Freitag, 26. April 2013

Wogen und Fließen

Wagner, Franke und Tschaikowsky im Philharmonie-Konzert

Zwischen Richard Wagner und der Dresdner Philharmonie mag man im ersten Moment keine großen Schnittmengen erkennen, wurde das Orchester doch erst 1870 gegründet, als Wagner schon "über alle Berge" war. Doch das Gewerbevereinshaus an der Herzogin Garten war für kurze Zeit auch Wagners Domizil, und die Programme des Orchesters bezeugen die Wagner-Pflege von Beginn an. Heute weht der Geist des Meisters nicht mehr so intensiv durch die Dresdner Konzertsäle wie zu seinen Lebzeiten, doch das Wagner-Jahr 2013 nimmt sich auch die Dresdner Philharmonie gerne vor - mehrere Konzerte sind noch bis zum Sommer dem Wirken Wagners in Dresden gewidmet.

Da erste Entwürfe zum "Ring des Nibelungen" auf die Dresdner Zeit datieren, erschien zum Auftakt das Vorspiel zum "Rheingold" sinnfällig. Was da so naturalistisch in Es-Dur ganze vier Minuten lang von der Bühne strömt, ist eine kleine Revolution der Musikgeschichte: wir sehen den Impressionismus vorgebildet, die klassische Opernouvertüre ad acta gelegt, zudem die Tetralogie des Rings im Urzustand vorgebildet. Chefdirigent Michael Sanderling begnügte sich nicht mit der bloßen Darstellung (der - dem Schauspielhaus sei es verziehen - der feinste akustische Zauber noch fehlte) dieses Stückes, sondern stellte der ruhigen und empfundenen Interpretation des Rheingold-Vorspiels eine zeitgenössische Komposition zur Seite:

2010 schrieb der in Leipzig lebende Komponist Bernd Franke (*1959) "The way down is the way up (II)", ein Stück, dass explizit das Rheingold-Vorspiel als Inspirationsansatz benutzt. Sanderling ließ das Stück auch attacca auf Wagner folgen, um somit die Verbindung, aber auch die "neue Welt" zu verdeutlichen. Frankes Werk will weder eine Huldigung oder Nachzeichnung, noch einen radikalen Kontrast oder ein In-Frage-Stellen formulieren. Stattdessen beschäftigt er sich mit großem Klanggespür mit Fragen des Fließens und der Bewegung, mit Stocken und In-Gang-Kommen auf dem Grund einer doch durchgehend ruhig wirkenden harmonischen Basis. In vier Sätzen entfaltet sich so ein überaus farbiges Klanggemälde, in dem allen flächigen Passagen und Schichtungen genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird. So bekommt man viele Details wie leicht orientalisch anmutenden Melismen, unterschwellig brodelnde Bewegungen oder die starken Violin-Soli im 4. Satz gut mit. Frankes Proportionen erzeugen eine eigentümliche Schönheit, die Sanderling mit dem Orchester gut hervorbrachte - bei aller Schwierigkeit einiger eruptiver Passagen lag die Stärke der Interpretation vor allem im Atmosphärischen, Leisen. Leider konnte das überwiegende Publikum am Sonntagvormittag kaum etwas mit diesen Klängen anfangen - schade, dass das übrigens auch durch sehr angenehm eingesetzte Lichtstimmungen unterstützte Engagement für das Neue kaum Begeisterung erzeugte.

Dass nach diesem intelligenten Beginn Peter Tschaikowskys 4. Sinfonie in der nicht durchweg ertragbaren musikalischen Selbsttherapie des Komponisten eine leichte Schräglage erzeugte, konnte Sanderling durch eine ungemein sorgfältige Interpretation kompensieren. Schön, dass nicht gleich die Dramamunition im 1. Satz verpulvert wurde und das Orchester von Sanderling immer wieder zu ruhigem Ausspielen angeleitet wurde. Statt Gewalt erzeugte die Philharmonie so Intensität und Leichtigkeit und veredelte die Mittelsätze mit schöner Phrasierung. Nach dem sehr pointiert angelegten Scherzo fasste Sanderling im 4. Satz die Wogen des Werkes mit griffiger Lesart zusammen - von einer Sensation, die Tschaikowsky nach eigenen Worten wohl mit dem Werk in Dresden 1889 erregte, dürfte heute jedoch nicht mehr die Rede sein.

