Montag, 28. November 2011

Endhaltestellenwanderungen Teil VI: Coschütz

Die sechste Wanderung hatte ihren Startpunkt in Coschütz, an der Endhaltestelle der Linie 3. Das ist nun ein Stadtviertel, in dem ich so gut wie nie zu tun habe, um so spannender die Entdeckung..? Hinter der TU kraucht die 3 die Südhänge hinauf, die neue Schleife hinter dem vormaligen Endpunkt Plauen parallel zum Westendring hat schon etwas von einer Bergbahn. Doch bis zum Endpunkt geht es noch etwas höher hinauf: Coschütz liegt idyllisch auf einer Hangplatte, die nach Osten hin vom Kaitzgrund und nach Westen vom Plauenschen Grund steil abgegrenzt wird. Allerdings lassen wir den idyllischen Fichtepark mit seinem Turm auf dem Weg liegen, denn wir wollen ja ganz oben starten.


Hier geht es los: Die Wendeschleife in Coschütz

Im Süden winkt der Windberg als höchste Erhebung, das ist dann schon hinter der Stadtgrenze zu Freital. Diese überschreiten wir heute auch zweimal, denn wir beschließen nicht durchs "Dorf" zum Hohen Stein und dann hinunter nach Plauen zu laufen (das ist allerdings auch eine wegen Natur und Aussicht lohnenswerte Wanderung), denn da waren wir schon einmal. Wir wollen ja Neues entdecken und wenden uns daher am Achtbeeteweg ostwärts. Am 1. Advent, sonnendurchflutet, liegt das Viertel ruhig da, einige Weihnachtsdekorationen in den Vorgärten nimmt man aufgrund des frühlingshaften Wetters. Am Ende der Straße lugt hinter Bäumen ein massiver DDR-Bürobau hervor, der Klotz gehört zur Feldschlößchen-Brauerei, wo aber heute ebenfalls Ruhe herrscht.


An der Feldschlößchen-Brauerei

Südwärts laufen wir die Cunnersdorfer Str. entlang. Mein uralter Stadtplan versagt an der Stuttgarter Str. den Dienst, die Industriegebiete und deren Erschließung sind wohl im Zuge des A17-Baus entstanden, die Autobahn selbst verläuft unter unseren Füßen im Coschützer Tunnel. Vor uns liegt eine Halde, die zum "Ökologischen Großprojekt Coschütz-Gittersee" gehört. Beide Viertel waren nämlich Bergbaustandorte, deren Rückstände in den letzten zwanzig Jahren aufgearbeitet wurden. Die Halde, die den Kaitzgrund in zwei Teile zertrennt, ist noch nicht ganz fertig, sie soll (ähnlich wie die am Heller) der Naherholung dienen. So treffen wir auch heute schon auf viele Spaziergänger, am kleinen Teich unterhalb der Halde spielen sogar zwei ältere Damen Karten.


Von der Halde hat man eine tolle Aussicht bis nach Wachwitz und in die Sächsische Schweiz

Wir beschließen, den Kaitzgrund noch etwas nach Süden hinaufzuwandern und können uns anhand eines quer durch den Wald verlegten Industrierohres vorstellen, was für eine Brühe der Bach zu DDR-Zeiten gewesen sein muss - davon ist gottlob nichts mehr zu sehen. Am Ende des Waldes steigt eine Straße mit einem kleinen Wohngebiet neuerer Provenienz hinauf. Oben an der Straßenkreuzung liegen Schienen, ein Prellbock verkündet allerdings das Ende der Strecke: wir stehen an der Windbergbahn, die zwischen Gittersee (hier mehr über Bergbau und Stadtviertel) und Freital kurvig den Berg hinunter verläuft und die eine wichtige Rohle im Kohlebergbau der Region spielte, denn hier, wo wir stehen, verlief die Trasse bis hinauf nach Bannewitz und hatte Anschluss an verschiedene Kohlenmeiler.


Ende im Gelände: Prellbock der Windbergbahn kurz vor Burgk

Am Bahnhof Gittersee, den man von dieser Stelle aus sehen kann, gibt es sogar ein Eisenbahnmuseum und ein Verein kümmert sich um die Bahn, die bald wieder erschlossen sein soll. Oben an der Kreuzung - wir befinden uns hier bereits auf der Freitaler Gemarkung im Stadtteil Burgk - duftet es nach Mittagessen, sollten wir etwa wieder ganz zufällig einen heimeligen Gasthof gefunden haben? So ist es: Die "Hopfenblüte" liegt verkehrsgünstig an der Kreuzung und lädt zum adventlichen Schmaus ein.


