigentlich im Kontext auch sensationell neutönende Sinfonie mehr Innenbetrachtung verdient, die zu Atmosphäre und Spannung beigetragen hätte.
(30.11.2015)

Sonntag, 13. Dezember 2015

Traum CXIV

Noch einer von der Sorte "detailreich". Ich wohne in W., mitten in der Fußgängerzone. An einem Morgen gehe ich joggen, und zwar um die Häuserblöcke der Innenstadt herum, in einem weißen Schlafanzug. Um die Uhrzeit, halb sieben, ist sonst niemand auf der Straße, allerdings treffe ich mehrere Nachbarn, die ebenfalls in einem weißen Schlafanzug/Nachthemd um die Häuser joggen, was aber ganz normal ist. Dann treffe ich S. - zum ersten Mal - im Flur im Haus, es gibt ein paar schüchterne erste Worte, wir gehen dann spazieren. Sie findet einen vergorenen Lachs und knabbert daran, ich schaue ihr zu, es muss Sommer sein, sie hat eine sonnengebräunte Haut und ein T-Shirt an. Wir sitzen irgendwo in einem Park. Wir haben beide Hunger und planen irgendwo frühstücken zu gehen. Vom Park aus schauen wir zu einem Flughafen hinüber, wo eine Linienmaschine rangiert, allerdings mit dem vorderen Rumpf mehrfach auf dem Boden hopsend, bevor das Flugzeug zum Stand kommt. Ein Mann zieht das Flugzeug dann von der Betonpiste über eine Straßenkreuzung und in eine Tiefgarage - ich wundere mich noch, dass das Flugzeug hineinpasst, aber das soll alles wohl so sein. Ich nenne S. die Namen von drei Pferden, nur der dritte Name ist noch halb im Gedächtnis, Regana oder so ähnlich. An dieser Stelle ein Cut im Traum, ich stehe vor der Wohnungstür von R. - offenbar bin ich nicht erwartet, sie öffnet in einem plüschigen Bademantel, der aber mehr als Verkleidung eines überdimensionierten Teddybären wirkt und in dem sie wie in einem Korsett hängt, der rechte Arm abgewinkelt in die Luft und das ganze Kostüm viel zu groß. Sie ist erstaunt, mich zu sehen, läßt mich aber trotzdem herein. (ende hier)

Samstag, 12. Dezember 2015

Traum CXIII

Detailreicher Traum, leider ist vieles schon kurz nach dem Wachwerden verschwunden, ich weiß aber, dass ich nahezu "hellwach" geträumt habe und daher alle Gespräche und Bilder sehr scharf gezeichnet waren. Was übrig ist: ich hatte viel zu tun und daher den Hund abgegeben - an die US Navy. Als ich ihn zurückholen will, muss ich mich durchtelefonieren und habe verschiedene Generäle am Telefon, die mir versichern, dass es dem Hund gutgeht. Ich bin dann auf einem Schiff. Wir nähern uns dem Flugzeugträger "Newton", fahren seitlich vorbei und in Kabinenfenstern kann ich meinen Hund sehen, der rausguckt. Es ist übrigens ein Boxer - auch am Telefon fällt erst der Name "Tina" (das war unser Boxer zu meiner Jugendzeit), später dann aber auch "Muschu". Bei der Übergabe ist Tina ruhig, sie sieht gut gepflegt aus.

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