Donnerstag, 15. Mai 2014

Sehr gleichberechtigte Ausdruckswelten

Hélène Grimaud und Paavo Järvi im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Gewisse Künstler begleiten uns Zuhörer ein Leben lang, ohne dass wir es besonders forcieren müssen. Man merkt eine Verbundenheit, eine gesteigerte Aufmerksamkeit, wenn der Künstler etwas Neues zu sagen hat, eine neue CD veröffentlicht oder zum Konzert gastiert. Mit der Pianistin Hélène Grimaud kann man eine solch niemals ermüdende Beziehung eingehen, weil man durch das Musikerlebnis mit ihr stets bereichert wird - niemals durch Perfektion (was überhaupt ein zweifelhaftes musikalisches Ziel wäre) oder Endgültigkeit, sondern durch eine Energie der Aussage, die zur Auseinandersetzung zwingt.

Grimaud lehrt uns zum einen, wie vergänglich der Moment der Musik ist, zum anderen wie tief wir dringen können, wenn wir uns der Musik öffnen - was für Grimaud, das war im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle spürbar, auch ein Art von natürlichem Abenteuer, einen Grenzgang bedeutet. Johannes Brahms 1. Klavierkonzert d-Moll bietet in seiner Komplexität erst einmal vielfältige Möglichkeiten des Zugangs, darin liegt aber auch die Gefahr, sich zu verlieren oder bestimmte Ausdruckswelten zu sehr zu betonen. Grimaud schaffte es, Dialoge zu initiieren: mit dem Orchester, mit dem Gastdirigenten Paavo Järvi, der höchst konzentriert den symphonischen Charakter des Werkes wahrte, aber auch mit dem Komponisten selbst. In Grimauds Spiel erschien die Vertrautheit der Schumannschen und Beethovenschen Welt exakt gleichberechtigt neben den schroffen Ausrufezeichen des 1. Satzes, mit denen Brahms temperamentvoll neue Ausdrucksebenen erkundet.

Der 2. Satz führt in die Welt der Poesie und des Liedes und wurde in der Dynamik von Järvi ganz zurückgenommen, niemals wurde aber der Fluss der ruhigen Ausformung verlassen. Hélène Grimaud fand viele differenzierte Farben für dieses Konzert. Selbst kleine Intermezzi, die nur in eine andere Tonart führen oder ein Thema noch einmal virtuos dekorieren, nahm sie ernst und bettete diese hervorragend in den Kontext ein. Der 3. Satz spiegelt nur am Anfang heiteren Ausklang vor, Grimaud formte daraus einen stürmischen Befreiungsakt, der unumkehrbar in den Schluss mündete - von wenigen kleinen Überraschungen bei Übergängen zwischen Solistin und Orchester abgesehen, war dies ein durchweg packendes Musikerlebnis.

Béla Bartóks 1943 entstandenes "Konzert für Orchester" stand als sinfonisches Werk nach der Pause auf dem Programm. Hier ist das "Instrument" Orchester in Bartóks Farbpalette in allen Gruppen virtuos behandelt, zudem warten die fünf Sätze mit immer neuen Formen, Zitaten und folkloristischem Material auf. Paavo Järvi wirkte fast komplett entspannt bei seiner Tätigkeit am Pult - freundlich, völlig klar in seiner Zeichengebung und dabei jederzeit Energie und Motivation vermittelnd führte er die Staatskapelle, bei der in diesem Konzert Musiker des Gustav-Mahler-Jugendorchesters mitwirkten, zu einer ausdrucksstarken und sehr lebendigen Interpretation, die selbst im turbulenten 5. Satz nie über das Ziel eines noblen, transparenten Gesamtklangs hinausschoss.
(12.5.14)

Aufmerksamkeit für die kleinen Formen

Han-Na Chang gibt ihr Dirigierdebüt beim Aufführungsabend der Staatskapelle

Das Format ist lange etabliert und wird vom Publikum gerne angenommen: die Aufführungsabende der Sächsischen Staatskapelle sind die "kleinen" Sinfoniekonzerte, in denen Werke Aufmerksamkeit erhalten, die in kleiner Form oder reduzierter Besetzung eben nicht den großen sinfonischen Kontext vertragen, aber dennoch Genuss garantieren. Zudem stellen sich hier Kapellmusiker als Solisten vor und junge Dirigiertalente sind eingeladen, im Semperbau ihre Visitenkarte abzugeben.