der Gasthof Hopfenblüte, wo schon für die durstigen Kehlen der Bergmänner Gezapftes bereit stand

Anstelle danach die wenig beschauliche Karlsruher Straße hinunter zu laufen, wählen wir noch einen Rundgang durch die am Westhang liegenden Wohngebiete. Es ist schon fast ein Kunstwerk, wie hier kleine Häuser und Gärten in Terrassen angelegt wurden, allerdings dürfte es dramatisch enden, wenn man in seinem Carport neben dem Häuschen mal die Pedale verwechselt... Auf und ab gelangen wir wieder auf Dresdner Gebiet und über die Freitaler Str., die als Einbahnstraße von einigen Autofahrern trotz 30-Schildern offenbar mit einer Carrera-Bahn verwechselt wird nach Coschütz zurück, mitten in den alten Dorfkern, wo noch einige Gutshöfe stehen. Über die Windbergstraße kommen wir zurück zur Straßenbahnhaltestelle und entdecken noch ein Kleinod: da gibt es doch wirklich an der im satten Gelb angestrichenen "Alten Post" ein nicht ganz so altes, aber dennoch antikes Telefonhäuschen - denn diese Zellen sind ja fast überall schon verschwunden.


Falsch verbunden?

So haben wir in Coschütz-Gittersee-Burgk heute vieles gesehen und wieder gelernt, dass Dresden nicht nur aus Frauenkirche und Semperoper besteht. Bald wenden wir uns der längsten Straßenbahnlinie zu, der Linie 4, die uns nach Laubegast und Weinböhla führt.

Überzeugendes Debüt

Yuja Wang brilliert mit Prokofjew im 3. Sinfoniekonzert der Staatskapelle

Eine Absage einer großen Künstlerin ist traurig, aber zu respektieren. Im Rund der Semperoper kreisten vor dem 3. Sinfoniekonzert die Gespräche denn auch um die Bedauerung, dass man die Pianistin Martha Argerich zu ihrem zweiten Auftritt in der Semperoper nach 2009 nicht begrüßen konnte. Doch war das Publikum dennoch gespannt, denn die Staatskapelle hatte sich um würdigen Ersatz bemüht: die junge Chinesin Yuja Wang erklärte sich zum Einspringen und damit ihrem Dresden-Debüt bereit. Jüngst verlieh man der in den USA ausgebildete Künstlerin den ECHO-Klassik-Preis als beste Nachwuchskünstlerin. Mit dem Solistenwechsel war ein Programmwechsel unvermeidlich, doch die Entscheidung für das populäre 3. Klavierkonzertes C-Dur Opus 26 von Sergej Prokofjew gab dem Programm, das auch Werke von Debussy und Respighi vorsah (die ebenfalls gestrichene "Euryanthe"-Ouvertüre hätte trotz ihrer unbestreitbaren Qualität da wahrlich nur als Fremdkörper gewirkt), einen einheitlichen Anstrich unter dem Sujet von Tradition und Fortschritt im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.

Für diese Werke stand mit Charles Dutoit ein ausgewiesener Spezialist als Gast am Pult der Sächsischen Staatskapelle. Schnell fanden Wang und Dutoit im Klavierkonzert zueinander, und ebenso rasch wurde man als Zuhörer aufmerksam auf ein großes Talent: die Chinesin überzeugte in allen drei Sätzen mit einer überlegten, kontrollierten Tempo-Gestaltung, legte Prokofjew zwar mit rhythmischer Emphase an, aber eben nicht mit unangebrachten Übertreibungen, die gerade in diesem Konzert hinter fast jedem motorischen Anrollen in den Ecksätzen als Gefahr lauern. Das Ergebnis dieses reifen, manchmal fast distanzierten Zugangs war eine natürliche, satte Kraft, die Wang ausbreiten konnte. Sie nahm sich Zeit für die Beruhigung im Mittelsatz, fand gemeinsam mit Dutoit viele Nuancen in den leisen Registern und legte das Finale mit ordentlichem Zugriff als Parforceritt hin bis zur letzten Note an. Offener Wunsch: die letzte Scheu darf sie noch ablegen - nach dieser überzeugenden Darbietung hofft man auf eine baldige Wiederkehr von Yuja Wang.

Im zweiten Teil des Konzertes standen dann zwei orchestrale Glanzstücke auf dem Programm. Zunächst ging es aufs Meer hinaus: Claude Debussys 1905 vollendete Orchesterskizzen "La Mer" gelten als Meisterwerk instrumentalen Farbenspiels - im Konzertsaal ist das Stück längst ein Klassiker der Moderne. Dutoits Interpretation ging auf viele Details ein, formte sorgfältig die Binnendynamik in den Orchestergruppen aus und hatte mit ausgestelltem Lärmen wenig am Hut. Viel spannender war denn auch, was er aus der Cellogruppe oder den vielen Bläsereinwürfen herausholte; die gemeinsame Formung des Höhepunktes am Schluss war dann eine Selbstverständlichkeit.

