Donnerstag, 15. Mai 2014

Sehr gleichberechtigte Ausdruckswelten

Hélène Grimaud und Paavo Järvi im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Gewisse Künstler begleiten uns Zuhörer ein Leben lang, ohne dass wir es besonders forcieren müssen. Man merkt eine Verbundenheit, eine gesteigerte Aufmerksamkeit, wenn der Künstler etwas Neues zu sagen hat, eine neue CD veröffentlicht oder zum Konzert gastiert. Mit der Pianistin Hélène Grimaud kann man eine solch niemals ermüdende Beziehung eingehen, weil man durch das Musikerlebnis mit ihr stets bereichert wird - niemals durch Perfektion (was überhaupt ein zweifelhaftes musikalisches Ziel wäre) oder Endgültigkeit, sondern durch eine Energie der Aussage, die zur Auseinandersetzung zwingt.

Grimaud lehrt uns zum einen, wie vergänglich der Moment der Musik ist, zum anderen wie tief wir dringen können, wenn wir uns der Musik öffnen - was für Grimaud, das war im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle spürbar, auch ein Art von natürlichem Abenteuer, einen Grenzgang bedeutet. Johannes Brahms 1. Klavierkonzert d-Moll bietet in seiner Komplexität erst einmal vielfältige Möglichkeiten des Zugangs, darin liegt aber auch die Gefahr, sich zu verlieren oder bestimmte Ausdruckswelten zu sehr zu betonen. Grimaud schaffte es, Dialoge zu initiieren: mit dem Orchester, mit dem Gastdirigenten Paavo Järvi, der höchst konzentriert den symphonischen Charakter des Werkes wahrte, aber auch mit dem Komponisten selbst. In Grimauds Spiel erschien die Vertrautheit der Schumannschen und Beethovenschen Welt exakt gleichberechtigt neben den schroffen Ausrufezeichen des 1. Satzes, mit denen Brahms temperamentvoll neue Ausdrucksebenen erkundet.

Der 2. Satz führt in die Welt der Poesie und des Liedes und wurde in der Dynamik von Järvi ganz zurückgenommen, niemals wurde aber der Fluss der ruhigen Ausformung verlassen. Hélène Grimaud fand viele differenzierte Farben für dieses Konzert. Selbst kleine Intermezzi, die nur in eine andere Tonart führen oder ein Thema noch einmal virtuos dekorieren, nahm sie ernst und bettete diese hervorragend in den Kontext ein. Der 3. Satz spiegelt nur am Anfang heiteren Ausklang vor, Grimaud formte daraus einen stürmischen Befreiungsakt, der unumkehrbar in den Schluss mündete - von wenigen kleinen Überraschungen bei Übergängen zwischen Solistin und Orchester abgesehen, war dies ein durchweg packendes Musikerlebnis.

Béla Bartóks 1943 entstandenes "Konzert für Orchester" stand als sinfonisches Werk nach der Pause auf dem Programm. Hier ist das "Instrument" Orchester in Bartóks Farbpalette in allen Gruppen virtuos behandelt, zudem warten die fünf Sätze mit immer neuen Formen, Zitaten und folkloristischem Material auf. Paavo Järvi wirkte fast komplett entspannt bei seiner Tätigkeit am Pult - freundlich, völlig klar in seiner Zeichengebung und dabei jederzeit Energie und Motivation vermittelnd führte er die Staatskapelle, bei der in diesem Konzert Musiker des Gustav-Mahler-Jugendorchesters mitwirkten, zu einer ausdrucksstarken und sehr lebendigen Interpretation, die selbst im turbulenten 5. Satz nie über das Ziel eines noblen, transparenten Gesamtklangs hinausschoss.
(12.5.14)

Aufmerksamkeit für die kleinen Formen

Han-Na Chang gibt ihr Dirigierdebüt beim Aufführungsabend der Staatskapelle

Das Format ist lange etabliert und wird vom Publikum gerne angenommen: die Aufführungsabende der Sächsischen Staatskapelle sind die "kleinen" Sinfoniekonzerte, in denen Werke Aufmerksamkeit erhalten, die in kleiner Form oder reduzierter Besetzung eben nicht den großen sinfonischen Kontext vertragen, aber dennoch Genuss garantieren. Zudem stellen sich hier Kapellmusiker als Solisten vor und junge Dirigiertalente sind eingeladen, im Semperbau ihre Visitenkarte abzugeben.

Auch der 3. Aufführungsabend machte da keine Ausnahme, mit der 32jährigen Koreanerin Han-na Chang stand eine Dirigentin am Pult, die schon eine beachtliche Karriere als Cellistin aufzuweisen hat. Nachdem sie mit 11 Jahren bereits den Rostropowitsch-Concours in Paris gewann, spielte sie als Jugendliche schon in den Konzertsälen der Welt - so auch 1996 gemeinsam mit Giuseppe Sinopoli in der Semperoper, wo ein Haydn-Konzert auf dem Programm stand. In den letzten Jahren widmet sie sich mehr und mehr dem Dirigieren und bekleidet Ämter im Qatar und Norwegen.

Ihr Dresdner Debüt gestaltete sie mit Werken von Mozart, Dvořák und Bartók - insgesamt recht unspektakuläre Stücke eigentlich, die daher auch besondere Sorgfalt in der Interpretation bedürfen. Das gelang Chang weitgehend gut - ihr Musizieren der Sinfonie g-Moll, KV 183 von Wolfgang Amadeus Mozart war stets lebendig und motivierend, forderte aber auch einige Male ein etwas wirkungslos im Raum stehendes forte oder piano heraus - in dieser Terrassenlandschaft hätte Chang sich durchaus mehr Freiheiten gönnen dürfen, zumal hervorragend phrasierende Musiker zur Verfügung standen.

Antonín Dvořáks Romanze Opus 11 erscheint manchmal als Zugabe in den Aufnahmen des großen Violinkonzertes, ansonsten werden solche Stücke selten zu Gehör gebracht. Konzertmeister Kai Vogler nahm sich des kurzen Werkes an und fand auf der Violine auch gleich zu dem im Stück gefragten innigen melancholisch-singenden Ton. Einige intonatorische Trübungen verwunderten jedoch im Zusammenspiel mit dem Orchester und richtig glücklich wurde man mit diesem (zu) kurzen Intermezzo aus der slawischen Musikwelt nicht.

Ganz anders liegt der Fall bei Béla Bartóks "Divertimento" - der Titel trügt, das Spätwerk offeriert keinesfalls eine lose Satzfolge munterer Musik. Nachdenklichkeit und innere Unruhe des Komponisten in der Entstehungszeit 1939 sind im Stück trotz der Beständigkeit seiner Musiksprache, die heimatliche Volksmusik stark einbezieht, immer wieder greifbar. Han-na Chang fing diesen Charakter gut ein, leitete die immer wieder solistisch aufgefächerten Streicher zu einer rhythmisch präzisen und den Bogen des Stückes weiterdenkenden Interpretation an, bei der der langsame Mittelsatz mit seinen Stockungen und aus dem Nichts erscheinenden, sich lange steigernden Melodielinien sehr intensiv gelang. Das "Grazioso" des letzten Satzes blieb eine Episode aus einer anderen Welt, der Kehraus gerät schroff und endgültig - schön, wie diese Interpretation dem Stück gerecht wurde. Han-na Chang und die Kapellmusiker erhielten dafür langen Applaus.
(2.5.14)

Mit konsequenter Selbstverständlichkeit

Jubiläumskonzert "40 Jahre Studio Neue Musik" an der Hochschule für Musik

Institutionen und Ensembles der zeitgenössischen Musik sind oft von Fluktuation und Wandel geprägt, wie sich eben auch die Kunst der Zeit auf natürliche Weise verändert und verästelt. Doch es gibt auch feste Säulen in der Musikvermittlung, deren Anspruch und Wille stark und auch über die Zeiten hinweg nützlich ist. Dazu gehört das "Studio Neue Musik" an der Dresdner Musikhochschule, das in diesem Jahr sein 40jähriges Bestehen feiert. Nicht mehr und nicht weniger als lebendige Musikgeschichte schreibt diese Institution seit vier Jahrzehnten und ist dabei als studentische Initiative entstanden. Der Wunsch, sich mit aktuell entstehender Musik praktisch auseinanderzusetzen und damit, trieb damals den Komponisten und Dirigenten Christian Münch um und er stieß auf offene Ohren.

Lange Zeit wurden die Konzerte als Gesprächskonzerte durchgeführt, später dann in den Hochschulbetrieb selbstverständlich integriert. Führen an anderen Hochschulen in der Bundesrepublik solche Studios oft ein elfenbeinturmähnliches Dasein im musikwissenschaftlichen Hinterzimmer, so ist es Christian Münch zu verdanken, dass kaum eine Partitur, die beflissene Studenten oder Komponisten ihm zur Einstudierung vorlegten, nicht realisiert wurde. Dabei entstand über die Jahre eine - hoffentlich auch dokumentierbare - enorme Menge an Ur- und Erstaufführungen.

Weltweit beachtete Komponisten, die als Gäste an der Hochschule weilten, bekamen und bekommen durch das Studio Neue Musik zumeist ein Kammerkonzert, in dem sich die Studenten praktisch mit der Musik auseinandersetzen. Nicht unerwähnt bleiben darf auch, dass aus dem Studio heraus Studenten erst Feuer und Flamme für die zeitgenössische Musik fingen, sich Ensembles bildeten und Synergien in alle Fachbereiche dringen. Das Jubiläum des Studios wurde mit einem Konzert gewürdigt, das lediglich einen feierlichen Charakter vermissen ließ - stattdessen zeigte man in bescheidener Weise den gewohnten und geschätzten Ethos praktischer Arbeit.

Das Konzert im kleinen Saal der Hochschule präsentierte Kompositionen, die allesamt keinesfalls "nebenbei" realisierbar sind und neben den instrumentalen Fertigkeiten auch gehörigen Mut zu intensivstem Ausdruck und zur Grenzüberschreitung benötigen. Das Trio für Oboe, Cello und Klavier (1979) von Georg Katzer als eine auch rhetorisch klangmächtige Auseinandersetzung mit Versen von Arthur Rimbaud forderte Yung-Hung Chang, Edyta Stomska und Jingshan Cheng enorm. Ernst Helmuth Flammers kurzes Klavierstück "Habanera", von Richard Röbel zwingend interpretiert, bot dem Ohr da eine kleine Entlastung.

Denn mit zwei weiteren Stücken von Christian Münch und Friedrich Schenker waren die Zuhörer erneut gefordert, gewohntes Hörterrain zu verlassen. Münchs "bleiben (1)" für zwei Posaunen und Tuba steckt einen geschlossenen musikalischen Raum ab, in dem man sich hörend verlieren muss, weil die Suche nach Motiven oder Kontrasten scheinbar aussichtslos bleibt - der installative Charakter einer Musik, die schlicht "anwesend" ist, tritt in den Vordergrund und stellte die Interpreten Christoph Petzold, Darius Mütze und Albrecht Gehring vor eine fast pausenlos tönende, besondere Herausforderung.

Friedrich Schenkers 1978 entstandene Ensemblemusik "Hades di Orfeo" führte zum Ende des Konzertes titelgemäß konsequent in den Abgrund - viel Gesang bleibt dem armen Orpheus angesichts der mit viel Schlagzeug und halbszenischen Aktionen demonstrierten Schreckenswelt da nicht mehr. Dirigent Andrea Barizza leitete die Studenten zu einer konzentrierten und klanggewaltigen Aufführung an, in der ab und an einige kleinere Formationen und ein formidables Kontrabass-Solo differenzierten einen Halt beim Hören ermöglichten. Das letztgenannte Werk war wiederum ein aus studentischer Initiative entwickeltes Projekt. So reichhaltig die zeitgenössische Musik sich darstellt, so ehrenwert ist Christian Münchs langjähriges Engagement mit dem "Studio Neue Musik" zu würdigen. Zeitgenössische Musik macht auch zukünftig nur Sinn, wenn man sich ihr aufmerksam und ernsthaft widmet und sie - nach sorgfältiger Erübung - erklingt.
(30.4.14)

Virtuoser Glamour und tiefer Ausdruck

Landesjugendblasorchester Sachsen zeigte Spektrum der "Klassiker"

Vermutlich nicht jedem Konzertgänger ist das "Sinfonische Blasorchester" ein Begriff - ist unsere Wahrnehmung klassischer Musik doch heute wesentlich von den Sinfonieorchestern und Ensembles der Kammermusik geprägt, die sich seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet haben. Dabei haben die Blasorchester eine eigene weitreichende Musikgeschichte, lassen sich gar auf Mozarts "Harmonie" und mittelalterliche Stadtpfeifer zurückführen. Aufgrund der speziellen Besetzung, die Verzweigungen sowohl in die Militärmusik als auch in regional geprägte Laienmusik aufweist, ist im Laufe der Zeit eine ganz eigene Musikgattung entstanden, für die es auch von klassischen Komponisten Originalkompositionen gibt.

Der spezielle Klang des etwa 40köpfigen Ensembles mit Holz- und Blechbläsern sowie Schlagzeug fordert nicht zuletzt zum Grenzgang zwischen klassischer Musik, Jazz und Unterhaltungsmusik heraus. Seit 1997 existiert in Sachsen das Landesjugendblasorchester Sachsen, das in jährlich zwei Projektphasen Konzertprogramme einstudiert und aus jungen Musikern der Musik- und Hochschulen besteht. Nach dem Eindruck des "Klassiker"-Programms, mit dem sich das Orchester am Sonnabend im Saal des Heinrich-Schütz-Konservatoriums Dresden vorstellte, möchte man behaupten, dieses Orchester kann alles, und das auch noch auf einem sehr guten Niveau.

Keineswegs handelt es sich bei der Projektphase um eine lockere Musikerferienfreizeit, die vier vorgestellten Werke waren so abwechslungsreich und für alle Bläsergruppen gleichermaßen herausfordernd, dass man merkte, wieviel Arbeit und Engagement dahintersteckte. Dirigent Thomas Scheibe, selbst erfahrener Orchestermusiker und seit Jahren mit mehreren Ensembles in Sachsen aktiv, konnte mit jederzeit klarem Dirigat die Musiker zu einer kompakten Gesamtleistung animieren. Das Motto "Klassiker" war natürlich weit auslegbar - hier handelte es sich ausschließlich um Werke des 20. Jahrhunderts.

Gustav Holsts "Suite for Military Band" Es-Dur greift auf alte Formen und Carols zurück - "very british" traf das Landesjugendblasorchester genau den warm timbrierten Ton dieser Musik. Der US-Amerikaner Don Gillis hingegen steht für eine Komponistengeneration, die Broadway, Jazz und Klassik gleichermaßen verinnerlichte und zu neuen Originalwerken führte. Rhythmische Präzision und einiges an virtuosem Glamour waren in Gillis Symphony "5 1/2" zu bestaunen - Scheibe vermochte die Klangmassen gut zusammenzuhalten und differenzierte auch die Dynamik im schwierigen Saal.

Karel Husas "Music for Prague 1968" war sicherlich das eindrucksvollste Werk des Konzertes: eine zeitgenössische Musiksprache verband sich hier mit tiefem Ausdruck. Direkte persönliche Erlebnisse des Exil-Komponisten sind hier in klageartige, nachdenkliche Klänge verwoben, vom leise pochenden Schlagzeugintermezzo bis zu großbögigen, auch kantablen Steigerungen waren die Musiker hier voll gefordert. Ein versöhnlich-volkstümlicher Ausklang gelang mit George Enescus "Rumänischer Rhapsodie Nr. 1", die auch in der originalen Orchesterfassung sehr bekannt ist. Erneut konnte man sich hier über einen mutigen Zugriff in allen Orchestergruppen freuen, überhaupt waren sämtliche Soli selbstbewusst und mit Können ausgestaltet. Das an diesem sonnigen Nachmittag leider nur spärlich besetzte Auditorium honorierte diese Leistung kräftig.
(29.4.14)

* Die Konzertwiederholung in Frankenberg wird von MDR Figaro aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt gesendet
* http://www.blasmusik-sachsen.de/das-ljbo.html

Opulentes Oster-Menü

Rachmaninow, Strauss und Tschaikowsky mit der Dresdner Philharmonie

Die Osterfeiertage sind nicht nur christliche Feiern, sie bedeuten für viele auch die Möglichkeit einmal Luft zu holen an einem langen Wochenende und Familie und Hobbys zu pflegen. Und natürlich geht man an solchen besonderen Tagen gerne ins Konzert. Gleich dreifach spielte die Dresdner Philharmonie an den Feiertagen ihr Osterprogramm im Schauspielhaus - für diese keinesfalls selbstverständliche Leistung sei dem Orchester einmal besonders gedankt.

Keinesfalls wurde "Schonkost" angesetzt, das Ostermenü soll schließlich auch in den Ohren schmackhaft erscheinen. Der Appetizer war allerdings kaum der Rede wert - Sergej Rachmaninows "Vocalise" Opus 34/14 kam zwar sanft tönend über die Bühne, aber mehr als ein "Ach wie schön" kann man dem kurzen Stücklein kaum abringen. So war es vermutlich auch gemeint, und so erreichte es auch die Zuhörer.

Ganz anders liegt der Fall bei Richard Strauss "Vier letzten Liedern". Ein tiefgehender, melancholischer Rückblick auf ein langes Künstlerleben entfaltet sich da, in warme und vertraute Töne gegossen. Seit der Uraufführung 1950 sind die Lieder zum Meisterstück großer Sopranistinnen wie Kirsten Flagstad, Elisabeth Schwarzkopf und Jessye Norman avanciert. Als Solistin konnten die Dresdner die Rostockerin Gun-Brit Barkmin erleben - vielleicht war es für manchen eine schöne Wiederbegegnung, denn Barkmin hat an der Dresdner Musikhochschule studiert. Über Freiberg und Berlin führte ihr Weg dann an die Bühnen der Welt, wo sie heute große Titelrollen (Salome, Jenufa, Lady Macbeth) ihres Fachs interpretiert.

Die Strauss-Lieder präsentierte sie bei dem Philharmonie-Debut erstmalig und überzeugte mit guter Diktion und einer strömenden, sicher geführten Stimme. In allen vier Liedern spürte sie mit Bedacht der Balance zwischen dem großen, zyklischen Bogen und der fast innigen, intimen Atmosphäre nach - in dieser schönen Farbpalette waren die Lieder keinesfalls auf Schmerz und Abschied reduziert. Schwieriger erschien die Einbettung in den Orchesterklang - hier und da fügten sich die Harmonien nicht ganz überzeugend ineinander und eine von Sanderling bevorzugte Schattierung und Dämpfung des Klanges führte manchmal zu einer zu fahlen Gesamtatmosphäre.

Ein musikalischer Weltenwechsel stand nach der Pause an: Peter Tschaikowskys 5. Sinfonie e-Moll verspricht saftigen spätromantischen Klang. Da war es zunächst überraschend, dass Michael Sanderling den ersten Satz derartig genau sezierte, dass man die Puzzleteile der Sinfonie einzeln präsentiert bekam. Folgt man dem Stück ebenso aufmerksam, wie dies die Philharmoniker in jeder einzelnen Phrase taten, so bleibt allerdings von der Leidenschaft und dem Schmelz, den dieses Stück vermutlich braucht, um von einigen Schwächen abzulenken, nicht mehr viel übrig.

So war auch im ersten Teil des vierten Satzes noch eine genaue Bestimmung von Haupt- und Nebenstimmen gegenwärtig, bemühte man sich um Schönklang (mit feinem Hornsolo!) und genaue dynamische Abstufung. Erst bei der finalen Apotheose gibt es kein Zurück mehr und hier spielten die Philharmoniker auch befreit auf, dafür gab es viele Bravo-Rufe vom Publikum.
(21.4.14)

In jeder Tür ein Schlüssel

Klavier-Recital Radu Lupu in der Semperoper

Es ist ein Glücksfall für das Dresdner Publikum, dass die Staatskapelle den rumänischen Pianisten Radu Lupu in dieser Saison als Capell-Virtuos gewinnen konnte. Der 68jährige wählt seine Auftritte mit Bedacht; seine Kunst erscheint als das völlige Gegenteil des heute in der Klassikszene oft zu beobachtenden Personenkultes. Beim Recital in der Semperoper schritt er bedächtig zum Flügel, dem Arbeitsgerät, vor dem ein gewöhnlicher Stuhl steht. Ab diesem Moment zählen nur noch die Noten von Robert Schumann. Ruhe kehrt ein im Semper-Rund und von Lupu geht in jedem Augenblick eine solche Erdung und Ernsthaftigkeit aus, dass man für einen Moment fürchtet, je wieder die "Kinderszenen" selbst wieder in die Hand zu nehmen.

Lupu schlägt das allbekannte Schumannsche Bilderbuch auf, ohne je im Spiel ein Eselsohr oder einen Fleck auf den Blättern zu hinterlassen. Behutsam und filigran werden die Miniaturen gestaltet, manchmal gar ein bißchen lässig. Die "Träumerei" gleitet fast schwerelos vorbei, rasch wechselt Lupu die Charaktere und bleibt dabei konturenscharf. Erst beim abschließenden "Der Dichter spricht" erlaubt er sich ein Innehalten. Auch in den folgenden "Bunten Blättern", die Schumann aus früheren Klavierstücken zyklisch zusammenstellte, gelingt Radu Lupu ein atmosphärisch dichtes, immer auf Linie bedachtes Spiel. Hier gelingen atemberaubende dynamische Differenzierungen, schleicht sich ein crescendo nahezu unmerklich ein, wird der Walzer des dritten Albumblattes mit Samthandschuhen angefasst und fällt dennoch nie der Konvention anheim.

Der erste Konzertteil ist eine Veredelung der Miniatur, es sind viele Kostbarkeiten, denen gemeinsam ist, dass sie mehr den gedanklich geschärften Moment als eine lange, von womöglich dramatischer Natur bestimmte Entwicklung in den Vordergrund stellen. Im zweiten Teil des Konzertes gab es mit der späten A-Dur-Sonate von Franz Schubert keinen wirklichen Kontrast, sondern eine stimmige Ergänzung. Die vier Sätze dieser Sonate sind von einem großräumigen "parlando" und vielen lyrischen Inseln bestimmt. Radu Lupu bleibt sich auch hier treu - seine Schubert-Welt ist ein wohlaufgeräumter Ort, bei dem selbst die Erschütterungen des zweiten Satzes sorgsam eingebettet erscheinen. Es ist ein überlegter Schönklang, von langer Erfahrung mit Werk und Komponist geprägt.

Falls man sich in diesen wohlgeformten Phrasen überhaupt etwas wünscht, dann wohl lediglich, dass dieses Kartenhaus nicht ewig Bestand haben möge - ist dieser Schubert nicht doch zu schön, um wahr zu sein? Wie eine Kartografie breitet Lupu die unergründlichen Weiten des vierten Satzes auf und spielt die von Pausen durchzogenenen und nicht vollendeten Ausgänge dieser Sonate als einen Raum mit vielen Türen. Doch während andere Pianisten diesen Schubert-Raum mit Fragen und Zweifeln behaften, steckt bei Lupu in jeder Tür ein Schlüssel. Die letzte fällt mit einem noblen forte ins Schloss. Mit dem Improptu As-Dur von Schubert entfernt sich Lupu auch in der einzigen Zugabe nicht von der Ausdruckswelt dieses Abends, in der die Ausformulierung gereifter Gedanken bestimmender, haltgebender Fixpunkt war und schlicht zu einem Wohlgefühl beim Zuhören führte.
(18.4.14)

Traum LXXXIII

Ich bin in meinem alten Gymnasium. Pause. Ich laufe durch die Gänge und suche meine Tasche, die sich in irgendeinem Klassenzimmer befindet. Überall Schüler, Gerenne, Gelaufe um mich herum in den Gängen. Ich bin wieder aus dem Zimmer heraus, da sehe ich meine Mutter auf mich zukommen. Ich habe sie lange nicht gesehen, sie ist total abgemagert und hat Blässe-Flecken auf den Wangen, ich freue mich sie zu sehen und umarme sie, die Umarmung wird nicht erwidert. Sie sagt mir, sie wolle sich verabschieden. Dabei laufen wir durch die Gänge mit den Schülern, die wie ein Spalier wirken. Ich verneine und breche fast zusammen, nein, kein Abschied. Den einzigen Satz, den ich von mir selbst noch vernehme, ist in etwa "Du kannst nicht einfach gehen wie bei einem Ehepaar, du bist meine Mutter." - Die Szenerie wechselt, wir laufen weiter, sind nun draußen, das Spalier der Schüler verwandelt sich in Bäume am Wegesrand. Weiter passiert nichts, an das ich mich erinnern kann. Wache recht "mittendrin" auf und vergegenwärtige mir intensiv, dass meine Mutter vor sieben Jahren gestorben ist.

Freitag, 11. April 2014

Traum LXXXII

Ich bin auf einer Party, vermutlich in einer WG, während eines WM-Spiels. Chaotisches Wohnzimmer, überall Flaschen, Essen, Zeugs. Abwechselnd bin ich alleine, mit K. oder mit vielen Menschen. Irgendwann beschließe ich doch mit K. einen Film zu schauen, wir werden aber von den Fußballfans vertrieben, nach nebenan in einer Art Küche, die aber nur aus einem Raum mit einem großen Eßtisch besteht, an dem wir alle sitzen. K. bestimmt einen Großteil des Traumes, aber es sind auch andere Partygäste da, die irgendwie alle was von mir wollen, was mir teilweise unangenehm ist. Ein Typ möchte Partituren erklärt haben, ich stimme zu und wir verschwinden durch eine Tür im Wohnzimmer und befinden uns in Gängen der Hochschule, die sich aber wie durch einen Kellertunnel winden und überdies aus Schlünden bestehen, die nur trittsicher auf irgendwelchen lose angebrachten Metallgittern begangen werden können. Endlich in einem Raum angekommen, studiere ich mit ihm die Partituren von S. - er hat davon ein ganzes Konzert zu dirigieren, ich erkläre ihm Takte und gebe Tipps. Es ist neue Musik - in einer Partitur ist (A0) ist über die ganze Doppelseite der Schriftzug "Bach" mit dicker schwarzer Farbe statt Noten eingetragen. Irgendwann müssen wir aufhören, da in dem Raum eine Probe mit R. beginnt, ich schnappe mir mein Handy, will zurück in die WG-Räume und zu K. - lese von ihr eine Nachricht auf dem Handy: "mehr schade", aber auch noch weitere kryptische Botschaften.

NB: Fast hätte ich die Paarhufer vergessen. Zwischendurch war ich wohl vor dem Haus und sah, wie ein Stück die Straße hinauf große Säugetiere über die Straße geführt wurden. Es waren Tiere von der Höhe einer Giraffe, aber etwa so wuchtig wie ein Wisent, also ziemliche Ungetüme. Eines der Tiere war ohne Führer und bewegte sich auf mich zu, ich blieb dabei aber gelassen im Gegensatz zu einem Hund neben mir, der sich an die nächste Hauswand drückte.

Donnerstag, 10. April 2014

Oratorische Schwergewichte

Mozart, Voigtländer und Lachenmann im Hochschul-KlangNetz-Konzert

Am Sonntag fand im Konzertsaal der Hochschule das vom KlangNetz Dresden veranstaltete zweite Konzert der Reihe "Einstürzende Mauern" statt. Diesmal erweiterte sich der Besetzungsrahmen auf Werke der Chorsinfonik. Doch die Fortführung des an sich spannenden Gedankens, bezugnehmend auf den Mauerfall vor 25 Jahren die Musik dieser Zeit und ihre Voraussetzungen und Wirkungen zu beleuchten, kam bei diesem Konzert nicht gut zur Wirkung. Das lag vor allem daran, dass mit einer Dirigierprüfung, einer Stipendienverleihung - das Weber-Stipendium ging diesmal an die Pianisten Hyesu Lee und Eva Schaumkell sowie den Komponisten Nicolas Kuhn - und dem Semesterkonzert des Hochschulchores obligate Termine des Institutes mit dieser Reihe verquickt wurden.

Damit musste ein über zweieinhalb Stunden dauerndes Programm verdaut werden, dessen Dramaturgie das Motto der KlangNetz-Reihe nicht wirklich in den Vordergrund der Hörerlebnisse rückte. Andererseits ist man natürlich dankbar dafür, dass die Dresdner Musikhochschule die Musik der Gegenwart in den letzten Jahren sehr selbstverständlich in alle Elemente des Studienablaufes integriert. Im ersten Teil lauschte man aber zunächst der großen Missa in c-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart - ein Meisterwerk ohne Frage, aber die Interpretation mit dem sehr stark besetzten Chor (Einstudierung Olaf Katzer) war nicht durchweg überzeugend, da Johannes Dasch am Dirigentenpult die Musik zumeist recht geradlinig formte und trotz vieler schöner Momente - zu denen auch das Solistenquartett mit Romy Petrick, Anna Immonen, Martin Rieck und Martin Schicketanz beitrug - Kontraste und Motivausdeutung nicht intensiv genug wirkten.

Aufführungspraktische Fragen wurden da kaum berührt und der Chor wirkte oft schlicht zu massiv und bunt besetzt - die Schwierigkeiten des immer neu zu startenden Semesterprojektes "Hochschulchor" mögen einleuchtend sein, für den Zuhörer waren sie diesmal im Ergebnis nicht befriedigend. Die Messe sollte einen Widerpart zum zweiten Programmteil mit Lothar Voigtländers "MenschenZeit"-Oratorium bilden. Beide Werke erstrahlen aber in solch starker eigener Kraft, dass sie eigentlich gar nicht nebeneinander programmiert werden dürften - warum hat man sich nicht auf eines der Werke konzentriert?

Dazwischen lag ein mit Helmut Lachenmanns "Notturno" für kleines Orchester mit Cello Solo (Solist: Gilbert Bernado Roig) quasi ein Intermezzo, das trotz ansprechender Interpretation in seiner Ästhetik der "musique concrète instrumentale" etwas verloren für sich stand und es mit diesen "Schwergewichten" kaum aufnehmen konnte. Voigtländers 2007 von der Singakademie Dresden uraufgeführtes Oratorium darf man, wenn nicht als geistliches, so doch zumindest als herausragendes geistiges Werk betrachten, setzen sich doch Komponist und Autor (Eugène Guillevic) hier mit der Wahrnehmung, den Widersprüchen und Vergänglichkeiten der Zeit auseinander. Ein großes, sofort philosophische und humanistische Tiefen berührendes Thema also, für das Voigtländer eine direkte, packende musikalische Ansprache wählte.

In einer Art poetischen Unruhe werden da immer neue emotionale Stürme entfacht - trotzdem gelingt ein Festhalten im Zuhören, da der 1943 geborene Komponist in diesem Trubel die Großform fast als sicheren Ort der Zuflucht im Blick behält und somit verschiedene Sichtweisen durchhörbar bleiben. Ekkehard Klemm wahrte vom Pult aus die Übersicht - in einer manchmal doch die Lautstärkegrenzen des Saales sprengenden Darstellung konnte er sich auf die engagiert mitgehenden studentischen Ensembles ebenso verlassen wie auf ein souverän sprechendes, singendes und auch schreiendes Solistenquartett - neben Julia Böhme, Falk Hoffmann und Carl Thiemt überzeugte vor allem die Sopranistin Romy Petrick, die als Gast einzige auch noch die Doppelaufgabe mit der ebenso ansprechend ausgeführten Mozart-Solopartie auf sich nahm - diese Leistung war außergewöhnlich.

Mit Entdeckerlust und Können

1. Festkonzert zum 20jährigen Bestehen der "Sinfonietta Dresden"

20 Jahre Sinfonietta Dresden - ein "normales" Jubiläum? Sicher nicht, wenn man bedenkt, mit welchen Schwierigkeiten freie Ensembles auf dem Markt in Zeiten knapper Kassen zu kämpfen haben. Die Liebe zum Musizieren im Ensemble trieb die kleine Truppe um Olaf Georgi in den 90er Jahren an - der Enthusiasmus ist geblieben, manche entstandene Sorgenfalte wieder geglättet. Unzählige der oratorischen Aufführungen in Dresden wären ohne das Ensemble nicht möglich gewesen, dazu gestaltete man eigene Konzertreihen und kümmerte sich mit Elan vor allem um die zeitgenössische Musik aus Sachsen und Osteuropa, aber auch die Wiener Klassik blieb eine Konstante im Repertoire.

Insofern glich das erste von vier Festkonzerten, die Sinfonietta Dresden anlässlich des Jubiläums in diesem Jahr gibt, einer klingenden Rückschau, zudem war für dieses erste Programm der Dirigent Milko Kersten eingeladen, der die Arbeit des Ensembles lange Zeit geprägt hat. In der Dreikönigskirche fanden sich viele aufmerksame Zuhörer ein - das Festprogramm bot reichhaltige musikalische Abwechslung. Zu großen Festreden ließ man sich nicht hinreißen, stand doch die Musik im Mittelpunkt - das war bescheiden und sympathisch zugleich, aber eben auch Markenzeichen des Ensembles, deren Programme immer schon so sorgfältig gestaltet waren, dass die Musik selbst zu sprechen imstande ist.

Die erste Konzerthälfte war von Wolfgang Amadeus Mozart bestimmt, hier schon wurde die Entdeckerlust offenbar: Anstelle eines bekannten großen Werkes entschied sich Kersten für sechs "Deutsche Tänze" und zwei Konzertarien und trat danach den lebendigen Beweis an, dass auch vermeintlich mit flinker Feder geschriebene Gelegenheitswerke zu einigem Staunen verleiten können. Dass ein schnöder Achttakter eine Fundgrube zu vielerlei Spielerei und musikalischem Witz sein kann, zeigte Sinfonietta Dresden in den Tänzen vortrefflich. Kersten musste - ein augenzwinkernder Beweis für die Flexibilität kleiner freier Ensembles - im letzten Stück selbst im Schlagzeug aushelfen. Die Sopranistin Marie Friederike Schöder verlieh den beiden Konzertarien "Mia speranza adorata" und "Bella mia fiamma" gehörigen Biss, damit deutlichen Charakter und beeindruckte durch sichere und schön geführte Koloraturen - Orchester und Solistin hatten diese Kleinode sorgsam ausgearbeitet und glänzten sowohl in den leisen Tönen als auch in der sich bis zum letzten Ton steigernden Dramatik von "Bella mia fiamma".

Passend eingebettet zwischen die beiden Arien erschien Silke Fraikins "Grazioso 222" - ein von der Sinfonietta 2008 uraufgeführtes Werk der Dresdner Komponistin, das sich explizit mit der im Titel genannten Ausdruckshaltung mozartscher Musik befasst und in vielfachen Ausfransungen, Abbrüchen und Überlagerungen die bekannte Klangwelt wie in einem Prisma von der heutigen Zeit aus betrachtet. Wiederbegegnen konnte man nach der Pause auch der Musik des 2002 verstorbenen rumänischen Komponisten Tiberiu Olah, mit dem das Ensemble eine besondere Beziehung verbindet. Seine "Sinfonia Concertante" für Flöte, Klarinette und Streicher (Solisten Olaf Georgi und Georg Wettin) zeigt eine sehr eigene Klanglandschaft zwischen auskomponierten Flächen und sich immer wieder ornamentiert steigernden und abebbenden Wellen der beiden fast verschmelzenden Soloinstrumente.

Dass eine Sinfonie von Ludwig van Beethoven den hervorragenden Konzertabend beschloss, machte schon fast Hunger auf eine neue Konzertreihe - denn so wie Milko Kersten die 2. Sinfonie D-Dur interpretierte, wäre man gespannt auf Weiteres. Oft wird dieses Stück gar nicht erst auf das Programm gesetzt und ihm eine fadenscheinige Konventionalität bescheinigt. Wenn aber wie in dieser Lesart die Sforzati im 1. Satz so stechend, der zweite Satz so kantabel und flüssig, das Scherzo differenziert und das Finale schlicht mitreißend musikantisch ausgeführt werden, dann lösen sich diese Vorbehalte schnell in Luft auf. Der in diesem Konzert sichtlich stolz und mit Freude aufspielenden Sinfonietta gebührt Respekt und Glückwunsch für zwanzig Jahre lebendige Musikpflege in der Stadt, davon wird man sich in diesem Jahr bei den drei folgenden Festkonzerten und etlichen weiteren chorsinfonischen Terminen überzeugen können.
Alexander Keuk

weitere Festkonzerte: 20. September, 2. Oktober, 6. Dezember
(siehe Homepage)

Dienstag, 8. April 2014

Einblicke in die kompositorische Werkstatt

Zum 70. Geburtstag: Gesprächsabend mit Wilfried Krätzschmar an der Musikhochschule

Unter dem Motto "Akribie und Leidenschaft, oder: Kunst ist schön - macht aber viel Arbeit" lud die Hochschule für Musik am Dienstag zu einem Gesprächsabend mit dem Komponisten und ehemaligen Rektor des Institutes Wilfried Krätzschmar anläßlich seines 70. Geburtstages ein. Mit dem amtierenden Rektor Ekkehard Klemm saß da nicht nur der Kollege qua Amt als Gesprächspartner auf der Bühne, sondern ebenso der ehemalige Schüler und Komponist, zudem hat Klemm als Dirigent wichtige Werke Krätzschmars wie die "Schlüsseloper" (2006) oder "fragmentum" (2012) zur Uraufführung gebracht.

Krätzschmars Musik stand im Vordergrund der zweistündigen Veranstaltung und mit vielen Komponistenkollegen und Weggefährten im Auditorium bewegte man sich auf mit den Musikbeispielen zwar auf bekanntem Terrain, doch mit den einführenden Worten des Komponisten konnten die Stücke und ihre Aufführungsumgebung gleichsam neu- und wiederentdeckt werden. Zudem gab es wertvolle Einblicke in das Musikleben vor der Wende, in welchem sich Aufführungsbedingungen, ästhetische Diskussion und Rezeption anders darstellten als heute - Krätzschmar stellte aber auch fest, dass die Orientierung junger Komponisten paradoxerweise heute schwieriger ausfallen muss.

Der kurze Exkurs "Wie verhalte ich mich als Komponist in einer Orchesterprobe?" hingegen war von zeitloser Qualität. Nur zu mutmaßen ist allerdings, wie heute das Publikum auf Krätzschmars 1. und 2. Sinfonie reagieren würde - sein sinfonischer Erstling rief 1979 in Dresden einen Publikumsskandal hervor. Beiden auch in Tonbeispielen vorgestellten Werken wäre dringend eine Wiederaufführung zu wünschen, weniger weil etwas aufgearbeitet werden müßte, sondern weil die Begegnung mit Krätzschmars Musik in jeder Hinsicht bereichernd und intensiv ist. Im Gespräch musste man sich schon aus Zeitgründen auf wenige große Werk-Stationen in Krätzschmars OEuvre beschränken.

Über die 1983 in Leipzig uraufgeführten oratorischen Heine-Szenen, die - obwohl Krätzschmar lediglich des Dichters Worte zu einem Textbuch formte - aufgrund ihrer musikalisch sorgfältig gesetzten Dornen zwischen Idylle und Abgrund oder "Abgründigkeit" ebenfalls öffentliche Erregung erzeugten, ging es in einem großen Bogen zum ersten Bühnenwerk, der 2006 an der Musikhochschule uraufgeführten "Schlüsseloper", einer Burleske über Macht und Ohnmacht, deren Aktualität sieben Jahre nach der Uraufführung fast mit einem leisen Schrecken festgestellt werden musste.

Bevor der Präsident der Sächsischen Akademie der Künste, Peter Gülke, in seinem Schlusswort dankbar und sehr genau beschrieb, wie Krätzschmar Aufgaben, "die auf einen zurollen" mit Demut und Noblesse zu lösen vermag, gab der Komponist einen Ausblick auf gegenwärtiges Schaffen - es ist zu hoffen, dass auch die in Entstehung begriffene 5. Sinfonie in heimatlicher Umgebung erklingen wird und somit nicht nur neugierige Protagonisten für die musikalische Gegenwartskunst gefunden werden, sondern Krätzschmar damit auch für sein Wirken in der Stadt gewürdigt wird. Am Ende der Veranstaltung stand eine Uraufführung - "Neun späte Bagatellen" für Violine und Klavier, entstanden 2007/2008, lösten klingend das Motto des Abends ein: Alwyn Westbrooke und Torsten Reitz setzten sich für dieses ebenso akribische wie leidenschaftliche Werk, das den Aphorismus der Bagatelle unter das kompositorische Brennglas nahm, überzeugend ein.

Donnerstag, 3. April 2014

In Wunsch- und Angstsphären des Melos

Wolfgang Rihm im Konzert und im Gespräch an der Musikhochschule

Der diesjährige Capell-Compositeur Wolfgang Rihm weilte fast eine Woche in Dresden, um Aufführungen seiner Werke in der Semperoper und an der Hochschule für Musik beizuwohnen. Traditionell stellt sich der Capell-Compositeur im Rahmen von Veranstaltungen von KlangNetz Dresden und der Sächsischen Akademie der Künste auch in Workshops vor - Rihm arbeitete mit den Kompositionsstudenten im Unterricht, besuchte Proben und sprach am Freitag mit Peter Gülke und Jörn Peter Hiekel über Komposition und Musikdenken.

In dem zweistündigen, sehr gut besuchten Gespräch konnte man tiefe Einblicke in Rihms Kompositionswerkstatt gewinnen und gleichzeitig Referenzen zur musikalischen Tradition feststellen. Wenn Rihm sich selbst bei der Arbeit als "Protokollant einer Spannungsübertragung" sieht, verrät das schon viel über eine Einstellung, die zwar das Element und die Idee proklamiert, aber viel mehr Interesse am Verlauf zeigt. Kriterien entstehen da durch Vergleich, aufgebaute Feindbilder dienen zur Schaffung des eigenen Standpunktes; der Schaffensprozess selbst, so Rihm, gleicht einer "Hege" und ist im günstigsten Fall von Vertrauen und Respekt - und natürlich langer Erfahrung im Umgang mit der Materie Musik - gekennzeichnet. Die Leidenschaft des Musikschaffenden ist dem 62jährigen Rihm dabei an den Augen abzulesen: seine vielen Tätigkeiten und Engagements als Lehrer und Juror etwa bringen in heutzutage in die Position, ständig die Rückkehr an seinen Schreibtisch organisieren zu müssen.

Die Werkschau in Dresden wird Rihm jedoch sehr erfreut haben - am Sonnabend musizierten Studenten der Musikhochschule einen ganzen Kammermusikabend mit seinen Werken. Obwohl nur vier Stücke aus verschiedenen Schaffensperioden auf dem Programm standen, war die Auswahl doch so beziehungsreich, dass man einen sehr charakteristischen, geschlossenen Eindruck erhielt. Zudem überlagern sich in verschiedenen Werkzyklen Formen und Ideen, die Rihm einem übergeordneten work-in-progress gleich immer wieder aufgreift, übermalt, weiterentwickelt oder neuen Widerparts zur Diskussion stellt. Diese Erkenntnisse konnten aus überzeugenden Aufführungen heraus entstehen, da die Studenten bestens präpariert waren.

Man machte keine Zugeständnisse: das 12. Streichquartett aus dem Jahr 2002 etwa gehört zum technisch Schwersten, was Rihm überhaupt in dieser Gattung komponiert hat. Ein polyphones Dickicht tat sich da auf, und trotz permanentem Aktionismus und einer Art exaltierten Rhetorik in allen vier Instrumenten schafften die Musiker eine leicht gedämpfte, fast "gedackte" Atmosphäre herzustellen. Das war ebenso spannend nachzuvollziehen wie Elena Rubios Parforceritt in "Über die Linie VII", eine Reise in die "Wunsch- und Angstsphäre des Melos" (Rihm). Das zwanzigminütige Solostück ging die Geigerin mit einer adäquaten Besonnenheit an, die dem enormen Spannungsbogen des Stückes keinerlei physische Dramatik beigab - so schwang die Musik frei.

Das Trio "Chiffre IV" war als konzentriert dargebotener Auftakt ebenso geeignet wie das größer besetzte Ensemblestück "Chiffre II - Silence to be beaten" als vulkanischer Ausbruch zum Ende des Konzertes. Nicht nur der anwesende Komponist zeigte sich hochzufrieden - die Musiker dürften ebenso eine starke "Rihm-Erfahrung" aus dieser Woche mitnehmen wie die Zuhörer, die Gelegenheit bekamen, den "Kontinent Rihm" einmal hautnah und musikalisch intensiv zu erleben.
(31.3.14)

Zum Weiterdenken bestimmt

Wilfried Krätzschmar zum 70. Geburtstag

Er ist ein umtriebiger Geist, ein Kämpfer für die Kultur, ein Einmischer, ein jovialer und stets bereichernder Gesprächspartner. Man weiß nicht, wo man anfangen soll, wenn man Wilfried Krätzschmar würdigen und als Persönlichkeit, womöglich gar noch in einem Satz, beschreiben soll. Vielleicht ist es die ehrlichste Aussage, dass ich ihm gerne zuhöre - und das betrifft gleichermaßen Töne und Worte, in dessen weiten Feldern sich Krätzschmar nicht nur unnachahmlich gut auskennt, sondern derer er sich auch mit höchsten Anspruch an sich selbst und sein Gegenüber - dem Publikum, den Zuhörern, der Gesellschaft, bedient. Hochinteressant wird das Zuhören dann, wenn das starke und oft nicht näher zu umschreibende Gefühl entsteht, dass der Redende etwas zu sagen hat (nicht jeder, der redet, sagt etwas!), eben etwas äußert, was genau jetzt und heute an diese Stelle gehört, aber eben auch messerscharf formuliert ist, damit so etwas wie Auseinandersetzung mit dem Gesagten, Gehörten erst entstehen kann.

"Sagen, was man denkt" - das war nicht nur vor dem Hintergrund eines künstlerischen Lebensweges zu DDR-Zeiten eine hohe Kunst, sondern dürfte für Krätzschmar gleichsam Credo und Ausdruck von Lebendigkeit sein - nur so gelingt ja die eigene Einschätzung und die Einordnung in die gesellschaftliche Umgebung, lassen sich umgekehrt auch wieder andere Meinungen und Standpunkte aufnehmen. Bei Wilfried Krätzschmar ist allerdings der Zusatz unerlässlich, dass der geäußerte Gedanke sorgsam geschliffen sein sollte, bevor er die Heimstatt des Verfertigens verläßt - ein feiner Humor und die Einbeziehung des Unerwarteten, des markant gesetzten Seitenhiebs ist da zumeist inkludiert. Damit entsteht auch Konfrontation - die Krätzschmar aber nie um ihrer selbst willen gesucht hat, sondern um dahinterliegende neue Welten zu erschließen oder ein bereits vermeindlich "bestelltes Feld" um eine andere Perspektive zu erweitern.

In diesen Zusammenhang ist nicht nur sein kompositorisches Werk zu stellen, bei dem Krätzschmar viel mehr daran interessiert ist, auf spielerisch-sinnliche Art Fragen zu stellen oder Situationen zu porträtieren denn fertige Ergebnisse zu präsentieren. Das sehr genussvolle "Erörtern der Gegebenheiten", um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, prägt auch Wilfried Krätzschmars unermüdliche Tätigkeit als Streiter für ein lebendiges und kreatives Kulturleben in Sachsen. Für die zeitgenössische Musik hat er wesentliche Aufbauarbeit im Komponistenverband und in weiteren Gremien geleistet. Auch die Dresdner Musikhochschule, der er von 1994 bis 2003 als Rektor vorstand, konnte er durch aufopferungsvolles Engagement zu dem heutigen modernen Ausbildungsinstitut weiterentwickeln und als Lehrer über fast vierzig Jahre eine ganze Komponistengeneration betreuen - Ekkehard Klemm, Christian Münch, Thomas Kupsch, Arnulf Herrmann, Benjamin Schweitzer und Michael Flade seien hier stellvertretend genannt.

Im Sächsischen Musikrat und in der Sächsischen Akademie der Künste bestanden und bestehen weitere Tätigkeitsfelder, wo Krätzschmar weniger als Bestimmer sondern vielmehr als Initiator, Weiterdenker oder Vernetzer hoch geschätzt ist. Wilfried Krätzschmar begeht am Sonntag seinen 70. Geburtstag - neben aufrichtigen Wünschen für Gesundheit und Energie sei ihm vor allem die beständige schöpferische Unruhe gewünscht, in schöner Unregelmäßigkeit in Stadt und Land seine Stimme zu erheben - in Tönen und Worten. Wir werden ihm aufmerksam zuhören, ihn - erst recht in seinem Humor - ernstnehmen. Auch das kann ein Geschenk sein, eines, das Wilfried Krätzschmar gebührt.
(22.3.14)

Traum LXXXI

Ich warte in einem Saal auf eine beginnende Probe und sitze an der Wand auf einem Tisch, die Beine hochgelegt. B. kommt herein, zieht mir den rechten Schuh aus und geht wieder. Ich fahre dann auf der Autobahn, telefoniere mit B. und weise ihn an zur Raststätte zu kommen um mir den Schuh wiederzugeben. An der Raststätte stinkt es entsetzlich nach Fett und Bratwürsten, daher fahre ich wieder und spreche mit B. - wir könnten uns auf der Hälfte der Strecke zwischen der Raststätte und zu Hause treffen. Der Ort heißt Herz.

Dienstag, 18. März 2014

Virtuoses Doppel am Klavier

Kirill Gerstein und James Gaffigan gastierten bei der Dresdner Philharmonie

"Das geht nicht" oder "das kann man nicht spielen" - solche Sätze hören Komponisten von ihren Interpreten höchst ungern. Oft hat die Musikgeschichte bewiesen, dass viele vermeintlich unspielbare Werke eine Musikergeneration später längst zum Repertoire gehören. Für Richard Strauss' "Burleske" für Klavier und Orchester traf das zwar nicht ganz zu, aber immerhin fand sich in Eugen d'Albert ein Virtuose, der die vertrackten Windungen der Komposition in die Finger zu bekommen wusste, nachdem der Widmungsträger Hans von Bülow die Partitur abgelehnt hatte.

Die Dresdner Philharmonie lud mit dem amerikanischen Dirigenten James Gaffigan (Chefdirigent des Luzerner Sinfonieorchesters) und dem russischen, in Amerika ausgebildeten Pianisten Kirill Gerstein zwei sehr interessante Gäste der jüngeren Künstlergeneration ein, die sich nicht nur für die Reputation der "Burleske" einsetzten, sondern dem ganzen Konzert eine markante Handschrift verliehen.

Strauss zur Seite gestellt waren Werke von Maurice Ravel - das erzeugte mehr ein friedliches Nebeneinander als einen Beziehungsreichtum, denn beide Komponisten waren doch in recht unterschiedlichen musikalischen Sphären unterwegs. Ravels Märchensuite "Ma mère l'oye" (Mutter Gans) beließ Gaffigan in ihrer schlichten, unaufgeregten Charakteristik. Damit gelang ein sanfter Auftakt, in welchem aber auch ein wenig noch die Spannung und damit ein Gespür für Linien und Ziele fehlte.

Das änderte sich mit dem Auftritt von Kirill Gerstein schlagartig, denn die "Burleske" gibt sich kantig und jugendlich ambitioniert. Auf das erste Paukenmotiv reagierte Gerstein mit selbstbewusstem, fast ein wenig perkussivem Anschlag und stellte klar, dass Strauss mit der Burleske vor allem eine geistige Anstrengung verband, die das Stück in Brahms-Nähe rückt, dabei aber vielfach in aberwitzig virtuose Preziosen mündet. Die Dresdner Philharmonie zog da aufmerksam mit - Solist und Orchester konnten so im Verlauf des Stücks einen mächtigen Spannungsbogen aufbauen.

Damit nicht genug: nach der Pause erschien Gerstein erneut, um den Zuhörern im Albertinum Ravels Klavierkonzert D-Dur für die linke Hand zu präsentieren. Pianistisch wie stilistisch ist das eine ganz andere Herausforderung, die aber von Gerstein hervorragend gemeistert wurde. Fast garstig-insistierend und mehr im Rock- statt im Jazzbereich angesiedelt kolorierte der Pianist den vitalen Mittelteil des Stücks, Gaffigan gab sich hingegen mit dem Orchester als gleichberechtigter Partner und steuerte eine höchst süffige, von spontaner Leidenschaft geprägte Klangwelt bei. Das war bis zum letzten Ton überzeugend und Gerstein konnte für dieses außergewöhnliche Doppel am Klavier großen Applaus empfangen.

"Till Eulenspiegels lustige Streiche - nach alter Schelmenweise in Rondeauform gesetzt für großes Orchester", so lautet die Überschrift von Richard Strauss' wohl bekanntester Tondichtung, die am Ende des Konzertes auf dem Programm stand. James Gaffigan überraschte die Zuhörer mit einem rasant durch seine Abenteuer stürzenden Till. In dieser Lesart landete die Tondichtung im Charakter fast im heutzutage auch von atemberaubender Schnittgeschwindigkeit bestimmten Trickfilmbereich. Gaffigans impulsives, forderndes Dirigat spornte die Philharmoniker dabei zu Höchstleistungen an. Gleich ob es die vielen exzellent musizierten Soli waren oder die klanggewaltige Gerichtsszene mit augenzwinkerndem Abgang - diese von rasch wechselnden Bildern bestimmte Aufführung gelang hervorragend.

"Böhmische Geschichten" mit viel Musizierfreude

Smetana, Suk und Dvořák im Konzert des Universitätsorchesters Dresden

Zumeist ein Konzert pro Semester veranstaltet das Universitätsorchester an der TU Dresden - für diesen Abend üben die Studenten, Dozenten, Mitarbeiter und Ehemalige der TU, aus denen sich das Orchester zusammensetzt, sehr engagiert in ihrer Freizeit. Es ist der Lohn der Anstrengungen, wenn sich dann pünktlich zum Konzert die größte Spannung aufbaut und jeder seinen wichtigen Teil zu den Stücken beitragen darf. Die Spannung maximierte sich am Sonntag noch, denn zum einen - eine schöne Konstante bei den TU-Musikensembles - war die Lukaskirche fast vollbesetzt, zum anderen hatte Dirigentin Monica Buckland wieder einmal ein faszinierendes und gleichzeitig sehr anspruchsvolles Programm aufgelegt.

"Böhmische Geschichte(n)" wurden dem Publikum präsentiert: drei sich musikalisch nahe stehende Werke aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts standen auf dem Programm - damit gelang ein schöner Querschnitt der Musikkultur dieses Landes zu dieser Zeit. Keineswegs reduziert sich die Musik auf "böhmische Blasmusik" (und auch die will niveauvoll dargeboten werden!) wie sie etwa explizit im zweiten Satz von Josef Suks Suite "Pohádka" (Ein Märchen) vorkam. Bereits die sinfonische Dichtung "Šárka" aus dem berühmten Zyklus "Mein Vaterland" von Bedřich Smetana war mit allerhand Herausforderungen und einer guten Portion Dramatik gespickt, woraus Buckland mit dem Orchester aber ein überzeugendes Einleitungsstück formte.

Die folgende umfangreiche Suite von Josef Suk (übrigens der Schwiegersohn von Antonín Dvořák) zeigte, wie die böhmische klassische Musik sich in der Spätromantik weiterentwickelte; Suks Musik wird leider viel zu selten aufgeführt, obwohl sie eine ganz eigene Handschrift und Farbigkeit trägt. War in "Šárka" schon ein schönes Klarinettensolo zu bewundern, so war es hier ein Geigen-Solo, das der an "Romeo und Julia" angelehnten Geschichte Charakter verlieh - ansonsten hatte man hier seine Freude an der markanten Lesart von Buckland, die nicht mit Schwelgen und sattem Klang sparte, aber stets auch konzentrierten Einsatz der Musiker forderte.

Die zweite Konzerthälfte gehörte Antonín Dvořák - seiner 6. Sinfonie D-Dur merkt man das intensive Ringen um den von der Öffentlichkeit für wichtig bewerteten nationalen Stil heute nicht an. Buckland fand auch hier das rechte Maß der Tempi, um den kantablen Themen viel Ausdruck zu verleihen. Vielleicht waren im Scherzo noch ein paar Prägnanzreserven vorhanden, doch dafür entschädigte das furiose, feuerwerksartig beendete Finale der Sinfonie. Über dem ganzen Konzert stand weniger der Anspruch der Perfektion als vielmehr gemeinsame Freude am Musizieren dieses Kulturgutes unserer Nachbarn, das damit einmal mehr wenige Kilometer den Elbestrom hinunter gewürdigt wurde - gut so.
(10.3.14)

Unbekanntes von Bekannten

Ravel, Strauss und Dvořák im Philharmoniekonzert

Die Dresdner durften am vergangenen Sonnabend erneut eine Wiederbegegnung mit einem Sohn der Stadt erleben, den es früh schon in die Ferne zog: der Dirigent Christoph König war Kruzianer und studierte an der Musikhochschule in Dresden, bevor er Engagements in Malmö und nun seit mehreren Jahren in Porto und Luxemburg wahrnahm. Im dritten Philharmonie-Konzert der laufenden Saison in der Frauenkirche übernahm König die Leitung und konnte sich über sehr guten Publikumszuspruch freuen - vielleicht ein Zeichen, dass die Dresdner ihren Künstlern treu verpflichtet bleiben, auch wenn diese ihr Glück in der Welt suchen.

Keineswegs lockte König mit einem gewöhnlichen Programm, obschon mit Ravel, Strauss und Dvořák bekannte Komponisten angekündigt waren. Einen Tag nach Maurice Ravels 139. Geburtstag gab es mit der Suite "Le Tombeau de Couperin" ein anständiges Ständchen für den Komponisten - die Musik bezieht ihren Reiz aus der Verbindung barocker Formen und Motive mit der stark dekorativen und hier auch offenherzig verspielten Stilistik des musikalischen Impressionismus. König überraschte gleich im ersten Satz mit straffen Tempi und vielen gut angelegten Kontrastwirkungen. Nachdem die Philharmoniker einmal den Willen zum Folgen signalisiert hatten, war es eine Freude, diesem orchestralen Schmuckstück zu lauschen, denn mit sorgsam differenzierter Dynamik wurde auch die Akustik der Frauenkirche berücksichtigt.

An Richard Strauss kam man auch an diesem Wochenende in Dresden nicht vorbei: neben den bekannten Tondichtungen gibt es aber in dessen reichhaltigem OEuvre auch einige Preziosen zu entdecken. Das Violinkonzert d-Moll, Opus 8 des gerade einmal 18jährigen Komponisten hat sich - im Gegensatz zur ebenfalls früh entstandenen Violinsonate - nicht im Repertoire gehalten. Man ist der holländischen Geigerin Isabelle van Keulen dankbar, dass sie sich immer wieder mit Mut und großer Aufmerksamkeit solchen "Perlen" am Rande des Repertoires widmet - schließlich kann man an der Musik sehr schön feststellen, wie der junge Richard Strauss mit den Partituren seiner Zeitgenossen vertraut war um allmählich seinen eigenen unverwechselbaren Stil zu entwickeln. van Keulen und König gingen mit großem Ernst an die Sache heran und die Reputation gelang - vielleicht nicht in den ersten Takten, in denen van Keulen noch etwas Nervosität zeigte. Sie lotete aber in der Folge das Konzert als jugendlich-spritziges Virtuosenstück optimal aus und legte sich auch mit Hingabe in die lyrischen Passagen. Dass gerade der 3. Satz bei van Keulen von spielerischer Leichtigkeit viel mehr gekennzeichnet war als von den Mühen der Bewältigung dieser geigerischen - man darf es durchaus so nennen - Frechheiten, sollte als höchst respektable Leistung gewürdigt werden.

Antonín Dvořáks Sinfonien werden gerne als Schlussstück programmiert, gelingt doch hier immer ein melodienseliger, musikantischer Ausklang. Der 5. Sinfonie F-Dur war bisher ein solches Repertoireglück nicht beschieden. Christoph König setzte sich vehement und mit intensiver Ausarbeitung der Partitur für das Stück ein, sodass sich schon im ersten Satz der silbrig-feine, optimistische Dvořák-Klang ausbreiten konnte. König arbeitete viel mit spontaner Motivation, dämpfte da und dort einmal zu forsche Bläser und forderte emsiges Mitgehen vor allem im Finale. Damit gab er nicht nur eine tolle Visitenkarte für seine Dirigierkunst ab, sondern stand auch mit seinem Namen für die Werke voll ein - solch eine Überzeugungskraft, die sich auch sofort auf die Musiker im Orchester übertrug, ist eine gute Sache und wurde vom Publikum mit starkem Applaus bedacht.
(9.3.2013)

Sonntag, 9. März 2014

Traum LXXX

Ich bin in einem großen, aber verwinkelten Probenraum und will wieder Fagott spielen. Mir fehlt allerdings das Rohrblatt und ich bin traurig. Ein anderer Fagottist gibt mir eines aus seiner Sammlung und meint, er würde damit immer den "Ring" spielen, aber derzeit stehe der ja nicht auf dem Programm. Ich sitze dann vor einer großen Tafel, die mir das Zusammenbauen des Fagotts erklärt, eine ziemlich absurde Zusammenstellung, man muss hinter den S-Bogen auch noch Papier klemmen und ähnliches mehr. Ich komme nicht zum Spielen, da ich mit dieser Bauanleitung beschäftigt bin. Währenddessen wechselt die Szenerie - ich bin nun in einer Chor-Orchesterprobe, die Teilnahme am Chorprojekt hatte ich abgesagt und frage den Leiter, ob ich denn stattdessen Fagott spielen könnte. Nein, A. spielt Fagott - ich werde abgelehnt. Ohnehin ist diese Probe offenbar vorbei, ich verbleibe allein in dem großen Raum. Am Klingeln höre ich, dass es die Hochschule ist, die nun schließt. A.O. ruft an und fragt nach ihrem Portemonnaie, das ich suchen und ihr mitbringen soll. Ich merke, dass der ganze Raum voller "Zeug" ist, überall liegen Taschen, Klamotten, auf den Fensterbänken viel kleiner Tand und auch mehrere Portemonnaies. Statt A. habe ich nun T. am Telefon, ich solle das Portemonnaie suchen. Nach langer Suche finde ich es - draußen höre ich Schritte, ein Wachdienst mit Taschenlampen kommt herein und sagt mir, ich solle verschwinden. Hinter dem Wachdienst folgt eine Putzkolonne, mittendrin O., die entschuldigend erklärt, ihre Tante sei Putzfrau. Ich verlasse das Haus mit dem Portemonnaie, auf dem fein säuberlich innen ein Klebestreifen mit Namen und Adresse von T. angebracht ist. [hier Ende]

Freitag, 7. März 2014

Orphische Gesänge von Beethoven, Liszt und Strauss

Radu Lupu und Christian Thielemann im Kapell-Konzert

Mal hat er eine Lyra oder Laute, später sind es Harfen und Geigen, die seinen Gesang verkörpern, oder er tritt gleich in persona in den ihm gewidmeten Opern in Erscheinung: die mythische Gestalt des Orpheus hat Künstler in allen Epochen beschäftigt - von "orphischen" Klängen war auch das 7. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle durchzogen. Auch wenn Richard Strauss sich in seiner Tondichtung "Ein Heldenleben" nicht explizit darauf bezieht, ist auch dort die orphische, durch Nietzsches Deutung vom Werden und Vergehen des Menschen geprägte Atmosphäre nicht zu leugnen.

Begonnen wurde aber mit der sinfonischen Dichtung "Orpheus" von Franz Liszt, die der Komponist 1854 für das weimarische Kulturleben verfasste. Chefdirigent Christian Thielemann formte eine von den ersten Tönen an sorgfältige, auf weichen und strömenden Klang bedachte Interpretation.

Ein besonderes Erlebnis war dann die Aufführung des 4. Klavierkonzertes G-Dur von Ludwig van Beethoven. Auch dieses Werk darf durchaus orphisch gedacht werden, weniger von der programmatischen Zuschreibung des zweiten Satzes her als vielmehr von der Emanzipation des künstlerischen Ausdrucks. Als Solist war der diesjährige Capell-Virtuos Radu Lupu zu hören. Der rumänische Künstler ist unbestritten einer der ganz großen Pianisten der Gegenwart. Seine Beethoven-Interpretation war von einer geistigen Durchdringung geprägt, die sich bereits in den ersten Takten im Solo-Thema andeutete. Es war wohl die melancholischste, vielleicht auch schattigste Variante, die man je von diesem G-Dur-Konzert gehört hat. Ein feiner Lyrismus und ein fast lapidarer, manchmal auch distanziert wirkender Zugang Lupus zur Partitur durchzog nahezu alle Sätze.

Radu Lupu versah die Musik mit einem höchst differenzierten, ebenso vorsichtig angelegten wie spontan die Musik erforschenden Anschlag. So konnte man sich tief in die Musik hineinbegeben, wurde nie gestört durch Äußerlichkeiten oder gar den interpretatorischen Zeigefinger. Thielemann und das Orchester nahmen den großen Ernst, den Lupu verströmte, sofort auf und gaben sich hochkonzentriert den vielen Reaktionen und Kommentaren hin, so dass schon vor der von Lupu kristallklar ausgeführten Kadenz im 1. Satz der sinfonische, dialektische Charakter dieses Konzertes klar ausgebreitet wurde. Nach dem von Nachdenklichkeit geprägten zweiten Satz war im Finale kein flotter musikalischer Kehraus gefragt, eher prägte Lupu die Motive dieses Satzes mit einer fast philosophischen Gelassenheit, die dem Hörer Raum gab, Dinge selbst zu verknüpfen oder zu deuten. Solch einer reifen, auch mutigen Haltung muss man höchsten Respekt zollen.

Schließlich ertönte mit auftrumpfender Geste am Beginn der orphischen Gesänge dritter Akt: Strauss' Tondichtung "Ein Heldenleben" ist ein opulentes und dankbares Abschlusswerk, in welchem die Kapelle all ihre Stärke und Erfahrung als Strauss-Orchester mit brillantem Klang zeigte. Dies gelang natürlich erst recht vorzüglich, da Christian Thielemann stets klare und eindeutige Zeichen gab, die aber nie das Spiel einengten. Schön, dass Thielemann sich insbesondere in den Themenvorstellungen nicht zu sehr den Details hingab, sondern die Spannung bereits auf den nächsten Abschnitt lenkte.

So wirkten des Helden Dramen glücklicherweise nicht ganz so schwergewichtig wie von Strauss ersonnen - trotzdem zelebrierte die Kapelle natürlich den orchestralen Siegeshöhepunkt mit größtem Genuss: angesichts der hervorragend entfalteten, nuancenreichen Farbigkeit in allen Orchestergruppen machte das Zuhören auch noch im von Strauss doch arg ausgedehnten letzten Drittel des Stücks schlicht Spaß. Und nur begeistert war man von dem temperamentvoll und klangsinnig gestalteten Solo von Konzertmeisterin Yuki Manuela Janke - sie wäre für Jubilar Richard Strauss mit Sicherheit eine äußerst empfehlenswerte "Gefährtin" seines Helden.

Montag, 3. März 2014

ad fontes

Darum vertiefen wir uns in unser Leben
weil wir draußen die Hecken sehen
in denen kleine Wölfe wohnen
die ihre Statements verkürzen und
ihr Geld zählen
leise mit den Händen schlagend
damit die Ordnung gewahrt bleibt.
Soweit Fuchs.

Darum verliefen wir uns in den Hecken
weil wir schaudernd unser Leben nahen sahen
in dem Herdenglocken läuteten
dann und wann der Fischfiletlieferdienst aufkreuzt und
wieder verschwindet
im Horizont eine gelbe Fahnenspur legend
damit das Wimmern an Struktur gewinnt.
Sogleich Meer.

Warum verkeilen wir uns in den Gedanken
weil wir rasend vor Glück unsere Ziele vergraben
mit denen wir zu den Staren fliegen wollten
früh am Morgen in einer Ecke der Stadt hockend und
alles einreißend
Schweife zwischen die Felsen zeichnend
damit die Wissenden sich verdrücken.
So viel Liebe.

Traum LXXIX

1) Geträumt, geweckt zu werden.
2) Eine Sache sagen, die aber komplett als Gegenteil wahrgenommen wird.
3) Eine Stunde bis zur Abfahrt.

Sonntag, 23. Februar 2014

Medien-Links zum Thema Semperoper / Serge Dorny

Am 21.2. hat die Sächsische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Sabine von Schorlemer dem designierten Intendanten der Semperoper, Serge Dorny, vorzeitig gekündigt. Unkommentiert und ohne Vollständigkeitsanspruch veröffentliche ich hier eine Linksammlung zum Thema, die ich auch in den nächsten Tagen erweitere. Dabei kommt es mir nicht auf Massierung an, die Wiederholungen mit sich brächte, mir ist hier auf dem Blog der Rundumblick vor allem mit redaktionellen Beiträgen wichtig.

* Pressemeldung des Kunstministeriums Sachsen (21.2., 12.01), kurz danach veröffentlichen DNN und SZ die Meldung, auch Musik-in-Dresden.de (Michael Ernst) und die nmz (gleicher Autor) berichten online. Die BILD zitiere ich hier lediglich: "Das ist ein Ding!"
* Dornys erste Reaktion, ein offener Brief, wurde am 21.2. abends veröffentlicht, z. B. in Auszügen in "Le Figaro" ("Dorny débarqué de l'Opéra de Dresde"), später am Abend konnte der Brief dann komplett z. B. bei Twitter in französisch und deutsch gelesen werden. Für die Samstagsausgaben der Zeitungen reichte das nicht mehr - dpa gab am Samstag Auszüge weiter.
Erste Meldungen der Presse noch am Freitag:
* Die Welt: "Ministerium feuert Semperoper-Intendanten"
* FAZ: "Rauswurf: Serge Dorny geht nicht nach Dresden" (Eleonore Büning)
* DRadio Kultur - audio aus der Sendung "Fazit" - Interview mit Staatssekretär Henry Hasenpflug

Am Samstag berichten viele Zeitungen ausführlich in ihren Printausgaben - davon sind einige (Kerstin Leiße in der DNN etwa) nicht online verfügbar. Online finden sich am 22.2.:
* Sächsische Zeitung: "Semperoper wirft neuen Intendanten hinaus" (Heinrich Löbbers)
* Die Welt: "Es darf einfach keinen Gott geben neben Thielemann" . Neben diesem Artikel verfasst Autor Manuel Brug auch einen weiteren Text, einen Kommentar namens "Dresdner Scherben"
* Audiobeitrag vom 22.2. bei DRadio Kultur (Sendung Fazit).

Am Sonntag, 23.2. erscheint ein dpa-Interview mit Dorny u. a. in den Dresdner Neuesten Nachrichten und der nmz.
* Martin Morgenstern schreibt einen Gastbeitrag für das Medienblog "Flurfunk Dresden" unter dem Titel "Entlassung von Serge Dorny: „Frau Schorlemer hat sich entschieden“
* Aus den dpa-Materialien von Jörg Schurig entsteht ein weiterer Artikel bei der Sächsischen Zeitung: "Semperoper übt sich in Schadensbegrenzung"
* Der MDR fasst am Sonntag mit mehreren Audios/Videos und einem größeren Artikel unter der Überschrift "Kompetenzgerangel an der Semperoper" die Lage zusammen. Die Fernsehbeiträge des MDR lassen sich über die Suche auf der ARD-Seite gut auffinden.
* Reinhard Brembeck kommentiert in der Süddeutschen Zeitung - "Das Theater von Dresden"

Am Montag
*veröffentlicht die DNN in der Print- und E-Paperausgabe einen weiteren Beitrag unter dem Titel "Fehlende politische Courage und Weitsicht": Der vor Amtsantritt als Dresdner Opernintendant gekündigte Serge Dorny teilt in viele Richtungen aus" (M. Ernst / K. Leisse)
* Spiegel stellt die "Presseschau Kultur" online und zitiert darin Christian Thielemann aus einem Interview mit der FAZ (Printausgabe)
* nzz, Georg-Friedrich Kühn: "Kündigung vor Amtsantritt"
* FAZ, neuer Artikel von Eleonore Büning: "Verliebt, verlobt, geschieden oder: Dorny muss gehen"

Di, 25.2.
* Der Münchner Merkur veröffentlicht ein Interview mit Christian Thielemann, beim Oberbayrischen Volksblatt kann man unter der Überschrift "Getroffene Hunde bellen eben" daraus Auszüge lesen (Markus Thiel).
* Die DNN-Printausgabe fasst unter dem Titel "Ein Dresdner Trauerspiel" die Ereignisse zusammen und blickt zurück auf vergangene Jahre. Außerdem druckt sie ein Interview mit dem Orchesterdirektor Jan Nast ab (Kerstin Leisse).
* Die Bildzeitung Dresden titelt "Selbst vor dem SemperOpernball schreckte er nicht zurück" und berichtet, Dorny habe dem Verein im Januar gekündigt.
* Der Bayrische Rundfunk setzt Interviewaussagen von Thielemann und Dorny in Zitaten untereinander.
* Um 14 Uhr findet eine Pressekonferenz in der Semperoper statt, darüber berichten verschiedene Medien im Anschluss: dpa (hier in der LVZ), die WELT, der MDR, menschen-in-dresden.de und Dresden Fernsehen, letzteres mit einem kurzen Video der Pressekonferenz.

Am Mittwoch, den 26.2.
* berichten die meisten Zeitungen über die Pressekonferenz, etwa Tim Hofmann in der Freien Presse ("Vorwurf: Er war ein Diktator mit hübscher Maske") oder die Mittelbayrische ("Semperoper bleibt erst mal kopflos"). Die Dresdner Neuesten Nachrichten widmen sich zudem dem Thema Semperopernball - dem ausrichtenden Verein hatte Dorny im Januar gekündigt.
* Musik-in-Dresden veröffentlicht auf seiner facebook-Seite fast die komplette Pressekonferenz in einer Mitschrift (Martin Morgenstern)
* Eine besondere Schlagzeile findet die Münchner Abendzeitung für ihre Berichterstattung: "Hat Thielemann den Intendanten weggebissen?" - interessanterweise ist im Artikel nur dpa-Material übernommen - das betrifft allerdings nicht die Überschrift.
Unabhängig von der Pressekonferenz erscheinen weitere Artikel. In der Berliner Morgenpost schreibt Axel Brüggemann: "Thielemann ist eine Reizfigur, dabei will er nur dirigieren."
Aus französischen Medien ist dagegen heute fast gar nichts zu entnehmen, außer der Information, dass Dorny eventuell nach Lyon zurückkehrt. Update: France Musique berichtet nun auch.

Donnerstag, 27.2.
* ein längerer Artikel in der Zeit fasst die Ereignisse zusammen und versucht sich im Vergleich mit Fußball (Martin Machowecz)
* Götz Thieme schreibt in der Stuttgarter Zeitung über die "Dresdner Opernkrise"

Beethoven als krönender Abschluss

5. Kammerabend der Staatskapelle mit dem "Dresdner Streichtrio"

Der 5. Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle in der Semperoper gehörte gänzlich dem Streichtrio. Diese Gattung der Kammermusik findet sich seit dem 18. Jahrhundert in allen Epochen der Musikgeschichte, wenngleich nicht jeder Komponist ein Werk für diese Besetzung verfasst hat. Vom umfangreichen Repertoire des 1995 gegründeten "Dresdner Streichtrios" konnten sich die Konzertbesucher des Kammerabends überzeugen, wenngleich die begrenzte Zeit eines Konzertes in diesem Fall inklusive Zugabe nur vier Beispiele zuließ.

Berkeley, Berger, Beethoven - die Programmfolge geht trotz Alliteration nicht so leicht von der Zunge, denn den ersten beiden Komponisten begegnet man im Konzertalltag nahezu gar nicht. Der englische Komponist Lennox Berkeley (1903-1989) schrieb sein Streichtrio 1944, das stilistisch verschiedene konservative Strömungen seiner Zeit aufnimmt, allerdings kaum einmal zum Hinhören zwingt. Eine wenig inspirative Stimmführung der Themen durch die Instrumente und ein harmonisches Verständnis, bei dem man sich fragt, ob der Komponist nicht doch Vorzeichenfehlern erlegen war, ließ am Ende rätseln, warum dieses Stück überhaupt zur Aufführung ausgewählt wurde.

Dagegen war beim zweiten Werk des Abends eine deutliche Steigerung nicht nur im spieltechnischen Anspruch, sondern auch im lustvollen Entdecken musikalischer Details beim Zuhören zu spüren. Wilhelm Bergers Streichtrio g-Moll entstand 1898 - der Komponist kann stilistisch zwar zwischen Brahms und Reger eingeordnet werden, das Werk ist aber von solch eigener Charakteristik, dass solche Vergleiche nur einen äußeren Rahmen benennen können. Die beiden Mittelsätze benötigen viel Flexibilität im Ausdruck - Jörg Faßmann (Violine), Sebastian Herberg (Bratsche) und Michael Pfaender (Cello) sorgten hier für eine in den Klangfarben sehr ansprechende Interpretation. Bergers kontrapunktisches Können konnte man in den Ecksätzen gut wahrnehmen, ab und an blitzte sogar eine Leichtigkeit in der Faktur auf, die man eher Stücken von Dvořák zuordnen würde.

Der ganze Abend war im Ensemble von guter Homogenität und sorgsamer, fast liebevoller Hinwendung zu den Werken geprägt, dies konnte man hier im Detail etwa in den witzig-trockenen Pizzicati im Scherzo wahrnehmen. Die Musik von Ludwig van Beethoven wirkte nach der Pause im Kontext als krönender Abschluss. Hier zeigte das Dresdner Streichtrio vor allem, wie ein Meisterwerk - als solches muss das G-Dur-Trio aus Opus 9 gelten - durch kenntnis- und ideenreiche Interpretation gewinnt. Neben dem höchst sanglichen Adagio konnte man etwa gut verfolgen, welche Intensität die Pausen im musikalischen Verlauf besitzen. Das Finale schließlich war von einem Temperamentsausbruch bestimmt, dessen Ausdrucksqualität bislang im Konzert etwas zu kurz kam. Jubilar Richard Strauss kam in der Zugabe zu seinen Ehren - das 1882 im familiären Kreis im Münchner Pschorr-Bierkeller uraufgeführte kurze Variationswerk "'s Deandl is harb auf mi" entwickelte dann aber doch nicht soviel bajuwarischen Witz, wie Name und Uraufführungsort vermuten ließen.

Montag, 17. Februar 2014

Traum LXXVIII

Ich betrete mit dem Hund einen Zug, im Oberdeck des offenbar doppelstöckigen Zuges steht die Fußballnationalmannschaft. Ich gehe durch die Reihen und schüttele Hände. Es soll Kaffee und Kuchen geben. Statt der Nationalmannschaft steht dann plötzlich ein Orchester vor mir, mir wird bedeutet, dass es nur noch Tee gibt und jeder seine eigene Teetasse hat, am eingravierten Muster im Boden erkenntlich. Ich fühle mich ausgeschlossen, da ich keine Tasse habe und auch keinen Tee trinke. Szenenwechsel. Ich stehe an einem Hang und sehe zu, wie jemand an diesem Hang mit einem Ball spielt, den er geschickt immer um einen Baum herumleitet, der an diesem Hang steht. Ich bemerke, dass ich noch in den Supermarkt könne (Süßigkeiten kaufen), der habe ja noch bis sechs Uhr auf. Dann, so sage ich dem Ballspieler, ginge es - zu Fuß - nach Australien. ["Australien" ist eine Art Nachbargrundstück, dennoch ein Grenzübertritt und "wildes Land", ich kenne es aus früheren Träumen]. Erneuter Szenenwechsel. Ich stehe mit dem Hund auf der Straße und telefoniere, ich bekomme von t. Prüfungsergebnisse erzählt. Kurzer Bildwechsel: die Noten kommen nun als Durchsage aus dem Radio, danach werden Schneeberge gemeldet, die bis zu 7 Meter hoch sind und (die Meldungen werden zu Bildern) auf einer schnurgeraden Straße mit enormem Gefälle sieht man Autos auf Glatteis hinunterrutschen. Wechsel zurück auf die Straße, ich stehe immer noch mit dem Telefon in der Hand, der Hund reißt sich los und läuft die Straße hinunter, die Leine schleift hinterher. Ich rufe und rufe, ohne Erfolg.

[LXXVII hatte ich nicht gepostet, es war ebenfalls ein Traum über den Hund, der vor ein Auto gelaufen ist, das war vor etwa 6 Wochen. Dazwischen keinerlei Traumerinnerungen.]

Sonntag, 16. Februar 2014

In schockierender Direktheit

Dmitri Schostakowitschs 8. Sinfonie im Gedenkkonzert der Dresdner Philharmonie

Neben dem stillen Gedenken an und in der Frauenkirche versammeln sich die Dresdner am Abend des 13. Februar in den Kirchen und Konzertsälen der Stadt, um dem Anlass entsprechende Musik der Dresdner Orchester und Chöre zu hören. Beim Konzert der Dresdner Philharmonie im Albertinum musste man sich über sehr gelichtete Reihen im Auditorium wundern - da dieses Konzert nicht innerhalb der Anrechte gelistet war, hatte man wohl auf selbstverständliches Interesse gesetzt - schade, dass am Ende nur ein Drittel des Albertinums gefüllt war. Auch für die Musiker auf der Bühne war dies keine leichte Situation.

Dass das Programmheft keinerlei Informationen zur Tradition der Gedenkkonzerte oder zur besonderen Dramaturgie des Abends aufwies, konnte ebenfalls als Manko empfunden werden. Anstelle etwa für eine vokalsinfonische Requiemkomposition entschied sich die Philharmonie für die 8. Sinfonie c-Moll, Opus 65 von Dmitri Schostakowitsch. Geschrieben im Sommer 1943 rückte damit ein Stück in den Blickpunkt, mit dem der Komponist unmittelbar auf die Kriegsereignisse reagiert hat.

Es ist ein in 40 Tagen niedergeschriebener Wurf - ein sechzigminütiger dramatischer Monolog, der von den ersten Takten an keinen Zwischenruf zuläßt. Diese Sinfonie ist kein Werk zum Nebenbeihören, sie ist schonungslos und gellt dem Hörer mit emotionsgeladenen Ausbrüchen und brutaler Motorik in den Ohren. Des Komponisten eigene Aussagen zu einer Musik über die "Gedanken anläßlich der Siege der Roten Armee" sind zu vernachlässigen - Schostakowitsch hat mehr als einmal Dinge sagen müssen, die ihm letztlich seine künstlerische Haut gerade noch einmal gerettet haben. Was diese Sinfonie mit äußerster Kraft formuliert, ist nicht weniger als ein Fanal gegen den Krieg, gegen Gewalt und Unmenschlichkeit überhaupt.

Chefdirigent Michael Sanderling wählte ein kurzes, aber sinnfälliges Präludium mit Arvo Pärts "Cantus in memoriam Benjamin Britten". Das kurze Stück für eine Glocke und Streicher war geeignet zuhörend zu einer Ruhe zu finden, die nötig ist, um Schostakowitschs Opus überhaupt aufnehmen zu können. Sanderlings Interpretation der Sinfonie war von einer nur als schockierend zu empfindenden Direktheit bestimmt, die aber den melodischen "Text" des Stückes nie vernachlässigte.

Das war gleich im ersten Satz spürbar, den Sanderling von Beginn an intensiv mit dem Wissen um den späten, brachialen Höhepunkt musizieren ließ, dem dann das mit viel Seele musizierte große Englisch-Horn-Solo (Isabel Kern) folgte. Für solch individuelle, starke Äußerung ist danach erst wieder im 5. Satz Platz. Derweil stellen die Mittelsätze die Welt auf den Kopf - kein Stein bleibt in diesen "Scherzi" auf dem anderen.

Sanderling wählte für das Allegretto ein meist schnelles Tempo, bei dem der bohrend scharfe Charakter gewahrt blieb. Ähnlich forciert, aber zumeist kontrolliert und auch dynamisch deutlich abgestuft wurde die groteske Maschinerie im 3. Satz gezeichnet. Nach den ohrenbetäubenden Ausbrüchen am Ende dieses Satzes beruhigte sich in der Passacaglia die Musik, ohne dass irgendein Verlust der Spannung zu bemerken war. Der letzte Satz verheißt bei Dmitri Schostakowitsch keinen endgültigen Trost, es ist zu früh für eine Hoffnung oder eine Vision. Was sich da im Fagott fast mozartesk entfaltet, bleibt eine Ahnung; der ermattet wirkende Schluss will nicht auf das Ruhe verheißende C gelangen, harmonische Fragezeichen stehen im Raum. Nach dieser sehr bewegenden Aufführung war Gelegenheit zum stillen Gedenken - und zum intensiven Nachwirken dessen, was uns Dmitri Schostakowitsch durch seine Töne mitgeteilt hat.
(15.2.14)

Zwei starke Musikerlebnisse

Mozart und Schostakowitsch im Philharmonie-Konzert

Würde man ein Assoziationsspiel machen, bei dem man Interpreten bestimmten Komponisten zuordnet, so wäre die Sache bei der Japanerin Mitsuko Uchida klar: Mozart! Damit unterschlüge man allerdings ihr enormes Repertoire, ihre Liebe zur Kammermusik und zur Liedbegleitung. Und doch darf man es als Geschenk ansehen, diese Künstlerin in einem Klavierkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart erleben zu dürfen. Dabei zählt das von ihr für das Konzert mit der Dresdner Philharmonie im Albertinum ausgewählte Konzert B-Dur KV 456 gar nicht einmal zu den populären Werken dieser Gattung.

Des Meisters Notenproduktion hatte im geschäftigen Jahr 1784 gehörig Fahrt aufgenommen und Mozart schrieb die Konzerte nahezu "in Reihe". Die Interpretation von Uchida vermittelte jedoch von Beginn an eine solche Lust und Freude am Hervorlocken der Themen, der Entwicklung und vielfältiger Ausdrucksebenen, dass man fast von einer Vergoldung sprechen muss. Dabei schwebte Uchida niemals über den Dingen; sie sprach nicht über die Musik, sondern ließ "ihren" Mozart sprechen. So gelangen ihr bereits in der Kadenz im ersten Satz traumhaft schöne Phrasierungen und eine simple solistische Akkordsequenz wirkte nicht funktional, sondern wie ein vorgetragenes Gedicht.

Diese Musikalität übertrug sich auch auf die Philharmoniker, die in mancher Pause der Solistin fast andächtig lauschten, dann aber mit Chefdirigent Michael Sanderling den Dialog aufnahmen und für sichere und kontrastreiche Unterstützung sorgten. Damit wäre man eigentlich mit musikalischem Glück ausreichend versorgt gewesen, doch es gab noch ein weiteres tief nachwirkendes Musikerlebnis an diesem Abend: nach der Pause stand die letzte, die 15. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch auf dem Programm.

Obwohl ausgerechnet dieses Werk mit (Selbst-)Zitaten angereichert ein ganzes künstlerisches Leben reflektiert, kann man diese Sinfonie nicht erklären. Ungeschliffen, fast nackt kommt diese Musik daher und stellt Interpreten wie Zuhörer vor große Anforderungen. Michael Sanderling vermied eine zu überspitzte, karierende Haltung und ging der Gefahr aus dem Weg, dass das Stück in seine teilweise schroff aufeinander folgenden Einzelteile zerfällt - gleich der 1. Satz erhielt durch Sanderlings kluge Disposition in den Übergängen ein fatalistisches "Müssen" und lebte von scharfen Kontrasten.

Mit großer Ruhe ging Sanderling das Adagio an - hervorragend ausgehört waren hier die sanften Blechbläserpassagen; auch die Soli des Cellos und der Posaune waren mit empfundenen Ausdruck musiziert. Der kurze 3. Satz wirkte in Sanderlings gemessen genommenen Tempo wie ein kühler Kommentar zur ganzen Sachlage, während der Finalsatz im spannungsgeladenen kammermusikalischen Vortasten den 2. Satz spiegelte. Durch diese Gesamtanlage potenzierte sich die Wirkung des verzerrt-schmerzhaften Höhepunktes kurz vor Schluss, bevor das Werk - der Musik fast enthoben - mit leise tickendem Schlagwerk auspendelte. Danach benötigten Orchester und Zuhörer einige Sekunden der Ruhe, bevor man sich auf dem Podium wie im Auditorium sehr einig war - diese Aufführung war stark.
(10.2.14)

Donnerstag, 6. Februar 2014

Die falschen Töne sind richtig!

Musikland Frankreich im Konzert der TU-Kammerphilharmonie

In bunten Farben und leicht angeschrägt lugt der Eiffelturm vom Programmheft der TU-Kammerphilharmonie, darunter sitzen Leute in einer Brasserie. Die Reiseroute des Konzertes am Sonntag in der Lukaskirche war offensichtlich: auf nach Paris! Dirigentin Monica Buckland hatte für das Programm ihres Ensembles zur Besetzung passende Werke ausgewählt, die einen schönen Einblick in die farbenreiche Musiklandschaft Frankreichs zuließen. Das Konzert sorgte für einiges Staunen und reichlich musikalische Erquickung und darf nur als gelungen bezeichnet werden.

Schon die Atmosphäre zu Beginn versprach Spannung, denn das Studentenorchester kennt eines nicht: lichte Reihen im Publikum. Viele Freunde und Kommilitonen wollten das ambitionierte Programm erleben und wurden nicht enttäuscht. Denn keineswegs ist das, was da so leicht klingt, auch leicht zu spielen. Vor allem die Bläser des hier in sinfonischer Stärke musizierenden Ensembles konnten in den fantasiereichen Partituren viel zeigen - Bucklands sowohl für Ordnung sorgendes als auch motivierendes Dirigat half dabei vorzüglich.

Mit der "Petite Suite" von Claude Debussy tasteten sich die Musiker erst einmal vorsichtig an die impressionistische Klangwelt heran. Buckland ließ hier viel ausspielen, dabei gerieten die ersten beiden Sätze fast ein wenig zu entspannt, dabei aber sehr sorgfältig. Von ganz anderem Holz ist die nur in der Form ähnliche Suite "Le Tombeau de Couperin" von Maurice Ravel geschnitzt - flirrende Bläserpassagen wechseln mit Klangflächen ab, die auch in den Streichern gut ausgehört sein wollen; dazu gilt es auch noch den Rhythmus der alten Tänze zu wahren ohne dass zuviel Gewicht auf den Takten lastet. Man staunte weiter: mit mutigem Spiel überzeugten die Holzbläser, von denen fast jeder in diesem Konzert ein Solo erhielt. In den hohen Streichern hätte man sich etwas mehr prägnanten Zugriff gewünscht, was zugegebenermaßen in der Akustik des Raumes schwer ist.

Voller Musikalität und mit höchst plastischem Spiel begeisterte im Solostück des Konzertes der junge Harfenist Daniel Noll - an der Dresdner Musikhochschule hat er im letzten Jahr sein Studium (bei Nora Koch) aufgenommen. Die frische Interpretation des "Morceau de Concert" von Camille Saint-Saëns schien für Noll trotz betriebsamer Arbeit am Saiteninstrument stets ein Quell der Freude zu sein. Das machte dann auch fast vergessen, dass außer dem perlenden Figurenwerk in der Faktur des Stückes wenig Erinnernswertes zu finden war.

Gegenteiliges ist der Fall in Darius Milhauds Ballettmusik "Le bœuf sur le toit" - vom Impressionismus wechselte das Orchester mühelos in die skurrile poetische Welt von Jean Cocteau. Erneutes Staunen: alle falschen Töne sind hier richtig! Milhauds "Hit" der 20er Jahre wurde von der TU Kammerphilharmonie mit Sinn für die vielen Verzweigungen, "Fanfärchen" und gar Sackgassen widergegeben - ein winziger Wermutstropfen war, dass ein wenig die Konzentration gegen den jazzigen Groove obsiegte, jedoch: Chapeau! für dieses hervorragende Konzert unter dem "schrägen" Eiffelturm.

Mittwoch, 5. Februar 2014

Ein vortreffliches Seufzen und Klagen

Strauss und Mozart im Philharmonie-Konzert

Im letzten Jahr war es in Dresden schon fast ein Geschicklichkeitsspiel, ein Konzert zu besuchen, in dem nicht ein Werk von Richard Wagner auf dem Programm stand. Das Strauss-Jahr scheint etwas ruhiger anzulaufen - mit sechs Konzerten in der laufenden Saison ehrt die Dresdner Philharmonie den Komponisten und bietet damit keinesfalls eine Überdosis an: knapp ein Dutzend Orchesterwerke erscheinen sorgsam zwischen anderen Komponisten eingebettet, Knüller wie die "Alpensinfonie" oder "Also sprach Zarathustra" kommen gar nicht vor - aber das Straussjahr ist ja auch noch nicht mit dem Saisonende im Sommer vorbei. Nach dem ersten Konzert dieser Reihe blieben aber doch etwas gemischte Gefühle angesichts der Programmgestaltung.

Wolfgang Amadeus Mozart gesellte sich zu Strauss auf die Bühne - das ist eigentlich eine gute Wahl, denn zum Thema Mozart und Strauss wäre viel zu sagen gewesen. Doch ausgerechnet die Tondichtung "Tod und Verklärung" wollte nun so gar nicht zu Mozarts feingliedriger "Sinfonia Concertante" Es-Dur passen - allein die gute Interpretation beider Werke rettete die Aufführungsberechtigung. Der japanische Gastdirigent Yutaka Sado hatte für Strauss' frühe Tondichtung ein gutes Rezept: er ließ die Philharmoniker so oft es ging frei musizieren und zeigte plastisch die Linien und Zielpunkte an. Am besten wirkt dieses Stück ohnehin, wenn man das zugrundeliegende Programm ignoriert und sich - im besten Sinne "kopflos" - in die Fluten der Musik stürzt. Da seufzte und klagte es dann vortrefflich im orchestralen Gebälk und die Philharmonie wusste mit dem Strauss'schen Farbenkatalog viel anzufangen.

Veronika Eberle (Violine) und der französische Bratscher Antoine Tamestit waren dann die Solisten in der "Sinfonia Concertante". Sie wurden vom Publikum mit Recht für eine nur herausragend zu nennende Interpretation gefeiert. Stimmig zelebrierten die beiden ein vorzügliches, komplett in der Musik aufgehobenes Miteinander. Dabei legten sie die Phrasierung trotzdem so leicht und federnd an, dass die Instrumente nahezu zum Singen gebracht wurden. Der 2. Satz geriet zwar etwas langsam, aber äußerst betörend, ebenso die kadenzierenden Abschnitte. Dem begleitenden Orchester fehlte etwas die sichere Prägnanz der Solisten - wenige Stellen im 3. Satz hätten mehr Glanz und Witz entwickeln dürfen.

Nach der Pause wurde ein "Interludio" aus Strauss' Aufführungsfassung der Oper "Idomeneo" von Mozart vorgestellt - eine achtminütige Preziose, die vermutlich in einem größeren thematischen Rahmen von Original und Bearbeitung sinnfälliger gewesen wäre. Pompös endete der Abend vornehmlich im Dreivierteltakt - die erst 1945 von Strauss selbst arrangierte Suite aus der Oper "Der Rosenkavalier" entpuppte sich ebenfalls als Entdeckung, denn zumeist wird die "Walzerfolge" auf den Konzertpodien vorgezogen. Yutaka Sado legte dabei flotte Tempi vor ohne die Eleganz der Musik zu vernachlässigen - die brillant instrumentierte Partitur führte er mit vollem Körpereinsatz zu einem glänzenden Finale.

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