Intelligente Kurzweil

Dresdner Philharmonie im Albertinum

In Nietzsches Zarathustra will der Protagonist die Tugend "am Ohr zupfen und mit ihr Kurzweil treiben". Obgleich man das Alter des Begriffes bereits beim Aussprechen feststellt, umschreibt er doch etwas, das wir alle kennen: eine kurze Weile von Amüsement, Zerstreuung, Unterhaltung. Die "kurze Weile" indes stellt Komponisten immer vor große Herausforderungen. Wie fängt man den Moment ein, den Geistesblitz, den intelligenten Witz? Leider verkehren die Klassikradios den Kurzweil-Begriff mittlerweile ins Absurde qua des Postulats, nur alles unter drei Minuten Dauer sei für den Verbraucher noch verdaulich.

Trotzdem lohnt die Beschäftigung mit dem Thema und so durfte man im 9. Konzert der Dresdner Philharmonie im Albertinum mit Werken Bekanntschaft machen, die in aller Kürze flott auf den Punkt kamen und sich dennoch reizvoll gaben. Paul Hindemith - ohnehin ein Meister des erfinderischen Details - war zu Beginn mit einer "Morgenmusik" aus dem Zyklus "Plöner Musiktag" vertreten. Ein Bläserquartett musizierte die barocken Vorbildern angelehnte Komposition ansprechend von der Empore aus. So erhielt das Konzert zunächst eine festliche Einleitung, die Hindemith aber selbst gleich mit dem nächsten "Knaller" aushebelte. Frech und rasant kommt nämlich der "Ragtime" für großes Orchester daher, eine brillant instrumentierte Groteske, bei denen man gerade im Albertinum an die Ausdruckswelten des Expressionismus (Jazzcombos waren ein beliebtes Bildthema) erinnert wurde. Mit Feuereifer und Spielwitz waren die Dresdner Philharmoniker unter Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling bei der Sache.

Das setzte sich auch im folgenden Stück von Kurt Schwertsik fort, einem österreichischen Komponisten der Gegenwart. Seine "Schrumpf-Symphonie" setzte das Thema Kurzweil auf intelligente Weise fort, enthält doch das fünfminütige Stück alle Merkmale einer klassischen Sinfonie und wirft einen verstörenden Blick auf die Vergänglichkeit von Eindrücken. Oder wollte uns Schwertsik doch nur veralbern? Der Komponist ließ das in seinen eigenen Worten offen, das Publikum goutierte anständig. Nach diesen "kurzen Weilen" war noch ordentlich Platz in der ersten Konzerthälfte, die nun mit der traditionellen Abfolge Konzert - Sinfonie fortgesetzt wurde. Schade, dass man damit die schöne Dramaturgie etwas durchbrach.

Doch das Staunen blieb - denn ein Konzert für Bassposaune und Orchester ist eine Rarität. Stefan Schulz, Bassposaunist der Berliner Philharmoniker, hatte denn auch selbst für eine Bearbeitung von Søren Hyldgaard Tenorposaunenkonzert "Concerto borealis" gesorgt und spielte mit der Dresdner Philharmonie die Erstaufführung dieses Werkes. Trotz Schulz souveräner Interpretation der Noten des 1962 geborenen dänischen Komponisten war dies jedoch kein befriedigendes Erlebnis. Hyldgaards im Filmmusikbereich angesiedelte Partitur reduzierte die Klangqualitäten und Spielmöglichkeiten der Posaune ausgerechnet auf ein fortdauernd zelebriertes lyrisches Piano-Spiel mit einer melodischen, völlig austauschbaren Erfindungsgabe, die hart an Winnetou-Illustrationsmusik und Schlagerkomposition vorbeischrammte. Schulz sorgte jederzeit für die Entfaltung romantischer Klanggebung, Sanderling besorgte den orchestralen Rahmen, zu einem Erlebnis mit Tiefgang kam es jedoch nicht.

Im zweiten Teil des Konzertes stand dann ein sinfonisches Werk auf dem Programm, das man ohne Zweifel auch auf die Thematik "Kurzweil" hätte zurückführen können, allerdings nun in dem Sinne, dass kompositorische Ökonomie den Hörer schnell zum Wesentlichen führen kann und dabei die Explositivität des Unerwarteten gut zum Tragen kommt. Haydns letzte Sinfonie, in der Zählung Nummer 104, bekannt als "Londoner Sinfonie" ist darin ein Meisterwerk und Sanderling arbeitete genau die Momente des Unerwarteten in allen Sätzen perfekt heraus, ohne den speziellen Spirit des Stückes anzutasten, der sich von der Naivität des exponierten Themas in der Einleitung des 1. Satzes bis zur unerschütterbaren Spiellust des Finales steigert. Das Orchester folgte Sanderling mit schöner Klangkultur und markigen Akzenten; besonders schön gelang das Andante mit der Sprache nachempfunder, natürlich ausgebreiteter Melodik. Dem galanten Menuetto folgte ein rechter Galopp im 4. Satz, der dieses kurzweilige Konzert lebhaft ausklingen ließ.

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