Damit waren die Musiker schon optimal für das Finale des Konzertes vorbereitet. Auch die "Pinien von Rom" von Ottorino Respighi erfreuen sich - nicht nur dank der vom Band eingespielten Nachtigall und einem zusätzlichen Bläserchor auf dem Balkon - einer großen Beliebtheit. Jedoch erfordern beide Stücke eine gute Gestaltung von Dynamik und Entwicklung. Dutoit hatte keinerlei Probleme mit dem lustvoll aufspielenden Orchester, das bei den "Pini del Gianicolo" silbrig glänzte und am Ende den Marsch der "Pini della Via Appia" wuchtig zur Apotheose steigerte.

Bach und Marais im Gespräch

Meisterkonzert auf Schloss Albrechtsberg

Außergewöhnlich war das Meisterkonzert auf Schloss Albrechtsberg am vergangenen Freitag schon durch seine Instrumentenwahl: Gambe und Cembalo standen auf der Bühne bereit, und damit stand zumindest für das durch die Romantik geübte Kammermusikohr ein Ausflug in die frühen Zeiten des Virtuosenspiels an. Keinesfalls jedoch darf man diese feinsinnige Musik der Barockzeit an Schwierigkeitsgrad, Anspruch oder gar Emotion unterschätzen. Nachdem die Gambe und die damit verbundene Literatur im 19. Jahrhundert nahezu ausgestorben war, wurde das Instrument im Zuge der Renaissance der Alten Musik für den Konzertgebrauch wiederentdeckt.

Mittlerweile ist die Musik der frühen Barockzeit selbstverständlicher, wichtiger Lehrinhalt an den Hochschulen. So freute sich das Publikum auf zwei hochrangige Solisten, die - ganz wie damals unter den Virtuosen üblich - ihre Kunst auch lehrend weitergeben. Jakob David Rattinger (Gambe) und Christine Schornsheim (Cembalo) darf man Meister ihres Fachs nennen, davon waren die Zuhörer im Meisterkonzert schon nach den ersten Stücken überzeugt. Intelligent waren die Werke ausgewählt worden, denn man beschränkte sich nicht auf den - ohnehin noch zu wenig bekannten - französischen Komponisten und Gambenspieler Marin Marais (1656-1728), sondern gesellte ihm Johann Sebastian Bach zur Seite. Hier ist die Stückauswahl allerdings beschränkt, denn Bach schrieb in Köthen lediglich eine kleinere Folge von Gambensonaten. Das Instrument hatte da seine Blütezeit schon überschritten und war um 1720 noch zum "Dilettieren" im Hausgebrauch.

Schornsheim und Rattinger nutzten die Hereinnahme Bach eher, um französische und deutsche Stilformen voneinander abzugrenzen und damit reizvolle Kontraste herzustellen: fast hatte man den Eindruck, die beiden Meister säßen sich im Gespräch, oder besser Diskurs gegenüber. Musikalisch war die Darbietung erfüllend - gleich die Suite in a-Moll aus dem 3. Buch der "Pièces de Viole" von Marais war eine wunderbare Demonstration der hohen Kunst auf diesem Instrument. Wie affektgeladen das Spiel auf den sechs Seiten geraten kann, zeigte das temperamentvolle "Rondeau Le Troilleur" und vor allem das "Tombeau pour Mr. Sainte-Colombe", ein musikalisches Grabmal, das Marais seinem verehrten Lehrer setzte und in dem man Trauer und Weinen plastisch wahrnahm. Dafür sorgte Rattingers überlegtes und in jedem Ton stark gestaltendes Spiel. Frühe Bach-Werke wie die Toccata c-Moll für Cembalo bewiesen gleiche Meisterschaft im Kontrapunkt wie in der Ornamentik. Der Wettstreit ging sogar soweit, dass man versucht war, in den beiden Präludien und Fugen A-Dur und a-Moll, die Schornsheim mit tollem Sinn für den musikalischen Fluss musizierte, Marais'sche Wurzeln zu finden.

Vor allem aber zur Einkehr und Beruhigung taugten auch viele langsame Sätze des Programms. In der Pause nahm sich Rattinger sogar die Muße, den interessierten Zuhörern eine Demonstration der Viola da Gamba zu geben. Damit gab es im Meisterkonzert nicht nur "Künstler zum Anfassen", sondern insgesamt eine spannende Innenschau der Gamben-Hochzeit im Barock.

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