Sonntag, 8. Dezember 2013

Uraufführung "Ein Tropfen, ein Schluck in der Höhe"

Adventsstern der Singakademie Dresden
8.12.2013, 17 Uhr, Lukaskirche Dresden


Benjamin Britten (1913 - 1976)
St Nicolas Kantate, Op. 42 (1948)

Alexander Keuk (1971)
Ein Tropfen, ein Schluck in der Höhe (UA)
für Alt, Tenor, Chor und Orchester
Text von Hans Thill und Alexander Keuk

Johann Sebastian Bach (1685 - 1750)
Sanctus, Osanna, Benedictus, Agnus Dei der h-Moll-Messe

Ausführende:
Julia Böhme - Alt
Falk Hoffmann - Tenor

Großer Chor, Projektchor, Kinderchor und Seniorenchor der Singakademie Dresden

Sinfonietta Dresden
Leitung: Ekkehard Klemm, Christiane Büttig

Zur Einführung:
EIN TROPFEN, EIN SCHLUCK IN DER HÖHE
Vor drei Jahren fragte mich Ekkehard Klemm, ob ich ein Werk für den dritten und abschließenden Teil des Singakademie-Projektes „Re-Aktionen auf Bach“ komponieren würde. Die Idee, Teile der h-Moll-Messe von Bach jeweils einem zeitgenössischen Werk gegenüberzustellen, fand ich sehr faszinierend, und das nicht nur, weil ich mit Bachs Oratorien seit meiner Knabenchorzeit vertraut bin. Es war ein glücklicher Umstand, dass außer der Nachbarschaft der Werke in der Aufführung keine konkretere Bezugnahme gefordert wurde. Gut, dass auf diese Weise drei Komponisten ihre heutige Sichtweise, Nähe und Distanz, ihr Leben und Denken mit Bach, mit der h-Moll-Messe oder ihrem geistlichen Gehalt artikulieren durften. Es ist keineswegs eine leichte Aufgabe, sich neben diesem Meisterwerk zu positionieren. Mir fiel der letzte Abschnitt der Messe zu - vom Sanctus über Osanna, Benedictus und Agnus Dei zum Dona Nobis Pacem.

Mein Stück wollte ich zunächst in eine Werktrilogie einreihen, die sich mit dem Langpoem „The Waste Land“ (1922) des Dichters T. S. Eliot befasst. Von Nils Mönkemeyer wurde im April 2013 der erste Teil - „Datta“ für Bratsche Solo - uraufgeführt. Für die nun zu verfassende oratorische Form des zweiten Teils bat ich die Verleger Eliots um eine Vertonungsgenehmigung - vergeblich.
Der Dichter hatte zu Lebzeiten verfügt, dass keines seiner Gedichte vertont werden dürfe. Ich war mir indes sicher, dass ich ein „lyrisches Gegenüber“ für die Annäherung an Bach benötige und konnte mich in spannender Wiederbeschäftigung den Gedichten von Hans Thill widmen, den ich 1999 bei einem Stipendiatenaufenthalt kennen und schätzen gelernt habe. Thill schickte mir einen Text und ein „Material“, ein Kompendium offener Türen, das nah am Text der h-Moll-Messe angesiedelt war. Für mich galt vor allem, die dem Text innewohnende lyrische Kraft zu bewahren. Trotzdem war der Komponist in mir stets hellwach und der offene Charakter des Textes erlaubte Spiel, An-Ordnung oder auch Widerspruch - beste Voraussetzungen also, um eigenen Charakter und Phantasie in Form und Tönen einzubringen.

Was da entstanden ist, benötigt keine Gattungsbezeichnung. Es ist eine Art klingende Glaubensbetrachtung - mit der ersten Note tritt man ein in einen Gedankenraum von Stimmungen und Statements, der seine lyrische Kraft behält, indem ich versucht habe, jede Art von Erzählung, Erklärung oder gar Belehrung zu vermeiden. Trotzdem - und das bringt mein Stück wiederum nahe zu Bach - gibt es hier auch Rituale. So wie das Gebet ein christliches Ritual darstellt, sind in meinem Stück klar wahrzunehmende Abschnitte gleicher, fast statischer Machart zu vernehmen.

Die Perspektiven wechseln nicht nur zwischen Soli, Chor und Orchester, sondern auch zwischen Autor und Komponist: auf bestimmte Materialien habe ich nicht nur mit Tönen, sondern auch mit eigenen Texten geantwortet (auch dies eine Spielart von Komposition), die wiederum von Hans Thill eine sprachliche Schärfung erfahren haben. Im Verlauf des Stücks ist die Vorlage von Bach erkennbar, dennoch ist „Ein Tropfen, ein Schluck in der Höhe“ kein Abarbeiten am Messtext, sondern dem Motto des Konzertes gemäß eine Reaktion.

Eliot grüßt zu Beginn mit dem vom Chor a cappella vorgetragenen „Dayadhvam“, das im letzten Teil von „The Waste Land“ zitiert wird: „Datta - Dayadhvam - Damyata“ (gib / empfinde Mitleid / kontrolliere) ist eine Passage aus den Upanishaden, einer hinduistischen Schrift. Daran schließt sich ein größerer Abschnitt an, der musikalisch fragt und erörtert, was (uns) „heilig“ ist. Das Benedictus erhält in meinem Stück eine Spiegelung in einer Art Dialog zwischen Natur und Mensch, wie überhaupt Naturelemente im Text große Bedeutung haben, aber was ein „natürliches Wesen“ ist, wird nicht fest definiert. Während der Chor in diesem Abschnitt im Hintergrund schlicht „da“ ist (damit quasi ein Wesen kreiert), kreisen bei den Solisten die Gedanken in übereinander
geschichteten Textfragmenten - eine ähnliche Technik liegt übrigens schon der „Domine Deus“-Arie in der h-Moll-Messe zugrunde. Die Parallelität von Ereignissen erzeugt Beziehungen, ebenso wie das bereits Gesagte Folgen hat. So ist der dritte Teil, von zwei sehr unterschiedlichen Hosianna-Rufen umrahmt, zwar ebenfalls ein Dialog zwischen Chor und Solisten, aber den Chor-„Wolken“ steht diesmal eine reine Rezitation gegenüber. Am Ende steht ein wunderbares Gedicht von Hans Thill, das uns fast wie ein Haiku zur Reinheit der Gedanken führt.

Alexander Keuk, 2013

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Was rundes auf 2D ziehen
Mercator projection: a simple analogy pic.twitter.com/BoAQHKpicX —...
Kreidler - 21. Apr, 05:35
Passfarben
Was da wohl für eine Psychologie dahintersteckt. Colors...
Kreidler - 20. Apr, 05:34
Niedergang auf dem Buchrücken
The expressive design of the 1946 edition of Gibbon's...
Kreidler - 19. Apr, 05:34
Rhythmen aus alten Zeiten
Zürich HB Flap (at MuDA)2016(Sound on!) pic.twitter.com/wZWdRI6AaP —...
Kreidler - 18. Apr, 05:33
Origamitanz
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 17. Apr, 05:04
Vom Glasstapel
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 16. Apr, 05:04

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6698 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren