Samstag, 23. Januar 2016

Fünf musikalische Bilder

Orgel und Schlagzeug beim "Orgel-Winter" in der Diakonissenhauskirche

Die Diakonissenhauskirche in der Dresdner Neustadt bietet über das ganze Jahr hinweg vielfältige musikalische Veranstaltungen an. Im Januar, zur Zeit des Jahrestags der Orgelweihe, offeriert Kantor Jan Katzschke einen "Orgel-Winter" und rückt damit die 1973 geweihte, wohlklingende Schuke-Orgel ins Blickfeld. Zum Eröffnungskonzert am vergangenen Freitag konnten die Zuhörer die recht seltene Instrumentenkombination Orgel und Schlagzeug erleben, dazu fanden sich Steffen Walther, Organist der Kreuzkirche Chemnitz und Christian Langer, Schlagzeuger der Sächsischen Staatskapelle Dresden, im Duo zusammen.

Das aus fünf Teilen bestehende Programm hatte keine Zäsuren, so dass man die Kontraste zwischen Improvisation und ausnotierten Kompositionen, alter und neuer Musik intensiv wahrnehmen konnte. Neben zwei Werken für die Orgel allein sowie zwei rahmenden Duo-Improvisationen stand "Karakurenai" ("fremdes Purpur"), ein Werk des US-Amerikaners Andy Akiho im Mittelpunkt des Konzertes und sorgte mit immer wieder leicht veränderten Patterns auf der Steel Drum für einen exotischen Akzent - leider fiel es in der kunstvollen Umgebung der Nachbarwerke trotz der versierten Ausführung von Christian Langer schwer, sich auf diese wie am Reißbrett entworfene Klangtapete einzulassen.

Interessanterweise hatten Langer und Walther kein Originalwerk für die Duobesetzung ausgewählt, stattdessen sorgten die zwei Improvisationen dafür, dass man in Ruhe mit der spannenden Besetzung vertraut wurde: Klangflächen, sorgsam gesetzte Impulse und im gegenseitigen Zuhören organisch aufgebaute Steigerungen zeugten von Sensibilität für die Verschmelzung der beiden Instrumente, wobei Walther nur selten das Pleno der Orgel nutzen musste - die spannenden Momente lagen in leisen, suchenden Strukturen, wozu in der Orgel auch Solostimmen und Mixturen eingesetzt wurden. Schwierig erscheint es, einen Gesamteindruck des Konzertes widerzugeben, denn mit den beiden Orgelsolowerken taten sich weitere Welten auf: wer Johann Sebastian Bachs monumental-grandiose "Präludium und Fuge" e-Moll BWV 548 in einem Programm platziert, weiß um die Alleinstellung dieses großartig wirkenden und nachwirkenden Werkes.

Walther spielte es mit ordentlichem Zug im Tempo und schuf eine selbstbewusste, vor Kraft strotzende Interpretation, die aber dem Werk gemäß war. Dass Sigfrid Karg-Elerts stellenweise recht putzig komponierter "Valse mignonne" demgegenüber eher als leicht mundender Nachtisch im Ohr ankam, war verständlich. Zum Ende gab es im Duo nach einer großangelegten Steigerung in der Abschlussimprovisation versöhnliche Töne mit Marimba und Orgel - das Konzert stellte so fünf stark kontrastierende musikalische Bilder vor, auf die einzulassen sich aber in der Summe wertvoll erschien.
(17.1.2016)

Mozart-Menü mit Tischfeuerwerk

Sonderkonzert zu Rudolf Buchbinders 70. Geburtstag bei der Staatskapelle Dresden

Mit dem Feiern kann man nie früh genug anfangen. Vermutlich ist es den eng gestrickten Konzertkalendern geschuldet, dass der 70. Geburtstag von Rudolf Buchbinder kurzerhand vom Dezember auf den Januar vorverlegt wurde. Das Dresdner Publikum nahm das Geschenk eines Kapell-Sonderkonzertes mit dem Wiener Pianisten gerne an, erfreut sich Buchbinder doch hier einer großen Fangemeinde und musiziert seit Jahren in freundschaftlicher Partnerschaft mit der Sächsischen Staatskapelle. Für das Geburtstagsständchen - der Diminutiv wirkt angesichts des Programms seltsam unangebracht - braucht man indes keinen Pianisten anheuern, Buchbinder selbst beschenkte sich und seine Zuhörer mit Werken von Mozart und Weber und vollführte dies mit sichtlicher Freude, aber auch mit dem von ihm bekannten und vom Publikum geschätzten Anspruch.

So traf er bei den beiden ausgewählten Klavierkonzerten von Wolfgang Amadeus Mozart sehr überzeugend die Charakteristik der Werke - zunächst das in wunderbarer Weise auf ornamentlose, wesentliche Aussagen konzentrierte späte B-Dur-Konzert, KV 595. Vom Klavier aus leitete Buchbinder das gesamte Konzertprogramm und schonte mit drei Konzertwerken auch seine eigene Kraft nicht. Zu Beginn des B-Dur-Konzertes war in der Orchestereinleitung allerdings noch manches verquer, die Musiker befanden sich in puncto Homogenität und Intonation noch in einer Art Findungskommission. Hier wirkte der Vertrauensmotor, den Buchbinder mit sehr sparsamen Bewegungen vom Klavier aus beim Orchester in Gang setzte, noch etwas morgendlich unterkühlt. Doch ist das "concertare" eben ein wachsender Prozess gegenseitiger Inspiration, und mit den ersten Klaviereinsätzen breitete sich ein wunderbar entspanntes, schließlich ein auch vor allem im C-Dur-Konzert KV 467 beseelt zu nennendes Musizieren aus. Interessant waren einige interpretatorische Feinheiten: Wo sich andere Orchester und Solisten bei Mozart gern in Tempo oder Agogik in Sphären der Extreme begeben, besann sich Buchbinder auf Natürlichkeit, vielleicht gar auf eine ehrliche Naivität.

Das war eine sanfte und gleichzeitig kompetente Unterhaltung mit Mozart, die nur an seltenen Stellen die Gefahr des Lapidaren in sich barg - dieser Grat ist aber bei jedem Zuhörer anders ausgeprägt, und Buchbinder zwingt erst recht zum Hinhören, wenn er Mozarts raffiniertes Komponieren nicht auf dem Silbertablett präsentiert, sondern organisch in den Kontext des gesamten Werkes einbettet. Und wenn Mozart dann so genialisch auftrumpft, wie im über das Werk hinaus berühmten Andante des C-Dur-Konzertes, bleibt den Musikern nur, sich diesem Schwelgen hinzugeben. Wenn Mozart das sechs-Satz-Menü der Geburtstagsmatinee darstellte, so war das dazwischen platzierte Konzertstück f-Moll von Carl Maria von Weber das Tischfeuerwerk. Buchbinder versah Webers üppig verzierten, romantischen Klaviersatz mit ordentlichem Vorwärtsgang, arbeitete deutlich harmonische und rhythmische Finessen aus und leitete die Orchestermusiker zu differenziertem Folgen an.

Einhelliger, berechtigter Jubel breitete sich im Opernrund aus, nicht nur das gelungene Konzert, sondern vor allem den Künstler Rudolf Buchbinder und sein lebenslanges und weltweit ausstrahlendes pianistisches Wirken. Davon können sich auch Zuhörer in den Musikzentren Wien, München, Baden-Baden oder Berlin in den nächsten Tagen überzeugen, wenn die Staatskapelle mit Buchbinder auf Tournee geht.
(11.1.2016)

Traum CXVI

Ich bin in einem Kellerraum, der eine Mensa ist und gehe zu einem Tisch mit zwei Stühlen, nah am Fenster, das oben im Kellergewölbe eingelassen ist, man kann aber draußen nichts sehen. An einem weiteren Tisch sitzt M.B., alleine. Auf den beiden Stühlen liegen Obstkartons, in denen Müll angezündet wurde. Der Müll qualmt, ich mache das Fenster auf. Zu mir gesellen sich zwei junge Mädchen, vielleicht 14, 15 Jahre alt und fragen mich, auf welche Schule ich gegangen bin. Ich antworte, aber die Mädchen sagen, sie kennen die Schule nicht.

Donnerstag, 21. Januar 2016

Das brandneue Testament

Mein erster Kinobesuch in diesem Jahr galt einem neuen Film aus Belgien, der soeben in den Programmkinos angelaufen ist. Jaco van Dormael erzählt die schöne Geschichte von Ea, die mit ihrer Familie in Brüssel lebt. Ihr Vater ist nicht irgendwer, sondern - Gott. Dass wir uns kein Bild von Gott machen sollen, hat nach diesem Film einen Sinn erhalten - denn Gott ist Choleriker, läuft zu Hause im versifften Bademantel herum, guckt Sportsendungen und kommandiert an seiner Familie herum. Wenn er arbeitet, dann in einem kafkaesken Raum voller Schubladen an einem alten PC. Dort initiiert er Naturkatastrophen, aber feilt auch am 2526. Gebot. Seine Tochter bricht aus diesem Horror aus - und zwar durch die Waschmaschine, dem einzigen Ausgang aus der Wohnung. Zuvor hat sie allen Menschen auf der Welt noch den Todeszeitpunkt mitgeteilt, was ungeahnte Auswirkungen hat. Sie schart sechs Apostel um sich, deren je eigene Geschichten von van Dormael liebevoll erzählt werden. Da gibt es den Scharfschützen, die frustrierte Ehefrau - (Catherine Deneuve, die sich fortan in einen Gorilla verliebt), den Obdachlosen oder Willy, der lieber ein Mädchen sein will. Was in der Beschreibung eher nach Klamauk klingt, ist filmisch sehr schön umgesetzt und der Film wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Komödie und poetisch inszeniertem Drama - immer wieder hält man inne, um dann wieder in die nächste Überraschung gestürzt zu werden. Leider ist "Das brandneue Testament" mit einem etwas holprigen Schluss versehen, aber der wird hier nicht verraten und mag vielleicht sogar gefallen. Auf jeden Fall ein sehenswerter Film!!



CAST: Pili Groyne, Benoît Poelvoorde, Yolande Moreau, Catherine Deneuve, François Damiens, Laura Verlinden

* Filmseite "Das brandneue Testament"

* Rezension bei filmgazette

Dienstag, 19. Januar 2016

WTF Musik

Auf Anregung von Musik - mit allem und viel scharf gibt es heute von mir auch die Top Ten der #WTFmusik, per definitionem da musica con tutti con acidum: "»WTF-Musik, die [w]. Sie ist eine epochenübergreifende Musikrichtung, die nicht zwischen E- und U-Musik unterscheidet. Sie ist eine Musikrichtung, die nicht durch werkimmanente Charakteristika zusammengehalten wird, sondern einzig die „What the Fuck“-Reaktion des Rezipienten als gemeinsames Spezifikum anerkennt (sic!).«"

Ich muss gleich dazu bemerken, dass innerhalb meiner zehn Titel keine Rangfolge existiert und ich vermutlich noch zweihundertdrölf Stücke ergänzen könnte. Demnach eine Momentaufnahme, und ich lasse sie unkommentiert, da die Gründe sowieso bei jedem Stück verschieden sind. Die Stücke der Liste von Holger würden hier ebenso Eingang finden, aber ich habe versucht, neue Beispiele zu finden. Wenn wir die Listen schön verlinken, gibt es für unsere Leser jede Menge Musik zu entdecken. Und wir wissen ja: The Rest is Noise.



