Donnerstag, 25. September 2014

Traum LXXXVIII

Mit dem Chor bin ich auf der Rückreise von einer Tour. Unser Bus wird von der deutschen Polizei angehalten - Kontrolle von jedem und allem. Wir sollen uns "in dreiergruppen" zur Kontrolle im Revier anstellen. Die Schlange der Choristen reicht durch die Gänge und auch durch eine Mensa der Polizisten, in welcher ausschließlich Maggi-Gerichte angeboten werden, demnach auch der Geruch dieses Zeugs im Raum hängt. Die Kontrolle selbst geht "bis auf die Haut", irgendwann sind wir durch und sind selbst beim Essen, allerdings in einer normalen Kantine/Restaurant. Ein Mitglied hatte wohl Drogen dabei, irgendein Beutel mit weißem Inhalt ist sichergestellt worden. Beim Essen wandelt sich die Rückreise in einen Aufbruch, mir wird gesagt, es bliebe noch eine Stunde Zeit zum Kofferpacken, was angesichts eines chaotischen Hotelzimmers, das ich ein paar Etagen über der Kantine weiß, knapp wird. Ich stürze also vom Tisch, lasse mir zwei Bratenscheiben einpacken "für unterwegs" und packe meine Sachen.

Spätromantische Leidenschaft

Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie im Albertinum

Saisoneröffnung! Den freudigen Ruf durfte man im September schon einige Male in Dresden vernehmen, allein die Dresdner Philharmonie hatte es zunächst in ferne Länder verschlagen: eine zweiwöchige Südamerikatournee wurde gerade beendet. Letzte Woche stand zudem die Grundsteinlegung für den neuen Konzertsaal im Kulturpalast an. Letzteres mag als "Anfang vom Ende" der Reisetätigkeit des Orchesters hoffnungsvoll stimmen und Chefdirigent Michael Sanderling war es daher auch ein Anliegen, zum Saisoneröffnungskonzert im Albertinum persönlich dem Publikum für seine Treue zu danken.

Programmatisch begann die Dresdner Philharmonie mit spätromantischer Musik und einmal mehr mit Jubilar Richard Strauss. Im ersten Teil des Konzertes stellte sich der neue "Artist in Residence", der Pianist Martin Helmchen vor, der bereits mehrfach mit der Dresdner Philharmonie konzertierte und in dieser Saison Konzerte von Brahms und Prokofjew sowie Kammermusik spielen wird. Sein Residenz-Debüt gab er am Sonnabend mit Peter Tschaikowskys 2. Klavierkonzert G-Dur, einem energiegeladenen und im Vergleich zum bekannteren Vorgänger in b-Moll durchaus epischeren Werk.

Über die gewählte, konzertübliche Fassung von Tschaikowskys Schüler Alexander Siloti darf man geteilter Meinung sein, geben die starken Kürzungen im 1. und 2. Satz doch sicher nicht des Komponisten Willen wider. Bis auf wenige Wackler zu Beginn des 1. Satzes, die damit zu tun hatten, dass Helmchen gleich von den ersten Takten an "aufs Ganze" ging, war das eine spritzige und emotionale, aber auch umwerfend präzise Interpretation. Keine spätromantische Überhitzung machte sich breit, und doch konnte man sich beim Hören sehr sicher sein, dass Helmchen viel Klangsinn für die verschiedenen Themen und virtuosen Passagen bewies. Besonders beeindruckend war die Übersicht, mit der Helmchen weitläufigere Wegstrecken im Stück zurücklegte - gleich in den ersten Takten jeder Phrase war das Ziel vorformuliert erkennbar. Die in der Partitur angelegte Extrovertiertheit der Musik setzte Helmchen mit einer Menge Spielfreude um, was bei diesem technisch anspruchsvollen Stück keineswegs selbstverständlich ist. Weitgehend einig waren sich Solist und Orchester im gemeinsamen Spiel, lediglich im 1. Satz fiel auf, dass Helmchen eine prägnantere Agogik bevorzugte, während das Orchester in den Streichern zu breiterer und weicherer Gestaltung neigte.