Auch der 3. Aufführungsabend machte da keine Ausnahme, mit der 32jährigen Koreanerin Han-na Chang stand eine Dirigentin am Pult, die schon eine beachtliche Karriere als Cellistin aufzuweisen hat. Nachdem sie mit 11 Jahren bereits den Rostropowitsch-Concours in Paris gewann, spielte sie als Jugendliche schon in den Konzertsälen der Welt - so auch 1996 gemeinsam mit Giuseppe Sinopoli in der Semperoper, wo ein Haydn-Konzert auf dem Programm stand. In den letzten Jahren widmet sie sich mehr und mehr dem Dirigieren und bekleidet Ämter im Qatar und Norwegen.

Ihr Dresdner Debüt gestaltete sie mit Werken von Mozart, Dvořák und Bartók - insgesamt recht unspektakuläre Stücke eigentlich, die daher auch besondere Sorgfalt in der Interpretation bedürfen. Das gelang Chang weitgehend gut - ihr Musizieren der Sinfonie g-Moll, KV 183 von Wolfgang Amadeus Mozart war stets lebendig und motivierend, forderte aber auch einige Male ein etwas wirkungslos im Raum stehendes forte oder piano heraus - in dieser Terrassenlandschaft hätte Chang sich durchaus mehr Freiheiten gönnen dürfen, zumal hervorragend phrasierende Musiker zur Verfügung standen.

Antonín Dvořáks Romanze Opus 11 erscheint manchmal als Zugabe in den Aufnahmen des großen Violinkonzertes, ansonsten werden solche Stücke selten zu Gehör gebracht. Konzertmeister Kai Vogler nahm sich des kurzen Werkes an und fand auf der Violine auch gleich zu dem im Stück gefragten innigen melancholisch-singenden Ton. Einige intonatorische Trübungen verwunderten jedoch im Zusammenspiel mit dem Orchester und richtig glücklich wurde man mit diesem (zu) kurzen Intermezzo aus der slawischen Musikwelt nicht.

Ganz anders liegt der Fall bei Béla Bartóks "Divertimento" - der Titel trügt, das Spätwerk offeriert keinesfalls eine lose Satzfolge munterer Musik. Nachdenklichkeit und innere Unruhe des Komponisten in der Entstehungszeit 1939 sind im Stück trotz der Beständigkeit seiner Musiksprache, die heimatliche Volksmusik stark einbezieht, immer wieder greifbar. Han-na Chang fing diesen Charakter gut ein, leitete die immer wieder solistisch aufgefächerten Streicher zu einer rhythmisch präzisen und den Bogen des Stückes weiterdenkenden Interpretation an, bei der der langsame Mittelsatz mit seinen Stockungen und aus dem Nichts erscheinenden, sich lange steigernden Melodielinien sehr intensiv gelang. Das "Grazioso" des letzten Satzes blieb eine Episode aus einer anderen Welt, der Kehraus gerät schroff und endgültig - schön, wie diese Interpretation dem Stück gerecht wurde. Han-na Chang und die Kapellmusiker erhielten dafür langen Applaus.
(2.5.14)

Mit konsequenter Selbstverständlichkeit

Jubiläumskonzert "40 Jahre Studio Neue Musik" an der Hochschule für Musik

Institutionen und Ensembles der zeitgenössischen Musik sind oft von Fluktuation und Wandel geprägt, wie sich eben auch die Kunst der Zeit auf natürliche Weise verändert und verästelt. Doch es gibt auch feste Säulen in der Musikvermittlung, deren Anspruch und Wille stark und auch über die Zeiten hinweg nützlich ist. Dazu gehört das "Studio Neue Musik" an der Dresdner Musikhochschule, das in diesem Jahr sein 40jähriges Bestehen feiert. Nicht mehr und nicht weniger als lebendige Musikgeschichte schreibt diese Institution seit vier Jahrzehnten und ist dabei als studentische Initiative entstanden. Der Wunsch, sich mit aktuell entstehender Musik praktisch auseinanderzusetzen und damit, trieb damals den Komponisten und Dirigenten Christian Münch um und er stieß auf offene Ohren.

Lange Zeit wurden die Konzerte als Gesprächskonzerte durchgeführt, später dann in den Hochschulbetrieb selbstverständlich integriert. Führen an anderen Hochschulen in der Bundesrepublik solche Studios oft ein elfenbeinturmähnliches Dasein im musikwissenschaftlichen Hinterzimmer, so ist es Christian Münch zu verdanken, dass kaum eine Partitur, die beflissene Studenten oder Komponisten ihm zur Einstudierung vorlegten, nicht realisiert wurde. Dabei entstand über die Jahre eine - hoffentlich auch dokumentierbare - enorme Menge an Ur- und Erstaufführungen.

Weltweit beachtete Komponisten, die als Gäste an der Hochschule weilten, bekamen und bekommen durch das Studio Neue Musik zumeist ein Kammerkonzert, in dem sich die Studenten praktisch mit der Musik auseinandersetzen. Nicht unerwähnt bleiben darf auch, dass aus dem Studio heraus Studenten erst Feuer und Flamme für die zeitgenössische Musik fingen, sich Ensembles bildeten und Synergien in alle Fachbereiche dringen. Das Jubiläum des Studios wurde mit einem Konzert gewürdigt, das lediglich einen feierlichen Charakter vermissen ließ - stattdessen zeigte man in bescheidener Weise den gewohnten und geschätzten Ethos praktischer Arbeit.

Das Konzert im kleinen Saal der Hochschule präsentierte Kompositionen, die allesamt keinesfalls "nebenbei" realisierbar sind und neben den instrumentalen Fertigkeiten auch gehörigen Mut zu intensivstem Ausdruck und zur Grenzüberschreitung benötigen. Das Trio für Oboe, Cello und Klavier (1979) von Georg Katzer als eine auch rhetorisch klangmächtige Auseinandersetzung mit Versen von Arthur Rimbaud forderte Yung-Hung Chang, Edyta Stomska und Jingshan Cheng enorm. Ernst Helmuth Flammers kurzes Klavierstück "Habanera", von Richard Röbel zwingend interpretiert, bot dem Ohr da eine kleine Entlastung.

Denn mit zwei weiteren Stücken von Christian Münch und Friedrich Schenker waren die Zuhörer erneut gefordert, gewohntes Hörterrain zu verlassen. Münchs "bleiben (1)" für zwei Posaunen und Tuba steckt einen geschlossenen musikalischen Raum ab, in dem man sich hörend verlieren muss, weil die Suche nach Motiven oder Kontrasten scheinbar aussichtslos bleibt - der installative Charakter einer Musik, die schlicht "anwesend" ist, tritt in den Vordergrund und stellte die Interpreten Christoph Petzold, Darius Mütze und Albrecht Gehring vor eine fast pausenlos tönende, besondere Herausforderung.

Friedrich Schenkers 1978 entstandene Ensemblemusik "Hades di Orfeo" führte zum Ende des Konzertes titelgemäß konsequent in den Abgrund - viel Gesang bleibt dem armen Orpheus angesichts der mit viel Schlagzeug und halbszenischen Aktionen demonstrierten Schreckenswelt da nicht mehr. Dirigent Andrea Barizza leitete die Studenten zu einer konzentrierten und klanggewaltigen Aufführung an, in der ab und an einige kleinere Formationen und ein formidables Kontrabass-Solo differenzierten einen Halt beim Hören ermöglichten. Das letztgenannte Werk war wiederum ein aus studentischer Initiative entwickeltes Projekt. So reichhaltig die zeitgenössische Musik sich darstellt, so ehrenwert ist Christian Münchs langjähriges Engagement mit dem "Studio Neue Musik" zu würdigen. Zeitgenössische Musik macht auch zukünftig nur Sinn, wenn man sich ihr aufmerksam und ernsthaft widmet und sie - nach sorgfältiger Erübung - erklingt.
(30.4.14)

Virtuoser Glamour und tiefer Ausdruck

Landesjugendblasorchester Sachsen zeigte Spektrum der "Klassiker"

Vermutlich nicht jedem Konzertgänger ist das "Sinfonische Blasorchester" ein Begriff - ist unsere Wahrnehmung klassischer Musik doch heute wesentlich von den Sinfonieorchestern und Ensembles der Kammermusik geprägt, die sich seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet haben. Dabei haben die Blasorchester eine eigene weitreichende Musikgeschichte, lassen sich gar auf Mozarts "Harmonie" und mittelalterliche Stadtpfeifer zurückführen. Aufgrund der speziellen Besetzung, die Verzweigungen sowohl in die Militärmusik als auch in regional geprägte Laienmusik aufweist, ist im Laufe der Zeit eine ganz eigene Musikgattung entstanden, für die es auch von klassischen Komponisten Originalkompositionen gibt.

Der spezielle Klang des etwa 40köpfigen Ensembles mit Holz- und Blechbläsern sowie Schlagzeug fordert nicht zuletzt zum Grenzgang zwischen klassischer Musik, Jazz und Unterhaltungsmusik heraus. Seit 1997 existiert in Sachsen das Landesjugendblasorchester Sachsen, das in jährlich zwei Projektphasen Konzertprogramme einstudiert und aus jungen Musikern der Musik- und Hochschulen besteht. Nach dem Eindruck des "Klassiker"-Programms, mit dem sich das Orchester am Sonnabend im Saal des Heinrich-Schütz-Konservatoriums Dresden vorstellte, möchte man behaupten, dieses Orchester kann alles, und das auch noch auf einem sehr guten Niveau.

Keineswegs handelt es sich bei der Projektphase um eine lockere Musikerferienfreizeit, die vier vorgestellten Werke waren so abwechslungsreich und für alle Bläsergruppen gleichermaßen herausfordernd, dass man merkte, wieviel Arbeit und Engagement dahintersteckte. Dirigent Thomas Scheibe, selbst erfahrener Orchestermusiker und seit Jahren mit mehreren Ensembles in Sachsen aktiv, konnte mit jederzeit klarem Dirigat die Musiker zu einer kompakten Gesamtleistung animieren. Das Motto "Klassiker" war natürlich weit auslegbar - hier handelte es sich ausschließlich um Werke des 20. Jahrhunderts.

Gustav Holsts "Suite for Military Band" Es-Dur greift auf alte Formen und Carols zurück - "very british" traf das Landesjugendblasorchester genau den warm timbrierten Ton dieser Musik. Der US-Amerikaner Don Gillis hingegen steht für eine Komponistengeneration, die Broadway, Jazz und Klassik gleichermaßen verinnerlichte und zu neuen Originalwerken führte. Rhythmische Präzision und einiges an virtuosem Glamour waren in Gillis Symphony "5 1/2" zu bestaunen - Scheibe vermochte die Klangmassen gut zusammenzuhalten und differenzierte auch die Dynamik im schwierigen Saal.

Karel Husas "Music for Prague 1968" war sicherlich das eindrucksvollste Werk des Konzertes: eine zeitgenössische Musiksprache verband sich hier mit tiefem Ausdruck. Direkte persönliche Erlebnisse des Exil-Komponisten sind hier in klageartige, nachdenkliche Klänge verwoben, vom leise pochenden Schlagzeugintermezzo bis zu großbögigen, auch kantablen Steigerungen waren die Musiker hier voll gefordert. Ein versöhnlich-volkstümlicher Ausklang gelang mit George Enescus "Rumänischer Rhapsodie Nr. 1", die auch in der originalen Orchesterfassung sehr bekannt ist. Erneut konnte man sich hier über einen mutigen Zugriff in allen Orchestergruppen freuen, überhaupt waren sämtliche Soli selbstbewusst und mit Können ausgestaltet. Das an diesem sonnigen Nachmittag leider nur spärlich besetzte Auditorium honorierte diese Leistung kräftig.
(29.4.14)

* Die Konzertwiederholung in Frankenberg wird von MDR Figaro aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt gesendet
* http://www.blasmusik-sachsen.de/das-ljbo.html

Opulentes Oster-Menü

Rachmaninow, Strauss und Tschaikowsky mit der Dresdner Philharmonie

Die Osterfeiertage sind nicht nur christliche Feiern, sie bedeuten für viele auch die Möglichkeit einmal Luft zu holen an einem langen Wochenende und Familie und Hobbys zu pflegen. Und natürlich geht man an solchen besonderen Tagen gerne ins Konzert. Gleich dreifach spielte die Dresdner Philharmonie an den Feiertagen ihr Osterprogramm im Schauspielhaus - für diese keinesfalls selbstverständliche Leistung sei dem Orchester einmal besonders gedankt.

Keinesfalls wurde "Schonkost" angesetzt, das Ostermenü soll schließlich auch in den Ohren schmackhaft erscheinen. Der Appetizer war allerdings kaum der Rede wert - Sergej Rachmaninows "Vocalise" Opus 34/14 kam zwar sanft tönend über die Bühne, aber mehr als ein "Ach wie schön" kann man dem kurzen Stücklein kaum abringen. So war es vermutlich auch gemeint, und so erreichte es auch die Zuhörer.

Ganz anders liegt der Fall bei Richard Strauss "Vier letzten Liedern". Ein tiefgehender, melancholischer Rückblick auf ein langes Künstlerleben entfaltet sich da, in warme und vertraute Töne gegossen. Seit der Uraufführung 1950 sind die Lieder zum Meisterstück großer Sopranistinnen wie Kirsten Flagstad, Elisabeth Schwarzkopf und Jessye Norman avanciert. Als Solistin konnten die Dresdner die Rostockerin Gun-Brit Barkmin erleben - vielleicht war es für manchen eine schöne Wiederbegegnung, denn Barkmin hat an der Dresdner Musikhochschule studiert. Über Freiberg und Berlin führte ihr Weg dann an die Bühnen der Welt, wo sie heute große Titelrollen (Salome, Jenufa, Lady Macbeth) ihres Fachs interpretiert.

Die Strauss-Lieder präsentierte sie bei dem Philharmonie-Debut erstmalig und überzeugte mit guter Diktion und einer strömenden, sicher geführten Stimme. In allen vier Liedern spürte sie mit Bedacht der Balance zwischen dem großen, zyklischen Bogen und der fast innigen, intimen Atmosphäre nach - in dieser schönen Farbpalette waren die Lieder keinesfalls auf Schmerz und Abschied reduziert. Schwieriger erschien die Einbettung in den Orchesterklang - hier und da fügten sich die Harmonien nicht ganz überzeugend ineinander und eine von Sanderling bevorzugte Schattierung und Dämpfung des Klanges führte manchmal zu einer zu fahlen Gesamtatmosphäre.

Ein musikalischer Weltenwechsel stand nach der Pause an: Peter Tschaikowskys 5. Sinfonie e-Moll verspricht saftigen spätromantischen Klang. Da war es zunächst überraschend, dass Michael Sanderling den ersten Satz derartig genau sezierte, dass man die Puzzleteile der Sinfonie einzeln präsentiert bekam. Folgt man dem Stück ebenso aufmerksam, wie dies die Philharmoniker in jeder einzelnen Phrase taten, so bleibt allerdings von der Leidenschaft und dem Schmelz, den dieses Stück vermutlich braucht, um von einigen Schwächen abzulenken, nicht mehr viel übrig.

So war auch im ersten Teil des vierten Satzes noch eine genaue Bestimmung von Haupt- und Nebenstimmen gegenwärtig, bemühte man sich um Schönklang (mit feinem Hornsolo!) und genaue dynamische Abstufung. Erst bei der finalen Apotheose gibt es kein Zurück mehr und hier spielten die Philharmoniker auch befreit auf, dafür gab es viele Bravo-Rufe vom Publikum.
(21.4.14)

In jeder Tür ein Schlüssel

Klavier-Recital Radu Lupu in der Semperoper

Es ist ein Glücksfall für das Dresdner Publikum, dass die Staatskapelle den rumänischen Pianisten Radu Lupu in dieser Saison als Capell-Virtuos gewinnen konnte. Der 68jährige wählt seine Auftritte mit Bedacht; seine Kunst erscheint als das völlige Gegenteil des heute in der Klassikszene oft zu beobachtenden Personenkultes. Beim Recital in der Semperoper schritt er bedächtig zum Flügel, dem Arbeitsgerät, vor dem ein gewöhnlicher Stuhl steht. Ab diesem Moment zählen nur noch die Noten von Robert Schumann. Ruhe kehrt ein im Semper-Rund und von Lupu geht in jedem Augenblick eine solche Erdung und Ernsthaftigkeit aus, dass man für einen Moment fürchtet, je wieder die "Kinderszenen" selbst wieder in die Hand zu nehmen.

Lupu schlägt das allbekannte Schumannsche Bilderbuch auf, ohne je im Spiel ein Eselsohr oder einen Fleck auf den Blättern zu hinterlassen. Behutsam und filigran werden die Miniaturen gestaltet, manchmal gar ein bißchen lässig. Die "Träumerei" gleitet fast schwerelos vorbei, rasch wechselt Lupu die Charaktere und bleibt dabei konturenscharf. Erst beim abschließenden "Der Dichter spricht" erlaubt er sich ein Innehalten. Auch in den folgenden "Bunten Blättern", die Schumann aus früheren Klavierstücken zyklisch zusammenstellte, gelingt Radu Lupu ein atmosphärisch dichtes, immer auf Linie bedachtes Spiel. Hier gelingen atemberaubende dynamische Differenzierungen, schleicht sich ein crescendo nahezu unmerklich ein, wird der Walzer des dritten Albumblattes mit Samthandschuhen angefasst und fällt dennoch nie der Konvention anheim.

Der erste Konzertteil ist eine Veredelung der Miniatur, es sind viele Kostbarkeiten, denen gemeinsam ist, dass sie mehr den gedanklich geschärften Moment als eine lange, von womöglich dramatischer Natur bestimmte Entwicklung in den Vordergrund stellen. Im zweiten Teil des Konzertes gab es mit der späten A-Dur-Sonate von Franz Schubert keinen wirklichen Kontrast, sondern eine stimmige Ergänzung. Die vier Sätze dieser Sonate sind von einem großräumigen "parlando" und vielen lyrischen Inseln bestimmt. Radu Lupu bleibt sich auch hier treu - seine Schubert-Welt ist ein wohlaufgeräumter Ort, bei dem selbst die Erschütterungen des zweiten Satzes sorgsam eingebettet erscheinen. Es ist ein überlegter Schönklang, von langer Erfahrung mit Werk und Komponist geprägt.

Falls man sich in diesen wohlgeformten Phrasen überhaupt etwas wünscht, dann wohl lediglich, dass dieses Kartenhaus nicht ewig Bestand haben möge - ist dieser Schubert nicht doch zu schön, um wahr zu sein? Wie eine Kartografie breitet Lupu die unergründlichen Weiten des vierten Satzes auf und spielt die von Pausen durchzogenenen und nicht vollendeten Ausgänge dieser Sonate als einen Raum mit vielen Türen. Doch während andere Pianisten diesen Schubert-Raum mit Fragen und Zweifeln behaften, steckt bei Lupu in jeder Tür ein Schlüssel. Die letzte fällt mit einem noblen forte ins Schloss. Mit dem Improptu As-Dur von Schubert entfernt sich Lupu auch in der einzigen Zugabe nicht von der Ausdruckswelt dieses Abends, in der die Ausformulierung gereifter Gedanken bestimmender, haltgebender Fixpunkt war und schlicht zu einem Wohlgefühl beim Zuhören führte.
(18.4.14)

Traum LXXXIII

Ich bin in meinem alten Gymnasium. Pause. Ich laufe durch die Gänge und suche meine Tasche, die sich in irgendeinem Klassenzimmer befindet. Überall Schüler, Gerenne, Gelaufe um mich herum in den Gängen. Ich bin wieder aus dem Zimmer heraus, da sehe ich meine Mutter auf mich zukommen. Ich habe sie lange nicht gesehen, sie ist total abgemagert und hat Blässe-Flecken auf den Wangen, ich freue mich sie zu sehen und umarme sie, die Umarmung wird nicht erwidert. Sie sagt mir, sie wolle sich verabschieden. Dabei laufen wir durch die Gänge mit den Schülern, die wie ein Spalier wirken. Ich verneine und breche fast zusammen, nein, kein Abschied. Den einzigen Satz, den ich von mir selbst noch vernehme, ist in etwa "Du kannst nicht einfach gehen wie bei einem Ehepaar, du bist meine Mutter." - Die Szenerie wechselt, wir laufen weiter, sind nun draußen, das Spalier der Schüler verwandelt sich in Bäume am Wegesrand. Weiter passiert nichts, an das ich mich erinnern kann. Wache recht "mittendrin" auf und vergegenwärtige mir intensiv, dass meine Mutter vor sieben Jahren gestorben ist.

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