TOP TEN #WTFMUSIK

I. Jón Leifs - Hekla
II. Allan Pettersson - 9. Sinfonie
III. Bloedes Orchester
IV. Mauricio Kagel - 10 Märsche um den Sieg zu verfehlen
V. Johannes Kreidler -bolero
VI. Joseph Beuys - ja ja ja ne ne ne
VII. Richard Wagner - Tristan und Isolde
VIII. Hans-Joachim Hespos - Stitch
IX. Ludwig van Beethoven - Eroica
X. Havergal Brian, 1. Sinfonie "Gothic"
XI. György Ligeti: Mysteries of the Macabre mit Barbara Hannigan

(Im nächsten Blogbeitrag: Wie ich bis zehn zählen lernte)

Mehr #WTFmusik im Opern-Blog bei Barbra Streusand

Dienstag, 5. Januar 2016

Traum CXV

Nur noch zwei Fragmente vorhanden, obwohl ich weiß, dass es einen größeren dritten (ersten) Teil des Traumes gab.
1) ich sitze in einer Runde, einem Stuhlkreis mit vielen Komponisten zusammen. Gegenüber sitzt C.M., der mit dem Gesicht zu mir sitzt . Er sagt, jetzt kommen C. und ? (Namen hab ich nicht mehr), die tatsächlich hinter ihm den Raum betreten. Ich wähne mich in einem Kreis von Sehern, von Weisen.
2) Ich schaue oben aus dem Fenster. Unten auf der Straße fährt ein VW-Bus, es ist spiegelglatt. Der Bus schleudert, stößt andere Autos an, kippt um und zerlegt sich in Einzelteile, viele kleine Pakete.

Medley zum Jahresausklang

Silvesterkonzert der Staatskapelle Dresden mit Lang Lang und Christian Thielemann

Ernst, Gediegenheit und Anspruch: was man der klassischen Musik oft nachsagt, ist zumindest an einem Tag des Jahres widerlegbar. In den allenorten stattfindenden Silvesterkonzerten werden, wenn nicht gerade dem Ritus der Aufführung der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven gehuldigt wird, bunte Programme aufgelegt, die der leichten Muse innerhalb der Klassik huldigen oder auch einen Grenzgang wagen, in jedem Fall aber bestens unterhalten. Dieser Maxime geht auch Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle seit Beginn seiner Amtszeit in Dresden nach - die vom ZDF regelmäßig ausgestrahlten Silvesterkonzerte sind Chefsache.

In diesem Jahr machte Thielemann chronologisch etwa dort weiter, wo er vor zwei Jahren endete: nach den Roaring Twenties waren nun die amerikanischen Fifties dran, die natürlich ohne die Vorarbeit von George Gershwin nicht denkbar sind. Im von Kamerakränen und Scheinwerfern dominierten Ambiente gab es in der Semperoper aber zu Beginn erst einmal einen klassischen Ausflug nach Norwegen: der weltweit gefeierte chinesische Pianist Lang Lang spielte Edvard Griegs 1868 entstandenes Klavierkonzert a-Moll. Einen anderen Grund, als den Starsolisten, der später noch einen zweiten Auftritt mit George Gershwins "Rhapsody in Blue" erhielt, angemessen in Szene zu setzen, gab es wohl nicht für diesen Programmpunkt und es ist auch besser, diese Darbietung schnell zu vergessen.

Wie Intensität ohne exzentrische Übertreibung ein musikalisches Hochgefühl erzeugen kann, machte die Staatskapelle in der Einleitung zum zweiten Satz fabelhaft vor. Lang Lang fand diese Grenze allerdings nicht, wichtiger als das Klavierspiel schien alles Drumherum zu sein. Seine körperlichen Gebärden kindlichen Entdeckens eines Harmoniewechsels, der natürlich im großen Ritardando zelebriert sein muss, wirkten kurios, und in der Aneinanderreihung von maßloser Akzentsetzung, Unterteilung von Takten in zwei verschiedene Tempi und Untermauerung der Großartigkeit der Musik mit Fußtritten im Forte verzerrte sich das im komponierten Satz übrigens auch nicht beherrschte Konzert zur Karikatur. War hier die Dosis des Ausdrucks mit permanentem Überdruck versehen, vermisste man diesen ausgerechnet in Gershwins "Rhapsody in Blue". Zwar packte Lang Lang hier nun eine gewisse Lässigkeit aus, doch die Virtuosität wirkte ausgestellt und bediente vorrangig die Ebenen von Geschwindigkeit und Pathos, wodurch das beim Zuhörer mitwippende Bein ein ums andere Mal in unerklärlichen Schleuderkurs geriet.

Merkte man schon in der Orchesterbegleitung der "Rhapsody (selbstverständlich mit fulminantem Klarinetten-Solo zu Beginn!), dass die Staatskapelle an diesem Abend ausnehmend gut aufgelegt war, so geriet der weitere Fortgang des Konzertes, insbesondere in den Bernstein-Stücken aus "On the Town" und "Wonderful Town" zu einem tollen orchestralen Klangrausch. Zwar merkte man im Detail die Zerrissenheit manches Musikers, als Mitglied eines Spitzenorchesters die broadwaytypischen "dreckigen" Harmonien und Rhythmen voll auszukosten, doch Thielemann gelang diese Gratwanderung und vertraute dem Können seiner Musiker. Die israelische Mezzosopranistin Rinat Shaham und der US-amerikanische Bariton Lucas Meachem - letzterer wird den Dresdnern 2016 in der Premiere von "Don Giovanni" wiederbegegnen - vergoldeten schließlich bekannte Songs wie "As Time Goes By" oder "Lady be Good" mit sängerischem Feingefühl; hier stand nicht opernhafte Selbstinszenierung, sondern musikalischer Esprit im Vordergrund, so dass man als Zuhörer nur noch schwelgen durfte.

Ein bewegender Moment entstand, als Meachem in Cole Porters "I love Paris" ein kleines Tuch mit der französischen Flagge an sein Herz drückte - es brandete spontaner Applaus auf, und bei aller üblichen und zulässigen Ausgelassenheit am Jahresende fand diese Geste der Freundschaft und des Gedenkens ebenso auch wie das im Programmheft auf einer Sonderseite abgedruckte Bekenntnis des Orchesters zu den in der Schillerschen "Ode an die Freude" ausgedrückten Idealen des Humanismus und der Mitmenschlichkeit einen angemessenen Platz.
(2.1.2016)

Freitag, 1. Januar 2016

Schneefrei und kontrastreich

Weihnachten in aller Welt mit den MDR-Chören in der Frauenkirche

Jeder von uns kennt die altbekannten Weihnachtslieder und singt sie zu Hause oder in der Kirche, und in diesen Tagen kann man die Vielfalt der musikalischen Weihnacht in vielen Konzerten hören. Weihnachten wird in jedem Land anders gefeiert und auch anders besungen, der Ausdruck reicht von inniger, still geformter Gläubigkeit bis hin zu fröhlichen Festgesängen, von barocker Kunst bis hin zu folkloristischem, manchmal gar kitschigem Arrangement. Wer im Advent aufmerksam das Radioprogramm verfolgt hat, konnte bei MDR figaro ganz persönliche Geschichten und Lieder der Mitglieder des MDR-Rundfunkchores hören, der sich aus Sängerinnen und Sängern vieler Nationen und kultureller Identitäten zusammensetzt.

Im Weihnachtskonzert in der Frauenkirche stellte der Chor am Sonnabend einen Teil dieses klingenden Adventskalenders vor - Volksweisen aus aller Welt wechselten sich mit umfangreicheren Motetten aus dem 19. und 20. Jahrhundert ab. Programmatisch hatte man das Konzert zwar unter den Titel "Friede auf Erden" gestellt, und natürlich bildete das Weihnachtsfest den roten Faden, aber die insgesamt siebzehn Stücke glichen eher einer flotten Schlittenfahrt um den Erdball, man musste sich seine Pralinen darin selbst suchen.

Gefühlsselige Sätze wie Biebls "Ave Maria" oder Lauridsens "O magnum mysterium" verloren hier den Contest gegenüber dem herrlichen Carol "There is no rose of swych virtue". Den ersten Teil bestritt der von Ulrich Kaiser geleitete MDR Kinderchor - die außerordentliche Qualität dieses Ensembles besteht in selbstverständlicher Intonationsreinheit, Klarheit in der Sprache und differenzierter Gestaltung. Gern folgte man den traditionellen Weisen und manches Lied erklang in moderneren Arrangements wie etwa das zugegebene "Stille Nacht" mit einer schon etwas kurios anmutenden Orgelbegleitung in der dritten Strophe. Was bei allem herausragenden Können des Kinderchores leider fehlte, war eine emotionale, warmherzige Atmosphäre. Da war die Perfektion insgesamt zu deutlich einhergetragen, und das Fallenlassen in die Schönheit der Melodien fiel gerade deshalb schwer. Eher nüchtern durchorganisiert wirkten schlichte Lieder wie "Maria durch ein Dornwald ging", während etwa Josef Rheinbergers anspruchsvolle Sätze aus der "Weihnachtsmesse" in ihrer Farbigkeit mehr überzeugten.

Auch der zweite Teil des Konzertes lebte von Kontrasten - hier das traditionelle französische Lied "Les anges dans nos campagnes", dort Arnold Schönbergs spätromantisch aufwallendes Chorwerk "Friede auf Erden". Philipp Ahmann, Chordirektor des NDR Chores, lockte mit flexiblem, auf Klangfülle wie auch Differenzierung setzendem Dirigat die Stärken des Chores hervor und die geisterhaft leisen Passagen des Schönbergwerkes beeindruckten da ebenso wie das später im Frauenkirchenrund gesungene "Es ist ein Ros entsprungen" in der Bearbeitung von Jan Sandström oder die mit viel Sinn für die schwierige Harmonik locker und transparent gesungenen Weihnachtsmotetten von Francis Poulenc. Mit "El Cant dels Aucells" (Der Gesang der Vögel), das durch Pau Casals berühmt gewordene katalonische Weihnachtslied, gestaltete der MDR-Rundfunkchor mit Alba Vilar (Solosopran) einen überaus berührenden Abschluss des Konzertes, von der Sehnsucht und dem Heimkommen am Weihnachtsfest kündend. Fehlt nur noch der von Gustav Holst in "In the bleak midwinter" besungene Schnee, der fiel "mitten im kalten Winter, vor langer Zeit."


* CD-Tipp: Strålande Jul - Strahlende Weihnacht - Weihnachtslieder aus Deutschland und aller Welt, MDR-Rundfunkchor, Philipp Ahmann (Label genuin)

(21.12.15)

Sonntag, 20. Dezember 2015

In den Lücken der Verzweiflung

Premiere von Friedrich Goldmanns Opernphantasie "R. Hot bzw. Die Hitze" in Semper 2

Nach fünf Jahren Ehe wird die so genannte "Holzhochzeit" gefeiert. Da wird nicht nur auf Holz geklopft, das Holz ist auch das Symbol für Bestand und Festigkeit. Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren wurde an der Semperoper die kleine, feine Bühne Semper 2 eröffnet, um vor allem Kammer- und Barockoper, aber auch Nachwuchstalenten und Experimentellem ein Podium zu bieten, und damit eben genau die vielschichtigen, intimen Musiktheaterformen zu ergänzen, die im großen Haus ungeeignet wären, aber doch zwingend zu einem führenden Opernhaus dazugehören.

Die erste Semper 2-Premiere der Saison 2015/2016 war am vergangenen Freitag die 1971-74 und drei Jahre später an der Berliner Staatsoper uraufgeführte entstandene Oper "R. Hot bzw. die Hitze", das einzige Werk dieser Gattung des 2009 verstorbenen Komponisten Friedrich Goldmann, dessen Werke auch in Konzerten der Musikhochschule jüngst vorgestellt wurden. Bei der Wiederentdeckung oder -erweckung von in der DDR entstandenen Musiktheaterwerken ist die erste zu stellende Frage für Regisseur wie Publikum: was bedeutet uns ein solches Werk heute? Warum bringen wir es auf die Bühne? Vor allem im Mut zum Ausstellen des Widerspruchs, zum Kante-Zeigen und in der Feststellung, dass das Ziel eines gelungenen Opernabends seltenst durch ein perfektes Drama erreicht wird (was wäre dies überhaupt?), lag die Stärke der Entscheidung für dieses Goldmann-Werk. Denn sowohl Goldmann als auch der die Vorlage liefernde Jakob Michael Reinhold Lenz nennen ihr Kunstwerk "Phantasie" und legitimieren damit einen freien, in Gedanken strömenden Vorgang und Umgang mit Themen, der in einem Nummernballett unglaubwürdig erscheinen würde. Dazu passt Goldmanns Musik "in über einhundert Posen".

Tatsächlich sind es 112 Szenen, die hier mal in fließendem Übergang, mal mit scharfem Schnitt aneinandergereiht sind, und die trotzdem ein Ganzes ergeben, vor allem auch, weil Regisseur Manfred Weiß dem unaufhörlich sich steigernden Zug des Stückes folgt, das regelrecht in ein Finale hineinkippt, dessen Charakter zwischen Hölle und Satire schwankt - eine uns in heutigen Tagen seltsam bekannte Emotionsachterbahn. Lenz' Drama, dem Goldmanns Librettist Thomas Körner 1974 eng folgte, konzentriert sich stark auf die Person des jungen Robert Hot, seinem Schicksal und vor allem seiner Vaterbeziehung. Die Konzentration wird von Goldmann in die Partitur aufgenommen: nur ein Bläserquintett samt Kontrabass und E-Orgel sitzt da, aber wie unendlich farbig Goldmann die sieben Musiker, die auch Maultrommeln und zahlreiche Percussion bedienen, be- und ausnutzt, das ist absolut hörenswert. Regisseur Manfred Weiß tat gut daran, die Charakterlinien des Robert Hot zwischen Fremd- und Eigenbestimmung verfolgbar zu machen, indem recht spartanisch agiert wird im Semper 2-Kubus. Ein schwankender - nichts ist in diesem Stück von Sicherheit - Quader dient als Palast oder Gefängnis, Bühne und Kostüme (Timo Dentler, Okarina Peter) lenken nicht ab, sondern vermitteln einen klaren Bewegungs- und Haltungsraum. Videos von unangenehm vor dem Auge rotierenden Plattenbaufassaden oder sich bewegenden Vorhängen deuten ebenfalls auf die permanent vorhandene latente Unruhe im Stück hin.

Robert Hot gewinnt die Sympathien der Zuschauer, schon allein durch die von Lenz subtil gestaltete Befreiungsaktion vom Vater. Was der ansonsten an der Kölner Oper wirkende Tenor Martin Koch, den man als Gast erstmals in Dresden erlebte, aus seiner ohnehin stimmlich halsbrecherischen Hauptrolle als Robert Hot auch darstellerisch herausholt, ist nur phänomenal zu nennen - ist er doch in den 90 Minuten auch permanent präsent auf der Bühne. Peter Lobert gibt stimmlich wie körperlich den überzeugenden Übervater, Tom Martinsen den hemdsärmeligen Mitläufer Lord Hamilton und die Britin Menna Cazel (Junges Ensemble der Semperoper) glänzt mit idealisiertem Mädchen-Pink, aber auch mit bezirzender Stimmkunst - weiterhin wirken in kleineren Rollen Allen Boxer und Michael Kranebitter mit. Die kleine Abordnung der Sächsischen Staatskapelle samt Akademisten ist unter Max Rennes umsichtiger Leitung hochmotiviert und bringt Goldmanns Kamikaze-Arabesken noch im richtigen Taktmaß unter. Wenn überhaupt ein Wunsch offenbleibt bei dieser ver-rückten Oper, die ihre stärksten Momente in den von Regisseur Weiß wie auch von Goldmann in den Fokus gerückten Lücken der Verzweiflung hat, dann der, dass die Dosis der Abstraktion, der Überwältigung noch hier und da stärker ausfallen dürfte, um dem Stück auch seine schwachen Momente zu nehmen.

Der etwas angestaubt-bemühte Rocksong-Einspieler etwa hätte noch mindestens einen Esslöffel Wahn mehr ausgehalten. Überraschend blieb am Ende des Abends wieder einmal die Erkenntnis, dass bei allem politischen Stichen, die Goldmann auch in diesem Stück mit aller damals gebotenen Vorsicht setzt, Robert Hots von Lenz vorgesehene Selbstrichtung am Ende durch einen hoffnungsvollen Neuanfang des Paares ersetzt wird. In Hanns Eislers "Ernsten Gesängen" heißen die letzten Zeilen des Sängers "Was auch ohne ihn blüht, preist er, künftigen Glückes gewiß." - Friedrich Goldmann nimmt mit Robert Hot das Schicksal am Ende selbst in die Hand: "Behaltet Euren Himmel für Euch!"
Alexander Keuk

Weitere Aufführungen: 12./14./17./20./21.1.

(14.12.2015)

Blütezeit der Spätromantik

Rachmaninow, Elgar und Sibelius im 4. Kapell-Sinfoniekonzert

Zwischen 1899 und 1909 sind die drei sinfonischen Werke entstanden, die bei der Staatskapelle Dresden im 4. Sinfoniekonzert der laufenden Saison auf den Pulten lagen - der Zeitraum benennt eine Blütezeit der Spätromantik, in der auch die meisten Sinfonien von Gustav Mahler oder sinfonische Dichtungen von Richard Strauss veröffentlicht wurden. Sergej Rachmaninow, Edward Elgar und Jean Sibelius in einem Programm gegenüberzustellen bot also reizvolle Bezüge, beispielsweise im Einbezug der nationalen Schulen und weitreichenden Musiktradition der jeweiligen Länder.

Thematisch war der erste Teil des Konzertes dem Meer gewidmet - in Rachmaninows berühmter, 1909 beim Aufenthalt in Dresden vollendeter sinfonischen Dichtung "Die Toteninsel" nach dem Gemälde von Arnold Böcklin sind die Wogen durchweg spürbar und durchaus von Lebendigkeit durchzogen, bei Böcklin liegt das Wasser still. Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, Donald Runnicles, gastierte wieder einmal im Kapellkonzert und wollte wohl zu Beginn für eine passende, kontemplative Stimmung sorgen. Etwas zuviel Ordnungswille im ersten Drittel führte aber genau zum Fehlen des Klangschmelzes, der eine spannungsvolle, zur Steigerung taugende Atmosphäre hervorrufen würde. So kam Runnicles mit dem Orchester erst ab dem zweiten Höhepunkt des Werkes wirklich in Schwung, waren auch immer wieder kleinste Schwankungen im Tempo und im Zusammenspiel zu beobachten.

Edward Elgars Orchesterlieder "Sea Pictures", Opus 37 sind auf der britischen Insel weitaus häufiger zu hören als hier - See und Se(e)hnsucht liegen uns Kontinentalbewohnern nicht so sehr im Blute, als dass wir eine manchmal mit gehörigem Pathos verbundene Meereslyrik als allererste Vorliebe nennen würden. Die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill zeigte sich vertraut mit den Liedern und gestaltete sie farbenreich und technisch mühelos - ihr Timbre mit einer schon etwas fahl-eisernen Tiefe mag zwar gewöhnungsbedürftig sein, aber für die zum Teil balladesken Lieder passte die Interpretation. Den üppigen Orchesterpart hatte Runnicles vorsichtig sachwaltend in der Hand, viele Details dieser Meeresmusik kamen so gut zur Geltung. Dass Jean Sibelius in dieser Komponistenrunde als fortschrittlichster Kandidat wirken musste, ist kein Geheimnis: wer solch eine ruppig-schöne Sinfonie als Erstling auflegt, zeigt trotz mancher im Stück verarbeiteten Vorbilder der Tradition einen großen Mut.

Ein herrliches Klarinettensolo (Robert Oberaigner) leitete die Sinfonie ein, schwungvoll nahm Runnicles das Allegro des ersten Satzes auf. Erneut waren hier kleine Mängel in der Homogenität und im fließenden Zusammenspiel der Orchestergruppen spürbar und trotz vieler wirklich traumhaft schöner Stellen vor allem im 2. und 3. Satz kam die letzte, zwingende Kraft der Interpretation nicht zustande. Der von vielen Kontrasten und Stimmungsumschwüngen bestimmte 4. Satz wurde von Runnicles kaum atmend in den Übergängen durchgezogen, so dass sich die Intensität des Spiels nicht an allen Stellen frei entfalten konnte, auch fehlte vielen Holzbläserpassagen im Tutti die glänzende Präsenz. Erst zum von Sibelius fahl auskomponierten Abgesang der Sinfonie am Ende des Finales stellte sich wieder eine Hochspannung ein, die man vorher in der Aneinanderreihung schöner Augenblicke vermisst hatte; insgesamt hätte diese starke, eigentlich im Kontext auch sensationell neutönende Sinfonie mehr Innenbetrachtung verdient, die zu Atmosphäre und Spannung beigetragen hätte.
(30.11.2015)

Sonntag, 13. Dezember 2015

Traum CXIV

Noch einer von der Sorte "detailreich". Ich wohne in W., mitten in der Fußgängerzone. An einem Morgen gehe ich joggen, und zwar um die Häuserblöcke der Innenstadt herum, in einem weißen Schlafanzug. Um die Uhrzeit, halb sieben, ist sonst niemand auf der Straße, allerdings treffe ich mehrere Nachbarn, die ebenfalls in einem weißen Schlafanzug/Nachthemd um die Häuser joggen, was aber ganz normal ist. Dann treffe ich S. - zum ersten Mal - im Flur im Haus, es gibt ein paar schüchterne erste Worte, wir gehen dann spazieren. Sie findet einen vergorenen Lachs und knabbert daran, ich schaue ihr zu, es muss Sommer sein, sie hat eine sonnengebräunte Haut und ein T-Shirt an. Wir sitzen irgendwo in einem Park. Wir haben beide Hunger und planen irgendwo frühstücken zu gehen. Vom Park aus schauen wir zu einem Flughafen hinüber, wo eine Linienmaschine rangiert, allerdings mit dem vorderen Rumpf mehrfach auf dem Boden hopsend, bevor das Flugzeug zum Stand kommt. Ein Mann zieht das Flugzeug dann von der Betonpiste über eine Straßenkreuzung und in eine Tiefgarage - ich wundere mich noch, dass das Flugzeug hineinpasst, aber das soll alles wohl so sein. Ich nenne S. die Namen von drei Pferden, nur der dritte Name ist noch halb im Gedächtnis, Regana oder so ähnlich. An dieser Stelle ein Cut im Traum, ich stehe vor der Wohnungstür von R. - offenbar bin ich nicht erwartet, sie öffnet in einem plüschigen Bademantel, der aber mehr als Verkleidung eines überdimensionierten Teddybären wirkt und in dem sie wie in einem Korsett hängt, der rechte Arm abgewinkelt in die Luft und das ganze Kostüm viel zu groß. Sie ist erstaunt, mich zu sehen, läßt mich aber trotzdem herein. (ende hier)

Samstag, 12. Dezember 2015

Traum CXIII

Detailreicher Traum, leider ist vieles schon kurz nach dem Wachwerden verschwunden, ich weiß aber, dass ich nahezu "hellwach" geträumt habe und daher alle Gespräche und Bilder sehr scharf gezeichnet waren. Was übrig ist: ich hatte viel zu tun und daher den Hund abgegeben - an die US Navy. Als ich ihn zurückholen will, muss ich mich durchtelefonieren und habe verschiedene Generäle am Telefon, die mir versichern, dass es dem Hund gutgeht. Ich bin dann auf einem Schiff. Wir nähern uns dem Flugzeugträger "Newton", fahren seitlich vorbei und in Kabinenfenstern kann ich meinen Hund sehen, der rausguckt. Es ist übrigens ein Boxer - auch am Telefon fällt erst der Name "Tina" (das war unser Boxer zu meiner Jugendzeit), später dann aber auch "Muschu". Bei der Übergabe ist Tina ruhig, sie sieht gut gepflegt aus.

Montag, 30. November 2015

Adventskalender 2015

Dann starten wir mal den Thread und hoffen, er füllt sich über die Adventstage, denn die Online-Kalender in meinem Blog haben ja Tradition. Ein erster Blick auf bekannte Seiten offenbart aber: so üppig wird es in diesem Jahr nicht, bei Philharmonie und Semperoper etwa sind noch keine Links vorhanden, viele werden sicher auch morgen erst ihr Kalendergeheimnis lüften. Für alle, die meine Liste noch nicht kennen: ich habe mal irgendwann ausschließlich mit Kalendern von Fluggesellschaften angefangen und natürlich nie etwas gewonnen. Daher dehne ich die Kalenderseite nunmehr auf meine Blog-Basics aus: Kultur im weitesten Sinne und alles, was Dresden betrifft.

Los geht's:

Kultur
* Der Adventskalender der Semperoper Dresden
* Staatsoperette Dresden (na, wer hat denn da einen Tag zu früh schon alles public gestellt?)
* concerti - Adventskalender, in diesem Jahr mit Bonusverlosung bei facebook!
* Das Ensemble musikfabrik bedankt sich mit einer kleinen Lotterie an den vier Adventssonntagen und verlost CDs

Dresden
* Dresden for Friends
* der Flughafen Dresden startet erstmalig einen Adventskalender bei facebook
* Laufszene Sachsen
* Bei der SLUB ist der Adventskalender ein Azubiprojekt.

special
* Mal was anderes: PIA - Physik im Advent lädt zu Experimenten ein. Aber nicht den Christbaum auf den Mond schießen!
* Unter dem Titel "Accidental Advent" präsentiert das Ensemble für nicht gekonnte Musik einige Überraschungen.
* Klar: der Tatort-Adventskalender darf hier nicht fehlen.
* beim Vogelarten-Adventskalender (Blog oder facebook) der UN-Dekade Biologische Vielfalt kann man etwas über unsere gefiederten Freunde lernen!

offline
* Neustadt-Adventskalender, erhältlich beim Kirchspiel DD-Neustadt
* Adventskalender im Hechtviertel - jeden Tag eine andere Darbietung!
* etwas verspätet: Advenster Neustadt

(t.b.c.)

Sonntag, 29. November 2015

Sinfonische Sonderfälle

Dresdner Philharmonie und Sol Gabetta veröffentlichen neue CD-Aufnahmen

Zum guten Ton eines städtischen Orchesters gehört neben der Absolvierung von Konzerten und Tourneen auch die Aktivität im Tonträgermarkt, nicht zuletzt für den heimischen Fan, der die Musik des Orchesters auch mit nach Hause nehmen oder verschenken will. Nach dem auf CD bei Genuin erschienenen Antrittskonzert von Michael Sanderling bei der Dresdner Philharmonie im Jahr 2011 gab es eine längere Pause, nun startet das Orchester durch: In den Konzerten der letzten Jahre war bereits der Augenmerk auf Sinfonik von Ludwig van Beethoven und Dmitri Schostakowitsch gelenkt - jetzt werden die Sinfonien in einem großangelegten Projekt bei Sony auf CD gepaart.

Stellt schon jeder der beiden Komponisten für sich genommen eine Herausforderung dar, sowohl als unbestrittenes Hauptrepertoire aller Orchester wie auch mit einiger Konkurrenz auf dem CD-Markt, so ist die Kombination von Beethoven und Schostakowitsch ebenso ungewöhnlich wie ohrenöffnend. Altes Neu hören wird da ebenso möglich, wie das Neue mit der Tradition zu hinterfragen. Die Kombination ermöglicht Kontrast und Widerspruch, was ohnehin dem Werk beider Komponisten originär innewohnt und bei dem CD-Erstling der Reihe, der die 6. Sinfonie der beiden vereint, in besonderer Weise zum Hauptthema wird. Denn diese Stücke sind sinfonische Sonderfälle: hier die in sich im Tempo steigerungsmäßig angelegte, seltsam kopflose dreisätzige Sinfonie von Schostakowitsch, die ein Werk des Zwischenraums scheint und mehr Fragen aufwirft als Antworten zu geben scheint.

Dort die "Pastorale", die wie ein naturalistisches Exerzitium erscheint, legt man die gleichzeitig entstandene 5. Sinfonie daneben. Sanderling und die Dresdner Philharmoniker überzeugen in beiden Stücken mit dem aus den Konzerten wohlbekannten, warmen Sound - das wirkt nicht nur für beide Komponisten adäquat und kompetent, sondern läßt als Grundhaltung auch viel Flexibilität in verschiedene Richtungen zu. Beiden Stücken ist in der Interpretation gemeinsam, dass Sanderling nicht ins Extrem geht: Beethoven kommt in schlankem Gewande und außerordentlich kantabel daher, sein ländliches Gewitter schockt weniger als dass die langsamen Sätze beredt sind von einer ruhig dahinfließenden Zufriedenheit. Im Klangcharakter weist das interessanterweise weit in Richtung Schumann - die Empfindung, der persönliche Ausdruck als Träger der musikalischen Idee wird ernstgenommen.

Dmitri Schostakowitschs Sinfonie hingegen erhält Wucht und tiefe Emotion, der lange erste Satz ist voller Spannung und überragend ausgespielter musikalischer Details, das Allegro beeindruckt mit der von Sanderling fokussiert angelegten Steigerung zum Höhepunkt. Die Tempo-Zurücknahme des Presto-Finales überrascht und legt Groteskes frei - die Anmerkungen Sanderlings über Schostakowitschs "bewusst falsche Metronomangaben" im Booklet reichen da allerdings nicht aus. Hier sollte man interessierten Hörern mehr an die Hand geben. Das gilt übrigens auch für das Cover: wer eher visuell beim CD-Kauf ausgerichtet ist, wird das altbackene Titelbild übersehen und damit kaum die vorgefundenen, anregenden Interpretationen in Verbindung bringen.

Bereits im August erschien eine weitere Veröffentlichung der Dresdner Philharmonie, hervorgegangen aus einem Nachwuchskünstler-Förderprogramm, das Konzerte und Aufnahme mit dem jungen Pianisten Alexander Krichel ermöglichte. Krichel gastierte im März 2015 im Schauspielhaus mit dem 2. Klavierkonzert c-Moll von Sergej Rachmaninov, das live eingespielt wurde. Diese Einspielung ist wohltuend klar und überhaupt nicht vordergründig auf Virtuosität gebürstet. Orchester und Solist folgen hier dem Prinzip einer sorgfältigen Klanggestaltung, was zu einem selbst im dritten Satz recht entspannten Hörerlebnis gerät. Als Zugabe sind die sechs "Moments Musicaux" überaus hörenswert und machen Lust, die Entwicklung des jungen Pianisten weiter zu verfolgen - Krichel steuert außerdem ein selbstkomponiertes "Lullaby" bei. Dass das Booklet weder den Pianisten noch das Dresdner Orchester biografisch würdigt, enttäuscht vor allem, da Hörer, die auf Entdeckungsreise gehen wollen, sich hier woanders weiterbilden müssen.

Sol Gabetta ist in dieser Saison Artist-in-Residence bei der Dresdner Philharmonie. Da sie erst im Frühjahr 2016 wieder im Konzert zu erleben ist, erscheint ihre soeben erschienene CD mit Werken von Peteris Vasks nicht nur als zeitliche Überbrückung geeignet. Die Musik des 1946 geborenen lettischen Komponisten ist den Dresdnern auch durch das Engagement der Philharmonie und ihres Konzertmeisters Wolfgang Hentrich, der etwa Vasks Violinkonzert "Fernes Licht" und andere Werke aufführte, bestens bekannt. Sol Gabetta stellt nun das 2. Cellokonzert "Presence" sowie zwei kammermusikalische Werke vor, die mit viel inniger Emotion gespielt und auch komponiert sind, stilistisch aber mit einfach behandelter Tonalität nicht konfliktfrei sind und den Hörer in eine überwiegend melancholische Stimmung bringen (sollen?). Wer sich darauf einläßt, wird aber mit Sol Gabettas überragendem Einsatz für diese Stücke belohnt. Sie singt (mit und ohne Bogen), tanzt, klagt und spricht mit ihrem Instrument und gibt diesen Stücken ein herzwärmende Klangcharakteristik - dies vor allem in den vielen solistischen Passagen, die im hier erneut auf CD aufgelegten "Buch für Cello Solo" am zwingendsten erscheinen.
Alexander Keuk

* Ludwig van Beethoven / Dmitri Schostakowitsch: 6. Sinfonien, Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling
* Sergej Rachmaninov: 2. Klavierkonzert c-Moll Opus 18, Moments Musicaux Opus 16, Alexander Krichel (Klavier), Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling
* Peteris Vasks: 2. Cellokonzert "Presence", Musique du Soir, The Book for Cello Solo, Sol Gabetta (Cello), Amsterdam Sinfonietta, Candida Thompson
(alle Sony Classical)

Aufregendes Debüt

Die italienische Pianistin Beatrice Rana gastierte bei der Dresdner Philharmonie

Verdient macht sich die Dresdner Philharmonie, wenn sie nicht nur Bekanntes und Bewährtes programmiert, sondern auch nicht entdeckten Werken oder jungen Künstlern ein Podium anbietet. Gleichzeitig kann uns als Zuhörer ein junges Talent vermitteln, wie zeitlos große Musik erscheinen kann. Mit eigener, noch junger Lebenserfahrung und frischen Sichtweisen versehen werden die Werke neu beleuchtet, erweitert sich der eigene Hörhorizont. Auf eine solche Entdeckungsreise gehen konnte, wer am Wochenende die Dresdner Philharmonie im Schauspielhaus besuchte.

Der große britische Cembalist und Dirigent Trevor Pinnock leitete das Orchester und hatte die 22-jährige italienische Pianistin Beatrice Rana mitgebracht, die bereits beim hochangesehenen "Van Cliburn Wettbewerb" Preise erhielt und weltweit zu Konzerten eingeladen wird. Nun ist das 1. Klavierkonzert e-Moll, Opus 21 von Frédéric Chopin sicherlich ein für junge Pianisten in seiner offen daliegenden Virtuosität dankbares Konzert, weitaus schwieriger ist es, die darunterliegende Empfindung zu treffen und der Versuchung zu widerstehen, es lediglich als Soloprélude mit Orchesterbegleitung zu verstehen. Nach der von Pinnock außerordentlich differenziert angelegten Orchestereinleitung wurde bereits mit dem ersten Akkord von Beatrice Rana klar, dass Überlegung, Können und Sinnlichkeit bei dieser Aufführung eine selten zu erlebende Liaison eingehen würden.

Rana gestaltete ihre Solopassagen mit einer tollen körperlichen Erdung, aus der heraus sie perlende Brillanz und einen noblen, nuancenreichen Anschlag entwickelte, was Chopin nahezu vergoldete, ihn aber nicht als bloß abzustaubendes Denkmal hinstellte. Selbstbewusstsein und Sicherheit waren hier Grundlage, nicht Äußerlichkeit. So entstanden in den Ecksätzen wunderbare Bögen, hatte die Romanze im Zentrum gerade genau das Quentchen Melancholie, das eben nicht in schweißtreibendes Pathos umschlägt, und war umgekehrt die Fröhlichkeit im dritten Satz nicht exaltiert, sondern von Esprit bestimmt. Mit einem Satz: Beatrice Rana ist eine aus dem Gros vieler guter, junger Pianistinnen und Pianisten herausragende Persönlichkeit, die ihren Weg machen wird, denn sie erreicht durch eine schon jetzt deutlich entwickelte eigene Handschrift mühelos tiefe Schichten der Musik. Trevor Pinnock begleitete mit den Philharmonikern dieses im besten Sinne aufregende Spiel der Solistin nicht nur höchst aufmerksam, sondern fand eine eindrucksvolle Balance der Klangverschmelzung.

Das machte großen Appetit auf die so genannte "Große" Sinfonie C-Dur von Franz Schubert nach der Pause. Und man wurde nicht enttäuscht: Pinnock legte mit unglaublicher Genauigkeit die Stärken dieses Werkes bloß, indem er Verläufe transparent machte, harmonisch und rhythmisch Prägnantes hervorholte und dabei das Ganze auch noch in den historischen Kontext holte: da klang der zweite Satz wirklich nach einem klassischen Marsch, und da war Beethoven nicht immer nur das vielzitierte Vorbild, sondern das Eigene, Unverwechselbare wurde klar herausgearbeitet und erschien plötzlich modern, gar revolutionär.

Die bei Schubert so wichtigen Posaunen sorgten hier etwa für eine warme Grundierung; Phrasierungen und Übergänge blieben bei aller Genauigkeit im musikalisch natürlich schwingenden Charakter. Bei solch einer überragenden Ausgestaltung war faszinierend zu beobachten, wie flexibel alle Orchestergruppen diesen Ideen folgten, und das Ergebnis war ein neuer, schlanker und sehr überzeugender Schubert-Klang.

Romantik pur in Radebeul

Parry, Schumann und Brahms im 2. Philharmonischen Konzert der Elblandphilharmonie

Als der junge Cellist Isang Enders noch vor ein paar Jahren als Solocellist der Sächsischen Staatskapelle Dresden tätig war, fühlte man als Zuhörer bereits, dass da ein besonders intelligenter, hochmusikalischer Geist am Instrument saß - Kammermusiken und Soloauftritte bestätigten diesen Eindruck. Nun hat sich Enders als Solist beeindruckend entwickelt, seine Einspielung der Bach-Suiten etwa ist hochgelobt und der Cellist spielt weltweit mit bedeutenden Orchestern und Kammermusikpartnern. Um so glücklicher darf man sich schätzen, dass Enders gerne in sächsische Gefilde zurückkehrt und aktuelle Erkundungen im Solokonzert vorstellt.

Bei der Elblandphilharmonie Sachsen war er zuletzt 2013 mit Edward Elgars Cellokonzert zu hören, im 2. Philharmonischen Konzert der laufenden Saison interpretierte er am Mittwoch im Stammhaus der Landesbühnen Sachsen das Cellokonzert a-Moll von Robert Schumann. Passend eingebettet in ein sinfonisches Programm mit Hubert Parry und Johannes Brahms geriet das Solokonzert zum Höhepunkt des Abends. Keineswegs ist die Hochromantik der Musik ein unproblematischer Fall, fliegen einem die Melodien nur so zu und fällt das Zurücklehnen leicht.

Romantik, das zeigt dieses Spätwerk von Schumann exemplarisch, bedeutet auch Ringen um Ausdruck und Form und ein am Gemüt und der Seelenlage des Schöpfers ausgerichtetes Kunstwerk beständig neu zu erfinden. Diese Gemengelage war bei Enders in besten Händen aufgehoben, denn gerade die Kontraste zwischen Melancholie und Temperament, zwischen Lyrik und elegischer Aufwallung gerieten vortrefflich. In allen drei Sätzen wusste der Cellist zwischen kontrollierter Phrasierung und freiem, beseelten Spiel nicht nur sauber zu unterscheiden, er brachte den stets neu auszufechtenden innermusikalischen Konflikt auch deutlich zur Geltung. So konnte man sich auch der Einmaligkeit der Interpretation und damit der Betonung des - immer flüchtigen - musikalischen Augenblicks sicher sein. Die Elblandphilharmonie begleitete mit GMD Christian Voß am Pult sicher und auf Enders Impulse gut reagierend.

Brahms bildete den Rahmen: Hubert Parrys 1897 entstandene "Elegy for Brahms" als Hommage an den im gleichen Jahr verstorbenen Komponisten ist keine pure Trauermusik, sondern eher ein raffiniert instrumentierter sinfonischer Satz, in dem Parry eine zwischen Brahms und Strauss changierende, aparte Klangwelt entwirft - für viele britische Zeitgenossen wurde Parry bald zur Leitfigur. Diese einleitende Musik gestaltete Voß mit Hingabe und das Orchester folgte mit warmer, gedeckter Klangfarbe. Die 3. Sinfonie F-Dur, Opus 90 von Johannes Brahms bildete den Abschluss des im Programm sehr stimmigen Konzertes. Christian Voß manchmal etwas zu behagliche Leitung des Klangkörpers verführte diesen in den ersten beiden Sätzen trotz vieler schöner Momente in den Bläsern und der klangschön und selbstbewusst musizierten Einleitung zu einer gewissen Trägheit. Auch dem 4. Satz hätte ein mutigerer, befreiender Drang zum Vorwärtsmusizieren gutgetan, doch Voß besann sich insgesamt mehr auf Details und genaues, schönes Ausmusizieren der reichen Melodik. Damit behielt diese Sinfonie stets ihren besonderen, lyrischen Charakter, in der Bandbreite des Ausdrucks wäre jedoch mehr zu entdecken gewesen.

Montag, 23. November 2015

Traum CXII

Bruchstücke nur noch, aber diesmal bin ich froh, dass es nur fragmentarisch ist: ein Massaker vor meinen Augen, am Kreuzgang eines Klosters oder einer Kirche, die Zahl 254 (Opfer?), Bildwechsel dann und voller Angst im Elternhaus auf der Suche nach einem Versteck, weil irgendwelche Täter noch kommen und mich/uns suchen. Ich renne auch außenherum um das Haus, hinten in den Garten. Szenerie verwandelt sich dort aber und keine fassbare Erinnerung mehr vorhanden.

Donnerstag, 19. November 2015

Keimende Zukunft und traditionelle Gesänge

Musikprojekt "Mekomot - Orte" gastierte mit Uraufführungen in der Neuen Synagoge Dresden

Ein außergewöhnliches Musikprojekt befindet sich seit Anfang Oktober auf einer Reise durch Mitteleuropa: "Orte - Mekomot" erkundet ehemalige und neue Synagogen in Deutschland und Polen und möchte diese Orte nicht nur in Erinnerung rufen, sondern sie auch mit neuer Musik erschließen, die eigens für das Projekt von fünf jüdischen Komponisten geschrieben wurde. Beziehungsreich und ungewöhnlich ist dieser Zugang, der aber für Besucher und Zuhörer viele Türen öffnet: zur jüdischen Kultur allgemein, zur Auseinandersetzung mit Tradition und Gegenwart, mit Sprache, Gottesdienstgebräuchen und vielem mehr.

Am Dienstag traf "Mekomot" zu seinem bereits dritten Konzert in der Dresdner Synagoge ein. Dieses Haus ist eine der wenigen neu gebauten und aktiven Synagogen in Deutschland, an anderen Orten sind die 1938 in der Pogromnacht zerstörten Gebäude anderen Nutzungen zugeführt worden oder bestehen als Mahn- und Gedenkmal und Begegnungsstätte. Eingebettet in die 19. Jüdische Woche Dresden fanden sich viele interessierte Zuhörer ein, die diese Inklangsetzung des Gottesdienstraumes miterlebten. Da alle Werke exklusiv für das Projekt entstanden und zudem ein Kantor (Assaf Levitin - der in beeindruckender Weise auch umfangreiche Gesangsaufgaben in den neuen Stücken bewältigte) mit dem Nachmittagsgebet "Minchah" im Synagogalgesang die Stücke einrahmte, entstand trotz der unterschiedlichen Handschriften ein gemeinsamer, intensiver Ausdruck.

Eine internationale Schar hervorragender Musiker hatte sich zusammengefunden, das Instrumentalensemble selbst war an den schon in der Bibel erwähnten Instrumenten ausgerichtet. Dies schuf einen spannenden Klangraum einer Archaik, die zeitenumspannend in ihrer großen Achtung der kulturellen Wurzeln erschien. Gleichzeitig werden die Musiker auf ihrer "Mekomot"-Reise viele unterschiedliche Räumlichkeiten erfahren und die - gleichen - Stücke so auch jedes Mal anders interpretiert werden und widerhallen. Bnaya Halperin-Kaddaris "El" setzte sich zu Beginn mit den Namen Gottes auseinander, drei Widderhörner (Schofar) formten den Nachhall dieser litaneiartigen Anrufung. Eres Holz beschäftigte sich mit dem Kaddisch-Gebet und setzte dem die Fassung des Amerikaners Allen Ginsberg gegenüber - Trauer als Grundzustand brach sich hier in einer nur als - authentische - Zumutung empfindbaren Klangeruption Bahn und ließ den Zuhörer einigermaßen atemlos zurück. Einen völlig anderen Zugang wählte Amit Gilutz, der den vierten Satz aus der 3. Sinfonie von Gustav Mahler Angela Merkels umstrittenen Äußerungen bei der Begegnung mit einem Palästinenserkind in Rostock im Juli 2015 unterlegte. "O Mensch gib acht!" contra "Politik ist manchmal hart" - dieser kompositorisch absichtsvolle Auffahrunfall war gelungen.

Amir Shpilman steuerte dann eine sinnliche Komponente mit "Resisim" bei, Zerbrochenes und Fragmentarisches in der Komposition wies in unterschiedlicher Beleuchtung des Gegenstandes eben auch auf Reste, auf "Verwertbares" oder neues Wachstum hin. Schließlich äußerte sich Sarah Nemtsov, gleichzeitig künstlerische Leiterin des Projektes, in einer Auseinandersetzung mit dem "Ashrei"-Gebet, einer Lobpreisung, die aber hier in rhythmisch entfesselter Art gebrochen erscheint. Das Stück war ein Lebenstanz, der für eine wechselvolle jüdische Geschichte ebenso stehen mag, wie für die Hoffnung, aus dem Neuen und Neuartigen Zukunft keimen zu lassen.


http://www.mekomot.de

Tiefgründiges "Happy Birthday"

Geburtstagskonzert des Dresdner Streichtrios im 2. Kammerabend der Staatskapelle Dresden

Als Musikstudent findet man schnell heraus, wer in seinem Studienjahr gerade ähnlich "tickt" und wer am Notenpult nebenan der musikalisch interessanteste Partner ist - daraus bilden sich oft vielversprechende Kammermusikformationen. Zu oft verstreut man sich jedoch dann in alle Winde, hat der Zauber des Beginns selten Bestand. Ob die drei jungen Musiker des Dresdner Streichtrios sich bei den ersten Konzerten 1995 vorgestellt haben, wie es wohl in 20 Jahren sein wird? Jörg Faßmann (Violine), Sebastian Herberg (Viola) und Michael Pfaender (Cello), schon 1995 in Solistenpositionen bei der Staatskapelle Dresden und beim MDR Sinfonieorchester tätig, hatten damals die Idee, die Gattung des Streichtrios mit ihrem gemeinsamen Spiel wiederzubeleben - und sie hatten einen langen und inspirativen Atem, der bis heute und hoffentlich noch weitere Jahre reicht.

So bildete das 2. Kammerkonzert der Staatskapelle Dresden einen würdigen Rahmen für das Geburtstagskonzert des Dresdner Streichtrios, mit dem die Musiker sich und die Zuhörer beschenkten. Statt einem opulent-partywürdigem Spektakel standen lediglich zwei Werke von Alfred Schnittke und Wolfgang Amadeus Mozart auf dem Programm, die aber sinnbildlich für den Charakter des Ensembles stehen und jedes für sich ohne Zweifel meisterlich zu nennen sind. Zwar war der Bezug auch gerade in Schnittkes 1985 entstandenen Streichtrio durch die Verarbeitung der Melodie von "Happy Birthday" gegeben, aber eine tiefgründigere, zuweilen auch dramatischere Würdigung eines Geburtstages ist kaum denkbar, ist doch dieses Werk in seiner Zerrissenheit zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen Persönlichkeit und etwas, was als "common sense" vielleicht kulturelles Gemeingut darstellt, ein Dokument einer auch verzweifelten Suche nach Identität.

Das Dresdner Streichtrio brach hier mit den ersten Tönen eine Distanz zum Werk auf, schaffte es gar, dass man den großen Raum der Semperoper für Momente vergaß, weil man über die fragilen Linien sehr nah an den Kern der Musik vorgelassen wurde. So konnte sich sowohl die schubertsche Verlorenheit des 2. Satzes entfalten wie auch die plötzlichen, ebenso herausbrechenden wie versiegenden Höhepunkte: kurze Eruptionen, die im Brachialwalzer alles vom Tisch fegten, was mühevoll bis zu diesem Punkt erdacht wurde. Diese "Gratulation", die gleichzeitig ein starkes Statement für die faszinierende Musik des seit seinem Tod 1998 merkwürdigerweise von den Konzertplänen fast verschwundenen Schnittke war, beeindruckte sehr und hinterließ Interpreten wie Zuhörer bewegt in die Pause.

Dass auch monetäre Spannungszustände bei Künstlern oftmals besondere Werke hervorriefen, dafür gibt das Divertimento Es-Dur KV 563 von Wolfgang Amadeus Mozart ein Beispiel. Es ist ein Gipfelpunkt seiner Kammermusik, in welchem der Komponist in allen sechs Sätzen Reife und Persönlichkeit, aber eben auch die Fähigkeit zu genussvoller Unterhaltung demonstrierte - um letztlich seine Gönner zu überzeugen. Wenn bei Schnittke die Reife der Interpretation im stetigen Nachvollzug der zerklüfteten Partitur bestand, war es hier die ausufernde, aber niemals ins Parlieren geratende Leichtigkeit der Musik - mit deutlichem Schwerpunkt etwa auf den mit kaum Vibrato etwas entrückt vorgetragenen Moll-Variation des Andante oder der Dur-Spielfreudigkeit der Ecksätze.

Die besondere Klanglichkeit des Dresdner Streichtrios war an diesem Abend viel mehr als die Summe des individuellen Könnens - das Aufgehen in der gemeinsamen Sache erzeugt schlicht einmalige musikalische Erlebnisse. Statt Blumen gab es am Ende Johann Sebastian Bach - die Aria aus den "Goldberg-Variationen" war als Zugabe ein überaus klangschöner, beruhigender Ausklang.
(3.11.2015)

Donnerstag, 5. November 2015

Erlebnis Raumklang und Poesie

José María Sánchez-Verdú ist Composer-in-Residence der Dresdner Philharmonie

In Dresden ist der spanische Komponist José María Sánchez-Verdú (*1968) noch weitgehend unbekannt, bisherige Aufführungen seiner Werke hier sind nicht verzeichnet. Um so mehr ist man gespannt auf seine Musik, seit die Dresdner Philharmonie bekanntgegeben hat, dass der Künstler composer in residence der Saison 2015/2016 sein wird. In dieser Woche besucht der Komponist anlässlich der ersten Philharmonie-Aufführung am 7. November Dresden - und er nutzt diesen Besuch, um sich auch an der Musikhochschule Dresden vorzustellen: in Kooperation mit dem KlangNetz Dresden arbeitet er mit Kompositionsstudenten, ist Gast eines Workshops an der Hochschule und die Studenten werden ein Konzert mit Kammermusik von Sánchez-Verdú am Mittwochabend im Konzertsaal der Hochschule ausgestalten.

Der Komponist, der in Madrid und Frankfurt studiert hat und heute in Spanien und Deutschland lebt und lehrt, freut sich besonders auf seine Residenz in Dresden: "Kreative Projekte mit der Dresdner Philharmonie zu entwickeln ist für mich eine große Ehre. Die Arbeit verspricht eine sehr spannende Erfahrung zu werden, denn als Künstler versuche ich immer, eine musikalische Verbindung zwischen der Tradition und dem Neuen und Unbekannten herzustellen. Das ist ein Abenteuer, das uns gemeinsam in unerwartete poetische Sphären bringen wird." - Am Sonnabend steht die Deutsche Erstaufführung von Sánchez-Verdús "Libro del frío" (Buch der Kälte) auf Texte des spanischen Dichters Antonio Gamoneda (*1931) an, Simone Young wird die Aufführung leiten, Solist ist der spanische Countertenor Carlos Mena.

Das 2008 entstandene, etwa dreiviertelstündige Stück kann als Lied-Kantate beschrieben werden, doch der Komponist, dessen Interesse in der Vergangenheit vor allem musikalischen und szenischen Projekten mit Licht- und Raumdramaturgien galt, hebt noch weitere Ebenen der Komposition hervor: "Die Interaktion zwischen Raum, Musik, Akustik und Poesie (Stimme) sind Hauptbestandteile des "Libro del Frío", das für Countertenor, Orgel und 5 Orchestergruppen im Raum verteilt komponiert ist. Es ist ein musikalisches Experiment, den Raum, die Akustik und die poetischen Inhalte der Gedichte von Antonio Gamoneda (1931) zu erfahren." - So gibt sich die Frauenkirche, in der das "Libro del Frío" aufgeführt wird, als ein sehr passender Ort für das Werk - die Uraufführung fand in der Kathedrale von Léon in Spanien statt. Der Raumklang wird hier zu einer neuen Inschrift des Gedichtes werden und den Wortklang, den Nachhall und die Atmosphäre des Textes vervielfachen und spiegeln. Das Interdisziplinäre und das Erforschen neuer Ebenen mittels der Verbindung des bereits (scheinbar) Bekannten scheint ein roter Faden in Sánchez-Verdús OEuvre zu sein: "Immer mehr bilden Raum und Architektur, zusammen mit Geometrie, Abstraktion und gleichzeitig Energie und Tiefe die Hauptlinien meiner Arbeit. Eigentlich finde ich keinen Unterschied in der tieferen Substanz von Poesie, Musik, Malerei und Architektur."

Am Pulsschlag der Rezitation also wird sich das "Libro del Frío" verorten lassen und mit der Aufführung in Dresden einen neuen Ort erkunden. Mit der Dresdner Philharmonie sind noch zwei weitere, ganz neue Werke geplant, die Basis eines Diptychons (Doppelbildes) sein werden - die Titel KEMET "Schwarze Erde" und DESHERET "Rote Erde" weisen bereits darauf hin, aber auch auf die Beschäftigung des Komponisten mit arabischen und altägyptischen Kulturen. Diese Stücke werden von der Dresdner Philharmonie dann im Juni 2016 uraufgeführt.


José María Sánchez-Verdú in Dresden
Mittwoch, 4.11., 11.15 Hochschule für Musik, Kompositionsworkshop Raum W4.07

Mittwoch, 4.11., 19.30 Gesprächskonzert im Konzertsaal der Hochschule für Musik
10. Streichquartett "Barzaj", Hekkan I + II, Arquitecturas del límite
Studenten der Hochschule für Musik, Ltg. Jura Kravets, Moderation: Jörn Peter Hiekel

Sonnabend, 7.11., 20 Uhr Frauenkirche, "Libro del Frío"
Dresdner Philharmonie, Carlos Mena, Leitung: Simone Young

3. und 4.6.2016, Schlosskapelle "KEMET - Schwarze Erde" (UA), Dresdner Philharmonie, Leitung Andreas Spering

18. und 19.6.2016, Albertinum "DESHERET - Rote Erde" (UA), Dresdner Philharmonie, Leitung Michael Sanderling

Messerscharf und im Kern erfasst

Alan Gilbert und Frank Peter Zimmermann begeistern im 3. Kapellkonzert

Ganze sechs Jahre hat es gedauert, bis das Dresdner Publikum am Wochenende den amtierenden Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker, einem der besten Orchester der Welt, zum Debut bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden erleben durfte. Sicher waren die Terminkalender da im Spiel und die Wunschliste der Kapelle läßt sich bei den begrenzten Möglichkeiten der Sinfoniekonzerte nur langsam abarbeiten. Ganz unbekannt ist Gilbert indes in Dresden nicht, er gastierte mit seinem Orchester bereits zweimal zu den Musikfestspielen. Im 3. Sinfoniekonzert widmete er sich zunächst einer Komposition des aktuellen Capell-Compositeurs György Kurtág.

Ähnlich wie kürzlich im Aufführungsabend machte sich hier bemerkbar, dass die Wirkung dieser oft kaum zehnminütigen, aphoristischen Stücke angesichts der anschließenden Umbaupausen und einem folgenden sinfonischen Kontrastprogramm von ungleich größerer zeitlicher Gewichtung problematisch ist. Kurtág hilft dem Zuhörer da nicht - die Momentaufnahme gilt, und wer da noch nicht mit der Konzentration dabei ist, hat verloren.

Nicht ganz optimal gelang die Anordnung der Orchestergruppen von "Grabstein für Stephan" an verschiedenen Plätzen in den Rängen der Semperoper, ein wirklicher Raumklang stellte sich nicht ein. Dem Stück hätte ein deutlicher Wille zur Langsamkeit gutgetan - Gilbert setzte mehr auf Puls denn auf Meditation, und daher standen die einleitenden Gitarrenakkorde (Uwe Fink) eher verloren im Raum, als dass sie sich eindringlich entfalten durften. Trotzdem stellte sich vor allem durch die klangfarblich sensible Arbeit im Orchester nach einem explosiven Ausdruck des (Todes-)Entsetzens bald eine spannende, melancholisch-nachsinnende Aura ein.

In interessanter Nachbarschaft stand 2. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch - dieses Spätwerk ist ein wenig der ungeliebte Bruder des so erfolgreichen 1. Konzertes, und doch ist es ein phänomenales Stück in seiner kargen, durchweg intensiven Klangsprache, die keinerlei Pomp und Äußerlichkeiten heranzieht. Dafür braucht es einen besonderen Solisten und kein besserer konnte gefunden sein als Frank Peter Zimmermann, dessen Blick auf die Noten von Anfang an verriet, dass hier ein unumkehrbarer, existenzieller Weg bis zum letzten Takt beschritten werden würde. So gab sich auch sein Spiel: mit unglaublich intensiver Steigerung im ersten, fahl-einsamem Gesang im zweiten und einer willensstarken, prägnanten Gestaltung im dritten. Das mahnte fast an die Oistrachsche Kultur der Unnachgiebigkeit des musikalischen Flusses und führte auch im von Gilbert aufmerksam bedachten Orchester zu einem Nachvollzug, der begeisterte.

Weil jede noch so kurze Phrase, jeder Einwurf und Dialog mit dem Orchester von Zimmermann und Gilbert im Kern erfasst waren, gelang eine Interpretation mit Höchstspannung, die vom Publikum bejubelt und von Frank Peter Zimmermann mit einer messerscharfen Bach-Zugabe beantwortet wurde. Mit Peter Tschaikowskys 4. Sinfonie f-Moll stand nach der Pause ein im Ausdruck insgesamt lichteres, wenngleich nicht weniger dramatisches Werk an. Alan Gilbert stellte das Stück vor allem als mitreißendes Meisterwerk heraus, indem er ein tolles Timing für die Tempoentwicklung in allen Sätzen zeigte. Ohne Stab und auswendig formte er mit den Händen immer wieder flexibel und mit viel Kontakt zu den einzelnen Musikern, was er hören wollte - besonders weiche kantable Linien und ein exakter, impulsgenauer Zugriff im Tutti waren die Folge. Gilberts spielfreudige Lesart verleitete die Kapelle zu Höchstleistungen, und im neuen Konzertzimmer der Oper gab es keinerlei Probleme, auch beim größten fortissimo im vierten Satz strahlenden Klang hervorzurufen: Debut gelungen, baldige Wiederkehr erhofft!

Traum CXI

Doppeltraum
1) ich spiele in einem Opernhaus "Eugen Onegin" mit, es ist Bühnenprobe, ich bin im Chor, wir sind Polizisten und haben nur einmal die Bühne zu überqueren. Ich habe eine russische Polizistenmütze auf. In der Garderobe begrüße ich Freude aus dem Opernchor. Die Probe gerät zu einem Desaster, nicht nur weil der Dirigent ausrastet ("Sind denn hier alle verrückt geworden?"), mir wird auch geraten, aufgrund der besonderen Akustik den letzten Ton wegzulassen. Meine Rolle weitet sich dann doch aus: ich sitze dann auf einem Publikumssitz, die Dame der weiblichen Hauptrolle ist Evelyn Herlitzius, die von einem Häscher gejagt wird. Sie kommt angelaufen, setzt sich neben mich, sie flüstert mir zu, "jetzt den linken Arm", ich lege den linken Arm um sie, daraufhin verschwindet sie, wird unsichtbar.
2) mal wieder ein Hotel, mal wieder Chor, irgendwas mit Abfahrt und Kofferpacken. Ich befinde mich im Zimmer von G. und seiner Freundin, der Raum ist von oben bis unten an allen vier Wänden mit Abwasch zugestellt, die Stimmung ist dennoch gelassen. Ich kündige an, mich noch eine halbe Stunde zurückzuziehen - in ein nun aufgeräumtes Zimmer, wo ich mich hinlege. Ich bin nicht alleine im Raum, kann aber nicht erkennen, wer die zweite Person ist.

Samstag, 24. Oktober 2015

Blick nach Rumänien

Uraufführungen von Doina Rotaru und Violeta Dinescu im Sinfonietta-Konzert

Bei der Fülle an Musik auf dieser Welt erscheint es seltsam, dass sich in den Konzertsälen ein Kanon mitteleuropäischer Musik herausgebildet hat, bei dem nur selten - und dann meist mit dem wörtlich zu nehmenden Begriff des Außergewöhnlichen einhergehend - Grenzen gesprengt und Horizonte erweitert werden. Für das Ensemble Sinfonietta Dresden ist das Besondere selbstverständlich - seit Jahren erkunden die Musiker nicht nur die zeitgenössische Musik in unserer direkten Umgebung, sondern widmen sich auch den musikalischen Landschaften in Osteuropa. Innerhalb der Reihe KlangNetz-Konzertreihe "An die Freunde" kam es am Donnerstagabend in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene-Museum zu einer intensiven Begegnung mit der Musik in Rumänien.

Sinfonietta Dresden beschränkte sich nicht auf die bloße musikalische Darbietung - die beiden rumänischen Komponistinnen Doina Rotaru und Violeta Dinescu steuerten je eine Uraufführung bei und standen auch vor und nach dem Konzert zum Gespräch zur Verfügung - dazu lud Dirigentin Judith Kubitz am Ende des Konzertes zu rumänischem Rebensaft ein. Das war am Ende eine willkommene Abrundung eines musikalischen Abends, der sich auch musikalisch vollmundig und apart gab: George Enescus in seiner radikalen Einstimmigkeit einzigartiges "Prélude à l'unisson" aus dessen 1902 entstandener 1. Orchestersuite rahmte das Konzert, im Mittelpunkt stand Debussys berühmtes "Prélude à l'après-midi d'un faune" (1894) - Stücke, die für die beiden rumänischen Komponistinnen, die derselben Generation angehören, einen besondere Rolle in ihrem Schaffen spielen.

Doina Rotaru (*1951) lebt noch heute in Bukarest, während Violeta Dinescu (*1953) in den 80-er Jahren nach Deutschland übersiedelte. Was alle Kompositionen einte, war eine faszinierende Farbigkeit und Sinnlichkeit im Umgang mit sehr verschiedenen Orchesterbesetzungen - von der aus Bautzen stammenden Dirigentin Judith Kubitz wurde das höchst sorgfältig und mit viel Lebendigkeit zu überzeugendem Klangcharakter angeleitet. Doina Rotarus Ensemblestück "Centrifuga" etwa verlor auf diese Weise nie den leichten, spielerischen Charakter im Umgang mit Geschwindigkeiten und rotierenden Rhythmen.

Violeta Dinescus "Akrostichon" hingegen bildete sofort einen Kontrast in einer fast episch zu verstehenden, zerklüfteten und auch zeitlich gedehnten Klanglandschaft, deren Zusammenhang sich schwieriger erschloss. Stetig sah man sich mit neuen Tongebirgen konfrontiert, in der die phantasievoll auskomponierte Klangfläche dominierte. Wiederum erfrischend anders gab sich Dinescus Filmmusiksuite zu Friedrich Wilhelm Murnaus "Tabu" als Beweis, dass sich zeitgenössisches Musikdenken und eine handwerklich sauber zu absolvierende Begleitmusik nicht ausschließen. Im an Höhepunkten reichen Konzertabend war das in seinen Zeitmaßen sehr kompakt komponierte Klarinettenkonzert von Doina Rotaru "Fragile II" eindrucksvoll in einer stark emotionalen Interpretation, die vom Solisten Emil Visenescu ausging und sich sofort auf das feinsinnig musizierende Ensemble übertrug.

Danach hatte es Enescus wiederholtes "Prélude" leicht und klang plötzlich ganz anders als bei der ersten Runde: Was zu Beginn noch neu und fremd war, klang auf den gleichen Saiten gespielt anderthalb Stunden später viel vertrauter. Man hatte Freundschaft geschlossen mit der erfindungsreichen, den Melos und die eigene Tradition nie vergessenden rumänischen Musikkultur.

Musik bewahren und zugänglich machen

Das Deutsche Komponistenarchiv in Hellerau wird zehn Jahre alt

"Meine Zeit wird kommen." formulierte Gustav Mahler einst und er hatte Recht behalten. Ob sich Mahler beim Verfassen dieses Satzes in einem Brief an seine Frau Alma darüber Gedanken gemacht hat, was mit seinen vielen Noten und Skizzen, Briefen und Entwürfen einst geschehen wird? Er dürfte Glück gehabt haben - das Zusammenspiel von Verlagen, Archiven und Bibliotheken ermöglicht heute den tiefen Einblick in sein Musikdenken. Doch nicht jeder Fall ist so einfach: oft landen Nachlässe auf Dachböden, hat sich der Komponist selbst gar nicht zu Lebzeiten um seine kiloschweren Partituren gekümmert und eine Aufbereitung fällt erst recht schwer, wenn Rechte, Erben und ein in alle Welt verstreutes Material zu berücksichtigen sind.

Den Handlungsbedarf für die Gründung eines Deutschen Musikarchives sah Komponist Harald Banter, Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates, als er selbst Materialien seines Freundes Georg Haentzschel, einem der großen Komponisten im UFA-Filmgeschäft in den 30er- und 40er-Jahren, erhielt. Es sollte ein Archiv entstehen, das allen bedeutenden deutschen Komponisten offensteht, gleich in welchem Genre sie tätig waren oder sind. Das Deutsche Komponistenarchiv wurde 2005 mit Förderung der GEMA-Stiftung gegründet - und befindet sich in institutionell fester Eingliederung im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau in Dresden. Wenn jetzt das zehnjährige Bestehen gefeiert wird, ist der Blick auf die vergangene Zeit relativ zu sehen, denn ein solches Archiv, das in der Bewahrung der Komponistennachlässe sozusagen eine Art musikalisches Gedächtnis bildet, hat natürlich immer die Ewigkeit im Blick.

Danach richtet sich auch die professionelle Ausrichtung, die in Hellerau verfolgt wird, denn die Handschriften und Noten sollen natürlich auch in ferner Zukunft noch verfügbar sein. Um die Aufnahme, Archivierung und Pflege kümmert sich die Leiterin des Archivs, Julia Landsberg. Vor Ort nimmt sie Wünsche der Einsicht in die Manuskripte, Tonträger, Rezensionen und Korrespondenzen entgegen - es stehen auch kontinuierlich zu übergebende, künftige Nachlässe auf der Warteliste. Das Interesse wiederum wächst mit der Bedeutung des Archivs, das aber schon jetzt wichtige Anlaufadresse für Musikwissenschaftler, Biografen oder Dirigenten ist: Nachlässe von über 30 Komponisten lagern im Archiv, darunter Filmmusikkomponisten wie Hans-Martin Majewski ("Menschen im Hotel") oder Rolf Alexander Wilhelm, der die Musik zu Filmen von Loriot schrieb. Der erst kürzlich verstorbene, im Osten berühmte Musical-Komponist Gerd Natschinski übereignete seine Kompositionen dem Archiv ebenso wie der Geiger Helmut Zacharias oder die Komponisten Ernest Sauter und Karl-Gottfried Brunotte.

Am heutigen Montag wird in Hellerau gefeiert: in der Festveranstaltung zum Zehnjährigen Bestehen wird nicht nur in Beständen gestöbert und die Bedeutung des Archivs gewürdigt, sondern es werden auch Werke von Ernest Sauter, Karl-Gottfried Brunotte, Norbert Schultze und Gerd Natschinski erklingen - so erfüllt das Deutsche Komponistenarchiv an diesem Abend eines seiner wesentlichen Ziele: die Musik zu bewahren, und sie wieder zum Klingen und damit in die Erinnerung zu bringen.
(19.10.2015)

Poetisches Gedenken

Landesjugendorchester Sachsen im Konzert mit Werken von Paul Aron, Iris ter Schiphorst und Robert Schumann

Zweimal im Jahr lädt das Landesjugendorchester Sachsen in Dresden zum Konzert ein und stellt die zuvor in einer Projektphase erarbeiteten Werke vor. Doch was sich dann im zweistündigen Konzertabend manifestiert, geht weit über das bloße Präsentieren eines Ergebnisstandes hinaus. Der künstlerische Leiter Milko Kersten prägt seit fünfzehn Jahren das Ensemble und zeichnet verantwortlich für Projekte mit alter und neuer Musik - das Sprengen der Grenzen zwischen den Künsten und Stilen ist ihm nicht nur vertraut, die Offenheit und der Bezugsreichtum zeigt sich auch immer wieder im Enthusiasmus der Jugendlichen - die Projektwochen vor den Abschlusskonzerten geraten intensiv.

Auch das Konzert am Sonnabend war eines, das an keiner Stelle das bloße Musizieren und Repertoireaneignen zum Ziel hatte. Die Musik wies direkt in unsere Gegenwart hinein und die Konfrontation mit aktuellen Themen, die uns in Dresden und in Europa derzeit bewegen, war unumgänglich und beabsichtigt. Sie geschah auf eine künstlerische Weise, die das Experiment in den Vordergrund stellte und damit auch nicht von vornherein bestimmte Antworten zu geben bereit war. Im Mittelpunkt stand bei "In Memoriam" ein poetisches Gedenken an die Pogromnacht 1938, die sich am 9. November jährt. Mit diesem Motto gestaltete das Landesjugendorchester Sachsen einen offenen, interdisziplinären Raum zwischen Musik, Theater und Poesie.

Beispielhaft für die Schicksale der NS-Zeit stand in diesem Konzert die Erinnerung an den 1886 in Dresden geborenen Musiker und Komponisten Paul Aron, der zwischen den Weltkriegen über 200 Werke zeitgenössischer Komponisten in seiner eigenen Konzertreihe aufführte und maßgeblich zum Musikleben der Stadt beitrug, eher er bereits 1933 ins Exil in die Tschechoslowakei und später in die USA gehen musste. Man muss dem Landesjugendorchester höchst dankbar sein, dass es gleich zwei Werke des Komponisten wieder zu Gehör brachte - die "Four Ostinatos" (in der Orchestrierung von Milko Kersten) erwiesen sich in der stilistischen Farbigkeit der dreißiger Jahre ebenso als Entdeckung wie die drei Lieder auf Texte von William Butler Yeats, die die Sopranistin Salome Kammer mit warmem Timbre in ihrem poetischen, oft kammermusikalisch anmutenden Raum beließ. Poesie oder der Versuch, sich mit Worten dem oft Unaussprechlichen zu nähern (was eben auch die Musik zu leisten vermag, darin besteht ihre faszinierende Nähe), bildete einen roten Faden des Konzertes.

Von der in diesem Jahr mit dem Ingeborg-Bachmannpreis ausgezeichnete Lyrikerin Nora Gomringer sprach die Schauspielerin Karina Plachetka (Staatsschauspiel Dresden) Texte, die der Musik eine weitere Ebene hinzufügte, Nachdenken und Nachsinnen ermöglichte, ohne bloß das Erklungene verbal zu bebildern. Hinzu kam eine Uraufführung der Komponistin Iris ter Schiphorst mit dem Titel "An den Stränden der Ruhe..., wo die Sonne untergeht". Auch dies war Wort-Klang-Collage, die sich hier explizit auf die politische Gegenwart der Flüchtenden im Mittelmeerraum bezog - die nun mit Masken spielenden Orchestermusiker spiegelten Schicksale der Unbekannten, wie überhaupt hier mit von den Jugendlichen hervorragend umgesetzten, bedrohlichen Klängen und theatralischen Aktionen bald eine Atmosphäre entstand, die vom Kunstmachen bald in die Dramatik einer Dokumentation des Tatsächlichen kippte. Das war als Konzerterlebnis gleichzeitig eine einzigartige, vielleicht widersprüchliche, aber vor allem aufwühlende Erfahrung. Wenn ein Wunsch offenblieb, dann der, dass man die Texte Gomringers oder die in ter Schiphorsts Werk skandierten, akustisch nicht verständlichen Worte gerne noch einmal nachgelesen hätte, was das Programmheft nicht anbot.

Dass im zweiten Teil des Konzertes Robert Schumanns 1. Sinfonie B-Dur, die "Frühlingssinfonie", nun mit deutlich helleren Texten von Gomringer verknüpft, erklang, war nach diesem aufrüttelnden ersten Konzertteil ein schroffer Kontrast. Hier war noch einmal hohe Konzentration gefragt, denn auch dieses scheinbar bekannte Werk will erst einmal zusammengesetzt sein. Doch weniger als die letzte Präzision gelang ausgerechnet mit diesem von den jungen Musikern mit viel Kraft und Lebendigkeit angefüllten Stück der Blick nach vorn, der bei allem Erinnern unabdingbar ist. Und dieser Blick darf auch ruhig einmal das Wagnis, die Vorwitzigkeit, das kleine Scheitern und den maximalen, überraschenden Erfolg beinhalten - sonst wäre die Kunst kalt und tot.
(18.10.2015)

Traum CX

Bin in einem Haus mit 10 anderen und einem Killer. Dieser hat angekündigt, sechs von uns erschießen zu müssen. Große Angst bei allem, der Typ prüft von jedem Unterlagen und Papiere und legt fest, wer erschossen wird. Als Grund gibt er z. B. an, dass in den Unterlagen Plakate mit Autogrammen dabei sind. Die Signaturen sind kyrillisch, es ist neben einer Choristin auch jemand aus Russland dabei. Ich sorge mich zunächst, dass es das wohl war mit mir, das wandelt sich aber im Laufe des Traums und ich bin mir sehr sicher, dass ich überleben werde. In den letzten "Einstellungen" des Traums schaue ich von außen auf das Haus, es ist ein freistehendes, etwa vierstöckiges Gebäude aus Backsteinen. Mir ist unklar, wie wir dort rauskommen sollen, es scheint aber verborgene Gänge zu geben. Die Erschießung selbst ist nicht Bestandteil des Traums.

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