Nach der Pause hatte Witold Lutoslawskis "Kleine Suite", eine noch in mäßig moderner Tonsprache angelegte "Gelegenheitsmusik", einen etwas schweren Stand zwischen den wuchtigen Rahmenwerken, bildete aber einen reizvollen Kontrast und forderte vor allem rhythmische Energie von den Musikern, die Michael Sanderling auch problemlos freisetzte. Richard Strauss' Tondichtung "Also sprach Zarathustra" bleibt ein irritierend-faszinierendes musikalisches Bilderbuch von der Freiheit der Kunst und philosophischen Anwandlungen über Mensch, Natur und Glaube - zumindest die ersten 22 Takte taugten auch für Bierwerbung und als Trailer für diverse Filme und Bands. Dabei gibt es gerade jenseits dieser ersten Partiturseiten viel zu entdecken. Michael Sanderling stellte vor allem ein leidenschaftliches Musizieren in den Vordergrund der Interpretation, sorgte für einen volltönenden Sound und viel, manchmal zuviel Lebendigkeit: einige vorbeistürmende Passagen konnten (das betraf auch einige der Streicher-Soli im Grablied und Walzer) nicht mehr allzuviel Innenleben entfalten. Dafür schlug die Mitternachtsglocke wuchtig an, die Bläserhomogenität im Tutti konnte man nur bestaunen und der ruhige Ausklang gelang im silbrigen H-Dur-Register vortrefflich.

Deutliche Worte, klare Töne

Gidon Kremer und die Kremerata Baltica mit "Mein Russland" in der Semperoper

"All about Gidon" - das Konzert der Kremerata Baltica in der Semperoper hätte eigentlich eine klingende Biografie des großen Geigers Gidon Kremers, seit Beginn dieser Saison Capell-Virtuos der Sächsischen Staatskapelle Dresden, werden sollen. Doch angesichts der aktuellen dramatischen Lage des Russland-Ukraine-Konfliktes änderte Kremer das Programm und stellte das Motto "Mein Russland" voran. Es blieb dennoch ein "All about Gidon" in der Hinsicht, dass Kremer ein Musiker ist, der sich nicht in den Elfenbeinturm der Partituren und Töne einschließt, sondern seismographisch auch die Welt, in der er und wir alle leben, aufnimmt.

Schweigen ist seine Sache nicht, denn "wenn wir wegschauen, sind wir bereits mit dem Gewissen beteiligt." Mit Tönen auf das Grauen antworten - geht das? Der Abend in der Semperoper bewies, dass Kultur und erst recht die Musik eine Sprache zu sprechen imstande ist, in der zumindest ein Bewusstsein und eine Sensibilisierung entstehen kann. Mit den Tönen kann sich jeder persönlich auseinandersetzen, sich nah oder mit Distanz positionieren und überlegen, was die bessere Variante ist: "falsche Töne" gibt es in der Musik nicht, so Kremer - man spiele jede Musik mit authentischem Anspruch. Das sei in der Politik mit ihren Floskeln leider anders.

Eine Gesprächsrunde war in das Konzert integriert, in der Gidon Kremer sein Herzensanliegen unterstrich: "Kunst hat die Aufgabe, uns von der Gleichgültigkeit, die wir über die Massenmedien und durch Entertainment entwickelt haben, abzuwerben." Kremer ist baltischer Herkunft, hat aber prägende Jahre seines Lebens in Moskau verbracht. Mit dem Konzertprogramm wolle er die schwermütige, nachdenkliche, auch ethische Seite von Russland vorstellen. Als im Gespräch der Satz fiel "Es gibt keinen Weg, aber wir müssen ihn gehen." wurde offensichtlich, dass es keiner weiteren Worte bedurfte, dass die vorgestellte Musik am Ende stärker war, wo sich im Gespräch eine erschütterte Sprachlosigkeit anbahnte. "In der Musik ist kein Haß", konstatierte Kremer und trotz aller stilistischen und thematischen Unterschiede und der unterschiedlichen Wurzeln der Komponisten konnten die vier vorgestellten Werke auch in friedlicher Koexistenz bestehen und gegenseitige Bereicherung erfahren.

