Sonntag, 25. Januar 2015

Ehrung für den Komponisten Rudi Stephan

Abwechslungsreiches Sinfoniekonzert von "medicanti" in der Kreuzkirche

Wenn von den Kulturinstitutionen neue Konzertprogramme erstellt werden, hört man manchmal den Satz "Damit bekommen wir den Saal nicht voll." Abgesehen davon, dass die Quote niemals der einzige Grund einer musikalischen Darbietung sein sollte, kann man in Dresden erfreulicherweise oft erleben, wie leidenschaftliches Musizieren und eine spannende Programmgestaltung auch in Sphären des Unbekannten durchaus viele Zuhörer interessieren. "medicanti", das Orchester an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, kann hier wiederholt als lebendiges Beispiel herangezogen werden: zum Sinfoniekonzert am Sonntag gab es in der Kreuzkirche großen Publikumsandrang.

Die Entdeckerlust praktiziert Dirigent Wolfgang Behrend mit seinem Ensemble seit Jahren erfolgreich - diesmal galt das Augenmerk drei farbig orchestrierten Werken des 20. Jahrhunderts. Stilistisch beschritten Rudi Stephan, Alexander Arutjunjan und Sergej Prokofieff unterschiedliche Wege. Die Begegnung mit der "Musik für Orchester" des vor 100 Jahren im 1. Weltkrieg gefallenen, 1887 in Worms geborenen Komponisten geriet eindrücklich. Stephans Experimente einer frei in der Klangfarbe fließenden Musik, gerade noch mit ähnlichen Wegbeschreitungen in frühen Werken von Berg und Schönberg vergleichbar, endeten abrupt. medicanti setzten sich mit viel Engagement für dieses Stück ein, schon hier beeindruckte neben der souverän agierenden Horngruppe ein das Stück durchdringender, verstehender Gesamtklang, was bei den vielen flirrenden Nebenstimmen gerade der Bläser in der schwierigen Akustik nicht selbstverständlich ist. Im April ist übrigens eine erneute musikalische Begegnung mit Rudi Stephan möglich - die Dresdner Philharmonie wird dann die "Musik für Geige und Orchester" vorstellen.

Vielleicht beim ersten Hören leichter zugänglich, aber vor allem rhythmisch keineswegs einfacher spielbar ist Arutjunjans Trompetenkonzert aus dem Jahr 1950. Es ist bis heute das einzige Werk des musikalisch einen konservativen Stil pflegenden armenischen Komponisten, das dank eines dankbar-spielfreudigen solistischen Parts öfters zu erleben ist. Für selbigen war der Dresdner Trompeter Sebastian Schöne zuständig - die im Kirchenraum nutzbare dynamische Bandbreite des Instruments kostete er ebenso aus wie die Virtuosität, die Arutjunjan dem Solisten zur Entfaltung gibt. Behrend gab dem Orchester hier regelrecht die Sporen in den schnellen Passagen, ein saftiger Tutti-Klang war die Folge, der der aber genau zu dieser Stilistik passte.

Zum Beschluss stellte medicanti die letzte, die 7. Sinfonie cis-Moll von Sergej Prokofieff vor, ein wegen der schwer festzulegenden Ausrichtung der Grundcharakteristik nicht einfach zu handhabendes Stück. Behrend setzte auf die melodischen Qualitäten der Sinfonie - der typische "Prokofieff-Sound" entfaltete sich vor allem in Motiven, die an die Stilistik der bekannten Ballettmusiken erinnern. Selbst manche zunächst naiv anmutenden Passagen waren da schlicht schön ausgearbeitet und so gelang auch ein Bogen bis zum nachdenklich auspendelnden Schluss des Werkes.

Naturalistische Schwerpunkte

Zeitgenössische Musik mit dem TALEA Ensemble im Kulturrathaus

Rund siebzig sächsische Komponisten präsentieren sich auf einer Website, die der Komponistenverband vor einigen Jahren installiert hat. Nimmt man alle sich nicht dort vorstellenden Tonsetzer sowie den komponierenden Nachwuchs an den Hochschulen und Musikschulen hinzu, muss man um die Entstehung von neuer Musik keine Sorge tragen - allein, wer führt sie auf? Im Verbund von KlangNetz Dresden ist auch der Sächsische Musikbund vertreten, der sich seit 1998 genau um die Pflege der Musik lebender Komponisten in Sachsen bemüht und im Schnitt pro Jahr sechs Projekte initiiert, die jeweils in den drei sächsischen Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz stattfinden.

Das TALEA Ensemble, das in diesem Rahmen am Sonnabend im Kulturrathaus musizierte, schlägt zudem eine Brücke nach Sachsen-Anhalt - die Musiker des gemischten Kammerensembles stammen aus Orchestern in Leipzig und Halle. Abwechslungsreich und stimmig wirkte die Dramaturgie des Konzertes, dessen zwei Hälften von je einem "Klassiker" der zeitgenössischen Musik eröffnet wurden. Stilistisch sehr unterschiedlich, waren die beiden Stücke von George Crumb (Eleven Echoes of Autumn) und György Kurtág (Hommage à R. Schumann) doch verwandt in ihrem Angebot vielfältiger Bezüge innerhalb und außerhalb der Musik. Sie waren auch hervorragend geeignet als Einstimmung auf die neuen Kompositionen in Sachsen lebender Komponisten.

Carsten Hennigs aus einem Zyklus namens "desire" stammendes Werk "Die belebende Wirkung des Geldes" trägt zwar einen blumigen Titel, erzeugt aber mit seinen musikalischen Rotationen nicht nur den naturalistischen Effekt sich drehender Münzen, sondern auch eine beunruhigende Grundhaltung der Erwartung. Naturalismus war überraschenderweise ein Element, das dann das ganze Konzert in mehr oder weniger starker Weise durchzog und zum Nachdenken, auch über ästhetische Dimensionen aufrief. Steffen Reinholds "Echoes of Staffa" mit Bezug zur Fingalshöhle auf den Hebriden rief dazu ebenso auf wie Jens Marggrafs Gedichtbetrachtungen nach Octavio Paz "Piedras y Pájaros". Bei Knut Müllers "UTRIUSQUE COSMI" war der Bezug zur bildenden Kunst der Renaissance stark ausgearbeitet und schlug sich doch in einer eigenen, rhythmisch prägnanten und urwüchsigen Musiksprache nieder. Das Talea Ensemble zeigte sich versiert für diese sehr verschiedenen Handschriften, die sechs Musiker pflegten bei der zeitgenössischen Musik ein atmendes Miteinander und wussten auch in der schwierigen Akustik die Nuancen der Werke solistisch wie im Ensemble gut offenzulegen.

Konzerte des Sächsischen Musikbundes in Dresden
Mi, 25. März, 19:30 Uhr, Konzertsaal der HfM, "Komponieren in Sachsen", Doppelportrait mit Werken von Christian FP Kram und Christian Münch

Do, 07. Mai, Dreikönigskirche: Konzert mit vocal modern zum 100jährigen Gedenken an den Völkermord in Armenien

Mo, 29. Juni, 19:30 Uhr, Kleiner Saal der HfM: Klavierabend mit dem Pianisten Moritz Ernst, mit Werken u.a. von Johannes K. Hildebrandt, Christian FP Kram und Tobias Schick

Di, 6. Oktober, 20 Uhr, Leonhardi-Museum: "Klangportraits Sachsen-Schweiz" mit dem Schweizer Trio Saeitenwind, mit Stücken u.a. von Michael Pelzel, Knut Müller und Tobias Eduard Schick

Unter Strom

5. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle mit Arkadi Volodos und Daniele Gatti

Die TU Dresden besitzt eine Hochspannungshalle, ein bustäblich "spannender" Ort für Experimente und Forschung. Dass Dresden eine zweite Hochspannungshalle besitzt, war mir bislang nicht
bewusst, am Freitag aber zeigte die Sächsische Staatskapelle Dresden mit zwei energetisch agierenden Gästen, dass man auch ein altehrwürdiges Opernhaus buchstäblich unter Strom setzen kann. Das 5. Sinfoniekonzert wies programmatisch nach Russland: Mit dem 1. Klavierkonzert b-Moll von Peter Tschaikowsky und der 10. Sinfonie e-Moll von Dmitri Schostakowitsch erklangen zwei Werke, deren besondere, zuweilen extreme Gefühlslage kaum zum Zurücklehnen auffordert.

Insofern war es ein Glücksfall, dass mit Arcadi Volodos am Klavier und Daniele Gatti am Dirigentenpult zwei Künstler zur Verfügung standen, die sich den Werken nicht in distanziert-partiturhuldigender Dokumentation näherten, sondern komplett in die emotionalen Wechselbäder einzudringen vermochten. Volodos Interpretation widersprach deutlich der üblichen Praxis, dieses Konzert auf die Einleitungstakte reduzierend in die "Best of Klassik"-Schublade zu sortieren. Kraftvoll und oft überraschend war sein Zugang zu den Solopassagen - wenn Volodos bei Orchesterzwischenspielen lässig die Hände verschränkte und fast regungslos dem Orchester lauschte, durfte man sich sicher sein, dass innerlich schon die Energie für die nächste Passage kurz vor der Entladung stand.

Auf kraftvollen Klangrausch und genüsslich ausgestellte Virtuosität allein beschränken sich Volodos Qualitäten jedoch nicht - was war das bitte für eine wunderbar atmend-selige Pianokultur, die Volodos im zweiten Satz verströmen ließ? Die Anschlagsbandbreite dieses Pianisten ist ohnehin staunenswert, man meint im dritten Satz ein für ihn charakteristisches Staccato zu vernehmen, dass in dieser Würze kaum ein anderer Pianist so beherrscht und konsequent zelebriert. Der Mailänder Dirigent Daniele Gatti, designierter Chefdirigent des Concertgebouworkest Amsterdam, begleitete mit der Staatskapelle aufmerksam und nahm die Hochspannung mit - wenige Wackler waren da zu verschmerzen, denn hier stand Energie und Tiefe der Ausgestaltung im Vordergrund.

In kompromissloser Emotionalität führte Dmitri Schostakowitsch den Stift bei seiner 10. Sinfonie - Daniele Gatti gewährte den Zuhörern in puncto Ausdrucksvielfalt keinerlei Schonung und musizierte gar in akustisch deutlich zu vernehmenden Arbeitsgeräuschen in den Steigerungen des 1. Satzes mit. Dabei verlor er nie die Übersicht über die immensen Bögen der Sinfonie und behielt auch in der wüsten Gewalt des "Stalin-Satzes" jederzeit die Kontrolle und setzte dabei messerscharfe Akzente. Gespenstisch zog dann der 3. Satz mit Hornsignalen und skurriler Walzer-Welt vorüber. Höhepunkte dieser tollen Interpretation waren nicht nur die großartig ausmusizierten Tutti-Passagen, sondern vor allem die empfundenen Holzbläser-Soli zu Beginn des Finalsatzes. Wo Schostakowitsch eine einzelne Stimme sprechen läßt, gaben sich die Musiker der Kapelle mit ganzem Können hin - und diese Musik traf bis ins Mark.

Neue Musik in allen Facetten

Das KlangNetz Dresden startet in ein üppig gefülltes Konzertjahr 2015

Gäbe es einen Seismographen, der die Klangwellen zeitgenössischer Musik an einem bestimmten Ort aufzeichnen würde, so hätte das Messgerät 2014 kontinuierlich deutliche Ausschläge über das ganze Jahr hinweg an verschiedenen Orten in Dresden verzeichnet. Das "KlangNetz Dresden", der Netzwerkverbund Dresdner Ensembles und Kulturschaffender, setzt sich seit zwei Jahren als eingetragener Verein für die Koordination, und Veranstaltung von Konzerten mit zeitgenössischer Musik ein. Was da allein im vergangenen Jahr auf die Beine gestellt wurde, konnte sich sehen und hören lassen: in 46 eigenen oder in Kooperation durchgeführten Veranstaltungen - dazu zählen auch Einführungen oder Workshops - lockte das KlangNetz 3550 Besucher an.

Zieht man das Netz weitmaschiger zu den Partnerinstitutionen wie Semperoper und Philharmonie, dürften es noch weit mehr Zuhörer gewesen sein. Dabei regierte im vergangenen Jahr vor allem die Vielfalt - von Spektralmusik über Kammerkonzerte bis hin zu Workshops etwa mit dem Komponisten Wolfgang Rihm reichte die Bandbreite. Als Höhepunkte der Konzertaktivitäten, so der Leiter von KlangNetz Dresden Jörn Peter Hiekel, ist das Schulvermittlungsprojekt "A-S-S-E-M-B-L-E!" und die eigene, über das ganze Jahr von verschiedenen Ensembles in immer neuen Aspekten beleuchtete Reihe "Einstürzende Mauern" anläßlich des 25. Jahrestages des Mauerfalls zu nennen.

Die Vermittlungsarbeit steht auch weiterhin als wichtiges Element auf der Agenda; moderierte Konzerte, Schul- und Komponierprojekte sollen die zeitgenössische Musik nicht nur verständlich, sondern interaktiv erlebbar machen. Auch die Idee der eigenen Konzertreihe wird 2015 fortgeführt. In diesem Jahr heißt das Thema der Reihe, die in den Sälen des Kooperationspartners Hygiene-Museum stattfindet, "Freundschaften" und startet am 21. Mai mit einem ungewöhnlichen Abend mit zeitgenössischer Musik und Tango - als verbindendes Element wird dabei Luis Buñuels berühmter Film "Un Chien Andalou" dienen, ganz neue Kompositionen werden Boris Bell und Eric Egan an diesem Abend beisteuern. Wie aus Freundschaften Musik entsteht, wie Zwischenmenschliches Niederschlag in der Kunst findet oder eben auch freundschaftliche Beziehungen in Tönen und Klängen gestaltbar sind, dem wird sich diese Reihe in mehreren Konzerten widmen - ein jedes mit mindestens einer Uraufführung.

Mit dem üppigen Konzertjahr 2015 (die Homepage verzeichnet bereits jetzt gut 40 Termine bis zur Jahresmitte) startet das KlangNetz Dresden übrigens schon in dieser Woche: eine "besondere Farbe", so Hiekel, wird der dänische Komponist Simon Steen-Andersen mitbringen, der an der Dresdner Musikhochschule unter anderem zu einem Workshop und einem von Dresdner Studenten gestalteten Porträtkonzert gastiert. Steen-Andersen gilt als kreativer Soundkünstler mit einem heterogen zu nennenden OEuvre, das sich den Genres Film und Populärmusik öffnet und in Collagen oder mit installativen Elementen neue Bedeutungsebenen schafft. Als "Manipulator" oder Live-Installateur wird Steen-Andersen auch im Konzert als Interpret seiner Stücke zu erleben sein.

Neben der Fortführung bereits bekannter Konzertformate wie dem "Short Concert" an der Musikhochschule oder der "Ersten Anhörung", die die Dresdner Philharmonie mit Kompositionsstudenten durchführt, ist ein Highlight der ersten Jahreshälfte auch die Begegnung mit der Capell-Compositrice Sofia Gubaidulina, die anläßlich ihrer Kapell-Uraufführung auch einen Workshop an der Hochschule gibt. Existenziell und intensiv nachwirkend sind Gubaidulinas Kammermusikkompositionen - diese gibt es dann in einem KlangNetz-Gesprächskonzert am 16. April zu hören.

Ausgewählte Konzerte KlangNetz Dresden
* 28. Januar, 18. März, 22. April "Short Concerts" an der Musikhochschule
* 15./16. April, Sofia Gubaidulina zu Gast an der Musikhochschule Dresden
* 21. Mai, Hygienemuseum, Liebschaften – Neue Musik und Tango
Eröffnungskonzert der Reihe „Freundschaften“ von KlangNetz Dresden mit dem Ensemble "El Perro Andaluz"

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