Ein Werk der aktuellen Capell-Compositrice Sofia Gubaidulina eröffnete den Abend und schärfte gleich die Konzentration: ihre Reflexionen über "B-A-C-H" sorgten in kompromissloser Reduktion des Materials für eine Klarheit des Geistes, mit dem man erst einmal aufnahmefähig wurde. Der Komponist Leonid Desyatnikov ist Ukrainer und lebt in St. Petersburg - seine "Russischen Jahreszeiten" für Sopran, Violine und Streichorchester sind ein faszinierendes Konglomerat aus Volksmusik, geistlichem Melos und bildhafter Zeichnung ursprünglicher Gefühle und Stimmungen - von Kremer, der Sopranistin Olesya Petrova und der Kremerata Baltica wurde das intensivst ausgekostet.

Mieczyslaw Weinberg (1919-96) ist ein erst in den letzten Jahren wiederentdeckter russischer Komponist mit polnischen Wurzeln - seine späte 2. Kammersinfonie beeindruckt durch eine tiefernste Haltung, die sich nur ab und an zu einem freundlichen Lächeln oder untergründigem Humor lichtet. Kremer, zuvor noch solistisch aktiv, übernahm hier das Konzertmeisterpult - sein Orchester zeigte hier wie in allen Werken des Abends einen packenden Zugriff bis hin in die hintersten Geigenpulte. Klanglich verstehen sich diese Musiker blendend und die Führung durch Gidon Kremer ist ebenso konzentriert wie kreativ-spontan.

Dass Russland einen besonderen Sinn für Humor und Satire hat, zeigte das letzte Werk des Abends, das etwa in der Tradition der "bissigen" Werke Dmitri Schostakowitschs oder Alfred Schnittkes steht: mit unverhohlenem Spaß nimmt Alexander Raskatov in "The Seasons' Digest" Peter Tschaikowskys Klavierzyklus "Die Jahreszeiten" auseinander, ohne dabei den Respekt zu verlieren: da wird getanzt, gejohlt, gepfiffen und über Väterchen Frost geklagt, dass es eine Wonne ist; die russische Seele bleibt dabei authentisch, selbst wenn sie über die Stränge schlägt. Den großen Jubel des Publikums beantworteten Kremer und die Kremerata Baltica mit einem echten "Rausschmeißer", wiederum von Mieczyslaw Weinbergs. Von ihm wird noch viel zu hören sein. Und Gidon Kremers Konzert in der Semperoper hat deutlich gezeigt: es tut gut, wenn auch der klassische Musikbetrieb sich nicht in Selbstrotation des ewig gleichen Repertoires erschöpft. Wir brauchen die Auseinandersetzung mit Musik, mit Kunst dringender denn je.
(20.9.)

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Origamitanz
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 17. Apr, 05:04
Vom Glasstapel
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 16. Apr, 05:04
FLURFUNK-Podcast: Qualität in den Medien – was die Gesellschaft...
Teil IV unserer Podcast-Serie zu Qualität und...
owy - 15. Apr, 20:49
KI Deutschpop #13
Wie cool. Ein eigenes Lied über die #kartoffelfahrt...
Kreidler - 15. Apr, 05:24
KI Deutschpop #12
Mein Lieber @Gronkh es tut mir so leid, aber Chat...
Kreidler - 14. Apr, 05:24
KI Deutschpop #11
Wenn RandomTexte zu einem emotionalen Song werden...
Kreidler - 13. Apr, 05:23

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6691 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren